Jakob Christoph Heer
An heiligen Wassern
Jakob Christoph Heer

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XII.

Im Bären ist es, seit die Fremden fort sind, sonntäglich still. Der Presi sitzt in der großen Stube am Tisch unter dem Meerweibchen, raucht seine Zigarre und erwartet den Garden.

Draußen im Flur hört er Binias Stimme. »Wie sie schön singt!«

Der Presi hat eine aufrichtige Freude über die Wiederkehr Binias. Nicht bloß weil damit ein böser, übereilter Streich gut gemacht ist, sondern weil der Anblick des Mädchens sein Herz erquickt. Seine Augen bleiben, so oft er es sieht, an dem Kinde hängen. Sie ist zwischen Siebzehn und Achtzehn und der Aufenthalt auf Santa Maria del Lago hat ihr nicht im geringsten geschadet. Sie ist frisch und schön, sie ist größer geworden, die Gesichtsfarbe heller, aber sie ist kein Dorfmädchen, dafür sind ihre Glieder zu zart. An der ganzen lieben Gestalt sieht man eigentlich nichts als die Augen, die unter den langen Wimpern so groß und dunkel sind, die so lebendig leuchten, daß einem darüber ganz warm ums Herz wird.

Frau Cresenz hat gesagt, Binia habe die Augen von ihm, vom Presi, sie sei überhaupt sein Ebenbild, aber nur so, wie ein seines junges Tännchen einer Wettertanne gleiche.

Ueber diesen schmeichelhaften Vergleich lächelt er jetzt. Binia singt.

»Wenn sie nur nicht immer dieses häßliche Kirchhoflied singen würde,« denkt er. »Aber es ist das einzige Lied, das sie kennt. Und das beste, sie singt. Sie hat es seit dem Tod der seligen Beth nie mehr gethan. Ihr Gesang beweist, daß ihr die Abreise Josi Blatters gleichgültig ist. Ja, das Kind wird schon noch vernünftig, die Luft ist jetzt rein. Es ist gut, daß ich mit dem Burschen nicht mehr geredet habe.«

Das Lied Binias bricht ab. Sie hat draußen ein kleines Wortgefecht mit Thöni. Sie zanken sich wie ehedem.

Da kommt der Bursche in die Stube: »Es ist da ein Brief für Euch, Präsident!« Und geht.

Der Presi liest, über sein vergnügtes Gesicht fliegen die Schatten tiefer und tiefer, vom Vergnügen sieht man keine Spur mehr – nur zuckende Wetter.

»Gott's Donnerhagel, daß ich es an dem Tage nicht merkte, wo sie über die Schneelücke gingen. – Ein Telegramm – sie hätte im Kloster bleiben müssen. Ah – ah – eigens bereitgestellt habe ich sie ihm. O, was bin ich für ein Kalb!« So führt er mit rotem Kopf das Selbstgespräch und knirscht vor Wut.

In dem Augenblick, wo der Presi so ächzt, tritt der Garde mit schwerem Tritt in die Stube und sieht die Verwüstung in seinem Gesicht.

»Was giebt's, Presi?« Da reichte ihm dieser nur den Brief der Priorin von Santa Maria del Lago. Draußen hatte Binia ihren Gesang wieder aufgenommen. Als der Garde den Brief zusammenfaltete und ruhig auf den Tisch legte, stöhnte der Presi: »He, das ist eine schöne Geschichte – wenn man da nicht verrückt wird. – Ich schaffe das Kind wegen dem Rebellen fort, daß sie einander aus den Augen sind, ich meine, es sei alles gut, und biete den beiden die Gelegenheit, daß sie einen ganzen Tag ungestört miteinander herumludern können. Das wird schön zu- und hergegangen sein – der lausige Blatter – und mein Kind!«

Er preßte die Pratze an die Stirne.

»Schämt Euch, Presi! Ihr kennt Euer Kind – ich kenne Josi. Da ist gewiß weniger geschehen, als wenn die Bursche und Mädchen in Hospel draußen auf dem Tanzplatz sind. Rechte Liebe ist ehrfürchtig, eines für das andere.«

»Das ist keine rechte, das ist eine schlechte. Ich mag halt den Wildheuerbuben nicht leiden.«

Da legte der Garde die schwere Hand auf die seines Freundes und Gegners.

