Gerhart Hauptmann
Wanda
Gerhart Hauptmann

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Fünfzehntes Kapitel

Der letzte Zirkusbesucher hatte sich mit der letzten Droschke entfernt, als Haake, der in bitterem Schamgefühl Willi verabschiedet hatte, noch immer auf seine Frau wartete. In das weitläufige Gebäude einzudringen, wozu ihn wütende Eifersucht, verbunden mit marternden Vorstellungen, allerdings stachelte, hätte keinen Zweck gehabt. Er hätte nach Flunkert fragen müssen, der wahrscheinlich schon über alle Berge war. Wenn er nach seiner Frau gefragt hätte, so war er dem Gelächter des zahllosen Personals ausgeliefert: je heftiger er sich gebärdet hätte, um so mehr.

Wanda konnte bereits zu Hause sein. Sie mochte ihn gesucht und nicht gefunden haben, sowie auch er sie vergeblich gesucht hatte. Also schlug er den Heimweg ein, die erste Droschke, die ihm begegnete, anrufend.

Seine Ungeduld peitschte ihn. Aber je mehr deshalb der Kutscher das arme, von ramponierter Haut überzogene Pferdeskelett vor dem Wagen peitschte, um so weniger schien es vom Fleck zu kommen. Dieser abgeschundene, gleichsam nur durch Prügel noch am Leben gehaltene Gaul und die nickenden Götter der »Klosterglocken«: welcher Gegensatz! Sic transit gloria mundi! ging es Haake durch den Kopf.

Er fand seine Gattin zu Hause nicht. Jetzt erkannte er erst die ganze furchtbare Tatsache, mit der er sich abzufinden hatte. Das lange Geahnte, lange Gefürchtete war nun da. Wäre es der Tod selber gewesen, das fast ungläubige Staunen Haakes hätte nicht können größer, seine Empfindungen nicht aufgewühlter sein. Nachdem er alle Zimmer, auch das Schlafzimmer, mit dem Licht einer Kerze durchleuchtet hatte, lief er noch immer in seiner Wohnung, wie in Katakomben, herum: taumelnd, obgleich er nichts getrunken hatte, und fast erblindet vom Ansturm des Unfaßbaren, griff er wie nach einem Strick in die Luft.

Wie sollte er über die Nacht hinwegkommen?!

Durch Dreckhöllen, Kothöllen, Schlammhöllen, bestialische Lust- und Durstmartern seiner rasenden Phantasie schleifte ihn seine Eifersucht. Es war nicht möglich, die Augen zu schließen, und war es möglich, so half es nichts. Was man nicht sehen wollte noch konnte, mußte man sehen: Mißbrauch, Unflätigkeit, Vergewaltigung, ohne zuspringen, retten, hindern, würgen, auf dem niedergeworfenen Verbrecher knien, ihm den Rippenkasten zerdrücken, ihm die Faust ins Maul stopfen, ihn erstechen, erschlagen, ermorden zu können. Haake führte die Selbstgespräche eines Wahnwitzigen. Er ging Stunde um Stunde, wie von dumpfer Tollwut befallen, in der Wohnung umher, Worte bald zischend, bald belfernd, bald heulend hervorstoßend. Dazwischen immer zusammenschreckend und lauschend, wenn ein Geräusch auf der Straße, ein Geräusch im Hause, ein Knacken in der Wohnung zu hören war. Bei solchem lautlosen Lauschen kam es ihm vor, als wenn er Jahrtausende tot und begraben wäre. Das Geräusch seines eigenen Atems, seiner eigenen Luftröhre erschreckte ihn. Kleine, von dorther kommende Pfeiflaute verlegte er auf die Straße, als ob ein Diebsgesindel oder ein Kreis von Häschern um das Haus sich durch Pfiffe verständige. Erst gegen zwei Uhr morgens war Haake auf einem Lehnstuhl eingenickt.

Da sprang er auf. Er war plötzlich hellsehend. Ihn wunderte nicht, daß sich in der Entreetür ein Schlüssel umdrehte. Wenn sie nicht heimgekommen wäre, blitzte es flüchtig durch seinen Kopf, es würde am Ende besser für sie gewesen sein.

Und schließlich auch noch für mich, dachte Haake.

Unbefangen und scheinbar frisch, mit der sinnlosen Frage: »Hast du lange gewartet?« trat sie ein. Sie setzte hinzu: »Jetzt aber zu Bett, ich bin schrecklich müde!«

Er gab keine Antwort. Sie ging ins Schlafzimmer.

Sie kam wieder und fragte: »Kommst du, Paul?«

»Wo bist du gewesen?« war seine Frage.

»Morgen, morgen! Erst laß mich ausschlafen! Morgen erfährst du es alles, erfährst es haarklein. Es ist ein wahrer Kuddelmuddel! Dem begegnet, den erkannt, dich gesucht, umhergelaufen, einem in die Droschke gestiegen, Restaurant, wo Maack verkehrt. Du nicht da, der muß fort. Lasse mich überreden, zu bleiben . . .«

Wandas Rede ward abgerissen. Sie hörte, wie eine schreckliche Männerstimme sie fortsetzte: ». . . lasse mich überreden, zu bleiben, lasse mich überreden, mit Flunkert in die Droschke zu steigen, lasse mich von ihm befingern, begreifen, abknutschen, lasse mich von ihm überreden, mit ihm in ein Absteigequartier zu gehen, lasse mich von ihm überreden, zu ihm ins Bett zu steigen, lasse mich von ihm . . . weil ich eine Dirne, ein gemeines Frauenzimmer, ein gemeines Luder, eine Hure bin!« – Und nun schüttelte sich, in Kübeln gleichsam, Sprachjauche über Wanda aus, die mit einem dreimaligen Pfui! davonlief und sich in ein Zimmer verschloß.

Aber er fand den Zugang dazu mit Fußtritten und Faustschlägen. Sie schrie, sie floh, sie verkroch, sie versteckte sich. Zuletzt in der Küche, wo er einen Staubwedel vom Hänger riß. Der Stiel war dasselbe biegsame Rohr, das früher die Schullehrer zur Züchtigung von Knaben benutzten. Sie war halb entkleidet. Was sie noch anhatte, riß er ihr ab. Und nun sauste der Rohrstock, bis Haake die Rechte lahm wurde und Wanda, alle viere von sich streckend, wie tot auf der Erde lag.

Dort ließ er sie liegen und ging zu Bett.

Morgens kündigte ihm das Dienstmädchen. Aber Wanda war nicht mehr da. Sie war mit dem und dem Koffer, den und den Schmucksachen auf und davon gegangen.

 


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