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12.
Der Tod eines Wahnsinnigen

Während Namgjal seinen Gedanken nachhing, erwachten die Luftgeister aus ihrem Schlummer, und eine schwache Brise kräuselte die runden Wellen des Sees. Wieder schlugen sie plätschernd gegen die Eiskante, und die Scholle trieb von neuem langsam weiter. Jetzt aber kam der Wind aus Südosten, und die Fahrt ging daher rückwärts auf die Insel zu. Wie langsam auch die beiden Unglücksgenossen über die Tiefe dahinglitten, so fuhren sie doch schneller als alle Eisfelder und Schollen, die in der Ferne sichtbar waren; denn die Eismauer und sie selber boten dem Wind Angriffspunkte.

In Namgjal erwachte eine Hoffnung. Sein Plan, sich und die andern dadurch zu retten, daß er mit Angdu die Insel verließ, war fehlgeschlagen. Aber daran dachte er jetzt nicht.

Jetzt wollte er nur Angdu retten. Wenn der Wind stärker wurde, mußten sie noch vor Ende der Nacht bei der Insel anlangen, und Angdu konnte in seiner Höhle. Ruhe und Pflege finden und für eine kurze Spanne Zeit ins Leben zurückkehren. Wenn er dann seinen Wahnsinn und seine Flüche vergessen hatte, durfte man wegen seines ewigen Heils beruhigt sein; dann war er von den bösen Geistern befreit, die seine Seele ein paar Tage arg gequält hatten.

Der Wind, der eingesetzt hatte, konnte auch zum Sturm werden und den See zu denselben riesigen Sturzwellen aufpeitschen wie vor kurzem. Dann konnte die zusammengeschrumpfte Scholle, deren Oberfläche der Sonnenschein tagsüber zerfressen und zermürbt hatte, nicht standhalten; sie mußte in kleine Stücke zerbersten, die hilflos auf den Wellen tanzten. Von Wasser überspült, mußte die Scholle bald so glatt und schlüpfrig werden, daß es unmöglich wurde, sich auf ihr zu halten. Namgjal selbst wie der Kranke wurden hinweggespült, und beide ertranken, bevor sie die Insel erreicht hatten.

Aber der Wind nahm nicht zu, und das Plätschern der Wellen wurde nicht lauter. Die Scholle trieb kaum merkbar langsam weiter. In höchster Spannung betrachtete Namgjal die Insel, die im Nordwesten in weiter Ferne wie ein kleiner, heller, runder Hügel zu sehen war. Der Himmel war ganz klar, und keine Wolke kündigte starken Wind an.

Die Stunden vergingen. Bei Sonnenuntergang war doch zu merken, daß die beiden der Insel nähergekommen waren. Nach Einbruch der Dämmerung verschwand sie in leichtem Nebel. Die Nacht wurde bitter kalt, und der Nebel zerstreute sich wieder. Im Mondschein trat die Insel deutlich hervor. Der Wind hielt an, und im Verlauf der Nacht wurde die Insel nach und nach größer und größer.

Angdu sprach in unruhigen Fieberträumen. Er warf sich von der einen Seite auf die andere. Namgjal faßte ihn bei den Füßen und schleppte ihn nach der Mitte der Scholle, da er sonst hätte über den Rand herabgleiten können.

Er band dem Kranken die Binde fester um den Kopf und hüllte ihn in den Mantel. Trotz seiner Müdigkeit konnte Namgjal nicht schlafen. Er setzte sich mit dem Rücken gegen die Eismauer, so daß er die Insel und Angdu sehen konnte. Gegen Ende der Nacht schlummerte er ein. Als er erwachte, war die Sonne bereits aufgegangen, und der Wind ging ziemlich frisch. Angdu rührte sich nicht. Bei der scharfen Beleuchtung schien die Insel ganz nahe zu sein. Zu seiner Bestürzung bemerkte Namgjal aber, daß der Kurs in geringem Abstand parallel mit dem Nordufer der länglichen Insel ging. Wenn die Scholle nicht gegen den Strand prallte, kamen sie niemals ans Land.

Schon waren sie an der Südostspitze vorüber und trieben langsam das Ufer entlang. Jede Klippe, jeder Stein war ein guter Bekannter. Die Sonne stieg höher und wärmte. Man hörte das Klatschen der schmelzenden Eisfläche. Bis zum Strande waren es nur ein paar Steinwürfe. Um die Mittagszeit trieben sie an den Uferhöhlen vorüber.

So laut er vermochte, rief Namgjal Tsembes und Ngurbu Tanduks Namen. Die beiden Eremiten traten aus ihrer Höhle heraus, in der sie geschrieben hatten, und waren erstaunt, ihre Kameraden auf der Eisscholle zu sehen. Namgjal berichtete über ihre Fahrt und fügte hinzu, daß sie nur noch für einen Tag Tsamba hätten.

»Weshalb rührt sich Angdu nicht? Schläft er?« fragte Tsembe.