»Hört, Presi! Im Frühjahr vor einem Jahr, damals, als Fränzi starb, habe ich mehr aus Zorn über Euch als aus Barmherzigkeit Vroni zu mir genommen. Und seither ist sie uns zum Segen und Sonnenschein geworden, daß wir nicht mehr leben könnten ohne sie!«

»Ja, das weiß das ganze Dorf, daß Ihr als alter Knabe verliebt seid in das Jüngferchen. Sie ist auch ein artiges Kind. Ihr hättet es mir wohl in den Bären geben können.«

Mit einem höhnischen Lächeln sagt es der Presi. Der Garde aber fuhr in ehrlicher Entrüstung los: »Verliebt. – Presi, schaut, wie viel graue Haare ich habe im Bart. Wißt Ihr, wie die gekommen sind? Die stammen von Eusebi und meinem Weib. Schier hintersinnt hat es sich, daß der Bube, für den sie so viel gelitten hat und für den ich an die Weißen Bretter gestiegen bin als ein Blödling aufgewachsen ist. Wir haben keine wahre Lebensfreude gehabt, der Bub hat nicht erwachen wollen und die Gardin hat sich halb zu Tode gekränkt, daß ihr just so einer als einziger beschieden war. Als er fünfzehn gewesen ist, hat er immer noch nur blöde zugeschaut, wie die anderen gearbeitet haben, und hat mit den Steinchen gespielt. Meint, Presi, das hat mir und der Gardin ins Herz geschnitten, wir haben oft den ganzen Tag gar nicht zusammen reden mögen. Jetzt aber, seit Vroni da ist, ist er wie ausgewechselt. Fröhlich sichelt er neben ihr oder hält mit den Knechten die Mahd, die schwachen Arme sind stark geworden, er stottert kaum mehr und hat Freude am Reden. Das Herz geht mir auf, wenn ich daran denke. Lacht nur, aber es ist, wie wenn ein Wunder des Glückes über den Burschen gegangen wäre.«

Der Presi streckte dem Garden hell und lustig auflachend die Hand hin: »Ich verstehe Euch schon, ich wünsche Euch Glück zur Schwiegertochter. Ich hätte einen anderen Geschmack gehabt, Garde.«

Einen Augenblick verwirrte der Spott des Presi den Garden, dann erwiderte er ruhig: »Ich wollte gern, das Mädchen, das artige, gute, nähme Eusebi, ich darf es ihm nicht zumuten – nein – nein – ich dränge sie nicht zusammen. Die zwei müssen sich von selber finden.«

Als er den Hohn sah, der über das sauber rasierte Gesicht des Presi spielte, versetzte er barsch: »Ich gebe Vroni, auch wenn sie Eusebi nicht nimmt, eine Aussteuer, wie sie in St. Peter keine Bauerntochter bekommt, ich wünsche nur, daß sie noch ein paar Jährchen bei uns bleibt.«

»Ihr werdet ihr schon etwas Rechtes geben müssen. Ihr erzieht ja das Kind, als wär's vom Herrenhaus zu Hospel. Ist's denn richtig, daß sie eine eigene Mauleselin besitzt?«

»Wohl, wohl, die besitzt sie. Ihr werdet sehen, wie schön sie auf der Blanka zur Weinlese reitet!«

»Nun, wenn Armeleutekinder so verzogen werden, so kann's in St. Peter gut kommen!«

»Presi, seid doch still! – Eure Fremden verderben das Thal, da wäre viel zu reden. Jetzt hat der Glottermüller auch eine Wirtschaft aufgethan. Das böse Beispiel.«

»Ja, was ist denn an Vroni Besonderes,« lenkte der Presi ab, »daß Ihr dem Kinde ein Maultier geschenkt habt.«

