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Eichstätt,

die dritte und südlichste bischöfliche Residenz in Franken, ist noch jetzt der Sitz eines Bischofs und zugleich Fürstentum der Herzöge von Leuchtenberg unter bayerischer Oberhoheit. Es hat seinen Namen von den ungeheuren Eichen, welche vorzeiten hier gestanden haben sollen, was uns indessen gleichgültig ist; mit einem Gefühl von Neugier und Fremdsein treten wir in die freundliche Stadt ein, deren äußerer Anblick so ausländisch erschien; das Innere entspricht diesem Eindruck weniger, wenngleich der Katholizismus, den wir seit Würzburg vermißten, hier wieder zurückgekehrt ist, und zwar in einer Form, die an Italien und Rom erinnert. Das kolossale Standbild des heiligen Willibald, des Gründers des Bistums, mitten auf dem Marktplatz, die langen, schweigsamen Paläste in den Umgebungen des Doms – kleine Vatikane –, die prächtige Säule, eine Art von Borromäischer, vor der herzoglichen Residenz, Mauern, die sich weit hinstrecken und hinter denen es still und klösterlich atmet – ein Jesuitenkollegium, ein italienischer Himmel, aber nur so weit er in die Talschlucht von Eichstätt herabschaut – ringsum ist er wieder deutsch –, alles dies bringt den Eindruck hervor, den wir angedeutet haben. Der Dom mit seinen zwei Türmen ist groß, aber ohne besondere Schönheit. Hier wollte man im Jahre 1745 die Gebeine des heiligen Willibald wiedergefunden haben, zu deren Ehren der damalige Bischof einen neuen, kostbaren Hochaltar errichten ließ. In der Kirche der heiligen Walpurgis floß von den Gebeinen dieser Heiligen jährlich zweimal ein kostbares Öl. Sehr sehenswert in moderner Beziehung ist der Palast, dessen einer Flügel an die Kathedralkirche stößt und der früher die Residenz der Fürstbischöfe war – der jetzige Herr Bischof bewohnt einen anderen. – Hierher haben sich die Erinnerungen eines großen kaiserlichen Daseins der neuesten Zeit geflüchtet, und in diesen Räumen bebt der letzte persönliche Nachhall von Existenzen, die einst so schön und so gewaltig waren. In der Tat, es kann kaum etwas von größerem Interesse geben als den gegenwärtigen herzoglich-leuchtenbergischen Palast zu durchwandern; da blicken von allen Wänden Gemälde, weltbekannte Gesichter, schöne, ruhm- und liebeglühende historische Augen uns an. Wir erkennen deine wohl – ausgelassener Sohn der Zeit und der Kirche, der die Schuld trägt, daß Windsheim keine Reichsstadt, Eichstätt kein Bistum mehr und Bayern ein Königreich ist, der den Heiligen Vater im Vatikan zu Rom inkommodierte und ihn zu einer Reise nach Paris beredete, der auf den Wällen der Feste von Kronach wandelte und nebenher das Heilige Römische Reich auflöste – wir kennen dich wohl, du Arger! – Du hast deine Physiognomie allen Seelen eingeprägt. – Wie? Und dein Auge könnte auch zärtlich blicken? Es scheint beinahe so auf diesem bräunlichen Bild. Und dies ist nicht etwa das einzige vom Kaiser im Schloß, es sind deren mehrere da in allen Größen und aus allen Perioden seines Lebens; kleine Porträts, wie sie Gatten- und Familienliebe sammelt, bis zu den Ölgemälden der Thronsäle oder dem Kupferstich der Allgemeinheit. Und jene schöne, ausdrucksvolle Frau mit kurzer Taille und zärtlich besorgtem Blick – wer sollte sie verkennen, die einst so glückliche und unglückliche Josephine? Der dunkle, schöne Jüngling dort ist Eugen Beauharnais und das reizende, rosengeschmückte Mädchen seine Schwester Hortensia. Aber auch in späterer Zeit finden wir sie wieder. Eugen als Vizekönig von Italien, als Herzog von Leuchtenberg, als Schwager eines Königs, der dieser Verschwägerung die Krone verdankte – als Gatten, als Vater. Wer sind die holden Kinder in jenem Kabinett? Es sind Eugens Kinder. Dieser mutwillige Knabe schläft jetzt in Portugals Königsgruft, und dieses engelschöne Mägdlein, das nach einem Schmetterling hascht, hat die Krone von Brasilien getragen.

