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15.

.Nun war Ferra schon beinahe vier Wochen fort und der Februar neigte sich zu Ende. Tante hatte Robert bereits zweimal besucht; nach hier war er noch nicht gekommen; es sei ihm vorderhand nicht möglich, hatte er schon an jenem Abend zu Charlotte gesagt, er möge Wendhusen nicht wiedersehen, noch nicht, noch lange nicht. Aber als Tante Edith zum letztenmal nach Fölkerode fahren wollte und Gerhards Wagen vor dem Gitterthor hielt, denn Gottliebs alte Klosterpferde machten den weiten Weg nicht mehr, und ich mit Fußsack und Decken hinter ihr drein lief, um sie tüchtig einzupacken bei dem windigen Wetter, sah ich sie betroffen zurückweichen, als sie bereits den Fuß zum Einsteigen gehoben hatte. Dort in den silbergrauen seidenen Kissen saß Frau von Demphoff und streckte ihrer Schwägerin bereitwillig die Hände entgegen, um ihr behilflich zu sein.

»Ich fahre mit heute, Edith,« sagte sie ruhig, »oder stör' ich dich?«

Aber Tante antwortete nicht; sie sah nur starr in das blasse Frauengesicht, das sich binnen wenigen Wochen in fast erschreckender Weise verändert hatte. Blaue Ringlein zogen sich um die tiefliegenden, grauen Augen, und die Linien des Gesichts waren scharf geworden wie die einer Frau in den Siebzigern.

»Therese, du bist krank!« sagte Tante Edith leise, »willst du nicht hier bleiben?«

»Nein,« klang es zurück, »ich möchte ebendeshalb gern fahren; wer weiß, ob ich sonst noch hinkomme. Recht hast du, ich bin krank, aber nicht seit heute erst – schon lange –«

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Als Tante neben ihr saß, bog ich mich in den Wagen, in der Absicht, die Reisedecke hübsch fest um sie zu hüllen, und bot Frau von Demphoff einen schüchternen »Guten Tag!« Ich hatte eben noch immer Angst vor ihr. Sie antwortete mir auch heute nicht, aber sie beugte sich vor und sah mir ins Gesicht; es war ein seltsamer, tiefer Blick, ein Blick, der mir durch die Augen in die Seele ging; ihre Lippen bewegten sich leise, und doch kam kein Wort darüber, nur schien es mir, als ob in ihren Augen das Starre, das Kalte allmählich verginge und milde, freundliche Strahlen daraus hervorbrächen. Aber das war nur ein Moment, ein Augenblick, dann hatte sie sich wieder zurückgelegt, und gleich darauf rollte der Wagen auf dem schmutzigen Wege davon; an der Biegung desselben aber schaute noch einmal Tante Edith zurück und nickte mir zu. Und als sie spät abends heimkehrte, schloß sie mich so herzlich in ihre Arme und küßte mich wieder und immer wieder.

»Robert läßt dich grüßen,« sagte sie, »und die Buchen hätten Knospen, es wolle Frühling werden draußen im Wald.«

O, Frühling! Im Frühling kommen sie ja wieder, die da so weit in der Welt umherschwärmen, wo es schon lange blüht und grünt. – Schrieb doch Charlotte, daß er dort eingekehrt sei so wunderbar, wie man ihn in Deutschland gar nicht kenne – und dennoch habe sie Sehnsucht immerwährend, auf Schritt und Tritt; was sei doch alle Farbenglut des Südens gegen einen deutschen Buchenwald? Die ganze märchenhafte Pracht verschwinde vor ihren Blicken bei dem Gedanken an die kühle, dunkle Waldeinsamkeit daheim.

Ach, ich wußte es wohl, ihr ganzes Herz war ja im Walde, so recht mitten im Walde.

Sie schrieb fleißig, wie sie es versprochen; und jedesmal war ein Gruß von Gerhard in dem Briefe, aber niemals eine Zeile von seiner Hand; was sollte er auch schreiben? Charlotte war ja bei ihm, er brauchte nicht zu fragen, wie es ihr gehe? Fast zürnte ich, ich hatte mich kindisch auf seine Briefe gefreut.

Und der Kreidestriche an meiner Thür wurden weniger, nun waren es nur noch einige vierzig; – vierzig lange Tage, ehe sie wiederkamen!

Und draußen tobten die Frühjahrsstürme über die Berge, und herben herzerquickenden Hauch brachten sie mit; die Märzensonne brannte heiß auf die Sandsteinstufen der alten Klosterschwelle und lugte durch die weißen Vorhänge; es wurde hell in dem großen traulichen Zimmer, und in Tantes Fenstern prangte eine wahre Fülle von zartfarbenen Hyazinthen. Im Aebtissinnenhause aber standen alle Fenster weit geöffnet, die reine, scharfe Frühlingsluft zog ein in die kalten, dumpfigen Räume, die den Winter über fest verschlossen gewesen waren, und Gottliebs altes Gesicht tauchte hier und dort auf in den steinernen Fensterrahmen.

