Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

16.

.Aber ich fand Tante Edith nicht, und als ich atemlos in die Küche kam, da berichtete mir Jette, daß die Jungfer der Frau von Demphoff dagewesen sei und Tante in die Villa geholt habe; Frau von Demphoff sei schwer erkrankt; auch daß Tante mich gesucht habe.

Rasch nahm ich ein Tuch um, lief den Korridor vollends hinunter und schlug den Weg zur Villa ein; so eilig wie möglich schritt ich über die feuchten Wege. Fast zugleich mit mir näherte sich eine kleine runde Frauengestalt der Villa, an deren schwarzem Kleide der Wind alle Volants aufwirbelte; sie blieb wie angewurzelt stehen, als ich so geschwind herankam, und ihre Blicke hingen mit dem Ausdruck des maßlosesten Erstaunens an mir. Aber heute hatte ich kein Auge für sie, was ging mich Anna an? Ruhig schritt ich an ihr vorüber die Treppe hinauf, und zurückschauend sah ich, wie sie in das untere Gestock einbog, wo Ferras Zimmer lagen.

In dem teppichbelegten Korridor hier oben stand neben einem Diener der alte, so gern gesehene Landbriefbote, und als er mich erblickte, suchte er in seiner Tasche und hielt mir einen Brief entgegen. »So, gnädiges Fräulein, da kann ich mir den Weg ersparen.« Dann faßte er an die Mütze und ging.

Und nun flogen meine Augen über die Adresse. »Von Gerhard!« schrie ich auf; ich kannte ja diese eigentümlichen großen Schriftzüge; wie oft hatte Tante Edith ihren Armen einen eigenhändig von ihm ausgestellten Holzzettel geschenkt. Das Blut drängte sich mir stürmisch zum Herzen, wie im Traume befangen schaute ich auf das große, viereckige Couvert, vergaß momentan, wo ich war und was ich that, und ehe ich es versah, hatte ich meinen Mund auf das Papier gepreßt. Ich stand mit dem Rücken der Treppe zugewendet; es war still um mich her, aber nicht so still, daß ich jetzt das leise Rauschen eines Frauenkleides überhört hätte, und als ich mich umwandte, da erblickte ich die kleine, schwarze Gestalt kaum zwei Schritt von mir, und ihre blauen Augen ruhten funkelnd auf dem Briefe in meiner Hand, so daß ich ihn unwillkürlich an meine Brust drückte und zur Seite trat. Sie ging an mir vorüber und verschwand in der Thür, die zu Frau von Demphoffs Zimmern führte, so selbstverständlich, als gehöre sie noch immer zu dem Haushalte hier; im nächsten Augenblick aber trat sie wieder heraus, mit dunkelrotem Kopfe und fast hastig lief sie den Korridor entlang; ich hörte sie die Treppe hinunter eilen und die Glasthür des Vestibüls klirrend hinter ihr zufallen.

.

Nun riß ich das Couvert auf, aber nur ein paar kurze Zeilen erblickten meine Augen:

 

» Neapel, 8. März 18...

Seit vierzehn Tagen sind wir ohne einen Brief von meiner Mutter! Sie versprachen mir, Magdalene, wegen Charlottes Befinden an mich zu schreiben – darf ich hoffen, daß Sie auch in diesem Falle Ihre Zusage erfüllen werden? Charlotte ängstigt sich und ich beunruhige mich nicht minder. Also setzen Sie sich an Tante Ediths Schreibtisch, nehmen Sie die Feder zur Hand und schreiben Sie wenige Zeilen, bei denen Sie aber nicht vergessen dürfen hinzuzufügen, wie es im alten Kloster aussieht? Und ob ein gewisses kleines Fräulein folgsam war und abends zur rechten Zeit die Lampe auslöscht? In Ihren Briefen an Charlotte finde ich leider gar nichts über diesen Punkt erwähnt.

Wir haben Sehnsucht nach Wendhusen trotz allem Sonnenglanz; ›nur nach Deutschland thut mein Herz verlangen!‹ wie Lottchen mir vorhin auf meine Bitte vorgesungen. – Noch liegt wohl Schnee auf unseren Bergen und der Wind weht kalt, aber in wenig Wochen können wir, so hoffe ich, unsere Koffer packen! Gebe Gott, daß wir alles in Wendhusen so wiederfinden, wie wir es bei unserer Abreise verlassen haben –. Schicken Sie bald Antwort, Magdalene; hoffentlich ist die Besorgnis um Mama nur ein Hirngespinst. Charlotte grüßt herzlich, ebenso

Ihr Gerhard.

