Gerhart Hauptmann
Wanda
Gerhart Hauptmann

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Neunzehntes Kapitel

Aber es war da, dieses andere!

Warum sah er das schindelbedeckte Forsthaus mit dem Rosengärtchen an der Giebelseite und der großen, spiegelnden Glaskugel mit so zärtlich beglückten Augen an? Warum liebte er das wilde Gewucher von Unkraut, Nesseln, Stechapfel, Distel und Schafgarbe, Mauerpfeffer und Natternkopf, das aus den fauligen Abwässern hinter Schuppen und Kuhstall aufgeilte und eine Woge bunten, wuchernden Lebens gegen die Mauer warf? Er fand es billig und gönnte es diesen Schmarotzern, über die sich blühende Obstzweige ausstreckten, wenn sie ihr Recht zu leben durchsetzten und, als gehörten sie dazu, sich in den Schatten des traulichen Hauswesens eindrängten. Wenn Mieke die Hühner und Tauben lockte, so spitzte auch dies Gewühle die Ohren, wie Haake schien, und sendete gleichsam Wolken von Mücken und weißen Schmetterlingen, die den blonden Scheitel des Mädchens mit seiner Krone von armesdicken Zöpfen umtanzten. Dem Bildhauer schien es wie eine Huldigung. Lange fühlte er, wie dies alles außer von dem Lichte der Frühlingssonne noch von einem anderen, in ihm selber wohnenden Lichte beleuchtet war, ohne zu wissen, wer dieses neue Licht entzündet hatte. Schließlich aber wußte er plötzlich, daß zwischen ihm und der Försterstochter irgend etwas Unausgesprochen-Nichtauszusprechendes im Werke sei. Was ihm nie in Gegenwart eines weiblichen Wesens begegnet war, das geschah ihm jetzt: im Verkehr mit Mieke wurde er linkisch, schüchtern, unsicher. Manchmal kam er sich wie ein schwarzer, häßlicher Sünder vor, für dessen verderbtes Blut sich jeder diesem unverdorbenen, kerngesunden Kinde geltende Herzschlag verbot. Schließlich wußte er, daß er sie liebte, die für ihn selbst ein nie geahntes Wunder bedeutete. Allein erst lange, nachdem er diese Entdeckung gemacht, die er vor jedermann mit peinlicher Sorge verbarg, gewann eine Hoffnung, eine Gewißheit in ihm Raum, daß er nicht vergeblich werben würde, falls er frei wäre.

Dies war ein Plan, mit dem er liebäugelte. Er wollte zunächst seine Scheidung betreiben und durchsetzen, dabei, ohne neue Aufträge anzunehmen, die übernommenen Arbeiten fertigstellen. Der größte Teil des Erlöses sollte dazu dienen, hier am Ort, wo man jederzeit in den Ärzten und Gästen der Sanatorien auch städtischen Umgang haben konnte, ein bestimmtes kleines Gehöft zu kaufen, das Haake bereits ins Auge gefaßt hatte. Ein Atelierraum wurde mitten in den Gras- und Obstgarten hineingebaut. War dies geschehen, so wollte Haake das Naturkind Marie Ronke heiraten. Er besaß sein Studio, und sie hatte ihre geliebte kleine Landwirtschaft. Aufträge nahm er nicht mehr an oder nur solche, die er in Görbersdorf ausführen konnte. Im übrigen wurde ausschließlich nach eigener Neigung gearbeitet. Für den bequemeren Gelderwerb kamen die Porträts reicher Leute in Betracht, an welchen in den Sanatorien nie Mangel war.