Mit kindischer Freude beobachtete ich jedes Zeichen des beginnenden Frühlings, und in seiner Erwartung trieb mich eine fast fieberhafte Unruhe umher, bald im Garten und Park, bald im Hause; und so hielt ich denn Gottlieb mehr, als ihm lieb war, von seinen Arbeiten im Aebtissinnenhause ab, indem ich von Zimmer zu Zimmer lief, nach allem fragte und zu allem womöglich eine interessante Geschichte haben wollte.

»Aber wie kann man nur aus einer solch prächtigen Wohnung gehen, um in einem modernen Hause zu wohnen?« rief ich; und in der That, es wehte etwas so echt Vornehmes, Würdevolles durch die weiten, großen, mit altväterischer, solider Eleganz eingerichteten Räume, daß mit ihnen verglichen die moderne Einrichtung der Villa kläglich abfiel.

»Ja, Kindchen,« – Gottlieb nannte mich zuweilen Kindchen, war ich allein mit ihm – »die gnädige Frau haben über Kopf und Hals angefangen zu bauen, als der Herr starb, obgleich hier ja Platz in Fülle war. Sie nannten die Villa ihren Witwensitz, meinten wohl, der Herr Gerhard brächte eines Tages 'ne junge Hausfrau hier herein, nun ist nichts daraus geworden, aber die Villa steht einmal.«

Ich sah mich fast ängstlich um; in diesem Augenblick war es mir, als müsse dort drüben in jenem dämmerigen Zimmer unter dem glitzernden Kronleuchter die zukünftige junge Hausfrau über das spiegelnde Parkett schreiten – Gerhards Frau. »Es kann ja noch etwas werden, Gottlieb,« sagte ich leise.

»Ei was, gnädiges Fräulein,« entgegnete der alte Mann und stieß eine Jalousie auf, daß ein blendender Lichtstrom in das dämmerige Gemach flutete und die Goldrahmen auf der dunklen Tapete förmlich aufleuchteten, » der heiratet nicht, der Herr Gerhard; wenn wir darauf warten sollten, na dann –« Das weitere erstarb im Geräusch des fast zu heftigen Klopfens auf einen rotseidenen Diwan, nur der Name »Frau von Riedingen« schallte noch deutlich zwischendurch; und dabei sah Gottlieb aus, als habe er ein Menschenkind unter den Fingern, dem er so recht von Herzen gram sei.

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»Es ist ein Jammer,« setzte er dann einhaltend hinzu. »Wenn einer eine gute Frau verdient, so ist es der Herr. – So, nun wäre ich wohl fertig hier, nun mag es offen stehen bis heute abend, und gehen Sie aus dem Zuge, Kindchen, ich sperre jetzt noch drüben die Thüren auf.«

Er nickte mir zu. Sobald er mich ansah, blickten die merkwürdig blauen Greisenaugen so mild und freundlich, daß sie kaum zu dem strengen Ausdruck des Gesichts passen wollten; es war, als scheine die lachende Herbstsonne durch schon entlaubte Bäume.

Ich schritt zurück durch die Flucht der Zimmer, die mit jedem Komfort ausgestattet waren; aber die prächtigen Bronze-Uhren auf den Kaminen standen still, schon seit Jahren; die halb herabgebrannten Wachskerzen der Girandolen waren gelb und schmutzig geworden, und die Spinnen hatten feine Netze gewoben über die geschnitzten Goldrahmen der hohen Spiegel. Der Mann folgte mir und schloß bedächtig die letzte Thür hinter sich ab; dann nahm er einen andern Schlüssel zur Hand. »Nun noch die Logierzimmer hier,« sagte er und schritt die Stufen empor zu dem Korridor, und gleich daraus öffnete sich kreischend eine jener hohen Thüren.

Ich folgte ihm fast gedankenlos. Es war ein kleines Gemach mit grüner, goldbedruckter Tapete und einem weißen Marmorkamin; die seidenen Vorhänge des einzigen Fensters waren halb zugezogen; in einer Nische stand ein Himmelbett, unordentlich lagen die weißen Kissen darin, eine Steppdecke von schottischer Seide hing nachlässig zur Erde; auf der Marmorplatte des runden Tisches vor dem Sofa lagen allerlei Sachen umher, als wären sie eben aus der Hand gelegt: neben dem Schreibzeuge ein Federhalter, Briefbogen mit Monogrammen und Couverts, Haarbürsten, Handschuhe, Flacons und Spielkarten; verschiedene Bücher auf dem Tischchen am Bette, eine Reitpeitsche auf dem Teppich; über die Lehne eines Stuhles hing ein dunkler Uniformrock mit leuchtend orangegelbem Kragen und Vorstoß, und über dem Ganzen schwebte ein feiner Patchouligeruch.

