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Zweite Reise.
Das südliche Franken

Papst Klemens XIV., der geistreiche Ganganelli, gab einem deutschen Fürsten im Vatikan Audienz. »Herr Markgraf«, sagte er nach Beendigung der Zeremonien, indem er dem Fürsten die Hand freundlich entgegenreichte, »doppelt wert ist es mir, Sie in Rom zu sehen, da Sie ein zweiter August sind und einen Horaz in Ihren Staaten besitzen. Ich habe seine lieblichen Gesänge mit unendlichem Vergnügen gelesen und beklage nur, daß dies nicht in der Ursprache geschehen konnte und ich mich mit einer italienischen Übersetzung begnügen mußte. O sagen Sie, Prinz, wie lebt der vortreffliche Dichter? Vermutlich haben Sie ein Kapitol in Ihrer Hauptstadt und ihn dort krönen lassen?«

Der Markgraf aber wurde durch diese an ihn gerichteten Fragen des Heiligen Vaters ein wenig verdutzt und stand dem Oberhaupt der Kirche gegenüber gerade wie einer, der nicht weiß, was er antworten soll. »Horaz?« stammelte er endlich. »Dichter? Meine Staaten? Ansbach?«

Diese Audienz fand in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts statt, und als der Markgraf nach seiner Hauptstadt zurückkam, ließ er, zum Erstaunen der Ansbacher, den kleinen, unbedeutenden, kaum von ihnen gekannten, mehr als fünfzigjährigen Uz zu sich kommen und machte ihn zum Assessor. Uz zeigte von nun an, daß er nicht allein ein vortrefflicher Dichter, sondern auch ein vortrefflicher Geschäftsmann war. Der größere Teil des Tages gehörte nunmehr den Akten; doch strebte er nach keiner höheren Stellung; ein bescheidenes und geregeltes Leben war sein Element, und er blieb über zwanzig Jahre auf dem Posten, den ihm sein Landesherr huldvoll erteilt hatte. Im Jahre 1790 bekam er den Auftrag durch die Britin Lady Craven, des Fürsten Gemahlin oder Geliebte, ein Lied zu dichten, das bei einer großen Hasenjagd in Triesdorf von den Jägern mit Anstand gesungen werden dürfte. Da suchte Uz – man sagt, mit widerstrebender Hand – seine silberne Harfe unter den Akten hervor, wo sie ein wenig staubig geworden war, und dichtete folgende Strophen:

Unser Landesvater jagt,
Wie die Edlen pflegen;
Doch des Volkes Seele zagt
Seines Fürsten wegen.
Helfen will er jedem gern,
Keinen gern betrüben;
Diesen guten, lieben Herrn –
Wer sollt' ihn nicht lieben?

Wenn diese Strophen in Italien übersetzt wurden und Ganganelli sie las, wir zweifeln, ob er den Sänger der Theodizee darin wiedererkannt haben würde. Sechs Jahre später – der Markgraf hatte sein Land bereits an die Krone Preußens abgetreten – kam eines Morgens, es war am 12. Mai, ein großes Schreiben im Hause des Assessors Uz an. Dieses Schreiben enthielt ein königliches Patent, das ihn zum Geheimen Justizrat und Landrichter in Ansbach ernannte. Freilich ein wenig spät, denn Uz war bereits sechsundsiebzig Jahre alt; es ließe sich behaupten zu spät, denn er lag soeben im Sterben. Man las ihm in der Eile das Patent noch vor, man bemühte sich, es ihm begreiflich zu machen und seiner fliehenden Seele den höheren Rang mit in den Himmel zu geben, aber sie hatte nur mehr wenig Empfänglichkeit für irdischen Glanz. Ein leises und ziemlich gleichgültiges: »So?« stahl sich über die Lippen des alten Dichters und neuen Geheimen Justizrats; sein ehrwürdiges, edles, einst so gedankenreiches Haupt neigte sich, und er verschied.

Da stehen wir im Hofgarten zu Ansbach und betrachten sein Denkmal, das ihm die anerkennende Nachwelt vor einigen Jahren hier errichtet hat. Es ist eine Säule, welche auf mehreren Stufen ruht und auf deren Spitze die kolossale Büste des Dichters, das Haupt mit Lorbeer gekrönt, zu schauen ist. Name, Lyra und Sternenkranz, die gewöhnlichen Embleme von derartigen Monumenten, schmücken die eine Seite des viereckigen Obelisken.