In einem kleinen Schauspielsaal ist noch das Theater aufgeschlagen, auf dem diese Kinder an Festtagen zuweilen spielten – noch ohne Ahnung der Rollen, welche die tragische Schicksalsgöttin ihres Hauses auf der Weltbühne für sie aufbewahrt haben würde. Auch die Bildnisse von Napoleons Brüdern und verschiedener seiner ausgezeichnetsten Feldherrn fehlen im Schloß von Eichstätt nicht – es ist ein Album der Kaiserherrschaft, das mit stiller, aber gewaltiger Stimme von der Vergänglichkeit des Irdischen spricht, dem das Edelste wie das Gemeinste, das Höchste wie das Niedrigste unterworfen ist. Wer könnte es ohne Wehmut durchblättern? Uns ist es nicht gegeben, denn unser Herz hängt mit heimlicher Liebe an diesen erhabenen Gestalten, die unsere Zeitgenossen waren, und an ihrem ewigen Ruhm. – Die Blüte auf den Wangen dieser Frauen ist das Morgenrot des Jahrhunderts, und das Schicksal der Welt liegt wie ein neugeborenes Kind unter ihren liebenden Brüsten. Aber dieses Kind, das sie eine Zeitlang nährten, wurde ihnen selber tödlich. Die meisten dieser Herzen schlagen nicht mehr, fast alle diese Wangen sind erbleicht und alle diese Rosen gebrochen. Eine große, meisterhafte Ansicht der schwedischen Hauptstadt schmückt eines der Gemächer; es läßt sich begreifen, wie sie dahin kam. Das Bild noch mancher Hauptstadt dürfte unter ähnlicher Beziehung im Schloß von Eichstätt zu treffen sein, denn es gibt fast keinen Himmelsstrich mehr, wo dieses erhabene Haus nicht Throne besaß.

Der Dom ist nahe am Palast. Nehmen wir an, daß es acht Uhr abends sei, wo wir seine Hallen betreten; schon senkt sich die Dunkelheit der Nacht über die weiten Räume und hüllt Pfeiler und Gewölbe allmählich in ihre Schatten. Aber eine gläubige Menge erfüllt ihn, und Kerzen fangen an, auf einzelnen Ampeln und vor den Altären zu brennen. – Gebückte, verhüllte Gestalten, unter Vortragung eines Kruzifixes paarweise nebeneinander gehend, bewegen sich durch einen Kreuzgang heran; sie begrüßen den Boden der Kathedrale durch einen Kniefall und nehmen den ihnen bestimmten Platz in derselben kniend ein; es sind die Brüder Kapuziner aus ihrem Kloster oder die Schwester Benediktinerinnen, die gleichfalls ein Haus hier haben. Nun tritt ein schöner, etwa vierunddreißigjähriger Mann von schlankem, noch jugendlichem Wuchs, bekleidet mit der bischöflichen Stola, aus der Sakristei in die Kirche. Ihm folgen Priester und Chorknaben. Es ist der gegenwärtige Bischof, der Sprößling eines gräflichen Geschlechts, der dreizehn Jahre in Rom unter den Augen des heiligen Kollegiums und am Hof des Papstes lebte, dessen Freund er ist. Er hält zu Ehren eines von seinem hohen Freund der Christenheit erteilten Sündenablasses dreißig Tage lang eine Abendandacht in seiner Kirche. Die Litanei beginnt, während der Bischof vor dem Hauptaltar in der Mitte des Chors kniet und in dieser Stellung verharrt, bis jene beendigt ist. Er erhebt sich sodann und schreitet nach der Kanzel, deren Brüstung mit Wachskerzen erleuchtet ist. Von hier herab redet er mit feiner, fast kränklicher Stimme zum Volk, und wir, die wir gewohnt sind, unsere Prediger oder Kandidaten meist aus dem unteren Mittelstand hervorgehen zu sehen, hören hier zum ersten Mal einen jungen Grafen predigen. Über Gehalt und Wert seiner Predigt wollen wir nicht urteilen, da sie an einem Ort gehalten wird, wo auf Glauben und Gemüt, nicht auf den Geist gewirkt werden soll. –