P. S. Von Georg habe ich einen Brief erhalten.«

 

Das war alles, und einen Augenblick sah ich fast enttäuscht hernieder auf das große, weiße Blatt mit dem wenigen Inhalt. Dann ging ich leise in das nächste Zimmer, durchschritt Frau von Demphoffs reizenden Salon, denselben, in dem ich einst vor ihr gestanden, so heimatsbang und zitternd vor ihren kalten Blicken. Dort hing Ferras schönes Bild noch immer über den Blattpflanzen, Joachims Bild aber verhüllte ein schwarzer Vorhang. Aus dem Nebenzimmer klang leises Sprechen und dann und wann ein schmerzliches Aufstöhnen; die Portieren hatte man herabgelassen und ich vernahm deutlich Tante Ediths liebevolles Zureden.

»Ich will Ferra nicht!« hörte ich jetzt die noch immer harte und energische Stimme der Kranken. » Allein will ich sein, nur allein!« Schüchtern ging ich bis zu der verhangenen Thür; »Tante!« wagte ich zu rufen, da blickte das geängstigte Gesicht der Kammerjungfer durch die Falten.

»Rufen Sie meine Tante nur auf einen einzigen Augenblick,« bat ich, und gleich darauf stand diese vor mir. Ich zeigte ihr Gerhards Brief, den sie ruhig durchlas; dann gab sie ihn mir zurück und ging hinein.

»Therese, soll Gerhard kommen?« fragte sie freundlich.

»Nein!« klang es matt zurück, »niemand, niemand! Selbst, wenn es schlimmer werden sollte – hörst du, Edith? Niemand!«

Tante Edith kam wieder. »Warte mit der Antwort, Kind, bis der Arzt da ist.«

»Kann ich helfen, Tante?«

»Jetzt nicht, mein Liebling; komm gegen Abend wieder. Ich fürchte fast, es wird ein Nervenfieber –«

So ging ich ins Kloster zurück, und dort saß ich, bis es dämmerig wurde, immer mit Gerhards Brief in den Händen, immer wieder die Zeilen überlesend, bis zu den letzten beiden Worten am Schlusse: »Ihr Gerhard!« Vor dem Namen Gerhard stand ein großes V, und dieser Buchstabe war durchstrichen, er hatte »Vetter« schreiben wollen, »Vetter Gerhard«, und dann hatte er sich anders besonnen. Aber warum nur? Ich nannte ihn so gern Vetter. Und dann fand ich es sehr richtig, es klang doch tausendmal schöner »Ihr Gerhard« als »Vetter Gerhard«, ich möchte ihn nie wieder so nennen, immer nur »Gerhard«. – Was für wunderlich glückseliges Zeug fuhr mir durch den Kopf in jener einsamen Stunde; alles versank, was Schweres über mir und meiner Umgebung lastete, und zum erstenmal schossen blendende Sonnenstrahlen in meinem jungen Herzen auf, so blendend, daß ich die Augen schließen mußte vor all dem Glanz, den sie verbreiteten; und draußen pochten die knospenden Zweige der Linden an die Fenster: es will ja Frühling werden!

.

Endlich fiel mir ein, daß ich Tante versprach, in die Billa zu kommen. Langsam machte ich mich auf den Weg, ich hätte so gern weitergeträumt; aber im Korridor vor unserer Küchenthür blieb ich stehen, Jette sang drinnen, sie saß wohl am Spinnrad. Wie oft hatte ich es schon gehört und kaum hingehorcht nach jenen schwermütigen Melodieen, die das Volk hier herum zu singen pflegt; aber die Worte, die eben an mein Ohr schlugen, bannten mich regungslos.

Das war ja das Lied, von dem Gerhard geschrieben: »Nur nach Deutschland thut mein Herz verlangen.« Ich lehnte mich an die kalte Wand und lauschte der frischen Melodie; nach einer kleinen Pause begann die helle Mädchenstimme:

Ist ein Land, das heißt Italia,
Blüh'n Orangen und Zitronen;
Singe! sprach die Römerin.
Und ich sang zum Norden hin:
Nur in Deutschland, nur in Deutschland,
Da soll mein Schätzlein wohnen.

