Jakob Christoph Heer
An heiligen Wassern
Jakob Christoph Heer

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XIX.

Ein neuer Ahornbund ist entstanden, furchtbarer als der erste, so furchtbar, daß ihn niemand auszuführen wagt und jeder zittert vor dem Los, das ihn treffen könnte.

Ehe der Hammer an den Weißen Brettern schlägt, muß zur Rettung St. Peters ein Mord begangen sein. Josi Blatter, der sich gegen den Himmel gewendet hat, muß fallen, die armen Seelen auf der Krone müssen versöhnt werden.

In der Nacht halten die Männer seitab vom Dorf unter Wetterlärchen ihre ernsten Beratungen. Leichten Herzens thun sie den Schritt nicht, jeder ist ganz durchdrungen von dem Gedanken, was für eine schreckliche That ein Mord ist. Seit Matthys Jul, der fern im Dämmerschein der Sage steht, hat im Glotterthale kein Mann einen anderen getötet. Es ist aber doch besser, es falle nur einer, nur Josi Blatter, der Rebell, als daß das ganze Dorf untergehe.

Nicht Josi Blatter ist der Retter von St. Peter, sondern der ist es, der ihn erschlägt.

Man kann ihn aber nicht erschlagen, er ist droben in den Felsen, er steht in einem schmalen Gang, in dem nur ein Mann auf einmal gehen kann, und er ist Herr des Teufelssalzes, er ist mit dem Satan im Bund, und wenn Hunderte gegen ihn streiten, so überwältigt er sie mit einer einzigen Patrone, die er nach dem nächsten Stein schleudert.

Die Männer stehen ratlos. Nur noch zwei Tage, dann wird der Hammer von den Weißen Brettern schlagen.

Seit man Binias Ring gefunden hat, ist Kaplan Johannes dem Schicksal Thönis auf der Spur. Warum sind Josi Blatter und Binia Waldisch in der Wetternacht über den Stutz heraufgekommen, in der Nacht, wo Thöni Grieg geflohen ist? Warum haben seine Verwandten in Hospel nie die geringste Nachricht von ihm bekommen? Er klettert Tag um Tag an den Felsenufern der Glotter und späht in die Wasser.

Heute hat Johannes in einem Felsenschlund beim Bildhaus an der Grenze von Tremis, in dem das Wasser quirlt und brodelt, etwas auftauchen sehen, was ein Bein und ein Schuh sein könnte – nein, was ein Bein und ein Schuh ist.

Wie die Männer von ihren heimlichen Beratungen heimkommen, herrscht unter den Weibern schon Wehklagen: es stehe einer außerhalb der Brücke in der Glotter, er strecke den Arm gegen die Weißen Bretter und stöhne immer nur: »Der dort oben – der dort oben« – und hinterher seufzte er: »Und Binia Waldisch!«

Abergläubisches Entsetzen füllt das Dorf. Es ist kein Schlaf in St. Peter – nur Beten und Gejammer: »Warum haben wir den Bau an den Weißen Brettern zugegeben, warum haben wir uns durch den Presi verführen lassen?« Und dazu die dumpfe Antwort: »Auf ihn und sein Kind mag es kommen.« In der Nacht sinkt ein dichter kalter Nebel ins Thal, ehe der Tag dämmert, klopft der Mesner schreckensbleich an die Thüren: »Ich kann nicht zur Frühmesse läuten, es steht einer in weißem Gewand an der Kirchenthüre!«

Mit ihren Laternen gehen die Dörfler in festgeschlossener Schar zum Gotteshaus.

Es steht keiner an der Kirchenthüre, aber ein großer Zettel klebt daran, sie lesen ihn mit Entsetzen und die Frauen fahren kreischend zurück.

