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3.
Steppenbrand

Kaum war Dolma in einer Staubwolke verschwunden, als Dortsche das nächste Kamel beim Halfter packte und sich hinaufschwang, um ihrer Spur zu folgen. Er sehnte sich nach ihr. Eines Tags wollte er vor Sonams Zelt erscheinen, sie rauben und vor sich in den Sattel setzen. Die Versuchung begann Macht über ihn zu gewinnen. Würde er wohl je die Klosterpforten von Jehol hinter sich ins Schloß fallen hören, würde er die Wallfahrt zum Grabe des Taschi-Lama ausführen? Eine Nacht mit Dolma allein in her Einöde! Ob er wohl sich aus ihren Armen zu reißen vermöchte? Mochte es gehen wie es wollte. Jetzt trieb er seinen Renner an, der über das Gras dahinzufliegen schien. Aber der Abstand zwischen ihm und Dolma nahm zu. Dolma hatte ja das beste Kamel.

Die Dämmerung kam und die Dunkelheit. Weit draußen im Norden wurde ein Feuer sichtbar. Langsam wurde es größer. Nach einiger Zeit erklang Hundegebell. Dortsche ritt an das Feuer heran; ein paar Hirten bereiteten in einer Kupferkanne Teewasser und kochten in einem Kessel Fleischstücke und Weizenmehl. Einer der Männer nahm sich Dortsches Kamels an, während dieser sich am Feuer niederließ und in die Flammen starrte.

Die Hunde schlugen an, beruhigten sich aber, als sie sahen, daß die Hirten den Fremdling als Freund und nicht als Feind behandelten.

»Sind das Sonams Kamele, die hier werden?« fragte Dortsche.

»Ja.«

»Wo ist Sonams Tochter?«

»Sie ist in ihre Jurte gegangen – dort, wo der Schein einer Öllampe durch den Türspalt dringt.«

»Kommt sie nicht ans Feuer heraus?«

»Doch, wenn das Abendessen fertig ist.«

»Dauert das noch lange?«

»Nein. Wir haben sie schon erwartet. Sie kann jeden Augenblick gerufen werden.«

Und sie kam. Ein Teppich war gegen den Wind aufgehangen; der Rauch zog nach der andern Seite ab. Ihr Gesicht war scharf vom Feuerschein beleuchtet. Alle Schatten waren schwarz. Nacht umgab sie.

Das Fleisch und das Weizenmehl wurden auf Zinntellern gereicht, der Tee in chinesischen Tassen. Dann gab Dolma den Hirten ein Zeichen, und sie zogen sich zurück. Nur ihr Hund, Tsagan, der Weiße, durfte zurückbleiben.

»Hundert Schritt von hier entfernt«, sagte sie, »steht das Zelt der Hirten. Dort ist ein Filzteppich für dich ausgebreitet, auf dem du heute nacht schlafen kannst. Bei Tagesanbruch werden die Kamele hierhergebracht, und du kannst wählen. Sobald du eines gefunden hast, das dir gefällt, kannst du zu meinem Vater zurückkehren. Du hast übrigens keine Zeit zu verlieren, du willst in Jehol Mönch werden und darfst nicht in den Verdacht kommen, eine Frau auch nur geliebt zu haben.«

»Du hast recht. Deine Schönheit lockt mich fort von Jehol, fort von der schweren Pilgerfahrt. Es ist gefährlich für einen Klosterbruder, eine Sommernacht an deinem Lagerfeuer zu träumen. Wenn ich im Tempel in die Geheimnisse der heiligen Schriften einzudringen versuche, werde ich das Getrappel des Kamels hören, das flink wie die Antilope dich über die Steppe getragen hat. Es wäre besser gewesen, ich wäre geradewegs nach Jehol geritten. Du hast mir meine Reise nicht leichter gemacht.«

»Ich kann das nicht ändern. Um das Zusammensein mit dir zu vermeiden, bin ich in die Steppe hinausgeritten. Sobald wir gegessen haben, verschwinde ich, und du wirst mich nicht wiedersehen. Wenn der Mond aufgegangen ist, reite ich dorthin, wo die Kamelstuten meines Vaters weiden.«

