Gerhart Hauptmann
Wanda
Gerhart Hauptmann

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Fünfundzwanzigstes Kapitel

Haake, als er sich auf den Weg machte, um mit Wanda zu verhandeln, wußte, was er erreichen wollte. Auch wie er es erreichen und durchsetzen wollte, wußte er, nämlich vermöge einer meisterhaften Schachpartie, in der jeder Zug nach allen Seiten und Möglichkeiten erwogen war und deren genauen Plan er mit sich führte. Durch die Partien, die er mit Förster Ronke gespielt hatte, war er auf dieses Gebiet, wie er glaubte, eingefuchst. Zug und Gegenzug, Rede und Gegenrede in der kommenden Auseinandersetzung mit Wanda waren mit Hellsicht vorausgesehen. Teufel auch! ihre Waffen, ihre Kampfesweise, Seitensprünge und Finten kannte er ja. Es war kinderleicht, sie zu parieren. So weit der Dünkel, dem Haake verfallen war. Aber der Bildhauer war nicht so dumm, daß er sich, als Wanda an seinem Halse hing, noch weiter ein X für ein U hätte machen können. Seine Partie war, mitsamt dem Schachbrett, schon vor dem Beginn des Spieles hinweggefegt.

Berechnung und Leben sind zweierlei! dachte Haake. Wo immer das Leben, und wenn es flugs der bewegte Sternenhimmel ist, einer Berechnung unterworfen wird, bleibt Berechnung Berechnung und Leben Leben! Lippe an Lippe mit seinem Weibe, im zärtlichen Sturme des Wiedersehens Leib an Leib gedrückt, fühlte er die ganze Majestät, die ganze Unberechenbarkeit, die ganze Unzähmbarkeit der Natur und sah in jedem Versuch, sie gängeln zu wollen, die kläglichste Unzulänglichkeit. Von dieser Erkenntnis sollten doch endlich die Menschen, denkt er, jederzeit und nicht nur beim Tornado auf hoher See, nicht nur beim Versinken des Vulkans und der Insel Krakatau, nicht nur bei Erdbeben und Überschwemmungen Gebrauch machen.

»Komm, komm! Sei gut! Komm mit zu den andern, sie sind alle so lustig! Wir sitzen dadrin in der kleinen Gaststube.« Und dann zischte sie ihm hastig immer wieder ins Ohr: »Ich liebe dich, Paul! Ich liebe dich, Paul! Dich habe ich immer und immer, ich habe dich immer und immer ganz allein geliebt, Paul! Komm mit!« kam es dann wieder laut von ihren beredten, küssigen Lippen. »Komm mit, sei kein Spielverderber, Paul!«

Da sah er es wieder, was ihn verrückt machte: die feine Nasenspitze, die sich ein wenig über die Oberlippe beim Sprechen herunterbog. Und dann ebendiese Oberlippe, die sich, wenn Wanda schmollte, kindlich vorstreckte, mit der Drolerie eines Kindermundes, der sich saugend über der Brustwarze seiner Mutter bewegt. Was sollte nun werden? Wo sollte das hinführen? Mieke Ronkes Schreiben, beim Ansturm Wandas heftig zusammengeknautscht, raschelte mahnend in der Brusttasche. Wie hatte er sich je auf eine Unternehmung einlassen können, wie diese war?! Er war ja ins eigene Verderben gelaufen!

Er folgte ihr an den Flunkert-Tisch. Und während des Gehens nannte er sich im stillen einen Gänserich, den eine Füchsin dazu bewegt, im Fuchsbau Besuch zu machen.

»Ach, Paul, wir sind alle heute so vergnügt! Freilich haben wir alle ein bißchen getrunken. Dann komm' ich mit dir! Wir sind ja doch schließlich Mann und Frau, da kann uns ja niemand etwas anhaben!«

Wie Butter am Feuer zerflossen seine Vorsätze. Wie Butter am Feuer loderte seine Leidenschaft! Wie Butter am Feuer schmolz er an dem Flunkert-Tisch! Gegröl, Geheul, erstaunte Ausrufe, ein vulkanischer Ausbruch von Freude, Liebe und Herzlichkeit! Neben dem erhabenen Busen der Direktorin glänzte, im letzten Stadium vor dem Eintritt völliger Trunkenheit, Egon Schmidt – Baron Römerscheid! Vergiftet durch Alkohol und durch Nikotin, hatte er Perlen auf der Stirne und eine leichenhafte Gesichtsfarbe. Aber er hatte total vergessen, daß er ein Urkundenfälscher, ein Konvertit, ein Betrüger, ein Bube war, der Haakes Glück gestohlen und dafür nur ein einziges, an seinem Hinterkopf zerschmettertes Glas als Gegenleistung zu buchen brauchte. Begeistert trank er dem Bildhauer zu, der seinerseits nichts vergessen, aber im Augenblick – beweist mir, denkt er, daß das Leben je anders war! –, im Augenblick alles und alles verziehen hatte.

