Gerhart Hauptmann
Wanda
Gerhart Hauptmann

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Neuntes Kapitel

Am folgenden Tage wachte er in Breslau unter den Gipsabgüssen eigener Plastiken auf. Er rieb sich die Stirn, er sann eine lange Weile über die Wechselfälle des Lebens nach und geriet in ein endloses Philosophieren.

Von dem kleinen, staubigen Nebengelaß, in dem seine Feldbettstelle stand, konnte er durch die offene Tür seine Werkstatt überblicken. Er war wieder dort, wo er hingehörte: sollte er nicht zufrieden sein?

Gegen zehn Uhr wurde ein Schlüssel im Schloß der kleinen Empfangspforte herumgedreht. Ahnungslos trat sein Gehilfe und Faktotum Neumann ein, der einzige, den er zurückbehalten, nachdem der Toberentz-Brunnen das Atelier verlassen hatte. Gipse, Torsen, Studien dieses Brunnens standen, lagen, hingen umher.

Über die Anwesenheit seines Meisters war Neumann im allerhöchsten Grade erstaunt, da er seit Wochen nichts von ihm gehört hatte.

Der Briefkasten an der Türe wurde ausgeräumt. Eine Menge eingeschriebener Briefe waren angezeigt. Es fanden sich Karten des Bürgermeisters und mehrerer Stadträte. Vor länger als einer Woche war der Künstler von einem Geheimen Oberregierungsrat zu einer Besprechung auf sein Amtszimmer gebeten worden, wahrscheinlich wegen der Professur. Der Zuschlag für ein Kriegerdenkmal in Gleiwitz war erfolgt. Haake konnte spüren, sein Glück war gemacht und er eine anerkannte Größe geworden. Also war nun wirklich erreicht, worauf er mit zäher Ausdauer durch viele Jahre, unter Entbehrungen aller Art, hingearbeitet hatte. Er hatte eigentlich nie recht satt zu essen gehabt, ja oftmals wirklich Hunger gelitten. Seine Gesundheit war zeitweilig durch Mangel unterminiert. Mehrmals hatte man ihn in der dritten Klasse irgendeines Hospitals unterbringen müssen, seine Lunge war angegriffen. Dem allen schien er nun plötzlich für immer entronnen zu sein.

Er fühlte es, bevor es eigentlich in die Erscheinung trat. Auf diese Empfindung waren seine Heiratspläne und auch andere aufgebaut, wie zum Beispiel der, seine Mutter zu sich zu nehmen. Sie war jetzt nah an siebzig Jahr und verdiente ihr kärgliches Brot mit Abwaschen.

Was ist es doch für eine verdammte, verdammte, verfluchte, verfluchte Gemütsverfassung, daß mir das alles so verdammt gleichgültig geworden ist! Ohne den Sinn seiner Flüche laut auszudrücken, schwenkte er sich aus dem Bett und mit vielen Verwünschungen auf die Beine.

Der Bildhauer pflegte sein Faktotum bei den wichtigsten Angelegenheiten ins Vertrauen zu ziehen. Neumann wäre auch ohne das von dem niederschmetternden Schlage unterrichtet gewesen, mit dem die Flucht des Modells den Meister getroffen hatte. Er hatte ja alles miterlebt: Wandas Erscheinen, seines Meisters daraufhin verdoppelte Arbeitswut, das Entstehen von Werken, nach ihr geformt, Tongebilden, die er monatelang durch Umhüllen mit nassen Tüchern vor dem Vertrocknen geschützt hatte. Die gleiche Herkunft von Meister und Faktotum bewirkte eine gewisse Intimität. Das Wort »Meester«, mit dem Neumann Haake anredete, hatte hier keinen anderen Sinn als jenen, der ihm im Verkehr eines gewöhnlichen Handwerksgesellen oder ‑lehrlings mit seinem Meister eigen ist. Der Gesprächston war auf gleich und gleich abgestimmt. Dennoch hegte Neumann im Grunde seines Herzens für diesen Menschen, der sich auf so märchenhafte Weise über seinen Stand in die oberen Sphären zu erheben begann, scheue Bewunderung und ordnete sich ihm vollkommen unter. Daß ein Aufstieg wie dieser möglich war, schmeichelte seinem Standesgefühl, und er folgte ihm mit ängstlich besorgter Teilnahme, immer bestrebt, in gefährdeten Augenblicken hilfreich zu sein.