»Es ist etwas geschehen, was ich nicht habe erwarten dürfen, Presi. Gerade wie Josi fortgereist ist, bin ich mit Eusebi an die Militäreinschreibung zu Hospel geritten. Fast gezittert habe ich vor dem Tag und gefürchtet, Eusebi werde vor Scham, daß man ihn nicht zum Militär nehme, wieder ein Blöder. Ich sitze während der Prüfung der Rekruten im Kreuz und mache mir trübe Gedanken. Da kommt Eusebi früher als ich ihn erwartet geeilt. ›Vater,‹ jauchzt er, ›man hat mich angenommen.‹ Er zittert vor Seligkeit, daß er das Glas nicht halten kann, das ich ihm biete. Und ich kann nicht ›zum Wohlsein, Soldat!‹ sagen, so hat mich die Freude, die ich nicht habe zeigen wollen, gedrückt und gewürgt. ›Weißt, Vater,‹ erzählt er, ›wie mich so einer mit Augengläsern angesehen hat, ist mir immer gewesen, Vroni stehe hinter mir und sage mir das, was ich antworten solle.‹ Ich aber denke jetzt immer nur: ›Eusebi ist Soldat, er ist kein Blöder mehr!‹ Ihr hättet mir das schönste Heimwesen im Glotterthal schenken können, so gefreut hätte es mich nicht. Da meint Eusebi: ›Darf ich Vroni nicht ein Krämlein bringen?‹ – ›Allerwegen‹ antworte ich, ›deine Schulmeisterin muß einen Kram haben‹ ich gehe zum Maultierhändler Imahorn in Hospel und von vierzehn Stuten kaufe ich die schönste, und wie wir heimkommen, sage ich: ›Die ist für dich, Vroni, weil Eusebi zum Militär angenommen worden ist!‹ Einem anderen, Presi, aber habe ich auch gedankt, ich habe zweihundert Franken ins Spendgut von St. Peter gelegt, und bin noch heute aus Vaterfreude in Vroni und in unseren Herrgott vernarrt.«

Der Presi wiegte bei der warmen Rede des Garden spöttisch das Haupt, aber seine Stimmung war eine bessere geworden. Auf den Brief der Priorin deutend, murrte er: »Und nun meint Ihr – das ist doch Eurer Rede Sinn –, daß ich Josi auch auf einen Esel setzen soll? Die zwei achtbarsten Männer von St. Peter die Schwiegerväter der Wildheuerkinder und so eine Art Gegenschwäher!«

Mit lachendem Hohn stieß er sein Glas an das des Garden. »Sagt ehrlich, wenn es Eusebi so tagt im oberen Stübchen, was wär's mit ihm und Binia? Der Bund zwischen zwei ehrenwerten Familien wäre doch eine andere Freude als nur eine Verwandtschaft durch die Wildheuerkinder.«

Man wußte nicht recht, war es Scherz oder Ernst, so eigentümlich sprach er es, der Garde aber schüttelte den mächtigen Kopf: »Etwas langsam ist halt Eusebi immer noch, Binia aber, das Prachtkind, ist ein rasches, heftiges Blut. Das paßt wohl nicht zusammen.«

»Aber zum Rebellen, der sich in den Bergen herumtreibt, paßt die Rebellin, die aus dem Kloster läuft – – nicht wahr, Garde,« sagte der Presi halb höhnisch, halb lustig.

»Ho!« erwiderte sein Gastfreund, »ich meine, Josi Blatter wäre mir an Eurer Statt so lieb wie Thöni Grieg.«

»Ta-ta-ta, wie kommt Ihr auf Thöni Grieg! Er und Binia verkehren ja wie Hund und Katze. Jetzt will ich aber doch die Vagantin einvernehmen. Bini – Bini!« – Er stand auf und rief es durch die Thüre.

Das Mädchen, das mit seinem Gesang aufgehört hatte, als die beiden Männer laut geworden waren, erschien, nichts ahnend, mit freudestrahlendem Gesicht.

»Da lies diesen Brief,« sagte der Presi streng. Ein Blick Binias in das Schreiben, sie wurde dunkelrot und zitterte.

»Was habt ihr an dem Tag gethan? – rede nur, der Garde darf es auch hören.« Es klang nicht eben bös, wie es der Presi sagte.