Indem wir unser Auge daran weiden und den Blick in seiner freundlichen Umgebung umherstreifen lassen, fällt er linker Hand auf eine Gartenbank, vor der alle glücklichen Bilder des Lebens und der Erinnerung entweichen und das ganze Grauen eines fürchterlichen Rätsels mit eiskaltem Todesatem an unsere Seele streift. Ein Steinhaufen liegt neben der Bank, und hier war es, wo der Mörderstahl deine Brust erreichte und dein junges Leben traf – lieber, armer, unglücklicher Häuser! Beispiellos Verfolgter – auch im Tode lassen sie dir keine Ruhe, und da kein Messer dein Herz mehr erreichen kann, zerreißen sie deinen Ruf, deine Ehre. Ein Betrüger, ein Selbstmörder mußtest du werden, um die Welt mit Maßregeln zu versöhnen, die entweder zu ohnmächtig waren, um den Schleier von deinem Schicksal zu ziehen, oder es nicht wollten. Beides ist gleich furchtbar. Und du, Brite, der sich des Knaben mit verdächtiger Freundschaft annahm, um ihn im Tod zu verunglimpfen, und du, Ritter von Lang auf deinem Turm, der du zuerst den Pfeil giftiger Anschuldigung gegen seine ermordete und wehrlose Brust schleudertest – es wäre edler und ritterlicher gewesen, ihr hättet es nicht getan! Italien hat nichts mehr voraus vor Deutschland, und seine apenninischen Banditensagen erbleichen vor Hausers Geschichte. – Hausers geistlicher Freund und Seelsorger, Herr Pfarrer Fuhrmann, hat die Geschichte seiner letzten Stunden geschrieben und uns den Sterbenden in seinem Schmerz, in seiner kindlichen Angst, aber auch in seiner frommen Ergebung gezeigt, und dennoch war der arme Knabe ein Betrüger, und ein solcher obendrein, der seine fürchterliche Komödie, sein ungeheures Spiel im Angesicht des Todes und am Rand des offenen Grabes noch fortsetzte! Und zu welchem Zweck? Zu keinem! Er, der ein Jüngling war mit allen Tugenden und Fehlern eines Kindes – er lag da, die tödliche Wunde in der Brust, er fühlte sein Ende und hatte die schreckliche Konsequenz, die man dem ergrauten Bösewicht nicht zutrauen würde: zu sterben, ohne seinem freundlichen und gütigen Tröster ein Bekenntnis seiner Schuld mit seinem letzten Atemzug zu geben? Das glaubt man? Das nimmt man an, zum Trotz aller psychologischen und menschlichen Gesetze? Ach! und so viele glauben es – und nehmen es an! Und das Unbegreifliche dabei läßt sich nur aus dem Fluch erklären, der das Dasein des Unglücklichen umschwebte. – Er ruht auf dem Kirchhof St. Johannes unter einem einfachen, recht hübschen Denkmal, das drei junge Bäume beschatten. Die Inschrift des Grabsteins ist folgende:

HIC IACET
CASPARUS HAUSER
AENIGMA
SUI TEMPORIS
IGNOTA NAVITAS
OCCULTA MORS
MDCCCXXXIII

In allem Übrigen zeigt sich Ansbach als eine freundliche, wohlgebaute Stadt mittlerer Größe, in der, wie in Bayreuth, überall die Spuren der ehemaligen Residenz hervortreten. Es ist gegenwärtig die Hauptstadt von Mittelfranken, während es früher die des Rezatkreises war. – Das Residenzschloß des Markgrafen, jetzt Sitz der königlichen Regierung und noch verschiedener verwandter Behörden, ist groß und ansehnlich im italienischen Geschmack erbaut. Kirchen sehen wir auch, aber weit entfernt von der Pracht derer, die wir erst unlängst in Würzburg bewunderten. Das katholische Element hat aufgehört; nur der Main innerhalb seiner Weinberge liebt es, Messegeläut zu hören und das Schimmern buntfarbiger Prozessionen in seinen Wellen zu spiegeln; die Rezat ist protestantisch und ohne Weinberge und eine Beschützerin des Hopfenbaus. Ansbach hat drei protestantische Kirchen – von denen die zu St. Gumbertus die bedeutendste sein mag –, eine katholische ohne Turm und Glocken und eine Synagoge. Das im Jahre 1737 eingeweihte Gymnasium illustre Carolo-Alexandrinum ist die erste der hiesigen Erziehungsanstalten. Es fehlt außerdem an keinem der Institute, welche zum Wohl und zur Ehre einer ansehnlichen Stadt gereichen.

Der Eindruck, den Ansbach auf den Fremden hervorbringt, der es zum erstenmal betritt, ist durchaus vorteilhaft. Die angenehmen Eingänge in seine munter belebten Straßen, das Stattliche der Häuser und jener geräuschvolle Glanz, den eine starke Garnison um sich zu verbreiten pflegt, gefallen selbst einem verwöhnten Auge.

Ist die Stadt heiter und freundlich, so sind es auch ihre Umgebungen. Ein Spaziergang nach dem Drechslerischen Garten und dem Turm des Ritters von Lang in dessen Nähe gewährt uns von mäßigen Höhen einen Anblick über die Stadt, der sehr ansprechend ist. Die gotischen Türme der Gumpertuskirche dienen ihr zur besonderen Zierde; dennoch haben diese Türme nichts Erhabenes, nichts, was ihnen erlaubte, sich mit den Domen von Würzburg und Bamberg in Parallele zu stellen; sie sind vielmehr niedrig, gedrückt, nachgemacht und scheinen neueren Ursprungs, und zwar aus einer Zeit, welche die Erhabenheit des reinen gotischen Stils nicht verstand. – Desto besser versteht Madame Kober, die freundliche Wirtin im Gasthof »Zur Krone«, für ihre Gäste in jedem Stil zu sorgen.

Etwa drei Stunden südlich von Ansbach, auf der Straße nach Günzenhausen, führt diese durch ein seltsames, parkartiges Revier, das mit einer unermeßlichen Ringmauer umschlossen ist. Langgestreckte, niedere Gebäude zeigen sich innerhalb dieser weiten Umgrenzung, Gärten, Felder, Wälder, Höfe; es ist das berühmte Triesdorf, das Lustschloß des Markgrafen, wo die Hasenjagd gehalten wurde, auf die Uz seine letzte Ode dichtete.

Wir versetzen uns von Ansbach abermals in eine moderne, heitere und freundliche Stadt und abermals in eine ehemals markgräfliche Residenz, nach


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