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Grabfeld,

eine hügelige Landschaft, die sich mehrere Meilen weit dem Rhöngebirge entgegenstreckt und in welcher Wald, Wiesen und fruchtbare Felder mit einem Boden abwechseln, der weniger ergiebig, rauh und steinig ist. Kleine Städte, Flecken und Dörfer, auch denkwürdige Schlösser sind im Grabfeld zu finden; wir nennen unter den ersteren Königshofen, Hofheim und Königsberg, welch letzterer Ort dem dazugehörigen Amt und dem Flecken Nassach, völlig umschlossen von bayerischem und ehemals bischöflich-würzburgischem Gebiet, seltsamerweise seit Jahrhunderten zum Fürstentum Coburg gehört. Die Stadt Königsberg an sich ist unansehnlich, aber ihre Lage am Fuß reicher Weinberge angenehm, und sie wird hoch überragt von den Ruinen eines mächtigen Bergschlosses. So klein Königsberg ist, hat es dennoch den Ruhm, die Vaterstadt eines großen Mannes zu sein. Der berühmte Astronom Regio Montanus wurde hier im Jahre 1436 geboren. Er hieß eigentlich Johannes Müller oder Molitor, nannte sich aber, dem Brauch seiner Zeit gemäß, als Gelehrter lateinisch nach seiner Vaterstadt und hinterließ diesem Namen den Ruhm eines großen Denkers, Forschers und Schriftstellers.

Nur wenige Stunden von Königsberg, nahe bei dem Städtchen Hofheim, erhebt sich auf einem mäßigen Berg eine alte Burg, welche noch vor wenigen Jahren ihre ehrwürdigen Hallen über dem Haupt eines Mannes erhob, der in gewisser Beziehung der letzte Ritter des Frankenlandes genannt werden dürfte. Adelige Abkunft, edlen Sinn, Männerwert und den Besitz alter Schlösser teilt zwar noch mancher mit dem hier Angedeuteten; aber wenn eine ganz eigentümliche Neigung zu den feineren und edleren Gebräuchen der Ritterzeit, der Hang, sie womöglich mit ihrem poetischen Atem in seiner Umgebung wieder hervorzurufen, was ihm Reichtum erlaubte, eine Art von sentimentaler und großartiger Wehmut um das Vergangene und endlich Form, Wesen und Ausdruck seines Umgangs jene Bezeichnung des letzten Ritters rechtfertigen möchten, so wäre es bei ihm. Jedermann, der nur einigermaßen im Grabfeld sich umhörte, hat von dem alten Freiherrn von Truchseß auf seiner Bettenburg vernommen. Seit mehreren Jahren ist er tot, aber sein Andenken lebt noch gesegnet unter den Landleuten fort. Er war unvermählt und fast blind, aber ein Vater seiner Untertanen, ein Freund seiner Freunde, der gastfreie Wirt aller, die an seine Pforte klopften, und das hochgeehrte Oberhaupt einer ausgebreiteten Familie. Zugbrücke, Tore, Hallen führen in die Ritterburg ein, in der der liebenswerte Greis mit schneeweißem Haupt waltete. Die Gemächer und Säle derselben hatten verschiedene phantastische Beziehungen, die sich in Freskogemälden an Decke und Wänden aussprachen; es gab einen Saal der Freundschaft, der Erinnerungen, der Märchen und Sagen, der Lieblingsdichter des Schloßherrn.

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Die Bettenburg

In dem sorgfältig unterhaltenen Park gab es ein Felsendenkmal, Ulrich von Hutten, Franz von Sickingen und Götz von Berlichingen gewidmet, ferner eine Säule, an der, auf Schildern gemalt, die Namen vorzüglich von ihm geachteter Männer zu lesen waren. Hierher führte er einst seine Neffen, aufwachsende Jünglinge, und zeigte ihnen noch leere Schilder. »Sie sind für euch bestimmt«, sagte er zu ihnen, »wenn ihr dessen würdig werdet.«

Auch einen Tempel des Todes gab es im Park, dessen Eingang der finstere Sensenmann mit der Hippe, der unerbittlich alles Irdische mäht, bewachte; verschiedene Inschriften in Stein deuteten auf die Furchtbarkeit der christlichen Personifizierung des Todes, jetzt aber trat man in den Tempel ein und fand dort in freundlich-heiterem Raum die schönere Vorstellung des Altertums von dem ernsten Gegenstand, den Jüngling mit der gesenkten Fackel, ein Bild, dem hier offenbar der Vorzug eingeräumt war.

Ein Zug von dem alten, würdigen Freiherrn, dem der Jüngling nun bereits seit einem Dezennium die Fackel senkte, sei hier noch erwähnt, weil er unserer Ansicht nach sein Bild vervollständigt. Die regierende Herzogin von Sachsen-Hildburghausen und ihre Tochter, die unlängst vermählte Kronprinzessin, jetzige Königin von Bayern, beehrten ihn einst mit einem Besuch. Der Freiherr empfing die hohen Gäste am äußersten Burgtor und reichte hier der Herzogin seinen Arm. Diese zögerte, ihn anzunehmen, indem sie bemerklich machte, daß sie der Kronprinzessin nachstehe. Da erhob der alte Freiherr seine tiefe, sonore, fränkische Stimme und sprach allen vernehmbar: »Ehrwürdige Durchlaucht, wir stehen hier vor einer alten Ritterburg, und in einer solchen hat immer die Mutter den Rang vor der Tochter gehabt.«


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