Binia stutzte einen Augenblick, ihre Röte ging in Totenblässe über. Sie warf sich vor ihm auf die Kniee, umschlang die seinen und hauchte leise, doch fein und klar: »Vater, ich darf's fast nicht sagen, wie ungehorsam wir gewesen sind. – Josi und ich haben uns – verlobt.«

Der Presi sprang auf, nahm sein Glas und warf es neben die Knieende auf den Boden, daß es in hundert Stücke zersplitterte.

»Und ihr meint, ich sei der Narr im Spiel!« keucht er heiser, taumelt und will mit den Fäusten auf sie los, aber der Garde hält ihn: »Laßt sie ausreden!« und wie der Presi sich nicht setzt, umspannt er ihn mit seinen eisernen Armen und drückt ihn auf den Stuhl. »Hockt ab, Presi, und hört. Dann sprecht!«

Binia wollte sich flüchten. »Bleibe, Kind!« knurrte sie der Garde an.

Der Presi schnaubte und zischte: »Der Hund! der Hund! Wie wagt er sich an dich? He, schöne Augen hast du ihm gemacht, du!«

Wie ein Marmorbild stand Binia mit dem Rücken an der Wand, an die sie hingetaumelt war, nur die wogende Brust und die bebenden Nasenflügel verrieten das pulsierende Leben.

»Vater – tötet mich – aber ich sage es! – Ihr seid mit Fränzi verlobt gewesen. Ihr habt sie ohne Grund verlassen; ich aber muß an Josi gut machen, was Ihr an ihr bös gemacht habt. Das hat mir die selige Mutter eingegeben; ich liebe Josi, Vater, ich kann sterben, aber ich lasse ihn nicht, ich habe alles gehört, was Ihr am Wassertröstungstag mit der Fränzi geredet habt. Da ist mir die Liebe gekommen.«

Wie merkwürdig die feine verhaltene Stimme klang, ein Singen war es, mehr als ein Reden, ein sonderbares Singen, wie wenn der Wind durch die Waldwipfel streift, ein Ton, als flüstere er aus schweigender Höhe.

Die Stimme brach, die Unglückliche schwankte und tappte der Wand entlang gegen die Thüre.

»Du –«

Von schaumbedeckten Lippen zischte das gräßliche Wort, das Wort, das ein reines Mädchen tötet.

»Presi! Ihr habt Euch vergangen!« stößt der Garde mit einem Blick hervor, als wolle er sich auf ihn stürzen.

Der Presi röchelte. Plötzlich schoß er auf und faustete. Dann sank er entkräftet auf einen Stuhl – ächzte – und nach einer Weile stöhnte er wirr: »Jetzt ist es klar. – Fränzi – das hat mich immer gewundert, wohin das Kind an jenem Morgen aus meiner Stube verschwunden ist. – – Bini – Bini. – – Seppi Blatter – Fränzi – ihr seid grausam gegen mich!«

Der Presi schwieg, nur die Lippen zitterten. Erst als seine Wut in eine weinerliche Wehmut überging, die dem gewaltigen Mann fast komisch stand, sagte der Garde feierlich: »Ich will Euch eine Geschichte erzählen, ich habe sie von Fränzi.«

Der Presi krümmte sich unter dem Namen.

»Hört, Presi! Auf der Burg zu Hospel saß ein Ritter. Seine Tochter liebte einen Knappen. Zornig darüber ließ der Vater den Jüngling über den Felsen, auf dem die Burg stand, werfen, die Jungfrau aber stürzte sich aus Verzweiflung in den Strom. Bald darauf machte der Ritter eine Bußfahrt nach Rom. Als er über den Gletscher kam, da standen im Eis weit voneinander die armen Seelen der Liebenden. Sein Töchterlein lächelte. Da fragte der Ritter: ›Warum lächelst du, Kind, während du doch so frierst?‹ Sie antwortete: ›O Vater, siehst du nicht, daß ich und mein Liebster bald beisammen sind?‹ Er sah zwischen ihnen nur das weite harte Eis. Als er aber nach drei Jahren zurückkehrte, da waren die armen Seelen einander so nahe gekommen, daß sie sich mit den Händen erreichten. Bestürzt darüber, daß das Eis barmherziger war als er und nachgab, bereute er seine Härte bitterlich. Da hörte er eines Tages eine Stimme vom Berg: ›Vater, trauere nicht mehr!‹ Da wußte er, daß die große Liebe das Eis ganz überwunden hatte und die armen Seelen dicht beisammen standen.«

»Wozu das?« fragte der Presi dumpf. »An die armen Seelen glaube ich nicht!«

»So – meinetwegen – aber glaubt Ihr, Ihr seid stärker als der Ritter von Hospel? – Ihr seid stärker als der Gletscher?«

Der Presi stöhnte.