»Joachims Zimmer!« schrie ich entsetzt auf; mich ergriff plötzlich ein namenloses Grauen angesichts dieses Zeugen eines jäh zerstörten Lebens. Gottlieb stand regungslos und übersah das Gemach.

»Es ist nicht zu glauben,« murmelte er dann und hob die Reitpeitsche auf; »da haben sie den Schlüssel im Schlosse herumgedreht und keinem ist es eingefallen, einmal wieder nachzusehen; es liegt und steht just so, wie er hinausgegangen an jenem Morgen. – Nun ja, sie hatten eben alle den Kopf verloren.«

Und der alte Mann begann emsig wie ein Stubenmädchen aufzuräumen und dabei rannen ihm große Tropfen über das runzelige Gesicht.

»O, Herr Gott, wenn man sie so gesehen hat von klein auf,« sagte er nach einer Weile, die halb geöffneten Kasten einer Kommode zuschiebend, nachdem er die darin befindlichen Sachen geordnet, »und nun denkt, wie's gekommen ist – Fräulein, schlimmer kann's nicht sein, wenn das eigene Fleisch und Blut einem abstirbt! Alle Abend, wenn ich meine Augen zumachen will, dann sehe ich ihn so vor mir liegen mit dem bleichen Totenantlitz, und dann sehe ich Herrn Robert, wie ich ihn an jenem Abend in die Stadt fuhr, um sich dem Gerichte zu stellen. Gnädiges Fräulein, ich hab's nie und nimmer gedacht, daß ein Mann so bitterlich weinen könnte, aber als er mir die Hand gab und ich nun wieder nach Wendhusen zurückfahren wollte, da ist er mir um den Hals gefallen und hat mich so fest gepackt, als wäre ich sein leiblicher Vater. – Und da fing er an zu weinen, und ich – sehen Sie, Fräuleinchen, bei mir kommen die Thränen nicht so leicht,« – er wischte sich rasch die Augen – »aber der Jammer half dazu, ich konnte nicht anders, er dauerte mich zu viel. Und dann, Fräulein Charlotte – o, Jesus! Sie ist doch vergangen wie eine abgeknickte Blume!«

Ich antwortete nicht, die ganze entsetzliche Katastrophe stand wieder deutlich vor mir mit erschütternder Klarheit. Wie betäubt schaute ich dem alten Manne zu, dessen zitternde Hände jetzt die Uniform des schönen, leichtsinnigen Offiziers in einen Wandschrank hingen.

»Nur vorläufig,« sagte er wie entschuldigend; »wenn der Herr zurückkommt, mag er bestimmen, was geschehen soll. Ich weiß nun auch, wie es kam, daß hier alles so wüst liegen blieb; Herr Gerhard hatte die Brieftasche seines Bruders hier herausgeholt; es war am andern Abend, ich hatte ihm geleuchtet, und dann verriegelte er von innen die Thür zum Nebenzimmer und verschloß selbst dies Zimmer hier. Gott weiß, es mochte ihm wohl schrecklich sein, hier hineinzugehen; vielleicht hat er ja auch gemeint, es sei längst aufgeräumt, er weiß, daß ich den Hauptschlüssel habe. – So, nun noch die Sachen auf dem Tische, es sieht so grausig lebendig aus, als hätte just einer hier gesessen und geschrieben; das soll nicht sein, es könnte jemand daran erschrecken. Und, gnädiges Fräulein, wollten Sie wohl die Briefmappe zusammenschließen, ich möchte nicht daran rühren, und hier ist noch etwas, das gehört wohl auch hinein!«

Er bückte sich und hob ein Blättchen von der Erde auf, es aufmerksam betrachtend; es war ein halb beschriebener Briefbogen von stärkstem Kartonpapier, oben in der Mitte des Bogens zeigte er den zierlich verschlungenen Namenszug F. v. R. Ich streckte die Hand danach aus, aber Gottlieb sah es nicht; sein Gesicht war dunkelrot geworden und hastig barg er das Papier in seiner Brusttasche. »Das ist nichts für Sie, gnädiges Fräulein, ich will den Brief an Frau Berka geben, oder noch besser, dem Herrn selbst.« Dann murmelte er irgend etwas ingrimmig zwischen den Zähnen und schickte sich an, das Zimmer zu verlassen. Er mußte da wunderliche Dinge gelesen haben, die ihn mich sogar vergessen ließen; beinahe hätte er mich eingeschlossen. Ich nahm Joachims Briefmappe und lief eilends den Korridor hinunter, um sie an Tante Edith abzugeben, von Herzen froh, dem unheimlichen Zimmer entflohen zu sein.


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