Gerhart Hauptmann
Wanda
Gerhart Hauptmann

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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Zu Ende August war in der Scheidungssache immer noch nicht der geringste Fortschritt zu verzeichnen, und zwar hauptsächlich, weil ein Ehebruch Wandas nicht durchaus zu beweisen war. Selbst die Beobachtungen und Erkundigungen durch geheime Kundschafter hatten darüber nur Wahrscheinlichkeiten ergeben, aber keine Gewißheit erbracht. Der Anwalt Wandas bestand auf einer großen Geldsumme, da Paul Haake unbedingt als schuldiger Teil anzusehen sei. Sie würde den Bildhauer beinahe ruiniert haben, abgesehen davon, daß ihn der bloße Gedanke peinigte, diesem verderbten Geschöpf, dieser Beischläferin von Flunkert junior eine Ehrenerklärung zu geben und diesem Halunken, der ihm die Frau gestohlen hatte, noch eine Geldsumme in den Rachen zu werfen: denn darauf kam es schließlich hinaus.

Haake hatte auch anderen Ärger gehabt. Eine Arbeit, die er für seine beste hielt, war ihm von einer städtischen Kommission nicht abgenommen worden. In einem Ausbruch blinder Wut schlug sie der Bildhauer kurz und klein. Gott sei Dank war eine sogenannte echte Form davon vorhanden. Aber der Künstler trug eine innere Wut davon, die ihm, stechend, nagend und brennend, nicht selten den Schlaf raubte.

Die Begegnung mit dem Musikus Maskos hatte irgendwelche offensichtliche Folgen nicht nach sich gezogen. Der Forstmann Ronke hatte am Ende keinen Anstand an dem seltsamen Menschen genommen, ja sogar immer wieder erklärt, wie interessant ihm der Einblick in die Welt des Artistentums gewesen sei. Gewisse geheime Wirkungen aber in Haakes Seele waren da. Die Schilderungen des Nomadenlebens der kleinen Gauklertruppe und seiner fast ungeheuren Ausmaße gingen ihm nach. Sie vermischten sich mit den unaustilgbaren Eindrücken seiner Handwerksburschenzeit, wo Wechsel der Arbeitsstelle, überhaupt Ortswechsel Pflicht gewesen war. Er hatte bei mehr als dreißig Steinmetzmeistern als Geselle gearbeitet, war länger geblieben, wo es ihm gefiel, und beim kleinsten Mißbehagen weitergezogen. Dann fand er sich wieder auf der Landstraße, die ihm immer wieder die Last der Arbeitsfron von den Schultern nahm. Lohnte es eigentlich, sich fast bis zur körperlichen und geistigen Zerrüttung an die Entstehung eines Kunstwerkes zu verschwenden, dem doch schließlich kein anderes Schicksal blühte – dies zeigte eine gewisse städtische Kunstkommission – als der Perle, die vor die Säue geworfen wurde?

Es blieb der Görbersdorfer Plan.

Der mit allen Hunden gehetzte, mit allen Wassern gewaschene Willi Maack hatte bald erkannt, daß man schöne Aufträge fischen konnte, wenn man sich mit dem werdenden Generalgewaltigen des Fürsten X. zu stellen wußte. In den neuen, ungeheuren Revieren mußte ein Verwaltungsgebäude mit anstoßenden Pferdeställen und Kuhställen, Heuböden und einem Gesindehaus errichtet werden. Etwa ein Dutzend neuer Forsthäuser waren vorgesehen. Ronke war ahnungslos genug, die Einladung des treuherzig lustigen Architekten anzunehmen und bei ihm zu wohnen, wenn er, was nun öfter geschah, nach Breslau kam.

In die Zeit eines solchen Besuches fiel die Taufe von Willi Maacks Stammhalter. Der Taufvater hatte die Schalkhaftigkeit, den Forstmann, den er, wenn er nicht zugegen war, abwechselnd Asathor, Barbarossa oder Hakelberend nannte, neben Paul Haake als Taufpaten einzuspannen.