»Ja, ich hoffe es«, antwortete Namgjal. »Unsere Fahrt über den See ging über seine Kräfte. Er hat den Verstand verloren.«

»Ihr müßt wieder ans Land kommen. Das Schicksal will es offenbar, daß wir zusammen Hungers sterben.«

»Du siehst, daß die Entfernung zu groß ist. Wir haben keine Möglichkeit, zu euch zu kommen.«

»Nur ein Steinwurf trennt uns! Ich werde den Strick aus der Schafhöhle holen.«

Er kam sofort mit einem Strick zurück, den er auf seinem Arm aufrollte. Nachdem er an dem einen Ende einen Stein befestigt hatte, warf er ihn nach der Eisscholle. Aber er warf zu kurz. Der Stein fiel schon ins Wasser, als er noch nicht das Drittel der Entfernung überflogen hatte.

»Es geht nicht, es ist zu weit«, jammerte Namgjal.

Die Stunden des Tages verstrichen. Langsam trieb die Scholle an der Insel vorüber. Die beiden zurückgebliebenen Eremiten begleiteten sie den Strand entlang. Bei jeder vorspringenden Klippe und Landzunge machte Tsembe mit dem Stricke einen neuen Versuch, er kam aber nie über die Hälfte des Abstands hinaus.

»Wenn der Wind sich nur ein wenig nach Osten oder nach Norden drehte, wäret ihr in ein paar Minuten hier«, meinte Tsembe.

»Der Drache gibt Angdu nicht frei«, antwortete Namgjal. »Sein Leib soll in die Tiefe hinab; sein Grab auf der Insel soll leerstehen. Wie ihr seht, dreht sich der Wind nach Süden, und die Entfernung von der Insel nimmt zu. Wenn dieser Wind sich hält, können wir uns sehen, solange die Sonne am Himmel steht. Flaut er ab, sind wir auch morgen noch in Sehweite. Dann ist unsere Tsamba zu Ende, und der Hunger beginnt. Wenn ihr in einer Woche zum Tempel hinaufgeht und nach uns Ausschau haltet, sind wir tot. Und wenn der Wind sich später dreht und die Scholle noch vor Sonne und Wellen standhält, seht ihr sie vielleicht abermals an euer Ufer treiben – mit zwei Leichen an Bord. Vielleicht leisten uns dann Geier Gesellschaft. Auf jeden Fall sind dann unsere Seelen auf der Wanderung nach einem andern Ufer.«

Jetzt erwachte Angdu. Er richtete sich auf und sah sich mit irren Blicken um. Als er die Eremiten das Ufer entlang gehen sah, streckte er die Hände nach ihnen aus und rief:

»Ach, Tsembe und Ngurbu Tanduk! Also sollte ich doch schließlich noch zurückkehren, um bei euch zu sterben?«

Den Blick unverwandt auf sie gerichtet, sprang er über die Scholle, ohne auf die Eiskante zu achten, in der wahnsinnigen Absicht, auf dem Wasser weiterzulaufen. Namgjal stürzte hinter ihm drein, packte ihn bei den Schultern und riß ihn am Rande ihres schwimmenden Gefängnisses zu Boden.

»Du Tor! Siehst du nicht den gähnenden Abgrund vor deinen Füßen? Begreifst du nicht, daß du ertrinken mußt, wenn du noch einen Schritt weitergehst?«

Heiser vor Wut zischte Angdu:

»Laß mich los, du Drachenbrut! Wie kannst du mich hindern wollen, in den Winkel meiner Höhle zurückzukehren!«

Damit nahm er alle seine Kraft zusammen, um sich Namgjals Fäusten zu entwinden, in den See zu springen und ans Ufer zu gelangen. Kniend rangen sie miteinander. Namgjal bot seine ganze Kraft auf, um ihn festzuhalten. Angdu war rasend, er schlug um sich und biß dem Kameraden in Hände und Finger, um loszukommen. Beim Anblick des Kampfes auf Leben und Tod fühlten die beiden erschütterten, bekümmerten Eremiten am Strande ihre eigene Hilflosigkeit. Die Entfernung von der Insel nahm zu, die Scholle ließ die Nordwestspitze hinter sich und trieb auf die große offene Wasserfläche hinaus, die sich zwischen dem Delta des Bokain-gol und der Insel Kuisu ausbreitet.

»Nun ist dir's gelungen, du Frevler, du hast mich gehindert, ans Land zu kommen. Die Rettung war so nahe. Wir konnten uns die Hand geben. Nun ist es zu spät. Das sollst du mit deinem Leben büßen!«

»Siehst du nicht, daß wir rasch nach Nordwesten treiben? Dort liegt das Seeufer mit den Nomaden und den weidenden Herden. Dort landen wir morgen und sind gerettet!«

»Elender, du lügst. Nun gibt es keine Rettung mehr.«

Wieder waren seine Kräfte erschöpft. Er sank auf dem Eise zusammen und lag da wie tot. Müde und matt ging Namgjal nach der Eismauer, legte sich dort nieder und schlief ein.