»Josi und Binia,« fuhr der Garde mit getragener Stimme fort, »es giebt kein schöneres Paar im Glotterthale, aber auch nicht zwei so wilde Herzen wie sie.«

»Ich mag aber nicht der Narr sein im Spiel,« stöhnte der Presi in wehem Zorn, – »ich will nicht, daß mein Kind nur so über mich hinwegschreitet. – Das verzeihe ich Bini nie!«

»O Presi, das Verzeihen werdet Ihr schon lernen. Ich an Eurer Stelle würde auf ein schönes Alter denken. Wenn Ihr aber den Kopf zu stark setzt, so seht zu! Dann kommt der Tag, wo Ihr auf den Knieen zur Lieben Frau an der Brücke rutschen würdet, wenn Ihr Bini nur Josi geben könntet und sie friedlich wüßtet. Gönnt ihnen beizeiten ein grünes Plätzchen zum Glück, sonst steigen auch sie auf die Berge und halten dort oben wie der Knappe und das Fräulein Hochzeit als schuldige Seelen.«

»Ihr meint an den Weißen Brettern!«

Der Presi sprach es mit stieren Augen. Er zitterte und sein Gesicht hatte sich verzerrt.

»Was sagt Ihr?« fragte der Garde überrascht.

»O Garde – es ist nur ein schrecklicher Traum, aber er ängstigt mich. Ich habe Binia mit blutendem Haupt neben dem jungen Blatter an den Weißen Brettern gesehen.«

»Herrgott im Himmel, was sagt Ihr, Presi? Das herrliche Kind, wie nicht alle hundert Jahre eins im Berglande wächst, stand blutend an den Weißen Brettern?«

»Ja, mein Kind, meine Bini, die ich so unendlich liebe und dies mich so elend macht.«

Und die Wehmut überwog den Zorn.

»Presi! Träume sind Schäume, sagt man, der Traum aber kommt aus dem Gewissen – es steht böse darin – macht Ordnung – an Seppi Blatter, an Fränzi habt Ihr es verbrochen – macht es am Sohn gut – spürt Ihr nicht, wie das Schicksal Josis und Binias Zug um Zug über Euch ist. – Merkt Ihr es nicht, Presi? – Macht Ordnung!«

Wie Hammerschläge fallen die Worte des Garden auf die Brust des Presi. Er bebt, er schwitzt.

»Wohl, ich merk' es – ich merk' es, Garde, sonst hätte mir das meine Binia nicht angethan – ich hätte den Josi Blatter nicht nach Indien gehen lassen sollen. – O Garde! – Mir ist, ich könnte ihn lieb haben.«

Wie aus gebrochenem Leib stöhnte es der Presi.

Schon glaubte der Garde ihn gewonnen zu haben. Da trat Frau Cresenz in die Stube und wischte die Scheiben des zerschmetterten Glases zusammen. Ohne daß sie recht wußte, was vorgefallen war, jammerte sie: »Das Kind ist halt ganz der Vater, das kann man nicht ändern, das sind zwei harte Köpfe.« Und dann wandte sie sich an den Presi und tröstete ihn mit fraulicher Milde, aber mit Worten, die nicht tief geholt waren und nicht tief gingen.

Der Garde hätte viel darum gegeben, die Frau wäre nicht gekommen oder wenigstens rasch wieder gegangen, als sie aber blieb, da wurde er über die Störung wild und ging selbst.

»Sie ist eine wohlmeinende und rechtschaffene Frau, aber das Weib, die Mutter von unergründlich tiefem Herzen, das an diesen Posten gehört, ist sie nicht.«

So knurrte er, als er über die steinerne Treppe hinunterschritt.