»Mögen die Burchanen, die Schutzgötter, deine Fahrt segnen und die Herden deines Vaters vermehren! Auch ich will versuchen, den Weg der Pflicht zu gehen.«

»Früher rechneten es sich unsere jungen Männer zur Ehre, dem Lande unter den Fahnen der Großchane oder als Hirten in der Steppe zu dienen. Nun verbringen sie ihre Tage im Kloster. Hier in der Wildnis ist deine richtige Heimat. Hier wohnt die Freiheit.«

Sie schlang den nackten Arm um seinen Hals und bat ihn flehentlich:

»Verlaß mich nicht! Bleib da! Denk an die Sommersonne über unserm Zelt, an das Behagen an unserm Feuer, wenn die Winterstürme über die Steppe brausen. Ich werde über deine Pferde und Kamele und deine Schafherden wachen und zu deinem Reichtum und Ruhm beitragen. Die Fürstensöhne, die bereits um meine Hand geworben haben, werden dich beneiden. Vergiß Jehol und seine Beschwörungstänze! Mit den Geistern kannst du viel stolzere Kämpfe in der Wüste ausfechten. Laß den Taschi-Lama in Frieden. Er ist heute ja nur ein Kind. Wenn er zum Mann herangewachsen ist, steht dir die Wallfahrt immer noch frei. Du sprichst davon, daß du deine Pflicht nicht versäumen willst. Aus deiner Geburt erwachsen auch Verpflichtungen. Du bist ein Abkömmling der Eroberer alter Zeiten. Du bist zum Herrscher über die Steppe geboren, nicht zum unbekannten Klosterbruder im Tempel. Du bist dazu berufen, ein Führer der Mongolen zu sein; du sollst ihnen die verlorene Freiheit wiederschenken. Laß uns schon heute abend aufbrechen. Ich folge dir, soweit einst wilde Pferde unsere Väter getragen haben. Die Antilopen und Wildesel sollen sehen, daß ein solches Glück wie das unsere noch nie über die Steppe gezogen ist.«

Sie war heiß und eifrig geworden und schmiegte sich wie ein Kätzchen an ihn. Er wurde wankend. »Mein Vater«, dachte er, »hätte kein sichreres Mittel ausdenken können, um mich an die Zelte zu fesseln und das Kloster vergessen zu lassen.«

Das Lagerfeuer erlosch. Der Mond sah auf sie herab. Sie brannte vor Verlangen. Sie stand auf und zog ihn mit sich nach ihrem Zelt. Der Abend war schwül trotz des herrschenden Ostwinds. Er folgte ihr, nach alter Gewohnheit den Stimmen der Nachtvögel und dem Gesang der Grillen lauschend. Wie bei allen Nomaden war auch bei ihm der Gehörsinn zu größter Schärfe und Feinheit entwickelt. Er war mit dem nächtlichen Leben in der Steppe vertraut. Laute, die Dolma in ihrer Leidenschaft nicht hörte, drangen an sein Ohr. Aus weiter Ferne vernahm er undeutlich angstvolles Wiehern der Pferde und unruhiges Brüllen der Kamele. Er lauschte mit angehaltenem Atem. Hatten Wölfe die Herde erschreckt?

Sie hatten nur noch einen Schritt zu ihrem Zelt, und Dolma streckte die Hand aus, um die Filzdecke vor dem Eingang wegzuschieben und ihn mit sich hineinzunehmen in die weichen Wolfpelzkissen.

Mit einem heftigen Ruck riß er sich aus ihrer Hand los und eilte auf einen Erdhügel neben dem Zelte hinauf. Unverwandt den Blick nach Osten gerichtet, rief er:

» Die Steppe brennt

Wie von einer Schlange gestochen, flog Dolma empor, ließ einen schrillen Pfiff ertönen, um die Hirten zu wecken, und verschwand zwischen Gras und Dickicht nach der Richtung hin, wo die Gefahr drohte.

