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Kissingen

ist es, welcher sich zeigt. Wer kennte Kissingen nicht? Es war noch vor nicht zwei Dezennien ein wenig bedeutendes Städtchen, das trauernd über die Undankbarkeit der Welt sein herrliches Wasser selbst trank und dessen nächste Wirkungen allein an sich erprobte – jetzt helfen ihm in dieser Probe tausend Fremde, die sich von nah und fern herbeidrängen und schweres Geld dafür zahlen. Ach, es ist so süß, Ragozi zu trinken und dessen heilsame, liebliche Gewalt in sich zu empfinden! Was tut, was treibt man nicht alles in Kissingen! Man nimmt ein und gibt aus, man badet in Wasser und Gas und vollbringt alle die Arbeiten, die in dem Strafarbeitshaus des Luxus und des Wohllebens, in einem Bad einmal vorgeschriebenes Gesetz sind. Man langweilt sich mit Anstand und kostbar, man spielt und verliert lächelnd sein Geld, lächelnd bezahlt man der Natur lang vorenthaltene Schulden und zwingt selbst verhärtete Harpaxe von Bäuchen, freigebig bis zur Verschwendung zu sein. Wie weich und mild dem Kurländer, dem Russen, dem Polen die süddeutsche Luft erscheint, die er atmet, wie gern der Berliner dort, der an unverdauten Dingen leidet, diese nach einiger Pein der Nymphe des Ragozi zum wohlgefälligen Opfer bringt!

Es ist doch etwas Reizendes um ein Bad wie Kissingen. Der Kurplatz wimmelt von reichen und eleganten Leuten, die keine Sorge zu haben scheinen als die, wie sie die Fähigkeit zum Genuß ihres bevorzugten Daseins herstellen mögen oder erhalten; ein Anschein von Glück, der indessen nicht selten täuscht; Fürsten, Herzöge, königliche Prinzen und Damen sind unter der Menge; reiche Equipagen – vor einem halben Jahrhundert hier ungekannte, ungeträumte Formen – rollen durch die neuen, fensterglänzenden Häuserreihen des Städtchens, alles atmet Luxus, Pracht, großartiges Leben. Ein neues Kurhaus mit einem herrlichen Saal dient zur besondern Zierde Kissingens.

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Kissingen

Die Umgebung des Ortes ist freundlich, wenn auch durchaus ohne jenen Charakter fast erhabener Schönheit wie die von Hammelburg oder Trimberg. An einer Burgruine fehlt es zwar hier auch nicht, aber die Trümmer der sogenannten Bodenlaube, die eine Viertelstunde westlich vom Badeort auf einem mäßigen Berg gelegen sind, entbehren der malerischen Formen von Saaleck oder Trimberg.

Diese Burg, vorzeiten dem Geschlecht derer von Steinau, genannt Steinrück, zugehörig, war einst der Schauplatz tiefer, tiefer Trauer. Noch einmal – doch es geschieht zum letzten Mal – müssen wir den Leser an den Klosterhof von Mariaburghausen erinnern. Gyso von Steinaus Heimat war hier. Auf dieser Burg waltete seine Mutter, eine ehrsame Wittib mit zwei Töchtern, fromm, wohltätig und geliebt im ganzen Land. Als es unruhig wurde in der Gegend, Mord und Plünderung immer näher rückten und bald da, bald dort die Brandfackel eines Rittersitzes leuchtete, da zagte die Wittib wohl und sehnte sich nach dem Sohn, der seit einem Jahr am fernen Markgrafenhof war, aber sie wagte nicht, nach ihm zu schicken, um ihn keiner Gefahr auszusetzen. Denn Gyso, der schöne, blonde, mutwillige Sohn war der Liebling ihrer Seele. Und die Burgfrau hatte einen wackeren Vogt und ergebene Mannen und gute Mauern und Tore.

Aber eines Abends tönte die Glocke an der äußeren Pforte, und eine verhüllte Klosterfrau begehrte Einlaß. Er wurde ihr gewährt. Man führte sie auf ihr Verlangen zur Herrin der Burg, die sie in ihrem Gemach, umgeben von ihren Fräuleins, empfing. Und als die Nonne in ihren Schleiern und schwarzen Gewändern vor ihnen stand, als sie ein ernstes, bleiches, unheilverkündendes Antlitz enthüllte, überlief alle ein leises Grauen.

»Seid Ihr die Burgfrau von Steinau?« fragte die Nonne, und nachdem sie hierauf Antwort erhalten hatte, richtete sie die Blicke gen Himmel. »So bittet«, fuhr sie mit tiefer Stimme fort, »so bittet die Heilige Jungfrau um Stärke für Euer Mutterherz, das ich im Begriff bin zu brechen. Euer Sohn ...«

Die Fräuleins schrien auf – die Burgfrau entsetzte sich, sie wollte aufstehen von ihrem Stuhl, sank aber zitternd zurück. Da neigte sich die Nonne vor ihr, umfaßte ihr Knie und rief im heftigsten Schmerz: »Er ist tot, er ist tot! Vor meinen Augen haben sie ihn erschlagen. In meinen Armen ist er verblutet. Ich bringe euch ein Tüchlein mit seinem Blut gefärbt und eine Locke von seinem Haar.« Sie griff in ihren Busen und holte beides hervor. Es war ein feines, weißes Tüchlein mit großen purpurnen Flecken und eine starke, jugendliche Locke. Die Nonne kam aus Mariaburghausen und hatte nicht gelogen.