Dem Bildhauer wurde zwischen der Witwe Flunkert und Flunkert junior Platz gemacht. Man hatte hier ein ganz neues Verhältnis zu ihm. Heut war er der Meister, der große Herr, der sich herabgelassen hatte, mit dem in Berührung zu kommen ehrte und schmeichelte. Herr Professor hin, Herr Professor her! Die Witwe Flunkert zerfloß in Süßigkeit. Sie benutzte jeden unbeachteten Augenblick, um ein Spiegelchen aus dem Busen zu ziehen und Puder und Schminke zu erneuern. Flunkert junior hatte die Augen gewaltsam aufgerissen und sich ebenso gewaltsam emporgereckt, als stünde er im Begriff, seine größte Nummer auszuführen. Kuckuck! Was trug der Meister für eine Nadel im Atlasplastron! Was hing da für eine lange, schwere, goldene Uhrkette! Maskos allein hatte nichts getrunken. Er grinste Haake mit diabolischer Starrheit an, als wenn ihm die Dummheit des Mannes, die Leere der zwei Begriffe Ruhm und Ansehen, die ganze Nichtsnutzigkeit der Welt in seiner Person aufginge.

Eigentümlich genug, Haake war gerührt und geschmeichelt von seinem Empfang. War es der arme Steinmetzlehrjunge und Steinmetzgeselle, war es der arme Handwerksbursche, der in ihm lebendig wurde und ihn gerade hier, unter diesen Leuten, den Wechsel seiner Glücksumstände mit Genugtuung genießen ließ? Sich perschen und protzen war nie seine Sache. Er überließ das den saudummen Puten weiblichen und männlichen Geschlechts, die in allen Ständen und Orten die überwiegende Mehrzahl ausmachen. Heute prahlte er immer drauflos, einem Gänserich, mit dem er sich allbereits verglichen hatte, wirklich an Dummstolz nicht nachstehend. Den Schubiack, an dessen Kopf er ein Glas zerbrochen hatte, nannte er unentwegt Herr Baron. Er sprach von Kardinälen, Botschaftern, sprach zu seinem eigenen Erstaunen, was er seit Jahren nicht getan hatte, von den Damen Ingeström. Er hätte beinahe die eine geheiratet, im letzten Augenblick mochte er nicht. Es paßte ihm nicht. Er war eigensinnig: es waren Piefkes, das Mädel war spießig und langweilig. Auf Haakes Wink ergoß sich eine Sintflut von deutschem Sekt über den Tisch. Hier war ein Mäzen: der dicke, kleine Stadtrat und der Redakteur des Lokalblättchens hatten sich daraufhin an den Tisch geschmuggelt. Dieser übte durch die Anwesenheit der Schlangendame Minka Brüll und der Signorina Adriana Tomalla, einer neuengagierten Kunstreiterin, noch besondere Anziehungskraft. Stadtrat Müller war Witwer und hatte nicht wieder geheiratet. Auf die Frage, warum er von einer neuen Ehe nichts wissen wolle, pflegte er: »'s is hibsch so!« zu antworten. Diese Charakterfestigkeit hatte ihn zu einem der fortgeschrittensten Elemente in Zobten gemacht. Er war tolerant und in keiner Beziehung engherzig. An moralischen Vorurteilen krankte er nicht. Die Anwesenheit des Stadtrates und des Redakteurs, die den Künstler von vornherein anstaunten, peitschte Haake in einen förmlichen Wirbel von Renommisterei: »Wissen Sie noch, Baron . . .« Es kam nochmals der Kardinal, nochmals der Botschafter, nochmals kamen die Damen Ingeström. Es kam ein Wirklicher Geheimer Rat. – »Exzellenz, es tut mir leid, auf die Änderung meines Entwurfes kann ich nicht eingehen! – Durchlaucht, suchen Sie sich einen anderen Bildhauer! – Der Oberst der päpstlichen Garde kam öfters zu mir. Was hat dieser Mensch meinem Hennessy-Kognak zugesetzt!«

Wanda war förmlich verglast vor Stolz und Freude. Heut hätte sie niemand, nicht Gott, nicht Teufel, ihrem angetrauten Gatten abgejagt.

 


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