»Nun also, ich habe sie wiedergefunden, Neumann! Das ist, sage ich dir, ein richtiger Fall von Mädchenraub. Aber, verstehst du, sprich nicht darüber! Einen Skandal kann ich jetzt nicht brauchen, Neumann. Es wird alles gut. Ich behalte mich ganz in der Hand, Neumann. Es hat mich ja sehr stark mitgenommen, wie du weißt. Ich wäre beinahe, hopplahopsa, hops gegangen. Ein Haar, und ich hätte mir das Saufen angewöhnt. Ich wollte mich förmlich am liebsten totsaufen. Was kauft man sich da für Leonardo da Vinci und Michelangelo?! Ich wollte den ganzen Bettel hinschmeißen. Aber nun, Ehrenwort, Neumann! wird alles gut. Ich hole mir nur etwas Geld, um sie einzulösen. Hauptsache ist, daß wir mal erst heiraten. Ich werde dann erst mal mit ihr nach Rom reisen, erst mal noch einige Eindrücke holen, und dann fängt die Arbeit im großen an. Da sollen die Deutschen schon mal was zu sehen kriegen! Lege mir alles zurecht, Neumann, meinen großen neuen Schlapphut, meinen Radmantel. Es ist zwar warm, aber ich nehme den Radmantel. In diesem Saunest regnet es ja jeden Augenblick. Schwarze Hose, schwarzer Rock! Zunächst gehe ich aufs Rathaus zum Bürgermeister, dann aufs Oberpräsidium. Vielleicht kann ich den Geheimen Oberregierungsrat umstoßen. Übermorgen reise ich nach Gleiwitz und kassiere mir einen gehörigen Vorschuß ein. Du, Neumann, gehst inzwischen zu Maack. Willi soll um zwölf Uhr pünktlich bei mir sein. Sag ihm, ich bin wieder auferstanden.«

Willi Maack war schon im Atelier, als der Bildhauer ziemlich unverrichtetersache zurückkehrte. Der Bürgermeister hatte ihn nicht empfangen, ebensowenig der Oberregierungsrat. Er war ziemlich aufgebracht darüber.

Aber Willi Maack, ein junger, vielbeschäftigter Architekt, brachte ihn bald auf andere Gedanken durch eine Flut von tragikomischen Vorwürfen, die er über ihn ausschüttete. Dieser Schlesier, der wie ein Japaner wirkte und sich den bayrischen Dialekt angewöhnt hatte, blitzte seinen Freund aus lustigen Augen und blies ihn aus ungewöhnlich großen Nasenlöchern an. »Wo host du denn gesteckt? Na so ein Kerle! Ich hob ein ganzes Schock Aufträg anderweitig vergaben müssen. Da kannst di nit wundern, wannst auf die schiefe Ebene kommst, auf die große Rutschpartie nach unten. Scheene Sachen kriegt man z'heeren von dir! Alle Augenblick wird der pp. Michelangelo b'soffen in die Gräben g'funden! Wannst glaubst, daß dös g'heim bleiben kann, Paulus an die Korinther, bist aber sehr erheblich schief g'wickelt! Sehr erheblich, sog i dir. Wofür sind denn die Stadträt alte Waschweiber? Du bist net empfangen worden vom Oberregierungsrat. Das war alles fertig zur Unterschrift – jetzt hat man wieder Bedenken bekommen. Konnst denn nit warten mit deinem G'sauf, bis d' Professor g'worden bist? Mußt denn die Leut vor den Kopf stoßen? Ein Kerl wie du, der das Zeug zu einem neuen Michelangelo in sich hat! Ein solcher Kerl, der gar nicht wert ist, was er ist, läßt sich von so einem Aas ans Bein binden! Nix bleibt geheim: in was für einem Aufzug man irgendwo g'sehn worden ist, wie man sich irgendwo betragen hat, wie man durchgebleut worden und im Dreck gelegen ist. Iberall haben die Leut ihre Zuträger. Zeig mir oan Ort, wo d' Regierung nöt ihre Spitzel hat!«

Der Bildhauer wußte, was er an Willi besaß. Er hatte jedoch eine gewisse Erbschaft in seinem Blut, die ihn zuweilen dem Jähzorn auslieferte, wie etwa damals, als Flunkert junior einen Tritt ins Rückgrat erhielt. Solchen Ausbrüchen ging meistens ein tückisch verstocktes, blutunterlaufenes Schweigen voraus. Als Willi dieses unter seinen Worten aufkommen fühlte, zog er andere Saiten auf.

»Paulus, als ich hörte, du wärest wieder da, hob i an großen Luftsprung von drei Ellen g'mocht. Wannst jetzt hier bleibst, kannst das Geld scheffeln. Das Geld kannst scheffeln, sog i dir! Und außerdem, nix is einstweilen verlorn. Wannst di hier oan oder zwaa Monat auf d'Hosen setzen tust, nacha bist Professor und host an Ateljee in der Kunstschul!«

Nun aber brach die gestaute Wut des verärgerten Bildhauers doch noch aus, Gott sei Dank nur in einem Schwall von Worten. Am meisten wurde eine bestimmte Redensart wiederholt: »Sie sollen mich doch . . .! Der ganze Magistrat . . . die ganze Regierung soll mich doch . . . insbesondere der Regierungsrat! Ihr könnt mich alle, wie ihr gebacken seid . . .

Was sollten sie doch? Was konnten sie doch? Es handelt sich hier um drei Worte der Sprache, die sehr leicht zu ergänzen sind.

 


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