»Gerechte Bürger von St. Peter!« heißt es auf dem Blatt. »Ich, Thöni Grieg, klage es euch. Aus den Wassern der Glotter schreie ich seit dem Fridolinstag um ein ehrliches Begräbnis in geweihter Erde, während mein Blut sündig an den Weißen Brettern vermauert wird. Ihr kennt meine Mörder. Begrabt mich und schafft Gerechtigkeit. Die armen Seelen wissen, was ich leide, und ziehen aus.«

Das Dorf ist ratlos, das Grauen liegt allen in den Gliedern, einer raunt es dem anderen zu: »Wenn die Toten zu schreiben anfangen, dann ist es Zeit, daß wir handeln.«

Da schlarpt Kaplan Johannes mit lodernden Augen heran. »Seht ihr, die Toten reden! Was wollt ihr mehr? Ich will euch etwas sagen, aber die Zunge soll dem verdorren, der Satan soll dem ins Blut fahren, der mich verrät. Bevor ihr den Mord am Rebellen sühnen könnt, müßt ihr Binia Waldisch, die Teufelin, schlagen; erst wenn sie im Blute liegt, ist er schwach und leicht zu bewältigen. Wozu der Schrecken, wozu das Erbarmen? Lest, wie sie Thöni getötet und sein Blut nach der Stadt gebracht haben, damit man das Teufelssalz hat bereiten können. Die erste Schuldige ist Binia Waldisch, die Tochter des Presi; sie müßt ihr schlagen, sonst geht St. Peter unter.«

Die Männer schaudern: »Das thun wir, so wahr uns Gott helfe, nicht. Mann gegen Mann, so ist's in den alten Zeiten gehalten morden, aber eine Jungfrau tötet, selbst wenn sie eine Teufelin wäre, keiner. Eher mag St. Peter untergehen.«

Da rollt der Gletscher.

»Hört ihr's – St. Peter geht unter!« wehklagen die Frauen, und der Kaplan lächelt: »Ihr könnt die Hexe mit weltlichen Waffen nicht umbringen, die heiligen Grabkreuze müßt ihr aus der Erde reißen und sie damit schlagen.«

»Johannes,« grollen die Männer und ballen gegen ihn die Fäuste, »seid Ihr der Satan, der uns ins Unglück bringen will? Eine Jungfrau mit Grabkreuzen erschlagen! Das ist unerhört im Bergland. Thäten mir das unseren heiligen Toten zu leid, daß wir ihre stillen Gräber schänden, so geschähe es uns gerecht, wenn unser alter Pfarrer uns das Gotteshaus verschlösse und die Glocken bannte. Dann müßten wir ja auch zu Grunde gehen, es giebt ja genug Meldungen im Gebirge, wie Dörfer vergangen sind, denen die Kirche den Segen entzogen hat. Die Weiber sind unfruchtbar geworden, der Sohn hat das Beil gegen den Vater erhoben, wie die Wölfe haben sich die Bewohner zerrissen und die letzten sich in Verzweiflung über die Felsen gestürzt. Kaplan – Ihr wollt uns zu Grunde richten – seht Euch vor, wenn Ihr uns schlecht ratet, so seid Ihr der erste, den wir erschlagen.« Da hat der Kaplan einen Anfall der Fallsucht, wie er ihn selbst hervorrufen kann. Er stürzt, er zuckt, er schäumt, er schreit.

»Er ist seiner selbst nicht mehr mächtig, jetzt redet Gott aus ihm,« mahnt der Glottermüller und streckt die gefalteten Hände zum Himmel. Was aber Johannes spricht, ist entsetzlich: »Thöni Grieg – du mußt aufstehen, sie müssen einen Toten zeugen hören, daß St. Peter untergeht.«

Ja, wenn ein Toter aufersteht, wenn Thöni Grieg in der Glotter liegt, so wollen sie dem Kaplan glauben und das Entsetzliche thun, Binia Waldisch, die Mörderin, erschlagen.

Während aber die Dörfler auf dem Kirchhof noch beraten, ertönt der Ruf: »Der Pfarrer kommt – der Pfarrer!«

Da springt der Kaplan auf: »Er will euch überreden. – Eilt an die Glotter und seht. – Vor dem Bildhaus zu Tremis schwimmt Thüni Grieg in der Schlucht.«

Halb in Groll, halb in Furcht und Scham flieht die Gemeinde vor ihrem Pfarrer. Er liest den Anschlag an der Kirchenthüre, sein weißes Haupt zittert, er stammelt: »Jetzt muß ich Wort halten!« Weinend schleicht der alte trostlose Mann ins Pfarrhaus zurück. »Sie haben sich dem Baalspfaffen ergeben, sie haben sich von der heiligen Kirche gewandt, wohlan, so muß ich mein Wort halten.«


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