Glühend heiß stieg mir das Blut in das Gesicht, ich flüchtete förmlich aus dem Hause in den kühlen Garten hinaus, und atemlos langte ich in der Villa an. Dort fand ich alles in größter Aufregung, der Zustand der Kranken hatte sich verschlimmert; in dem Salon saß der alte Medizinalrat vor dem Schreibtisch und schrieb ein Rezept; ein Gesäß mit Eis stand auf dem Teppich vor den blauen Vorhängen, und diese bewegten sich wie in leiser Zugluft.

»Wo ist Tante Edith?« fragte ich das eilig durch das Zimmer gehende Mädchen.

»Hier, gnädiges Fräulein, treten Sie nur dreist ein, die gnädige Frau sind gar nicht mehr bei Besinnung.«

Ich schlüpfte in das Krankenzimmer; eine matte Helligkeit erfüllte den behaglichen Raum und warf schwache Reflexe auf die seidenen Vorhänge des Himmelbettes; sie waren weit zurückgeschlagen, um der kalten Luft, die durch das geöffnete Fenster strömte, Zugang zu gewähren zu jenem fieberheißen Frauengesicht, das da mit halbgeschlossenen Augen in den weißen Kissen ruhte. Tante Edith stand am Bette und legte eben eine frische, kalte Kompresse auf den Kopf der Kranken.

Der Teppich dämpfte den Schall meiner Schritte, sie hörte mich erst, als ich dicht neben ihr stand; erschrocken wandte sie sich um. »Du gehst augenblicklich hinaus, Lena,« gebot sie zürnend, »diese Krankheit steckt an!«

»Nein, Tantchen, laß mich hier, ich bin jung, gesund und kräftig – du mußt ja Rheumatismus bekommen in dieser Kälte.«

»Das geht dich nichts an, Kind – die Jungen packt die heimtückische Krankheit am ehesten. Geh!«

»Nein!« betonte ich entschieden. Die Frau, die dort lag, war Gerhards Mutter, und er ängstigte sich um sie; wie würde ich gegangen sein?

»Lena!« Tantes gutes Gesicht wurde dunkelrot über meinen Widerspruch.

»Ich gehe nicht,« wiederholte ich noch einmal und nahm ihr die Kompresse ab, die sie noch immer in der Hand hielt, um sie auf das Eis zu legen. »Meinst du, ich kann nicht Kranke pflegen?«

»Ich zweifle nicht daran, du Trotzkopf, aber ich weiß, Gerhard würde es mir nie vergeben, setzte ich dich solcher Gefahr aus.«

»Gerhard ängstigt sich um seine Mutter, ich muß ihm antworten; was soll ich schreiben?« fragte ich ausweichend. »Was sagt der Herr Doktor?«

»Er will nicht, daß es ihm mitgeteilt wird, Lena, Charlottes wegen; sie mag sich kaum etwas erholt haben. Schreibe ihnen, die Mutter sei ganz gesund, nur verstimmt, oder was du für gut hältst, nur geh hier hinaus, ich bitte dich!«

»Nicht um die Welt, Tante Edith,« entgegnete ich, und mich zu dem eintretenden Arzt wendend, bat ich: »Nicht wahr, ich darf?«

Der alte Herr sah mich freundlich an. »Acceptieren Sie immerhin die Hilfe, Frau Berka, es ist nicht mit heute und morgen abgethan.« Und seufzend duldete es Tante, daß ich ihren Platz einnahm, um rasch und regelmäßig die Kompressen zu wechseln.

Tante Demphoff sprach fortwährend leise vor sich hin; es hatte etwas Unheimliches in dem halbdunkeln Zimmer; mitunter rief sie ein lautes Wort dazwischen, und jedesmal trat Tante Edith besorgt hinzu.

»Es ist ja doch nicht wahr,« flüsterte die Kranke, »wer hat es denn gesehen? Robert, Robert! Und wenn sie alle es sagen, ich, ich glaube es nicht!« Und dann wieder laut und hastig: »Bring' mir das Mädchen, bring' sie mir, Gerhard, ich will sie lieb haben!« so daß Tante Edith kopfschüttelnd aufhorchte. »Sie phantasiert so heftig; Kind, geh' hinüber, du brauchst es nicht zu hören –.« Aber ich blieb dennoch, mir war es, als ob ich an das Bett der fiebernden Frau gefesselt sei.