* * *

Im Frühjahr und im Vorsommer hatte es am Dalainor reichlich geregnet. Das Gras war daher höher, dichter und üppiger gewachsen als seit vielen Jahren. Die Herden waren gediehen. Die Fettschwänze der Schafe wippten runder als sonst, die Kamele ertrugen längere Tagemärsche, und die Pferde waren so munter und wohlgenährt, daß sie schwer zu bändigen waren.

Jetzt aber, im Spätsommer, hatte eine glühende Hitze geherrscht, und kein Tropfen Regen war gefallen. Das Gras war vergilbt und verdorrt, die hohen Halme waren brüchig geworden wie Glas. Seine Nährkraft hatte es nicht verloren, nur seinen Saft, und dieser wurde dadurch ersetzt, daß die Herden öfter nach den Wasserstellen getrieben wurden. Die Nomaden wußten, daß in solchen Zeiten mit dem Feuer vorsichtig umgegangen werden mußte. Lagerfeuer wurden nur auf dem nackten Erdboden angezündet. Setzte Wind ein, während sie brannten, so wurden sie mit Sand erstickt. Im Schutz der runden Jurte war es dagegen ungefährlich, die Flammen zum Rauchfang emporsteigen zu lassen.

Dolmas Lagerfeuer befand sich inmitten eines kleinen offenen Platzes, den in einiger Entfernung hohes, vertrocknetes Gras und dürre Büsche umgaben. Wenn man auf dem Boden saß, konnte man den Horizont im Osten nicht sehen; sobald man aber aufstand, erweiterte sich der Gesichtskreis. Und als Dortsche auf die Höhe hinaufkam, sah er am ganzen Ostrand einen Schein wie Morgenröte unter bleischweren Wolken. Bis die Hirten aus ihren Zelten herausgekommen waren, hatte sich das Bild geändert, und das Feuer war nähergerückt.

Die Erklärung ließ nicht lange auf sich warten. Schon waren ein paar heftige Windstöße, die Herolde des Sturms, heulend und klagend durch das Gras gebraust, mit Sand- und Staubwolken, mit losgerissenen Grasbüscheln und Pflanzenfasern.

Das Feuer breitete sich schnell aus. Schon sah man die scharf rotgelben Flammen, und darüber erhoben sich schwarzbraune Rauchwolken. Alle Einzelheiten der Wolkenbildung waren zu erkennen. Sie drehten sich in Spiralen, die miteinander zu ringen schienen. Ihre Unterseite wurde von dem rotgelben Feuerschein beleuchtet, und helle Rauchsäulen schienen Tunnel in die Rauchmassen hineinzubohren, die wie schwarze Wölbungen aussahen.

Nachdem Dortsche im Nu einen Überblick gewonnen hatte, stürzte er wie eine Wildkatze ins Dickicht hinter dem Mädchen her. Er hatte sich nicht aus der Ruhe bringen lassen und überschaute kaltblütig die Lage. Er hatte gesehen, daß der Feuergürtel von Osten her lückenlos auf sie zuraste und daß er an den beiden Seitenflügeln sich rascher vorwärtsbewegte. Als er und das Mädchen nach Osten eilten, wo die Kamele und einige Pferde weideten, stürzten sie sich gleichsam in einen Sack hinein. Wenn sich die beiden Flügel im Westen vereinigten, konnten weder Mensch noch Tier lebend aus dem Feuermeer herauskommen.

Dolma hatte sofort an die Tiere gedacht, die ein paar tausend Schritt östlich von ihrem Lager weideten. Dortsche verstand sie und folgte ihr auf den Fersen. Hier und da hörten sie in immer größerer Nähe scheues, unruhiges Brüllen und Wiehern, sowie Rufe der Hirten, die bei den Tieren draußen waren.

Immer deutlicher roch man den stechenden Rauch brennenden Grases. Dolma eilte auf eine kleine Erhöhung hinauf, nicht höher als sie selbst, und spähte nach allen Seiten. Von dem flammenden Hintergrund in Nordosten hoben sich wiegende Kamelrücken als schwarze Schattenrisse ab. Die Tiere waren vor Schrecken sinnlos. Anstatt nach Westen, vom Feuer weg, zu eilen, konnten sie plötzlich sich umdrehen und auf die Flammen zueilen, bloß, weil sie einen Feuerstreifen vor sich sahen, den der Sturm von dem brennenden Gras des Nordflügels losgerissen hatte. Die Hirten versuchten sie aufzuhalten und zurückzutreiben, vermehrten dadurch aber nur ihre Angst und Verwirrung.