Die Sonne war untergegangen. Kein Wölkchen hatte in den Flammen des Abendrots geglüht. Die Insel schrumpfte hinter ihnen langsam zusammen, und auch nach Mondaufgang blieben ihre Umrisse undeutlich, da ihre Wölbung mit dem Gebirge im Südosten verschmolz. Es wurde grimmig kalt. Nach Mitternacht flaute der Wind ab, und völlige Windstille trat ein. Kein Laut unterbrach das Schweigen ringsum. Hin und wieder, war in der Ferne der Laut eines Nachtvogels zu hören oder das Plätschern eines Fisches, der an die Oberfläche des Wassers kam.

Da erwachte Namgjal plötzlich von einem Scharren in seiner unmittelbaren Nähe. Er fuhr zusammen und hob den Kopf. Ein dunkles Gespenst kam wie eine Katze auf ihn Zugeschlichen.

Es war Angdu. In der rechten Hand hielt er sein Messer; die Klinge blinkte im Mondschein. Pfeilgeschwind stand Namgjal auf, gerade in dem Augenblick, als der Wahnsinnige die Hand gegen ihn zum tödlichen Stoße hob. Ehe er zustoßen konnte, packte ihn der Angegriffene beim Handgelenk und warf ihn über den Haufen. Nun ging es auf Leben und Tod. Mit Aufgebot seiner ganzen Kraft gelang es Namgjal, das Handgelenk des Irren mit der Rückseite gegen das Eis zu pressen. Angdu wurde gezwungen, die Finger zu öffnen, und das Messer entsank seiner Hand. Für ihn galt es, die Mordwaffe wiederzubekommen.

Hart rangen sie miteinander, bald liegend, bald kniend, bald stehend. Der letzte Rest ihrer Kraft wurde verbraucht. Schließlich bot sich Namgjal die ersehnte Gelegenheit, dem Messer einen kräftigen Fußtritt zu versetzen. Klirrend flog es über das höckrige Eis und fiel ins Wasser.

Da richtete der Wahnsinnige seine von unversöhnlichem Haß erfüllten Augen durchbohrend auf den Gegner und ließ ihn los. Dann lief er auf der Scholle soweit als möglich von ihm weg und sank plötzlich zusammen. Ganz von Kräften fiel Namgjal neben der Mauer nieder. Die Aufregung ließ ihn nicht schlafen. Er konnte den Blick nicht von dem Kranken wenden, der wie ein schwarzes Bündel auf dem mondbeschienenen Eis lag.

Zum Verzweifeln langsam ging die Nacht vorüber. Endlich wurde es wieder Tag, und die Sonne stieg auf in einem Meer strahlenden Lichts. Von dem hellen Hintergrund hob sich der Schattenriß der Insel wie ein kleiner schwarzer Punkt ab. Eine wunderliche Stille herrschte auf dem See und in der Luft. Angdu rührte sich nicht; er lag noch immer so, wie er niedergestürzt war. Namgjal glaubte sich daher sicher fühlen zu können. Das Schweigen ringsum wirkte ansteckend. Namgjal schloß die Augen. –

Als er erwachte, sah er zu seinem Erstaunen, daß die Sonne in Mittagshöhe stand. Der neue Tag hatte schon die Hälfte seines Laufs vollbracht. Schlaftrunken und schwerfällig rieb er sich die Augen und ließ die Blicke über den öden See schweifen. Die Stille wirkte beklemmend. Es war die Stille des Grabes. In der grimmigen Kälte war die ganze Umgebung wie in Todesschlaf erstarrt. Kein Hauch rührte sich in der Luft. Vereinzelt klang aus der Ferne der Schrei einer Möwe oder eines Fischadlers. Die Scholle, auf der höchstens noch zehn Zelte Platz gehabt hätten, lag vollkommen regungslos, als wäre sie auf Grund gestoßen oder am Ufer gelandet. Die flache, glatte Dünung, die sonst auch an ruhigen Tagen auf dem Blauen See zu beobachten ist und die bisher immer die Scholle leise geschaukelt hatte, hatte aufgehört. Ein Pfeifen erklang über den Tso-ngombo, wie wenn man eine Peitschenschnur rasch durch die Luft sausen läßt.

Namgjal erhob sich, um den See zu betrachten. Er war gefroren!

Das Pfeifen war durch die Spannung der Eisdecke entstanden, die sich während des stillen, flimmernden Nachtfrostes gebildet hatte. Das Eis war spiegelblank und durchsichtig wie das reinste Glas. Seine Oberfläche war der des ruhigen Wassers so täuschend ähnlich, daß man sie unwillkürlich mit der Hand berührte, um sich zu vergewissern.