Und so kam die Nacht herauf; die Kranke wurde ruhiger. Tante Edith lag auf der Chaiselongue, von wo aus sie das Bett übersehen konnte, und die Jungfer schlief in einem Lehnstuhl, sie hatte schon nächtelang gewacht. »Die gnädige Frau habe sich zuletzt gar nicht mehr hingelegt,« erzählte sie uns.

Draußen tobte ein gewaltiger Sturm und fuhr brausend durch die hohen Bäume des Parkes. Ich lauschte hinaus auf seinen rauhen Gesang; wo kam er wohl her? Leise schlüpfte ich in den anstoßenden Salon und öffnete ein Fenster. Ein warmer Hauch wehte mir entgegen; das war der Südwind, der den Schnee von den Bergen taut. Kam er vielleicht hergebraust über Italiens Fluren?

»Hast du Gerhard nicht gesehen?« fragte ich halblaut und bog mich weit hinaus, daß der Sturm meine Haare auseinanderwirrte und sie mir wie ehemals um die Stirn fliegen machte; und durch all dies Brausen tönte glockenhell und neckisch eine Melodie in mein Ohr:

Ist ein Land, das heißt Italia,
Blüh'n Orangen und Zitronen – –
Nur in Deutschland, nur in Deutschland,
Da soll mein Schätzchen wohnen. –

O, wer fliegen könnte über die Berge, weit, weit in das Land hinaus zum fernen Süd! Wenn doch die Zeit ebenso rasch dahin brausen wollte, wie der Sturm!

.

Aber sie ging langsam, verzweifelt langsam, wollte es doch kaum Tag werden in der Krankenstube; und als die ersten Morgenstrahlen heraufdämmerten, da saß Tante Edith weinend am Bette der Schwerkranken und hielt ihre Hände. Was für ein banges, gequältes Menschenherz sprach aus den unzusammenhängenden Worten, die sich von den trockenen Lippen rangen! – Das Mädchen war hinausgeschickt und Tante Edith duldete jetzt, daß ich ihr behilflich sei.

»Edith! Edith, vergib mir!« rief die Kranke laut. »Mich fror ja so, ich hatte ihn so lieb, da mußte ich dich wegstoßen –. In Fölkerode bist du? Ich ja auch; er sieht so blaß aus, dein armer Junge; – mein Liebling, mein Robert, was fehlt dir denn? Alles sollst du haben, was du willst, nur sieh mich nicht so an, ich ertrage es nicht. Joachim, laß mich, ich habe nichts mehr, nichts, nichts!« schrie sie auf und schlug mit der Hand auf die Decke, »alles hin, sogar die Brillantknöpfe deines Vaters, die Gerhard gehören!«

Und so verging der Vormittag; auf den Zehen schlich die Dienerschaft umher und bleiche, angsterfüllte Gesichter allenthalben. Der Arzt kam und ich fragte wieder, ob Gerhard nicht lieber benachrichtigt werden sollte?

»Lassen Sie ihn, wo er ist, kleines Fräulein,« erwiderte der alte Herr, »mit Gottes Hilfe werden wir allein fertig, und schlimmsten Falles ist noch der Telegraph da; vor allen Dingen aber citieren Sie ja nicht Frau von Riedingen her; ich habe sie einmal am Krankenbette gehabt, zum zweitenmal danke ich dafür, sie hat Gerhard beinahe gemordet.«

Gegen drei Uhr ging ich einen Augenblick ins Kloster hinüber; Gerhard mußte Antwort haben und sollte ich gleich in meinem ersten Briefe lügen! Aber was half es? So ruhig, als es mir möglich war, schrieb ich, daß in Wendhusen alles in schönster Ordnung wäre, daß Frau von Demphoff nach Tante Ediths Meinung nur verstimmt sei, im Kloster dagegen sich alles wohl befinde: Tante Edith, das gewisse kleine Fräulein und die Katzen, und daß um zehn Uhr die ganze Gesellschaft schon süß und fest schlafe, wenn nicht der Sturm gar zu arg um das alte Gebäude tose. Noch liege Schnee auf den Bergen und noch müsse Gottlieb mächtige Buchenscheite in den Kamin legen, aber die Schneeglöckchen wollten schon heraus mit den ersten zarten Spitzen, und im Klostergarten hätten alle Bäume dicke Knospen.