Als er am anderen Tag mit dem Presi reden wollte, war dieser hart wie Glas, die beiden gewaltigen Männer, die sich sonst so gut verstanden hatten, überwarfen sich und der Verkehr von Haus zu Haus hörte auf. Nur Vroni und Binia sahen sich noch zuweilen.

»Bini ist eine Spinnerin geworden!«

So sagten die Leute von St. Peter und streckten dabei den Zeigefinger gegen die Stirn. Man munkelte, sie sei im Kloster Madonna del Lago mißhandelt worden. Um den bösen Segen, den sie und Josi von Kaplan Johannes empfangen haben, zu vertreiben, hätten ihr die Nonnen jede Nacht unter Gebet so viel Wasser, Tropfen um Tropfen, auf das Haupt gespritzt, daß mit dem bösen Segen auch ein Stück guter Seele von ihr gewichen sei. Und das suche und suche sie in Gedanken.

Die thörichten Leute! Binia war allerdings, nachdem sie aus dem Kloster gekommen, eine Weile blaß und wankte wie ein Schatten einher, aber nicht die Nonnen hatten sie, den lustigen Wildling von ehemals, zu der Schweigerin gemacht, die, wieviel in ihr lebte, der Welt nichts als die großen dunklen Augen wies.

Ein einziges, gräßliches Wort des Vaters!

Und jetzt warb er nicht um sie wie einst – er setzte sich nicht an ihr Bett, er flüsterte nicht: »Meine Maus – mein Gemslein.« Er sagte nicht: »Du lieber, lieber Vogel.« Jetzt war auch keine Fränzi mehr da, die ihr zu mitternächtiger Stunde das wirre Köpfchen zurechtsetzte.

Droben in ihrem Kämmerlein schluchzte sie: »Mutter – liebe tote Mutter: Es ist schrecklich – wie mich der Vater verachtet. – Und er ist doch so ein herrlicher Mann. – Und Josi muß ich halt lieben.«

Manchmal wußte sie nicht, war es die Empörung gegen den Vater, war es die Liebe zu ihm, die stärker in ihr wüteten. Ein Blick – ein herzliches Wort – sie wäre jubelnd an seine Brust geeilt. Aber sein Ton blieb kalt wie das Eis der Gletscher, sein sonnenhelles Auge wurde, sobald er sie erblickte, lauernd und mißgünstig. Und das entsetzliche Wort, das er ihr entgegengeschleudert – das saß!

Allein es ist nun wunderbar! In einem jungen Herzen kann die Hoffnung nie sterben. Dazu muß der Mensch alt sein – alt – alt! Mißhandelt ein junges Herz, zerbrecht es. Ein Sonnenstrahl, und lächelnd liest es seine Scherben auf, streicht mit zitternder Hand darüber, und es ist fast das feurige Herz von zuvor.

Wie ein Tännling ist die Jugend. Ein Stein saust aus der Höhe und schlägt ihm die Kerze ab, die er so lustig in das Spiel der Winde erhob. Was thut der arme Tännling? – Er richtet ein Zweiglein gerade auf, das wächst emsig Tag und Nacht und wird zur Kerze, und kaum der Forstmann erkennt noch, daß der Tanne einmal die Krone abgeschlagen war. Aber eine junge, kerngesunde Tanne muß es sein, sonst bringt sie das Wunder nicht zu stande.

Binia war eine junge, kerngesunde Tanne.

Sie wurde die stille Wohlthäterin des Dorfes und übte ihren Herzensberuf mit der Frische und Wärme der Jugend. Sie guckte mit einem guten Lächeln in die Hütten, wo ein Weib, wo Kinder krank lagen, und plauderte Liebes mit ihnen. Sie gewann die Herzen und versöhnte. Wenn sie fort war, lag eine Blume auf dem Bett oder es klang ein Wort nach, das Glück verbreitete – und ihre größte Kunst – sie wußte jedem das, was er bedurfte, so zu geben, daß es kein Almosen war.