Kleine Zitterwellen, die sonst auf dem Wasserspiegel entstanden waren, wenn man auf der Scholle hin und her ging, waren jetzt nicht mehr zu beobachten. Eine Nacht altes Eis, das sich, soweit das Auge reichte, nach allen Seiten zu erstrecken schien, hatte das gebrechliche Fahrzeug der Eremiten eingefangen und es gezwungen, seine langsame Fahrt nach dem Lande einzustellen.

Da begriff Namgjal, daß ihr Schicksal besiegelt war. Die Kälteperiode, die vor ein paar Tagen begonnen hatte, konnte nicht lange anhalten. Und auch wenn sie noch so lange dauerte, konnte das Eis erst dann stark genug werden, um ihr Gewicht zu tragen, wenn sie bereits erfroren oder verhungert waren. Die Luft war ganz ruhig. Eine Brise, die so schwach war wie jene der letzten Tage, die sie an der Insel vorübergetrieben hatte, vermochte die Eisdecke nicht zu erschüttern, und ihre Scholle mußte regungslos liegenbleiben, als wäre sie auf dem Grunde des Sees verankert. Nur warme Frühlingstage vermochten die Eisdecke zu schmelzen, und nur ein kräftiger Wind konnte ihre Brücke zerstören.

»Wenn die Kälte drei Tage anhält,« dachte Namgjal, »können wir die Wanderung über das Eis wagen. Im Nordwesten kann es bis zum Delta des Bokain-gol höchstens zwei Stunden sein. Man erkennt ja die schwarze Linie am Horizont, die ihr Gebüsch andeutet. Aber die Kälte wird nicht anhalten. Es ist ja schon warm wie im Frühling. Was die Eisdecke nachts zunimmt, geht tagsüber verloren. Nur ein starker Südostwind kann uns retten. Ein Nordweststurm, der das Eis aufbricht, wäre für uns der Tod. Unsere Eisscholle ist zu sehr zusammengeschrumpft und von der Sonne zu sehr aufgeweicht, um noch einmal Sturmwogen standhalten zu können.«

Er zog sein Messer heraus, trat an den Rand der Scholle und stieß die Klinge in die frisch gebildete Eisdecke. Sie war nicht dicker, als der Nagel des kleinen Fingers breit war.

»Die Ebene, auf der die Herden weiden, kann nicht unbewegter sein als der Tso-ngombo, der sonst so oft in wahnsinniger Aufregung rast. Der Drache ist mächtig. Da er uns mit Hilfe des Sturms nicht das Leben nehmen konnte, bedient er sich nun der Windstille. Immer sind wir in seiner Gewalt.«

Nun erinnerte er sich Angdus auf der andern Seite der Scholle am Rande des Eises. Vorsichtig trat er an den Alten heran, der immer noch auf dem Rücken lag, die Arme ausgestreckt, die Fäuste geballt und die Augen weit offenstehend. Den Blick hielt er unverwandt auf die Sonne gerichtet. Namgjal befühlte seine Stirn – sie war eiskalt. Er berührte seine Arme und Hände – sie waren steif und hart wie Holz. Angdu war tot.

Namgjal war wohl von einem Wahnsinnigen befreit, der ihm nach dem Leben getrachtet hatte, aber doch befiel ihn das Gefühl hoffnungslosester Vereinsamung! Er fühlte sich von Göttern und Menschen verlassen und bekam fast Angst vor sich selber. Würde er angesteckt von Angdus Wahnsinn? Wie sollte er es die nächsten Tage und Nächte auf dieser elenden Scholle aushalten, die ihn noch gestern vor die Augen der zurückgebliebenen Eremiten und in die Nähe des rettenden Ufers getragen hatte, die heute aber in dünnen Eisfesseln lag? Hätte der Wind angehalten, so wäre er in der Nacht am Delta angelangt. Hier draußen auf dem See mußte er verhungern. Dann schmolz das Eis in der Frühlingssonne, und er sank in dem klaren Wasser unter.

»Vielleicht werden die Geier dem Drachen die Beute streitig machen? – Nein, der Drache ist stärker als sie! Wenn ich tot bin, beraubt er die Raubvögel ihrer Beute, indem er einen rasenden Orkan über den See jagt. Dann wird mein Leib auf donnernden Wogen der Vergänglichkeit entgegenschaukeln.«

Namgjal setzte sich mit übereinandergeschlagenen Beinen neben den Entschlafenen und verrichtete mit, eintönig singender Stimme die Totengebete. Sobald er mit ihnen zu Ende war, kam ihm in den Sinn, daß niemand da war, der ihm den letzten Dienst erweisen konnte. Nur die Frühlingsstürme würden die Grabeslieder singen, wenn er seine Fahrt beendete.

Er stand auf und ging auf der Scholle hin und her. Sie glänzte weiß wie Schnee, seitdem das Eis in der Sonne körnig und porös geworden war. Ringsum gähnte die grundlose Tiefe des Tso-ngombo genau so blauschwarz, als wenn keine Eisdecke darüberläge.

