Gerhart Hauptmann
Wanda
Gerhart Hauptmann

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Achtzehntes Kapitel

Der Bildhauer hatte mit Vergnügen die ritterliche Art bemerkt, mit der Tom Billing seine kleine Wanda betreute. Er füllte ihr Glas, er legte ihr vor und sorgte dafür mit der Weltgewandtheit eines Gentleman, daß sie sich nicht einen Augenblick langweilte. Die kleine Mignon sah reizend aus, wurde aber von Tom scheinbar nicht für mehr genommen als ein Schulmädchen. Sie war natürlich entzückt von ihm. Sie möge ihn in Berlin besuchen, er werde ihr einige Tricks auf dem Drahtseil zeigen, sagte er. Sie seien sehr leicht, er schenke sie ihr, sie werde großen Erfolg damit haben.

Weniger zufrieden als Paul Haake war Balduin mit dem Anteil, den Billing an der Kleinen nahm. Er zeigte Verstimmung und schoß hin und wieder boshafte Blicke. Seine Mutter sowohl als die eben erstandene Wöchnerin sahen mit Sorge, daß sich drohendes Gewölk auf seiner niedrigen Stirn zusammenzog. Sie versuchten es immer aufs neue, ihn aufzuheitern. Ein breites Grinsen im Gesicht des Musikers Maskos verriet, daß er über das, was die Frauen ängstete, viel eher eine hämische Freude empfand. Als nun die Einladung Toms, nach Berlin zu kommen, an Wanda ergangen war, rollte Flunkert mit beiden Händen einen Blechlöffel, als wenn er von Wachs wäre, und drückte ihn dann zu einem Klumpen mit der rechten Hand.

»Wenn ich will, wird sie nach Berlin fahren, wenn ich nicht will, bleibt sie hier!«

Das war ein Wort, welches drei Menschen starr und zwei davon erblassen machte. Am tiefsten erblaßte Elsa, die Mutter des Taufkindes, Paul erblaßte nicht ganz so sehr, Tom Billings kurze Erstarrung wurde sogleich von einem Ausbruch seiner überlegenen Heiterkeit weggefegt.

»Aber natürlich«, sagte er, »ein klein, klein Mädchen fragt doch Papa, wenn es eine so große Reise unternehmen will. Und Sie sind doch ihr Chef, mein lieber Flunkert!«

Die eben erstandene Wöchnerin, die nach dem Ereignis ihre Nerven noch nicht ganz in der Hand hatte, stopfte das Taschentuch in den Mund, konnte aber doch nicht verhindern, daß sie plötzlich mit unterdrücktem Schluchzen fragte, was denn eigentlich ihr Gatte dawider haben könne, wenn Wanda Herrn Billing besuchen ginge.

»Und ich möchte fragen«, mischte sich plötzlich der Bildhauer ein, »wer darüber einzig und allein zu bestimmen hat.«

»Das habe nur ich! Nur ich ganz allein!« sagte, indem sie Tom Billing anblickte, Wanda.

Tom lachte auf: »Es gibt also hier drei verschiedene Ansichten!«

Die Direktorin sagte mit einer Spitze gegen den Bildhauer: »Es ist Auffassungssache, wer in dieser Frage zuständig ist.«

»Wer es wissen will: ich allein bin zuständig! Und ich gebe nicht zu . . .!« Diese Worte hatte Flunkert gesagt und durch einen Schlag mit der Faust auf den Tisch abgebrochen. Paul Haake war noch im Zustande der Versteinerung, als Elsa, die zeitweilig behinderte und nun wieder nahezu hergestellte Gattin des Direktors und Drahtseilkünstlerin, sich erhob und nichts weiter zu ihrem Manne als »Du! du! du . . .!« sagte. Nun fand der Bildhauer diese Worte: »Ich erlaube es meiner Braut, Herrn Tom Billing zu besuchen! Ich, der Bräutigam!« Jetzt erhob sich Flunkert und sagte nichts weiter zu dem, der gesprochen hatte, als: »Sie! Sie! Sie . . .! – Noch was?! – Sie . . .

»Allerdings ja, ich!« erhielt er zur Antwort und erkannte im gleichen Augenblick, wie sich auf der Stirn des heutigen allgemeinen Gastgebers etwas Verhängnisvolles ansammelte. Ein gewisser gefährlicher Mechanismus, bei lange zurückliegenden Schlägereien, Messerstechereien und noch schlimmeren Gelegenheiten ausgeübt, drohte mit einer Wiedergeburt. Da fiel ein Stuhl – die Mutter des Täuflings war aus dem Zimmer verschwunden.

Natürlich folgte ihr sofort die Direktorin, ebenso die bucklige Schwester. Auch die kleine Wanda schloß sich an. Und nun gelang es Tom Billing und Pudelko, unter den Zurückbleibenden die Gemütlichkeit wiederherzustellen. Man füllte die Gläser, und Flunkert, Haake und Billing stießen, nachdem sie sich die Hände geschüttelt, versöhnt miteinander an.

Dann entfernten sich auch die Herren für einen Augenblick, wie es die Damen getan hatten, und erschienen erst wieder, als diese bereits gefaßt, mit getrockneten Tränen, ja heiter ihre Plätze wieder eingenommen hatten, worauf das Taufgelage seinen Fortgang nahm.

Man hatte sich gegen zwölf Uhr zu Tisch gesetzt. Fünf Stunden später dachte noch niemand daran, auch nur eine Pause im Trinken eintreten zu lassen. Der kleine, übrigens äußerst kurze Zwischenfall war ohne Wiederholung geblieben, und Flunkert, der nun gesprächig geworden war und sich ungehindert gehen lassen durfte, ohne daß irgendwer seinem Gelaber zuhörte, befand sich in einem Zustand hoher Selbstzufriedenheit. Es fehlte an Wein. Der feudale Botho hatte die Gesellschaft allein gelassen. Man rührte die Klingel. Man schrie: »Wirt! Wirtschaft!« und so fort, als man plötzlich aus den Kellerräumen des Hauses ein Gebrüll vernahm, das allen auf seltsame Weise in die Glieder fuhr, als würde da irgend jemand erdrosselt oder sonstwie vom Leben zum Tode gebracht.

Gleichsam mit einem Sprunge waren die Männer alle zugleich an der Tür, wovon das morsche Falschmünzernest von oben bis unten erschüttert wurde, und kamen, von den verzweifelten Lauten geführt, gangauf, gangab, treppauf, treppab, schließlich in einem öden Kellerraum an, in dem ein winziger Herd die Küche markierte. Was sie hier sahen, war von der Art, die wohl selten ein Taufmahl unterbrochen hat.

Die alte Hexe, deren Fraß man wider Willen gewürgt hatte, hielt mit beiden Armen unter ihrer Brust den Kopf eines Jungen niedergedrückt, dessen entblößtes Hinterteil der feudale Botho mit einem Werkzeug aus zusammengedrehten Wäscheleinen behandelte. Er schlug mit der ganzen brutalen Kraft, die ihm eigen war. Der Körperteil, den es traf, war schwarz und blutunterlaufen. Der Eifer des Schaftstiefelhelden und seiner Gehilfin war so groß, daß sie die Annäherung der Rächer nicht merkten. Von Botho wurde die Sachlage erst erkannt, als ihn Tom Billing von hinten, Haake von vorn ergriff, Flunkert ihm das gedrehte Seil aus den Händen gerissen hatte und so viel tobende Worte, Püffe, Schläge auf ihn niederhagelten, daß er, an die Wand gedrückt, vor Schreck und Entsetzen zu weinen begann.

Aber nun kamen erst die Frauen.

 


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