Wie oft überlas ich den Brief, ehe ich ihn in das Couvert steckte; immer fiel mir noch etwas ein, das in einem Postskriptum angefügt werden mußte, so daß dieses endlich länger wurde als das eigentliche Schreiben. Es war kein Wunder, daß er so mißriet, mein erster Brief. Ich hatte in der Schule wohl gelernt, gut stilisiert an irgend eine fingierte Person zu schreiben; aber das war heute vergessen und ein Gedanke jagte den andern, ich schrieb ja an Gerhard –. Endlich war er gesiegelt mit Mamas kleinem Siegelring, den ich geerbt; nun noch die Adresse, und dann mußte Jette ihn zur Post tragen.

Das hübsche Mädchengesicht lächelte schelmisch, als ich ihr den Brief seufzend in die Hand legte; mir war eben noch etwas eingefallen, was ich hätte schreiben können; aber zu spät, und ich mußte eilen, wieder zur Villa zu gehen, um Tante Edith am Krankenbette abzulösen.

Als ich in das Vestibül trat, drang mir von dem unteren Korridor her das jämmerliche Weinen eines Kindes in das Ohr. »Liebe Mama! Liebe Mama!« Und vergebens mühte sich eine Frauenstimme, es zu beschwichtigen. Verwundert schritt ich näher. Koffer, Schachteln, Hutkisten lagen in größter Unordnung am Boden, und dazwischen kniete die Bonne des kleinen Kurt und suchte das weinende Kind zu beruhigen, das noch in seinem pelzverbrämten Mäntelchen war.

»Kurtchen, du hier?« rief ich und eilte auf den Kleinen zu.

»Kurt friert, Kurt will zur Großmama!« weinte das Kind; und in der That, es war bitter kalt hier.

»Armer, kleiner Kerl!« bedauerte ich, ihn emporhebend. »Wann ist Frau von Riedingen gekommen?«

»In diesem Augenblicke,« entgegnete die Bonne, »wir sind im offenen Mietswagen gefahren, Madame ist sofort hinaufgegangen zur Frau von Demphoff; ich kann das Kind nicht allein lassen, sonst – –«

»Weiß Frau von Riedingen, daß ihre Mama erkrankt ist?« fragte ich.

»Gewiß,« sagte die bescheidene kleine Französin, »Madame haben Hals über Kopf gepackt, in einer halben Stunde waren wir fertig, nachdem die Depesche gekommen; wir sind die Nacht durchgereist.«

»Eine Depesche? Wer hat telegraphiert?«

»Ich glaube Mademoiselle Anna,« entgegnete sie.

»Ich will Ihnen jemanden schicken zum Heizen, und warme Milch,« sagte ich und setzte das Kind auf die Erde; und einem Diener, der mir auf der Treppe begegnete, Auftrag gebend, schritt ich hinauf in das Krankenzimmer.

Schon im Vorzimmer hörte ich Ferras Stimme. »Nun bitte ich dich, liebste Tante, mir Mamas Pflege anzuvertrauen; es ist ja so selten liebenswürdig, daß du hierher gekommen bist trotz alledem, was zwischen euch steht; in der That, ich hielt es nicht für möglich, beste Tante, dich jemals wieder in diesen Räumen zu sehen; du hast es wohl merken können, ich erschrak vor dir, als sähe ich einen Geist. – Wie gesagt, Tantchen, du hast ein Engelsherz, aber bedenke doch, wie sie sich alterieren könnte, wenn sie zum Bewußtsein käme und – –«

Ich trat in den Salon, noch während dieser Worte. Ferra hatte Pelz und Hut abgelegt und band sich eben eine große, weiße Schürze um, die sie in der Eile Gott weiß woher bekommen hatte.

»So, nun will ich hinein gehen, Tante, ich danke dir noch einmal.«

»Deine Mutter, Ferra, hat ausdrücklich um meine Gegenwart an ihrem Krankenlager bitten lassen,« erwiderte Tante Edith ruhig.

»Mama? Unmöglich, Tante! Nein, das ist ein Irrtum, irgend ein unbegreiflicher Irrtum.«

»Doch nicht, Ferra!« Jetzt lächelte Tante Edith ein wenig.