Dann ging er zu dem Toten zurück. Er konnte sich nicht dazu entschließen, ihm seine Lumpen auszuziehen, um sich mit ihnen selbst gegen die Nachtkälte zu schützen. Auf seinem Leib wollte er auch nicht einen Faden tragen, der dem Wahnsinnigen gehört hatte. Das einzige, was er behielt, war Angdus Bündel mit Tsamba und Butter. Damit konnte er sein Leben noch um einen Tag verlängern. Er selbst hatte ungefähr noch ebensoviel übrig und brauchte also erst in drei Tagen zu hungern. Um seinen Durst zu löschen, sog er an kleinen Eisstücken.

»Wäre ich jetzt auf dem Festland,« dachte er, »so würde die Leiche verbrannt und die Asche in einer Tschortenpyramide beigesetzt. Hier draußen auf dem See aber kann kein Feuer ihn verzehren und keine Erde ihn in ihren Schoß aufnehmen. Ich werde wahnsinnig, wenn er hier liegenbleibt mit den stieren, haßerfüllten Augen und den graubleichen, abgezehrten Zügen. Ich muß mich von seinem Anblick befreien und ihn im See versenken. Vielleicht wird der Drache versöhnt, wenn der Alte plötzlich in seinen Saal tritt.«

Er ergriff das Messer und den Stock und trat an den Rand der Scholle, wo der Tote lag. Mit dem Messer hackte er ein Loch, soweit er reichen konnte, mit dem Stocke zerschlug er das Eis und holte mit den Händen die losen Eisstücke auf die Scholle herauf. Als das Loch groß genug geworden war, schob er den Toten in die Öffnung hinab. Das Wasser spülte über Angdus Stirn und Augen und in seinen offenen Mund. Die Füße und Beine waren am schwersten, und langsam sank er stehend in die kalte Tiefe. Lange war er in dem klaren Wasser zu sehen mit ausgestreckten Armen und nach oben gerichtetem weißem Haar. Auf dem Eise liegend, verfolgte Namgjal die letzte Reise seines Kameraden. Der weiße Schädel färbte sich allmählich blau, dann immer dunkler. Die Finsternis der unbekannten Tiefe hüllte ihn ein, und endlich entschwand er den Blicken ganz. Nun kehrte Namgjal nach seinem Lager neben der Mauer zurück und überließ sich ganz seinem Kummer.

»Du wirst verrückt,« sagte er zu sich selbst, »wenn du müßig dasitzt und das unheimliche Erwarten des Todes dadurch verlängerst, daß du Tsamba und Butter ißt. Das beste wäre, du stiegst zu Angdu hinunter und machtest dem Elend ein Ende. Aber ich habe kein Recht, den Göttern vorzugreifen und selbst über mein Schicksal zu bestimmen. Ich muß nur etwas tun, was meine Gedanken beschäftigt und meine Vernunft abhält, denselben Weg zu gehen wie Angdu.«

Er machte einen Rundgang um die Scholle. Hier und da untersuchte er die Dicke des Eises. Dann begann er mit dem Messer die neue Eisdecke aufzuhauen, in der Absicht, so lange damit fortzufahren, bis die Scholle frei würde.

Wenn er das erreicht hatte, wollte er die Scholle auf der freigewordenen Fläche soweit als möglich nach Nordwesten schieben. Dann wollte er fortfahren, das Eis nach derselben Richtung hin aufzubrechen, und die Scholle mit dem Stocke abermals ein Stück weiterzuschieben. Vor Sonnenuntergang hoffte er so, dem Delta ein kleines Stück näherzukommen. Er dachte hin und her, wie er diese verzweifelte Fahrt beschleunigen könnte. Wäre die Scholle nur halb so groß, würde es doppelt so schnell gehen. Aber es fehlten ihm die Mittel, die fußdicke Eisscholle zu spalten, und wenn ein Sturm losbrach, konnte die Scholle zu seinem Heil nicht groß genug sein.

Mit erwachender Lebenslust ging er eifrig ans Werk. Im Nordwesten am Rande des bereits aufgehauenen Loches beginnend, stieß er mit dem senkrecht gehaltenen Stock gegen die Eiskante und zerbrach die Eisdecke in große Stücke. Als er den Ring zur Hälfte aufgebrochen hatte, stand die Sonne bereits wie ein goldenes Segel am westlichen Horizont des Tso-ngombo.

Namgjal setzte seine Arbeit auch während der Dämmerung fort. Als die Nacht anbrach, ruhte er neben der Mauer aus und genoß Butter und Tsamba. Die Sterne funkelten. Sobald der Mond aufging, konnte er seine Sehnsucht, die Arbeit fortzusetzen, nicht mehr bezwingen. Rings um seinen Stab krachten und plumpten die Eisstücke, und die offene Rinne näherte sich dem Anfang des offenen Ringes. Je höher der Mond über den Horizont stieg, um so besser konnte er sein Werk überschauen. Er arbeitete sich warm.

