Gerhart Hauptmann
Wanda
Gerhart Hauptmann

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Siebentes Kapitel

Haake war eine Bärennatur. Aber der Zustand, in den er durch diese Erfahrung gestürzt wurde, war doch so, daß ihn acht Tage lang kein Mensch zu sehen bekam. Bedauerlicherweise war dies nur der Anfang einer langen Leidenszeit.

Als sich am dritten Tag weder Tür noch Tor des Ateliers öffnete, mußte man darüber ins reine kommen, ob Haake darin verschlossen sei. Nach vielem Pochen und Rufen hörten dann die Kollegen seine Stimme. Er gab die Erklärung ab, daß er nichts bedürfe und im übrigen wohl und munter sei.

In Wahrheit befand er sich im Zustand völliger Lethargie. Im Anfang hatte ihn hauptsächlich Scham in sein Versteck gedrängt. Er schloß die Türe von seinem Schlafraum ins Atelier und legte sich auf sein Bett, nachdem er das einzige kleine Fenster zu seinen Häupten dicht verhängt hatte, eine gleichsam symbolische Handlung, welche die völlige Umnachtung einer bestimmten herrlichen, sonnigen, nun verscherzten Aussicht ins Leben bedeutete. Er legte sich gleichsam in sein Grab, da ja nun auch der Leben lügende Dämon in seinem Innern getötet und nicht mehr wirksam war. Waschi, die Katze, war ausgeschlossen.

Wie kam es, daß der robuste Mensch in diesen Zustand der Ohnmacht versinken konnte? Hatte ihn vielleicht ein langes, geheimes seelisches Leiden innerlich ausgehöhlt und war jetzt zur Krisis ausgeschlagen? Es gehörte zu Haakes Wesen, daß er nicht etwa nach und nach korrumpiert werden konnte, sondern sich plötzlich und fast bewußt fallen ließ. Dieser Bruch der Damen mit ihm war natürlich auf die Machenschaften irgendeines geheimen Gegners und Neiders zurückzuführen. Man lebte ja nicht allein zwischen den weiten Horizonten des Ewigen Roms, sondern war in ein kleines deutsches Künstlerdorf eingeschlossen, dessen Bewohner dafür Sorge trugen, daß Neid, Haß, üble Nachrede, Ehrabschneiderei und Verfolgungen nicht ausstarben. Aber was hatte es für einen Sinn, sich dawider aufzulehnen oder den Lumpenhund zu suchen, der diese erfolgreiche Mine gelegt hatte? Zu ändern war so oder so an der Sache nichts. Hätten die Damen ihn gehört, denen wahrscheinlich von irgendeiner Seite ein Teil seines Vorlebens in gehässiger Weise unterbreitet worden war, so wäre ihm doch fortan der Weg zu Carola durch die eiserne Mauer seines eigenen Stolzes verschlossen geblieben. Und übrigens: irgend etwas aus seiner Vergangenheit abzuleugnen, lag ihm nicht. Die ersten vierundzwanzig Stunden verbrachte der Künstler in Entspannung bis zur Bewußtlosigkeit. Sie war nicht allein eine Folge des ungeheuren Kräfteverbrauches, den eine gewaltige seelische Erschütterung mit sich bringt, sondern die Folge der Arbeit des ganzen Winters. In seiner Werkstatt standen die Zeugen seiner übermenschlichen, pausenlosen Arbeitswut. Es ekelte ihn, sie zu sehen, ja, auch nur an sie zu denken widerte und empörte ihn. Waren sie aus der Erbschaft entstanden, die ihm im Blute saß, jener geduldigen, durch die Jahrhunderte bewährten, blut- und schweißgebadeten Arbeitskraft seiner Voreltern, so gehörte vielleicht zu dieser Erbschaft ein durch die Jahrhunderte summierter Arbeitshaß, eine Jahrhunderte unerfüllte Sehnsucht nach ruhigem Müßiggang, die sich ebenfalls auswirken wollte. Halb und halb dachte dies Haake selber: er genoß . . . ja, er genoß eine durch Jahrtausende der Arbeit gleichsam verdiente Lebensmüdigkeit mit dem Wunsche zur letzten Ruhe.

War denn nicht das eigentlich hinter allem Roboten am Bau des Lebens uneingestandenermaßen einzige Sehnsuchtsziel der Tod? Eine schöne Magd hatte vor Jahren außerehelich ein Kind bekommen, dessen Vater Paul Haake war. Er war nicht der Mann, es abzuleugnen. Als er das Wurm bald nach seiner Geburt erblickte und bei seinem Anblick erwägen mußte, was alles es durchzukämpfen haben würde, ehe es auch nur so weit wäre, als er damals war, wurde ihm schrecklich schlimm zumute, weil er zweifelte, daß es etwas gäbe, was diese unendlich vielen Schrittchen und Schritte, Schmerzen, Krankheiten, Enttäuschungen, Qualen und Mühseligkeiten lohnen könnte. Nur deshalb, weil er es verneinte, ging er befreit, wenn auch erschüttert, hinter dem Totengräber her, als dieser, das Särgelchen am breiten Gurt wie einen Leierkasten vor der Brust, den eben geborenen Erdenbürger wieder zu Grabe trug.

Später wußte es Haake nicht, ob er beinahe acht Tage nur darum ohne Nahrung geblieben war und nur Wasser getrunken hatte, weil er sich durch Hunger töten wollte. Als der Schlosser die Pforte geöffnet, weil Willi Maack gekommen war und, nachdem er von der Sachlage Kenntnis genommen, dies in der ersten Bestürzung veranlaßt hatte, fand man Haake bewußtlos und fiebernd vor, und schon eine Stunde darauf lag er, von Willi Maack übergeführt, im Deutschen Krankenhaus, wo man Typhus als Krankheitsursache feststellte. Wahrscheinlich hat der alleinige Genuß schlechten Leitungswassers im Atelier eine Woche hindurch die Infektion verursacht.

Das war der Abschluß von Paul Haakes römischem Aufenthalt.

Vier Wochen nach seiner Einlieferung befand sich der Kranke auf dem Wege der Besserung. Dem Tode mehrmals auf Haaresbreite nah, rettete ihn seine Bärennatur. Damals lag das Deutsche Krankenhaus auf dem Kapitol. Sein Garten stieß an den oberen Rand des Tarpejischen Felsens. Dort saß Haake täglich unter Blumen, überwölkt von der weißen Blütenwolke eines alten Apfelbaumes. Aber er dachte nicht daran, sich über den Felsen hinunterzuwerfen: er saß so lange, bis er wieder leidlich gehen und stehen konnte und, menschliches Heimweh im Herzen, das Krankenhaus verließ. Jede Vorsorge war von dem guten Willi Maack getroffen worden, der so lange in Rom ausharrte, bis er seinen Freund außer Gefahr wußte. Er hatte inzwischen die letzten Arbeiten seines Freundes abgießen lassen und alle Hohlformen, auch die, welche schon vorhanden waren, unter seiner Bewachung sorgfältig in Kisten verpackt, nach Breslau gesandt. Mitte Juni traf Haake selbst dort ein, nachdem er sich in einem Alpendorf der Schweiz völlig von seinem Leiden erholt hatte.

 


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