Lange hielt sich die Burgfrau standhaft und hörte mit an, was jene berichtete, aber als sie nun alles wußte, sank sie ohnmächtig in die Arme der Klarissin. – Der Jammer der Fräuleins war nicht minder groß. Ein Glück, daß Gysos Vatersbruder noch lebte und Nachkommen zeugte, sonst wäre der edle Name seines Geschlechts erloschen.

Wir haben die Absicht, den höchsten Punkt des nahen Rhöngebirges, den Kreuzberg, zu besteigen, welcher Frankens nordwestliche Grenze bildet, und schlagen daher von Kissingen aus diese Richtung ein. Lange Zeit begleitet uns, neben der Straße sich hinziehend, eine Saline, deren inneres Triebwerk in voller Tätigkeit ist; elegante Kutschen rollen auf diesem Weg, denn das nahe Aschach und Bocklet sind Vergnügungsplätze und Ausflugsorte für die schöne Welt des Bades. Aschach zeigt die steingraue Stirn eines altertümlichen, wohlerhaltenen Schlosses mit bekannten Wappenschildern; es war eines der Schlösser von Fürstin Adelgundes Gemahl und teilt jetzt ein Schicksal mit Mainberg, da es das Eigentum des Herrn Sattler geworden ist und dieser dort eine Fabrik angelegt hat, eine Porzellanfabrik, wenn wir nicht irren.

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Das Kloster auf dem Kreuzberg

Bocklet, eine Stunde von Kissingen, auch ein Bad, vermutlich eine Tochter des letzteren, bleibt mit seinen freundlichen Gebäuden rechts im Wiesengrund liegen, und wir beginnen alsbald, wenn auch anfangs nur wenig bemerkbar, zu steigen. Das lustige Leben der reichen, quellengesegneten Täler, der Bäder mit ihrer Herrlichkeit, weicht zurück, und die öde Stille nur wenig betretener Pfade, das Waldgebirge, empfängt uns in seinen Vorhallen. Dieser Wechsel ist um so auffallender, als die Rhön mehr Abgeschiedenes, Ernstes, Stilles und Schweigendes zu haben scheint als andere Gebirge von ähnlicher Lage und Beschaffenheit. Wie lustig und lieblich dagegen ist der Thüringer Wald mit seinen Straßen, seinen herrlichen, bachdurchströmten Wiesen, seinen zahlreichen Städten, Dörfern, Hammern und Mühlen, deren gewerbefleißiges Geräusch durch die Täler tönt! Es erscheinen zwar auch hier und da Dörfer in den Vorbergen des südlichen Rhönabfalls, doch sehr einzeln, und sie haben wenig Freundliches und Belebtes in ihrer Umgebung. Oft liegen große Moorstrecken dazwischen, die keine oder nur kümmerliche Vegetation tragen. Immer mehr tritt der Gebirgscharakter hervor, immer merkbarer wird das Emporsteigen, und nachdem wir die Dörfer Premich und Waldberg, deren Ärmlichkeit uns durch nichts fesseln kann, hinter uns haben, beginnt die eigentliche Hohe Rhön oder derjenige Teil des Gebirges, wo dessen höchste Erhebung und schärfster Abfall sich findet und der seine südliche Hälfte ausmacht. Noch eine weit hingestreckte, schiefe Heidefläche ist quer zu durchschneiden, bevor wir an den Eingang des Waldes gelangen, der den Fuß des hohen Kreuzbergs umgürtet; in der Mitte jener aufsteigenden Fläche steht einsam und düster ein Kruzifix und nicht weit davon ein Opferstock, der bei dem Landvolk in großem Ruf steht und nicht selten mit frommen Gaben gefüllt ist.

Mit dem Beginn des Waldes hebt ein steiler, ungemein ermüdender Weg an, der sich in verschiedenen Windungen mehr als eine gute Stunde aufwärts zieht und auf den Gipfel des Gebirges führt. Noch bevor dieser ganz erstiegen ist, winken dem ermüdeten Wanderer Gebäude, Kirchenfenster, Mauern, Dächer, und der überdeckte Zugang einer Pforte zeigt sich mit dem Schellenzug, dessen Griff ein roh aus Holz geschnittenes Kruzifix ist. Wir befinden uns vor dem Eingang des Franziskanerklosters, das auf dieser unwirtlichen Höhe liegt. Es trägt überall die Spuren des rauhen Wetters, dem seine Mauern trotzen müssen; nicht aus glattgehauenen Quadern erheben sich diese, sondern aus scharfem, schieferhaltigem Gestein. Indessen ist es von ziemlichem Umfang,


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