Als es nur noch einige Schritte bis zum Anfangspunkt der Rinne waren, hielt Namgjal plötzlich inne. Er schauerte zusammen, fuhr zurück und stieß einen Schrei des Entsetzens aus, der über das Eis hingellte. Scharf vom Mond beleuchtet, schwamm Angdu unter der glasklaren, dünnen Eisdecke und starrte ihn mit weit aufgerissenen, haßerfüllten Augen an. Den Mund hielt er immer noch geöffnet, als wollte er neue Flüche ausstoßen. Die nach hinten gestreckten Arme und die geballten Fäuste schienen zu einem neuen Angriff bereit. Das lange Haar und die Lumpen der Eremitentracht hingen im Wasser um ihn herum.

Namgjal schlug mit dem Stocke um sich, als hätte er ein Gespenst vor sich, und zog sich fechtend nach der Mauer zurück, als wäre der Wahnsinnige dicht hinter ihm her.

»Aha,« rief er, von seinem eigenen Lachen erschreckt und an allen Gliedern zitternd, »nicht einmal nach deinem Tode läßt du mich in Ruhe. Du warst dort unten nicht willkommen! Du bist zurückgekehrt, um mir in meiner schrecklichen Einsamkeit Gesellschaft zu leisten! Deine Mißgunst konnte es nicht mit ansehen, daß ich mich Tag und Nacht Schritt für Schritt nach dem rettenden Ufer hin vorwärtsarbeite! Aber weshalb kommst du nicht auf das Eis herauf? Wärme kann ich dir zwar nicht bieten – hier brennt kein Lagerfeuer –, aber hier ist es besser als in der kalten verräterischen Tiefe.«

Mit dem Rücken gegen die Mauer, die Hände auf ihrem Rand, starrte er auf die Stelle, wo der Tote aufgetaucht war, nachdem Gase seinen Leib aufgetrieben hatten. So blieb er die ganze Nacht stehen, während der Mond seine Bahn vollendete. Er war ein willenloses Opfer der Vorstellung, daß Angdu aus dem See heraufkriechen, sich an ihn heranschleichen und ihn erwürgen werde, sobald er sich umwende. Und nun stand er da und war auf einen letzten Kampf gefaßt.

Er bemerkte nicht, daß die Sterne im Osten verblichen. Als aber im Südosten zwischen den Bergen ein Donner rollte, glaubte er, es sei Angdu, der ihm drohe und im nächsten Augenblick seinen Kopf mit den bösen, vergrämten Zügen über das Eis emporheben und wie eine Katze an die Mauer heranschleichen würde. Immer mehr Sterne verschwanden. Nach einer Weile war der ganze Himmel wolkenüberzogen, und vom Mond war kein Schimmer mehr zu erblicken. Es herrschte die schwärzeste Nacht. Von Zeit zu Zeit flammten Blitze über den See. Bei ihrem Schein trat alles blendend scharf und klar hervor wie bei Tageslicht; Namgjal aber sah nichts als den Toten, der seinen Blick unverwandt auf ihn gerichtet hielt. Unruhig flogen die Möwen über ihn hin und warnten ihre Genossen mit durchdringenden Schreien. Sie fühlten, daß ein Sturm im Anzug war. Namgjal brachte das Unwetter, das sich rings um ihn zusammenzog, mit Angdus Rückkehr in Zusammenhang. Die Rache des Toten flammte am Himmel. Aus der Tiefe hatte er die Gewalt über die Naturgeister mit heraufgebracht. Er löschte Mond und Sterne aus, um seinen Kameraden im Dunkeln niederschlagen zu können. Weshalb aber wollte er sich rächen? Ach, er war ja den Tod eines Wahnsinnigen gestorben und war in dem Glauben geschieden, Namgjal habe ihn böswillig auf die Eisscholle gelockt.

Der Tag brach an. Im Osten wurde es hell. Hinter bleischweren Wolken ging die Sonne auf. Die Berge rings um den See waren nicht mehr zu sehen, auch die Insel war verschwunden. Aber keine Wolkenmauer ist so dicht, daß die Sonne den Tag nicht schließlich doch zum Siege führte. In seinem gedämpften Licht gewann Namgjal wieder die Herrschaft über sich selbst. Dort lag ja der Tote ebenso regungslos wie im Mondschein, und die Eisdecke über ihm war nicht einmal geborsten. Namgjal faßte neuen Mut und trat näher heran. Um ihn nicht mehr sehen zu müssen, zerschlug er das Eis und schob die Leiche mit dem Stock unter die dicke Eisscholle. Dann fühlte er sich wieder sicher.

Seine Aufmerksamkeit wurde in eine andere Richtung gelenkt. Er musterte Himmel und Horizont. Hoch über ihm jagte eine Wolke die andere; auf der Oberfläche des Sees aber herrschte noch Ruhe.