»Redet einmal mit Binia, die weiß schon Rat,« sprach man im Dorf, »sie hat noch das bessere Herz als die selige Beth.«

Und seltsam! Der Presi ließ sie gewähren. Wie der Name Josi Blatter, so schwand auch die tolle Besprechungsgeschichte aus den Gesprächen der Leute von St. Peter, sie sagten nur:

»Wie ein Engel geht sie durchs Thal.«

Unter den Gästen war niemand, der sie nicht liebte. Manche junge vornehme Töchter stellten sich wie Schwestern zu ihr: »Binia, Sie liebes gescheites Bergkind, wenn wir Sie nur mit in die Stadt nehmen könnten, man bekommt ja ein heißes Heimweh nach Ihnen.«

Einer aber verging fast vor Eifersucht, wenn ein junger Herr der alpigen Rose ein Röslein schenkte.

Thöni Grieg!

Die schmähliche Versteigung an der Krone, die ihn dem Gelächter des Dorfes preisgegeben hatte, war der Anlaß, daß er nacheinander die Bubenschuhe, zuerst den einen, dann den anderen, ausgezogen hatte. Und nach dem großen Donnerwetter von damals stellte sich der Presi besser als je zu ihm.

Thöni besorgt die Post, die im Sommer wichtig genug war, gewissenhaft, ebenso die Zufuhr der Lebensmittel von Hospel und war den Fremden im Haus durch sein fröhliches Temperament ein angenehmer Gesellschafter.

Mit Binia aber zankte er sich immer noch. Und wie!

»Mache ein anderes Gesicht gegen mich, du Wildkatze mit den Teufelsaugen!«

»Thöni, schäme dich doch, dich hat man ja von den Kronenplanken holen müssen.«

»Ich würde schweigen, wenn ich wegen einem Rebellen in Santa Maria del Lago versorgt gewesen wäre.«

Wütend lief Binia davon. Sie wußte wohl, daß ihr der Vater mit Santa Maria del Lago einen Schimpf angethan hatte – einen Schimpf, den sie erst verdient hatte, als sie mit Josi in die prangende herbstliche Welt hinausgelaufen war. Aber sonderbar, der Tag glänzte wie ein Stern in ihren Gedanken, sie lächelte jedesmal verträumt, wenn sie seiner gedachte.

Doch wenn sie dann vor sich hin staunte, so fuhr Thöni wie ein wildes Tier dazwischen.

»Jetzt denkst du schon wieder an den lausigen Rebellen, Ich töte ihn, wenn er je wieder nach St. Peter kommt. Binia, jetzt gieb mir einmal ein gutes Wort – oder – oder –«

Ein verzehrender Blick traf sie. Eines Tages wußte sie es: Hinter seinen Beleidigungen stand die wütende Eifersucht.

Sie fürchtete Thöni und er merkte es.

»O, ich thue dir nichts,« sagte er vorwurfsvoll, »aber wenn du nicht anders zu mir wirst, so stelle ich an mir selbst ein Unglück an.«

»Thöni,« erwiderte sie kühl, »wenn du das nur über die Lippen bringst, so ist es kein Schade für dich. Du machst ja jetzt Bälzis Kind den Hof.«

»O, nur aus Verzweiflung, daß du, statt mit mir lieb zu sein, mich kratzen möchtest.«

»Dann wollt' ich aber sie nicht sein!« spottete Binia.

Sie gab ihm kein gutes Wort.

Zwischen Thöni und Bälzis Aeltester, die im Bären Magd geworden war, kam es so weit, daß Frau Cresenz, um den Unwillen der Gäste gegen die Liebeleien zu beschwichtigen, das sonst anstellige Mädchen mitten im Sommer entlassen mußte. Jeden Abend, oft noch sehr spät, lief er aus dem Haus, man munkelte, zu ihr.

Es geschah aber heimlich und hinter dem Rücken des Presi, und Frau Cresenz schwieg, sie fürchtete die Händel.

So ging der Sommer.

Da machte Binia in den letzten Tagen zufällig eine merkwürdige Erfahrung. Ein alter ehrbarer Schweizermann, der ihr sehr streng geschienen hatte, den sie aber doch liebte, sagte Abschied nehmend zum Vater: »Schön ist's im Glotterthal – und ein Meitli habt Ihr schon, Herr Präsident, daß man noch einmal jung werden möchte!«

Nun horchte sie mit pochender Brust auf die Antwort des Vaters.