War es ein Schatten früherer Jahrhunderte, der hier unsere Seele berührte – ein düsterer, grandioser und doch so schaurig-süßer Atemzug der Vergangenheit, so weht es uns dagegen recht lebensfrisch und sonnenhell an, wenn wir des andern Tages das schöne Naturalienkabinett im Hofgarten besuchen. In langen, lichtvollen Sälen sind hier die wunderbaren Naturerzeugnisse eines Landes aufgestellt, das, sehr weit vom Fürstentum Eichstätt entfernt, sehr viel größer, sehr viel anders ist als dieses Fürstentum und doch in eine Art von Beziehung zu demselben kam. Amalie von Leuchtenberg, Eugens Tochter, die im hiesigen Palast aufwuchs, wurde die Braut des Kaisers von Brasilien. Ihr Bruder August, später Dom Augusto, derselbe, der als Gemahl einer Königin in San Vicente da Fora zu Lissabon schlummert, begleitete die Schwester nach ihrer neuen Heimat, und was er dort mit Hilfe mehrerer in seinem Gefolge befindlicher Naturforscher während seines Aufenthalts sammelte, bildet jetzt, systematisch geordnet, das außerordentlich reiche und herrliche Kabinett von Eichstätt. Diese Vögel mit ihren Paradiesfedern, diese gewaltigen, farbenglühenden Schmetterlinge, diese Kolibris – die Blumen und die Diamanten der Luft – scheinen sich erst soeben noch in tropischem Äther gewiegt zu haben. Unendlich in ihrer Anzahl sind die vortrefflich erhaltenen Exemplare aus allen Klassen der Tierwelt, von der höchsten bis zur letzten. Sogar ein paar menschliche Gestalten, Nachbildungen von Eingeborenen, mit ihrem reichen Federschmuck, ihrer Bewaffnung und ihren Kanus, sind zu schauen. In der Tat ist der rege Sinn eines fürstlichen Jünglings für die Wissenschaft, unter dessen Mitwirkung oder Schutz diese in ihrer Art einzige Sammlung zustande kam, anzuerkennen. Ein hübscher Garten umgibt das Gebäude, worin sie aufgestellt ist, und letzterem gegenüber erblicken wir einen anderen Garten hinter hohen Mauern, das Dach einer Kirche mit ihrem Türmchen und eine Art von Pfortenhalle, in der das Seil eines Glockenzugs herabhängt, dessen Griff ein Kruzifix bildet. Sollte hier auch ein Tempel des Wissens, der Forschung, der Belehrung sein? Wir entscheiden das nicht; es ist das Kapuzinerkloster, und die guten Mönche da drinnen stehen in dem Ruf der Frömmigkeit, der Mildtätigkeit und des Wohlwollens. Welcher Ruf kann daher schöner sein? –

Die hohe Burg Willibalds, des ersten Bischofs von Eichstätt, der ein Brite und naher Verwandter des heiligen Bonifazius war, mit ihren weitläufigen Mauern, Türmen und Zinnen, die selbst einer Stadt gleichen, lockt den Fremdling unwiderstehlich auf ihre Höhe. Diese Höhe ist bedeutend, aber ein sehr gebahnter Weg führt hinauf, und solcher wird von munteren Soldaten belebt, denn die alte heilige Burg dient jetzt, halb verfallen, als Kaserne. Ihre Höfe und Hallen sind viele, und schwindelerregend ist der Blick aus den Fenstern ihrer morschen Gemächer auf das Tal hinab, das sich um den Fuß ihres steilen Felsberges schlängelt. Der Ort, wo die Willibaldsburg steht, ist der jähe Absturz eines Gebirgsrückens, der lange die südliche Begrenzung des Altmühltals bildete. Auf dieser Seite überragt er die Stadt und, wo die Biegung des Talgrunds beginnt, zwei stattliche Abteien: das Nonnenkloster Mariastein und ein wenig weiter aufwärts Rebdorf, eine ehemalige Prälatur der regulierten Chorherrn St. Augustins, welche mit zwei Türmen geziert und von prächtiger Bauart ist.

Wenden wir von dem Gipfel des Berges unsere Blicke südwärts in die Ferne, so überschreiten sie bereits die Grenze unserer Darstellung, Franken, und schweifen in die Ebene hinüber, durch die die Donau strömt. Wir nehmen daher Abschied von diesem Grenzpunkt des alten fränkischen Kreises und suchen eine andere Gegend Frankens auf.


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