»Es gibt Sturm«, murmelte er. »Bald werde ich meinen letzten Kampf mit dem See ausfechten. Der letzte muß es sein, da die Scholle einen Sturm nicht zu überdauern vermag. Dazu brauche ich Kraft und Stärke. Es nützt nichts, mit Tsamba und Butter zu sparen.«

Er setzte sich, aß sich satt und ließ so gut wie nichts übrig. Dann gedachte er, müde von der durchwachten Nacht, auszuruhen. Als er aber das Ohr aufs Eis legte, war's ihm, als hörte er das ferne Donnern brausender Wellen. Da begriff er, daß das Unwetter im Osten bereits die weite Wasserfläche des Sees erreicht, die Eisdecke aufgebrochen und die Wellen aufzupeitschen begonnen hatte. Es verging ihm alle Lust zu schlafen. Wenn je, so hatte er jetzt alle seine Geistesgegenwart nötig.

Die Blitze jagten sich so schnell, daß die Wolken zu brennen schienen. Die Donner krachten, als stürzten riesige Tempelbauten zusammen. Das gleichmäßige, ununterbrochene Wogenrollen wurde von Minute zu Minute stärker. Die ersten Windstöße kräuselten das offene Wasser in der Öffnung, die Namgjal mit so vieler Mühe rings um die Scholle aufgehackt hatte, und trieben sie nach Westen. Unter ihrem Druck sprang die dünne Eisdecke wie Glas.

Der Wind wurde heftiger. Die Scholle schwamm schneller und preßte das neue Eis immer stärker. Die durchsichtigen Eisplatten stießen klirrend und rasselnd gegen die Kanten der Scholle und schichteten sich über- und untereinander. Von Osten her erklang betäubendes Krachen. Das waren die ersten Sturzseen, die über das dünne Eis dahinrollten und es zersplitterten. Noch waren sie nicht an die Scholle herangelangt, die, vom Kielwasser abgesehen, überall von Eis umgeben war. Aber die Öffnung an der dem Wind ausgesetzten Seite wurde immer größer. Dort lag Angdus Leiche und starrte, nachdem die Eisscholle über sie weggeglitten war.

»Ich verstehe, du willst meine Niederlage sehen«, rief Namgjal. »Willkommen, Bruder!«

Im Osten sah man die ersten Sturzseen. Schneeweiß hoben sie sich von den bleischweren Wolkenmassen hinter und über ihnen ab. Wenn die Blitze flammten, leuchteten ihre Schaumränder und die kenternden Eisplatten, die sie emporwarfen, wie gewaltige Diamantendiademe.

Der Wind war zu Sturm geworden. Zwischen den Blitzen lag der Tso-ngombo in Halbdunkel. Binnen wenigen Minuten mußte die erste Sturzsee die Eisscholle emporheben. In aller Eile bedachte Namgjal, wie er am besten dem Ansturm der Wogen begegnen könnte.

»Dort, wo die Eismauer gestanden und den darunterliegenden Teil der Scholle gestützt und durch ihren Schatten das Schmelzen aufgehalten hat, ist das Eis am dicksten. Also wäre es gut, im Schutz der Mauer Stellung zu nehmen! Aber sie kann auch von den Wellen losgerissen werden, und dann bekomme ich sie über mich und werde über Bord geschleudert. Es ist sicherer, ein Stück von der Mauer entfernt stehenzubleiben.«

Mit seinem Messer bohrte er wie am ersten Tage ein senkrechtes Loch in das Eis und stieß seinen Stock hinein. Dann kniete er nieder und hielt sich am Stocke fest.

In demselben Augenblick war die Welle da. Sie erhob sich mannshoch. Ihre Gewalt war furchtbar. Namgjal umklammerte den Stock fester. Er sah die Welle wie einen schäumenden, donnernden Wasserfall kommen. Er sah voraus, daß der Schaum der Sturzsee sich auf den dem Winde ausgesetzten Teil der Scholle stürzen und ihn zerbrechen würde.

Jetzt kam die Welle! Krachend zerschmetterte sie die Scholle in mehrere Teile, die sie beim Vorwärtsdringen emporhob. während der Schaumkamm, der die Außenseite der Scholle getroffen und niedergedrückt hatte, kochend über die verschiedenen Eisstücke hinwegspülte.

Namgjal wurde auf eine unerhörte Probe gestellt. Er wurde naß bis auf die Haut und wäre von der Welle fortgespült worden, wenn er nicht den Stock gehabt hätte. Ihn ließ er nicht los! Der Block, auf dem er sich befand, hätte nur noch für zwei Zelte Platz geboten. Blauschwarze Spalten, die sich schnell erweiterten, trennten ihn von den nächsten Teilen der Scholle. In nächster Nähe links sah Namgjal die Eismauer; sie war von der Welle zerrissen; nur noch Reste waren übriggeblieben.

Angdus Leiche, die im Kielwasser der Scholle geschwommen war, wurde vom ersten Wellenkamm emporgehoben und dicht neben Namgjal geschleudert. In aufrechter Stellung mit hocherhobenem Kopf, offenen Augen und geballten Fäusten wurde der Tote auf das Eis geworfen und dann auf den See hinausgespült. Es war das letztemal, daß Namgjal seinen unglücklichen Kameraden sah, der nun in der Tiefe verschwand.