Schon spürte man die Hitze, sah die Flammen wie flatternde Fahnen sich am Boden vorwärtsfressen und hörte es in den dürren Büschen und Halmen prasseln. Die Sterne verblichen und verschwanden hinter den Rauchwolken.

Die Funken flogen in Schwärmen über die Steppe, und da und dort, wo glühende Halme niedergefallen waren, fing das Gras Feuer, und ein neuer fauchender und zischender Gürtel drängte im Gefolge des Sturms mit seinen Feuerzungen heran. In wenigen Minuten mußte der Rückweg abgeschnitten sein. Das Gras war so erhitzt, daß es im Nu überall auf einmal in Feuer aufgehen konnte.

Als Dolma die Kamele erblickte, stürzte sie von dem Hügel herunter und rief Dortsche zu:

»Hier kommen sie! Fang ein Pferd und schwing dich hinauf! Treib die Kamele vor dir her nach Westen! Ich werde sie auf der linken Seite nach der richtigen Richtung treiben.«

Das Getrappel der Kamele und Pferde kam immer näher heran. Als die Herde wie ein Orkan in knisterndes Dickicht und Reisig einbrach, liefe Dolma beruhigende Rufe und lange, schmeichelnde Pfiffe ertönen. Die Kamele wandten die Köpfe und horchten. Einige blieben stehen, andere wiegten sich verwirrt bald hier bald dahin. Im Handumdrehen warf sich Dortsche auf ein Pferd und ritt soweit als möglich nach Osten, wo die äußersten Flammenzungen schon das Gras versengten. Dann stieß er einen schrillen Schrei aus, streckte die Arme in die Höhe, klatschte in die Hände, preßte das Pferd zwischen die Knie und trieb die Kamelherde in tollem Lauf nach Westen. Ohne zu begreifen, wie sie dorthin gelangt, sah er Dolma an der Spitze und vernahm ihre freundlichen Lockrufe. Die Kamele folgten ihr in einem Knäuel. Rechts drang der nördliche Feuerflügel vor. Im Osten war in einiger Entfernung die Steppe ein einziges brennendes Meer. Dortsche mußte glauben, sie seien alle verloren. Öfter war er nahe daran, im Rauch zu ersticken. Die Tiere husteten und schnaubten. Angst glühte in ihren brennenden Blicken. Dolma aber bekam sie in ihre Gewalt und riß sie mit fort, und Dortsche sorgte dafür, daß kein einziges Tier zurückblieb.

So raste die wilde Jagd einige Minuten lang nach Westen. Staub wirbelte um die Schar empor und wurde vom Sturm fortgetrieben, umleuchtet von ganzen Funkenschwärmen. Im Norden war das Feuermeer kaum hundert Schritt entfernt. In derselben Richtung erblickte Dortsche eine Wasserfläche, einen schmalen See, der sich nach Osten und Westen erstreckte. In seiner Mitte lag eine Schlamminsel. Der Steppenbrand hatte bereits das Ost- und Nordufer des Sees erreicht, wo das Wasser dampfte.

Plötzlich machte Dolma halt und stieß einen neuen Ruf aus. Damit zwang sie die ersten Kamele in das Wasser hinaus, das ihnen bis an den Rücken ging. Von Dortsche getrieben, folgte die ganze Herde nach und erreichte die Insel. Der See war nicht mehr als fünfhundert Schritt breit. Jetzt begriff Dortsche die Absicht des Mädchens. Auf der Insel waren die Tiere außer aller Gefahr. Aber zu seinem Schrecken sah er, daß sie sich verrechnet hatte. Sie hatte am Südufer gewartet, bis die ganze Herde im Wasser war. Erst dann hatte sie, immer an der linken Flanke, bis an die Spitze des Zugs vorzureiten versucht, um die Tiere dazu zu bringen, auf der Insel haltzumachen. Das Wasser spritzte an ihr empor. Aber noch ehe sie die Insel erreichte, hatte sich die Herde bereits auf der andern Seite wieder in den See gestürzt. Dort war das Wasser tiefer, und die Kamele schwammen. Die Pferde prusteten und schnaubten.

