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Gruß an Hermann Stehr zum sechzigsten Geburtstag

Lieber Freund Hermann Stehr,

leider kann ich nicht persönlich unter denen sein, welche den Festtag deines sechzigsten Geburtstages mit dir feiern. Um so inniger verbunden bin ich dir an diesem Tage im Geist. Du weißt, daß ich dir tagtäglich Gutes wünschen muß. Trotzdem siehst du mich in der Menge der Gratulanten, dir alle meine Wünsche aus Herzensgrund erneuert, erweitert und vertieft wiederum darbringend und nicht zuletzt meine Dankbarkeit.

Du hast mir diese Dankbarkeit wie allen, die es kennen, durch dein Werk aufgenötigt, dieses starke Werk, in dem sich deine besondere Welt erschließt. Sie trägt einen erhabenen, einen dantesken Zug, trotzdem ihre Gestalten meist einfache Bauern und Handwerker sind. Nein, das Wort »einfach« muß ich zurücknehmen. Mit dem erblichen Vorurteil, als ob diese Menschen einfach wären, hast du gründlich aufgeräumt. Mit dem göttlichen Grubenlichte deines hohen Ingeniums läßt du rätselvolle und furchtbare Tiefen in ihnen aufleuchten. Und selbst die Oberflächenerscheinungen ihrer Wesensart sind noch tief genug, um des Lotes zu spotten.

Der Reichtum deiner Bücher bietet sich freilich nicht jedem ohne weiteres dar. Man muß auf gewisse Weise um ihn werben. Dann aber wird man finden, daß Werben kaum voller und tiefer belohnt werden kann. Es ist nicht der Ort, es ist nicht der Augenblick, um dies im einzelnen nachzuweisen. Man könnte aus deinem Werk ein Brevier von knapp geprägten Weisheitsworten zusammenstellen, und man hätte, von anderem abgesehen, deiner Art, die sogenannte tote Natur zu beleben, ein sehr ausführliches Kapitel zu widmen. Ist man doch oft versucht, anzunehmen, daß deine Psychologie vor Bäumen und Steinen nicht haltmache.

Lieber Stehr, ich sehe dich als einen Mann stärkster Grundständigkeit. Dein Geist ist kein wandernder, sondern mit deinem ganzen Wesen wie ein starker Baum im Granite Schlesiens verankert. Es ist ein mächtiges Wurzelsystem, aus dem sich der Stamm, aus dem sich der Wipfel dieses Baumes ernährt. Gott weiß es, daß er nicht unbeweglich ist. Er hat mit den Stürmen aller Lebensalter und Jahreszeiten sieghaft gerungen und ihnen ihr Geheimnis entwunden. Aber bei alledem hat er den Standpunkt weder gewechselt noch wechseln können, noch darf er es tun. Nur auf diese Weise erfährt er Dinge, die uns Wandernaturen verborgen bleiben.

Du hast, um das Eine und Letzte in dir auszudrücken und ans Licht zu heben, noch viel Zeit nötig. Und so seien meine Wünsche schließlich in dem einen zusammengefaßt, daß dir alles reichlich zufalle, was zur letzten Vollendung deines Werkes nötig ist, das sich, dessen bin ich sicher, als Ewigkeitswert in unseren Literaturbesitz einreihen wird.

1924.


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