Das Wasser schäumte und donnerte. Der Sturm heulte und preßte. Namgjal merkte, daß er mit unwiderstehlicher Gewalt über den See getrieben wurde. Als der Block ins Schaukeln gekommen war, stieg das weichere Eis mit auf die Wellenkämme hinauf und in die Wellentäler hinab. Die andern Bruchstücke der Scholle blieben zurück. Das Stück, auf dem sich Namgjal befand, trieb schneller, da er dem Wind einen Angriffspunkt bot. Ihm schwindelte, wenn er in diese blauschwarzen Grüfte siedenden Wassers hinabsank und aus der Tiefe durch den nächsten Wellenkamm hindurch, der grün wie Malachit war und wie ein Wasserfall schäumte, das Tageslicht schaute.

Nachdem er einige dieser furchtbaren Schwingungen überstanden hatte, von denen ihn jede mit eiskaltem Salzwasser übergoß, hielt er vom nächsten Wellenkamm aus Umschau. Er sah weder Berge noch Ufer. Überall Sturmnebel und windgepeitschte Schaumstreifen. Die Entfernung von den übrigen Teilen der Scholle wurde immer größer, und schließlich verschwanden sie im Nebel. Ihm war, als hätte er eine Gesellschaft verloren. Ja, er vermißte sogar die Leiche Angdus, der die ganze Zeit, lebend und tot, sein Kamerad im Unglück gewesen war. So einsam wie jetzt war er noch nie gewesen. Es wurde ihm schwarz vor den Augen, als er durch das Wasser hindurch, das ihm die Stirn hinabfloß und sein Gesicht peitschte, seinen einsamen, hellgrünen, blankgespülten Eisblock sah, der auf allen Seiten von dem tiefschwarzen See und dem rollenden, schneeweißen Schaum der Wellenkämme umgeben war.

Gerade wurde er auf den Gipfel einer Welle emporgehoben, als er spürte, daß der Stock aus dem Loche herausglitt, das sich infolge der beständigen Überspülungen erweitert hatte und auch weniger tief geworden war, da jede Welle etwas von der Oberfläche des Blocks wegfraß. Im letzten Augenblick gelang es noch dem Unglücklichen, sein Messer zu zücken und es ins Eis zu stoßen, während der Stock ein Raub der Wellen wurde. Wie lange konnte es nun noch dauern, bis der ganze Block vom Wasser aufgelöst war?

Namgjal schloß mit dem Leben ab, als der Block von neuem mit furchtbarer Gewalt in die Höhe gehoben wurde und krachend zerbarst. Hätte man die Pflöcke am Rande festgemacht, so hätte auf dem Rest der Eisscholle jetzt nur noch ein einziges Zelt Platz gehabt.

Er lag Wind und Wellen zugekehrt, um ihnen Trotz zu bieten und die Muskeln anzuspannen, wenn die Sturzseen anstürmten. Aber bald fühlte er, wie ihm die Kräfte schwanden. Der Griff um den Messerschaft wurde matter und matter. Das eiskalte Wasser, das immer wieder über ihn hinwegspülte, ließ seine Glieder erstarren. Die Hände wurden steif. Er verlor das Gefühl und spürte nicht mehr das Messerheft in der Hand. Nun kam gewiß der Augenblick, wo er auf rauschenden Wellen in die Ewigkeit hinüberschaukelte!

Sein Bewußtsein war an der Grenze angelangt. Jenseits lag das Dunkel. Noch hörte er das Donnern stürzender Sturmwellen und das Pfeifen wassergetränkter Winde. Er vernahm auch betäubendes Donnern hinter sich und hörte, wie es an Stärke zunahm, bis es das Rauschen rollender Wellen übertönte. Das war die Brandung am langsam abflachenden Strand vor dem Delta des Bokain-gol!

Er spürte, wie die kleine, zusammenschrumpfende Eisscholle, als sie noch einmal in ein Wellental hinabsank, heftig aufstieß und ein paar Sekunden vollkommen ruhig liegenblieb. Er merkte auch, wie sie wieder von einer Welle emporgehoben und auf den Strand geworfen und von einer dritten Brandungssee nur eine kurze Strecke weit fortgerissen wurde. Dann hatte er noch so viel Lebenskraft, daß er sich am Strande durch das wirbelnde Wasser hindurch so weit das Land hinaufschleppen konnte, daß ihn die Wellen nicht mehr erreichten. Weiter kam er nicht, er wurde ohnmächtig und fiel nieder. Das Bewußtsein kehrte ihm erst zurück, als er Menschenstimmen um sich flüstern hörte und wohlige Wärme von einem Feuer über sein Gesicht strömen fühlte. Als er die Augen aufschlug, sah er das Innere eines Mongolenzeltes, das sich über seinem Lager aus weichen, trockenen Schafpelzen wölbte.


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