Das Taufessen, in dem geräumigen Speisezimmer einer wundervollen, mit vielem Geschmack eingerichteten Etagenwohnung abgehalten, gab Haake Gelegenheit zu stillen Vergleichen mit einem anderen, dem er beigewohnt hatte. Die wohltemperierte Geselligkeit gab ihm Zeit, in Gedanken abzuschweifen oder hinter den Gestalten der gegenwärtigen Tafelrunde andere auftauchen zu lassen. Da war die hübsche, aus gutem kölnischen Bürgerhause stammende Frau, deren Betragen erkennen ließ, daß sie sich bewußt war, dieses Heimwesen durch ihr Jawort an Willi eigentlich begründet zu haben. »Warum lachst du?« fragte Willi den Bildhauer. Es war geschehen, weil dieser plötzlich an Stelle der reichen Kölnerin den tätowierten Riesenbusen der Witwe Flunkert und ihre qualmende Riesenzigarre bemerkt hatte. An Stelle des fetten Bürgermeisters, den Frau Maack zum Tischherrn hatte, schob sich das geistvoll-lustige, übermütig-mokante Antlitz Tom Billings ein, der plötzlich aufstand und, eine Pfauenfeder waagerecht auf der Nase balancierend, um den etwas gelangweilten Tisch tänzelte. Denn die an sich heiter zufriedene, selbstbewußt überlegene Hausfrau in wahre Geselligkeit zu verwickeln war schwer. Selbst der Humor und die Derbheiten ihres Gatten ließen sie völlig unbeteiligt. Gern hätte man über Willi gelacht, über das, was er in beinahe monologischem Holterdiepolter an verrückten Ansichten, Urteilen, Witzen bewußt oder unbewußt humoristisch zum besten gab. Man sah jedoch auf die Frau und getraute sich nicht. Wie vielfältig, dachte der Bildhauer, wenn auch mit unsichtbaren Schnitten, doch dieses Tischtuch zerschnitten ist, zwischen Willi und seiner jungen Frau, zwischen ihr und jedem ihrer Gäste! Willi merkt es nicht, oder es stört ihn nicht: Nu, wenn schon! ich bin ein Emporkömmling, sie hat sich zu mir herabgelassen. Sie ist unter ihren Stand heruntergerutscht. Das Leben ist eben 'ne spickige Sache! Muß man eben erst recht hoch 'naufrutschen! – Schließlich wurde der Täufling gebracht. Die Bettchen, die Windeln waren dieselben, in denen schon die Mama gequäkt hatte. Sie hatte dasselbe Häubchen mit Brüsseler Spitzen auf, als ihr Kopf noch den Umfang eines Gänseeis nicht überschritten hatte. So waren auch das kostbare Tafelservice, das Silber, die Weingläser alter Familienbesitz und vor allem der Markobrunner, der Rüdesheimer und der Johannisberger, was von Haake am meisten gewürdigt wurde. Schließlich wurde man doch etwas lebhafter. Die vorzügliche Küche und eben der Wein bewirkten das. Ronke und Willi machten Projekte. Dieser hatte dem prächtigen Menschen Verwaltungsgebäude, Ställe und Dienstwohnung auf das herrlichste an die Wand gemalt. Der Forstmann quoll über von Behagen und Begehrlichkeit. Paul Haake konnte nicht recht vergnügt werden. Die Prügelszene in der Falschmünzervilla stieg ihm auf, wie der Vater den kleinen Jungen, die Taufgesellschaft aber den Vater zerprügelt hatte. Und schließlich lag dieser kleine, vom Leben so fürchterlich mißhandelte Bengel als blaue, triefende Wasserleiche auf dem Tisch.

Der Schluß des Festes brachte Haake, der scheinbar an diesem Tag mit dem linken Bein zuerst aus dem Bette gestiegen war, noch eine kleine Mißstimmung. Während man sich im Vorraum für die Straße zurechtmachte, meldete sich Haake für die nächsten Tage bei Ronke an. Es zog ihn aus vielen Gründen und mit allen Kräften nach Görbersdorf, wo er auch seine Mißstimmung der zurückgewiesenen Arbeit wegen loszuwerden hoffte. Hatte ihn doch der Ärger auch während des Taufessens nicht verlassen, da der Bürgermeister zugegen und außerdem recht gekniffen war.

Also Herr Ronke möchte so freundlich sein, ihm wieder das Giebelzimmer einzuräumen.

Aber nein, das tat Herrn Ronke diesmal sehr leid: seine Frau war krank – was sie immer gewesen war! –, ein neuer Forsteleve war eingetreten, und außerdem wollte er nicht mehr vermieten. Ihm aber ein ebenso gutes Zimmer anderweit zu besorgen, war er gern bereit.

 


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