»Nun, dann waren es Fieberreden, Tante; du wirst mich doch nicht glauben machen wollen, daß meine strenge, starre Mutter ihre beinahe dreißigjährige Antipathie so plötzlich über Bord wirft?«

»Sie selbst kann dir keine Auskunft geben im Augenblick, Ferra, du mußt dich also schon gedulden, näheres über diesen Punkt zu erfahren, bis deine Mutter gesundet ist.«

Verwirrt sah Ferra die Sprechende an. »Ich weiß in der That nicht, Tante Berka –« stotterte sie, aber diese fuhr unbeirrt fort: »Ich möchte dich auch aufmerksam machen, Ferra, daß die Krankheit sehr ansteckend ist

Ferra wandte ihr schönes Gesicht aufhorchend zur Tante hinüber.

»Gott! Was fehlt denn Mama? Nervenzufälle vermutlich?«

»Deine Mutter hat den Typhus, Ferra.«

»Den Typhus? Die entsetzliche Krankheit, nach der einem alle Haare ausfallen?« rief sie erschrocken, und trat einen Schritt zurück. »O Himmel! Er steckt an, der Typhus; Melanie von Stelten hatte einen förmlichen Kahlkopf nach der fatalen Krankheit! Aber, liebste Tante, das ist ja entsetzlich!« Und ratlos schlug die schöne Frau die Hände ineinander; es sah aus, als wäre sie am liebsten aus dem Zimmer geflohen; wenn diese Feigheit sich nur hätte irgendwie maskieren lassen.

»Du wirst hoffentlich nicht auf deinem Willen beharren,« sagte Tante Edith ernst. Nur ein leises Zucken der Oberlippe verriet, wie sie die schöne Nichte richtig zu beurteilen verstand. »Bedenke dein kleines Kind,« setzte sie hinzu, »wir haben dir deshalb die Krankheit verheimlicht.«

»Du hast recht, Tantchen,« klagte die junge Frau, »mich halten Pflichten, ich darf es nicht. O, meine Mama, meine arme Mama!« Sie band die weiße Schürze ab und hielt sich dabei konsequent in der Nähe der Thür auf. Mich erblickend, stürzte sie zu mir herüber: »O Lena, wie traurig ist unser Wiedersehen!«

»Ihr Kleiner weint unten, Cousine,« sagte ich freundlich, »er friert in dem ungeheizten Zimmer und – – küssen Sie mich lieber nicht, ich war die ganze Nacht und heute früh in der Krankenstube.«

Hastig fuhr Ferra zurück. »Ich muß mich doch um das Kind kümmern, wenn ich wirklich hier nicht helfen kann,« erklärte sie schon halb hinter der Portiere. »Aber nicht wahr,« – sie wandte den Kopf noch einmal bittend zurück – »wenn ihr meine Hilfe braucht, so –«

»Jawohl!« nickte Tante Edith und Ferra war verschwunden. Auf dem Gesichte der alten Dame lag ein feines Lächeln. »Wo kam Ferra so rasch her?« fragte sie mich.

.

»Anna hat telegraphiert, Tantchen,« erwiderte ich und wollte an ihr vorbei rasch in das Krankenzimmer gehen.

»Halt!« rief sie und stand mit ausgebreiteten Armen vor der Thür; »jetzt ein ernstes Wort. Ich leide unter keinen Umständen, daß du hier bleibst, heute abend kommt bereits eine Diakonissin; ich darf deine Pflege nicht dulden, denn ich gab Gerhard das Versprechen, für deine Gesundheit zu sorgen und mag es nicht verantworten, dich hier einer Ansteckung auszusetzen.«

»Tante!« rief ich, meine Arme um ihren Hals schlingend, »Gerhard wäre nicht so böse, ich weiß es, es ist ja seine Mutter, die ich pflegen will!«

»Thut nichts – du gehst!«

»Aber – –«

»Kein Aber mehr; in fünf Minuten wirst du aus dem Zimmer sein.«

Fast weinend ging ich; was sollte ich doch allein, da drüben in dem alten Kloster? Als ich die Treppe hinunterschritt, klang Ferras scheltende Stimme zu mir herüber: »Es war eine Albernheit von Ihnen, zu telegraphieren und mich auf den Tod zu erschrecken!« Ein Bedienter trug eben Thee mit Backwerk in das Zimmer, und beim Oeffnen der Thür erblickte ich Anna, vor der jungen Frau stehend. »Und wenn Sie mir nur wenigstens das sagen könnten, was ich wissen will,« fuhr sie noch erregter fort: »daß sie oben ist, habe ich allein gesehen, aber wie kam – –«


 << zurück weiter >>