Seine Pläne teilte Haake seinem Freunde Willi mit, als dieser ihn abholte. Der Abschied wurde ihm nicht leicht. Auch das Försterkind hatte Tränen im Auge. Dies waren die Worte, mit denen er Abschied nahm: »Binnen kurzem werdet ihr von mir hören, gute Leute!« – Seine Werkstatt in Breslau gähnte ihn an. Seine Wohnung existierte nicht mehr. Die Einrichtung hatte der Architekt verkauft, Wandas Kleider und sonstige Sachen in einigen Kisten einmotten lassen und auf einen Speicher gestellt. Haake, von der städtischen Atmosphäre angewidert, begann trotzdem wie rasend zu arbeiten. Er nahm mit einem Rechtsanwalt Rosenstock Verbindung auf, womit eine lange Kette von Querelen ihren Anfang nahm. Wanda wollte auf keine Scheidung eingehen, außer es würde ihr eine Summe gezahlt, die den Bildhauer ruiniert hätte. Schuld an der ehelichen Zerrüttung trage sie nicht, sie werde auch eine Schuld nicht auf sich nehmen, die ihr niemand nachweisen könne. Haake habe die Ehe gebrochen. Sie sei von Haake brutal mißhandelt worden und habe fliehen müssen, weil ihr Leben gefährdet gewesen sei. Dafür hatte sie ärztliche Zeugnisse. Für den Fall, daß Haake im bösen die Trennung durchsetzen wolle, drohte sie mit Enthüllungen. Sie werde schaudererregende Dinge offenbaren, die sich von irgend jemand bieten zu lassen keine Ehefrau gehalten sei.

So lagen die Dinge auf eine niederdrückende Weise aussichtslos. Wanda war wieder Kunstreiterin. Augenzeugen berichteten, daß sie jetzt gewisse Künste auf einem kleinen Schecken ausführe, wozu sie Flunkert dressiert habe. Haake wollte nichts wissen davon. Leider konnte er nicht vermeiden, manches andere zu hören, was sein Anwalt von dem ihm befreundeten Sachwalter Wandas erfuhr, der seit Jahren Vertrauensmann und Berater der Zirkusfamilie Flunkert war. Vergeblich hielt er sich, immer zu spät, die Ohren zu. Er wollte loskommen, wollte nur loskommen, alles andere war ihm gleichgültig.

Eines Tages besuchte ihn der Grünrock Ronke im Atelier. Um so größer war die Freude des Bildhauers, als er eben wieder in der Scheidungsangelegenheit Beweise von der Perfidie der Gegenpartei erhalten hatte. Es konnte nicht anders sein, wenn diese Lumpencanaille, dieser Flunkert, dahinterstand. Nachdem er, freudig erregt und mit einer Lebhaftigkeit, die bei ihm selten war, den Forstmann in seine Werke und sein Wirken eingeweiht hatte, überkam ihn ganz ungesucht ein Zustand der Offenherzigkeit, in dem er Ronke zum Mitwisser seiner augenblicklichen Kämpfe machte.

Ronke war eine ungewöhnliche Persönlichkeit, aber ein Beamtencharakter. Nicht eigentlich kirchlich – seine Kirche war die Natur –, hatte er doch über Ehe und eheliche Treue die strengsten Ansichten. Scheidung und Erdbeben bildeten für ihn ein und dieselbe Ungeheuerlichkeit. Darum hatte auch Haake erkannt, daß er, wenn er nicht jede Aussicht bei Vater und Tochter verscherzen wollte, sich dieser nur onkelhaft nähern durfte und seine Projekte geheimhalten mußte, solange er anderweit gebunden war. Dies hatte er, wie gesagt, erkannt und erkannte jetzt, es sei ratsam, abzubrechen und insonderheit alle Erörterungen über Beruf, Wesen und Herkunft seiner in Trennung lebenden Frau unterwegs zu lassen, da Ronke durch das Gehörte bereits in Verlegenheit gesetzt worden war.

Im Schweidnitzer Keller war alles vergessen. Man schlug, Willi Maack als Dritter im Bunde, eine Wiener-Würstchen-Schlacht. Ronkes Leistungen waren auf diesem Gebiet und im Leeren des Methornes ungeheuer. Eröffnungen, die man ihm auf seinem fürstlichen Kameralamt gemacht hatte, gaben ihm hinreichend Grund, guter Laune zu sein. Sein bisheriges Revier war ja eigentlich auch schon eine Oberförsterei. Nun aber hatte man ihn für die Verwaltung weiter Waldungen vorgesehen, welche in eine Menge Oberförstereien zerfielen, die ihm damit unterstellt wurden, ein ungeahnter Erfolg seiner Lebensarbeit, der kaum mehr zu überbieten war.

 


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