Um größere Bewegungsfreiheit zu erhalten und ihr Reitpferd nicht unnötig zu belasten, warf Dolma den Pelz ab und befreite sich von den Stiefeln. Die weiten Hosen, die ein Riemen um die Mitte festhielt, waren das einzige Kleidungsstück, das sie trug, und ihr junger Körper leuchtete rot im Feuerschein.

Dortsche bewunderte ihre Schönheit, ihren Mut und Kühnheit. Er selbst hatte seinen Pelz nicht loswerden können. Mit der rechten Hand hielt er sich an der Mähne seines Pferdes fest, mit dem linken Arm schwamm er neben ihm. Dolma hörte nicht auf, die Herde zu ermahnen. Die Tiere schienen sie zu verstehen.

»Es geht gut«, rief sie. »Am Nordufer liegt ein Streifen Salzboden, dem das Feuer nichts anhaben kann. Wir sind auf dem Wege dorthin.«

Im selben Augenblick bekamen die Kamele festen Boden unter die Füße. Ermüdet und fast zerspringend vor Atemnot, strebten sie plätschernd das Ufer hinauf und trabten auf dem Salzgürtel weiter.

»Du brauchst sie nicht mehr zu treiben!« rief das Mädchen. »Siehst du, dieser Satzgürtel erstreckt sich wohl tausend Schritt nach Norden. Wenn wir hier halten, glaube ich, kann die Gefahr nicht an uns heran. Aber der Gürtel ist schmal, und im Norden grenzt ein zwei- oder dreihundert Schritt breiter Steppenstreifen daran. Jenseits von ihm erstreckt sich die Wüste mehrere Tagereisen nach Norden.«

»Wäre es nicht besser, gleich bis dorthin weiterzureiten?« fragte Dortsche.

»Nein, mögen die Tiere erst eine Weile verschnaufen. Du siehst, sie sind am Ende, sie können nicht mehr.«

»Vermißt du einige, oder sind sie alle gerettet?«

»Ein paar fehlen, aber ich bin froh, daß so viele mit dem Leben davongekommen sind. Ohne deine Hilfe wäre das nicht möglich gewesen. Wie viele Kamele und Pferde wirst du in Jehol retten können? Du hast heute nacht mehr genützt, als du hinter deinen elenden Klostermauern in einem ganzen Leben nützen kannst.«

Dortsche schien sie nicht zu hören. Er beobachtete die leuchtende Bahn des Steppenbrands.

»Du siehst, daß das Feuer von Osten und Westen zugleich heranrückt, und daß der Salzgürtel so schmal ist, daß wir mit den Tieren hier gebraten werden können. Reiten wir lieber weiter nach Norden bis zur großen Salzwüste.«

»Du hast recht. Vorwärts!«

Wieder rief sie, und die Kamele folgten ihr. Das Getrappel auf dem harten Boden wurde übertönt vom Geheul des Sturms und dem Zischen und Sausen des vordringenden Feuers.

In ein paar Minuten waren sie an dem Steppenstreifen angelangt, der überschritten werden mußte, als das Feuermeer wie ein Lavastrom von Osten herangewälzt kam. Die Tiere ahnten die Gefahr und folgten ihrer Führerin, die immer mehr nach Westen abbog, um den mit rasender Geschwindigkeit heraneilenden Flammen zu entgehen. Schon hatte sie die schmale Grenze zwischen der Steppe und der Salzwüste erreicht, und die ersten Kamele liefen ruhig weiter nach Norden, da sie in dieser Richtung keine Spur von Brand mehr sahen. Sie selbst hielt am Rande, um die Schar zu erneuter Anstrengung zu mahnen. Sie freute sich über jedes Tier, das heil hinüberkam.

