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Weihnachten

Ich weiß nicht, wo der Gebrauch herstammt, um die Weihnachtszeit den sogenannten Christbaum zu schmücken. Alles über den Ursprung des Christbaumes Gesagte läßt unbefriedigt.

Über die Lichterpyramide des deutschen Waldbaumes hängt eine schicksalsschwere Nacht herein. Nicht nur lachende Kinder drängen sich in den Lichtkreis der Kerzen – dieser nach Bienenwachs duftenden Opferflämmchen! –, sondern auch die Scharen der Unsichtbaren. Schon als Kind habe ich mitten in aller Freude des Weihnachtsabends die Nähe der Unsichtbaren gespürt.

Man sagt, der Geschenktisch sei ein Opfertisch. Die Nornen, die eiserne Berchta, Ruprecht, Dämonen, entthronte Götter, Geister und Kobolde werden von diesem Tisch und dem brennenden Busch darauf angezogen. Alle diese gespenstischen Wesen sehen wir Erwachsenen meistens nicht. Wahre Kinder dagegen spüren sie wie gleich und gleich überall gegenwärtig.

Moses sah Gott als brennenden Busch. Zwischen jener Lichtgegenwart Gottes und dem Tannenbaum besteht Verwandtschaft, wenn auch dieser nicht etwa die bewußte Darstellung jener Offenbarung ist, die Moses erfuhr. Gott aber strahlt auch hier aus dem Busch.

Wir mögen es leugnen, aber wir sind doch erfüllt von einem unzerstörbaren Sonnenkult. Oder nennen wir etwa nicht den Satan noch heut den Fürsten der Finsternis?

Die Legende von der Geburt des Weltheilands durch ein armes Weib aus dem Volke in einem Stall, bei Ochse und Eselein, wird mit dem Weihnachtsbaume verknüpft: »Die Kinder, sie hören es gerne.« Das sogenannte Krippel zeigt den Heiland der Welt im Stande tiefster Bedürftigkeit. Er ist in eine Futterkrippe gebettet und wird von Vater und Mutter bewacht. Über dem Stall aber leuchtet ein Stern. Und es kommen Hirten aus der Nähe und Könige aus dem fernen Morgenlande, ihm zu huldigen. Das Märchen ist von einer entzückenden Innigkeit: »Die Kinder, sie hören es gerne.« Es ist nicht zu leugnen: das recht verstandene deutsche Weihnachtsfest ist durch die Poesie der Einfalt und Armut verklärt, den Geist der Hütten, nicht der Paläste; weshalb auch der Zauber, der von einem kleinen und dürftigen Christbaum ausgeht, stärker ist als der eines großen und prunkhaften und weshalb auch der Zauber eines Bäumchens, das nicht von Kinderaugen gesehen wird, seine Kraft verliert.

In Nürnberg steht das Sebaldusgrab, das Peter Vischer mit seinen Söhnen gebildet und in Erz gegossen hat. Es ist ein geschlossenes, formenquellendes Werk von tiefster Innerlichkeit. Leider spricht es ein so starkes und gutes Deutsch, daß es heute kaum einer unter Tausenden mehr versteht – sagen wir, kaum unter Hunderttausenden.

Der mit Juwelen besetzte silberne Schrein oder Sarg, in dem die Reste des heiligen Sebald bewahrt werden, ist in einen Tempel gestellt, der nichts anderes als ein Symbol des in unendlichem Formenreichtum wiedergeborenen Lebens ist. Der Tod, das tiefste Mysterium, liegt unzugänglich geborgen in einem köstlichen Schrein. Auf der höchsten Spitze des lebendigen Tempels, der mehr noch ein Tempel des Lebens ist, steht ein Kind. Hoch über allem, dort, wo die Bildnerkraft des Lebens ihre Grenze erreicht zu haben scheint, steht der winzige Putto mit dem Symbol der Welt in seiner Hand. Zwei Entwicklungsrichtungen nimmt der reife Geist gleichzeitig: zurück zur Jugend und vorwärts ins Alter. Das echte, heiter jubelnde Weihnachtskind führe uns mit seinem rein erneuerten Wesen in den schönen Illusionskreis der Kindheit zurück! Aber auch der vorwärts ins Alter gerichtete Blick trifft hinter allem auf das Symbol der Erneuerung: das Kind.

Wenn der Weihnachtstag sich annähert, erscheinen in meinem Hause eines Nachmittags, alljährlich, mehrere weiße Gestalten, die Gesichter mit Larven bedeckt. Obgleich sie der Reihe nach als das Christkind, Immanuel, Petrus und Joseph bezeichnet sind und auch eine kleine Puppenwiege mit sich führen, ist ihre Heimat in der Tiefe der Zeiten schwerlich Bethlehem oder Jerusalem. Das weiße Christkind trägt bei uns nicht, wie in Thüringen, einen Blumenkranz auf dem Kopf, aber Larve, weißes Gewand, verlarvte Begleitung und, nicht zu vergessen: der Pelznickel Ruprecht oder Nikolas deuten auf gleichen vorchristlichen Ursprung hin.

Ich bin die Sonn', geb' klaren Schein.
Das danket eurem Jesulein.

So lautet der Text, den im Thüringer Christabendspiel die weißgekleidete und bekränzte Sonne zu sagen hat: ein Verschen, worin die Verquickung der Jesuslegende mit dem alten Sonnenmythos noch heute zu deutlicher Anschauung kommt.

Das kleine Mysterienspiel, das die vermummten Dorfleute hier in Agnetendorf zur Darstellung bringen, ist zwar überaus primitiv, und doch stellt es einen der vielen Ansätze dar, das große Drama des Lichts in seinem Kampf mit der Finsternis und des ringenden Lebens darin im Symbol zu fassen. Es wird eine Zeit gegeben haben, wo dieser einzige, ungeheure Kampf, der Kampf aller Kämpfe, wie man sagen könnte, das Bewußtsein der Menschen ganz anders beherrschte als heute und wo er demnach auch mit unendlich viel größerer Kraft symbolischen Ausdruck fand. Denn wir sind heute zwar große Astronomen, aber das naiv Persönliche im Verhältnis des Menschen zu den Gestirnen besteht nicht mehr. Kaum spürt er noch seine Abhängigkeit, und keinesfalls gibt er sein Wissen von den Gestirnen persönlich – etwa in Dank- oder Freudenfesten – an sie zurück.

Das Leben als Ganzes zu begreifen, dazu gehört vor allem menschlicher Mut. Nur Hand in Hand mit dem Mute der Todesverachtung kann wahre Erkenntnis fortschreiten. Die heidnischen Vorfahren besaßen eine mächtig glühende Lebensliebe, wie es scheint, bei geringer Todesfurcht. Sie wußten vom Leben mehr als wir, weshalb sie gleichsam den Tod überrannten, zuweilen auf einem nur kurzen Siegeslauf ihrer Erdenbahn. Im elften Jahrhundert verfluchte ein christlicher Priester Menschen mit Masken, die um die Weihnachtszeit auf Kirchhöfen tanzten.

Die Lichtelben, die mein Haus besuchen, schließen, nachdem sie eine gute Weile gemurmelt, gepoltert, gesungen und die Puppenwiege gewiegt haben, ihr Weihnachtsspiel:

Wir standen auf eim Gilgenreis,
Gott geb' euch allen das Himmelreich!
Wir standen auf eim Gilgenblatt,
Gott geb' euch allen ein' sälige Nacht!

1908.


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