»Ja, meint Ihr, ich habe den Vogel nicht auch lieb? – Für wen rackere ich mich denn? Ich hätte den Mut für das Vielerlei des Geschäftes nicht ohne das sonnige Kind!«

Das sagte der Vater, der ihr nie ein warmes Wort, einen vollen rückhaltslosen Blick gab.

Sie mußte an sich halten, daß sie nicht laut aufjauchzte, sie rannte und sprang wie ein Reh und die Gäste fragten: »Haben Sie denn Sonntag in den Augen, Binia?«

»Ja freilich, das Leben ist halt schön!« lachte sie und fort war das Reh.

»Ist das eine liebe Hexe – eine herzbezwingende Gestalt,« redeten die Gäste hinter ihr.

Es war im Herbst, der Vater zählte mehrere Rollen Silber und Gold – er schmunzelte, er lachte, er trank Hospeler dazu. Dann redete er irgend etwas mit Frau Cresenz, die ihn bald wieder verließ, und plötzlich sah Binia, wie er vor sich hin faustete: »Sie ist ein Affe – sie ist ein verdammter Affe. – Die selige Beth hat doch nicht immer Ja gesagt,« hörte sie ihn murmeln.

Binia kannte den Vater genau. Er konnte den Widerspruch nicht leiden, aber wenn ihm von Zeit zu Zeit niemand ernsthaft widersprach, so war es ihm auch nicht wohl. Und daß er der toten Mutter ehrenvoll gedachte, freute sie tausendmal.

Heute war der Vater entschieden verstimmt über Frau Cresenz. »Der Affe! Niemand hat man, mit dem man ein vernünftiges Wort reden kann, als Thöni.«

»Als Thöni!« Binia glühten die Wangen vor Eifersucht, sie hob sich auf die Zehenspitzen und von rückwärts, so daß der Vater sie nicht sehen konnte, lief sie auf ihn zu, schlang die leichten Arme um ihn und drückte ihren frischen roten Mund mit süßem Kuß auf seinen Mund. »Kind! – Binia! – Was willst?« – Der Presi war ganz erschrocken.

Sie lächelte ihn an, fröhlich und schmerzlich zugleich, flehentlich und hoffnungsvoll.

»Kehre mir das Herz nicht um mit deinem Lachen – ich ertrage es nicht.« Der Presi sagte es unsicher.

»Wohl, wohl, umkehren möcht' ich's dir, Vater, ich möchte die Liebe darin sehen! Vater – ich halte es auch nicht mehr aus, ohne daß du ein bißchen lieb mit mir bist.«

Da war der harte Presi überwunden, es ging ein glückliches Lächeln über sein eben noch finsteres Gesicht. Und er nahm ihre beiden Hände: »Ja, Vogel, ich muß mit dir reden. – Du bist ja jetzt in einem Alter, wo man keinen Tag sicher ist, wenn ein junger Mann den fröhlichen Finken einfangen will. – Kind, ich habe nur dich und wünsche, daß du glücklich werdest. Ich gebe dir die Wahl frei und will dir nicht einreden, wen du heiraten sollst, das ist ganz deine Angelegenheit.«

Mit rotem Köpfchen saß Binia da – sie schluckte, als wollte sie etwas sagen.

Ein mißtrauischer Blick des Vaters, dann sagte er streng: »Es giebt einen Namen, der in unserem Haus nicht mehr ausgesprochen wird. Verstehst du! – Im übrigen habe ich dir die Jugendthorheit verziehen.« – –

Binia steht sinnend in ihrer Kammer.

Zwei Jahre noch – dann kommt Josi – er kommt wie ein Held – er tritt mit einer That vor das Volk, so gewaltig, wie noch keine im Bergland geschehen ist – er erlöst St. Peter von der Blutfron an den Weißen Brettern und alle jubeln: »Josi Blatter ist größer als Matthys Jul.«

Und er besiegt den Vater.

So lang will sie tapfer kämpfen, den Vater nicht reizen, aber Josi treu sein im Herzen.

Und unter Thränen lächelnd küßte sie den Tautropfen, den er ihr gegeben hat.


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