Schon waren alle gerettet – da stieß sie einen verzweifelten Schrei aus. Unmittelbar vor dem Pferde, das Dortsche ritt, fauchte ein Flammenstreifen durch das Gras heran. Dortsche hatte nur noch ein paar Pferdelängen vor sich, und er stieß mit aller Macht dem Tier die Hacken in die Seiten.

Aber das Pferd scheute vor der Hitze, erstickte im Rauch, stürzte und warf den Reiter ab. Im nächsten Augenblick erhob sich das Pferd, wieherte ängstlich nach den Kameraden, kehrte um, stürzte geradewegs ins Feuermeer hinein und bäumte sich inmitten der Flammen wie ein schwarzer Salamander empor, bis es tot in dem brennenden Grase niederfiel.

Schlimm sah es auch für Dortsche aus. Er raffte sich auf, löste mit einem Handgriff seinen Gürtel, um den Pelz zum Schutz über den Kopf werfen zu können, und stürzte nach Westen, wo das Gras niedriger und das Feuer weniger heftig war. Er war, ohne es zu wissen, bereits dem Rande der Salzwüste ganz nahe. Seine Augen hielten die Hitze nicht aus. Dolmas Rufen hörte er nicht. Auf die Gefahr hin, zu verbrennen und für immer verunstaltet zu werden, stürzte sie sich, halb nackt wie sie war, mit ein paar Katzensprüngen in die Flammen und zerrte Dortsche mit aller Macht am Pelze nach der Richtung, woher sie gekommen war.

Er fühlte ihren Griff und verstand, was sie wollte. Den rechten Arm schlang er um ihren Leib, schlug mit der Linken seinen noch triefend nassen Pelz um ihren Körper und eilte entschlossen nach der Richtung, die sie angab. Als er trotz der übermenschlichen Anstrengung mit seiner Last plötzlich stürzte und halberstickt liegenblieb, war er schon ein paar Schritt über die Feuergrenze hinausgelangt.

Dolma hatte kürzere Zeit als Dortsche den Atem anhalten müssen. Weder das Feuer noch der Rauch hatten ihr etwas anhaben können. Sie schlüpfte aus dem Pelz heraus und schleppte Dortsche noch ein paar Schritt von dem brennenden Grase weg. Dann zog sie ihm die Stiefel aus, deren Sohlen glühten, wand ihm einen Zipfel des Pelzes um die Stirn, um sie abzukühlen, und infolge ihres Willens, ihn zu retten, brachte sie seine Lebensgeister bald wieder in Gang. Er schlug die Augen auf und schaute verwundert in das Feuer, das sich in seiner Nähe vorüberwälzte. Das Wiehern scheuer Pferde frischte seine Erinnerung auf; er holte einigemal tief Atem und war binnen kurzem wieder hergestellt.

Im Norden breitete sich die schwarze Nacht. Dort war kein Feuer zu sehen. Dort lag, wie Dolma gesagt hatte, die Wüste. Im Osten, woher der Steppenbrand gekommen war, wurde es dunkel. Das Gras war niedergebrannt. Nur hier und da glühten noch dichteres Gebüsch und die zähen Stämme der Tamarisken. Im Süden wurde das schwarze abgebrannte Land da und dort von zerstreuten Feuerstreifen erhellt. Nur im Westen, wo der Steppenbrand weiterging, war es noch taghell.

Die beiden befanden sich in der alles Pflanzenwuchses baren Salzwüste, die im Norden an die Steppe grenzte. Einige Schritt von ihnen entfernt lag ein Dickicht von verdorrten Tamarisken. Dorthin ging Dortsche, brach einen Armvoll Äste und Zweige ab, die er auf einen Haufen legte und anzündete. Der Sturm ließ allmählich nach, und die Nacht wurde kühl.

Während Dolma saß und träumte, rang Dortsche das Wasser aus seinem Pelz, und als dieser endlich trocken geworden war, hüllte er das Mädchen hinein. Mit einem Tamariskenstamm lockerte er den sandigen Boden an der Windseite des Feuers. Dort bettete er Dolma und gab ihr ein Reisigbündel als Kissen. Sie schlief bereits. Er selbst streckte sich neben dem Feuer aus und fiel in schweren Schlaf.


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