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Gedanken über das Bemalen der Statuen

Die Ausstellung bemalter Statuen, welche vor zwei Jahren in Berlin stattfand, regte in mir damals die folgenden Gedanken über die Chromoplastik an. Ich glaube, daß dieselben von allgemeinerer Bedeutung sein dürften, und stelle sie deshalb heute noch zur Besprechung.

Meiner festen Überzeugung nach ist das Bemalen der Statuen dem Wesen der Kunst, insonderheit dem der Bildhauerkunst, zuwider. Diese Behauptung will ich in dem Folgenden beweisen.

Der Zweck aller Kunst ist nicht die absolute Nachahmung der Natur, weil diese letztere eine Unmöglichkeit ist. Wäre sie möglich, so fiele sie mit der Natur zusammen, und die Kunst wäre ausgeschaltet. Denn es leuchtet ein, daß, wenn wir einen Menschen mit all seinen Eigenschaften auf technischem Wege herstellen könnten, dieser kein Kunstwerk sein könnte, sondern eben ein Mensch. Dies wäre also nicht ein Triumph der Kunst, sondern der Kunstfertigkeit, der aber auch ihr natürlich versagt ist. Die Kunstfertigkeit ist nun freilich ein integrierender Bestandteil der Kunst. Da sie jedoch die Natur nie erreicht, so muß sie ewig eine Täuschung bleiben.

Zweck der Kunst ist vielmehr der Ausdruck der innersten, zum Typus erhobenen Wesenheit des dargestellten Gegenstandes.

So ist das Produkt der Kunstfertigkeit in einem Kunstwerk seine Naturähnlichkeit, das Produkt der Kunst, das Künstlerische dagegen das durch seine Naturähnlichkeit zum Ausdruck gebrachte innere, typische Leben. Das Produkt der Kunstfertigkeit ist also die Täuschung, das Produkt der Kunst die Wahrheit. Im Kunstfertigen wird die äußere Natur bedingt nachgeahmt, das Künstlerische zeigt sich in der treffenden Auswahl derjenigen äußeren Züge, welche das innere Wesen des dargestellten Gegenstandes zum Typus verallgemeinert offenbaren.

So sehen wir also zwei verschiedene Elemente sich zur Kunstwirkung vereinen. Jedes derselben kann für sich bestehen, ohne jedoch allein je zum künstlerischen Eindrucke sich zu erheben. Die innere Wahrheit eines Gegenstandes wird ohne Kunstfertigkeit nur stammelnd und unharmonisch zum Ausdruck gebracht, was eine Kunstwirkung ausschließt. Ich erinnere hierbei an die Dilettanten in allen Künsten: wie voll Wahrheit ist oft das kindliche Lallen eines dilettantischen Dichterlings! Die Kunstfertigkeit, beziehungsweise die bloße Nachahmung der äußeren Natur, die das innere Wesen mit tausend Zufälligkeiten beladen und daher unentwirrbar zur Darstellung bringt, wird Lüge, weil sie die Wirklichkeit doch nie erreicht. Man denke dabei an die Wachsfiguren, welche wir zuerst für Menschen halten, vor denen wir dann ihrer Starrheit wegen erschrecken und über die wir, wenn wir den Betrug merken, uns ärgern oder lachen.

Hier drängt sich nun die Frage auf: in welchem Verhältnis steht die Kunstfertigkeit zum Kunstwerk? Wir antworten kurz: im Verhältnis vom Mittel zum Zweck; die Kunstfertigkeit darf nie Wirklichkeit sein wollen und so die wahre Kunstabsicht verrücken, sie muß ausschließlich im Dienste der Kunstwirkung stehen, das heißt nur gerade so weit wirken, als sie das innere Leben existenzwahr zum Ausdruck bringt. Und hierin liegt das Geheimnis des Maßes in der Kunst.

Ich glaube, daß dies der Gesichtspunkt ist, der wohl unbewußt auch zur Trennung der beiden Schwesterkünste, Malerei und Bildhauerei, beigetragen hat. Die Malern bedarf, um die das innere Wesen eines Gegenstandes charakterisierenden Züge zur überzeugenden Darstellung zu bringen, der Farben- und Lichtabstufungen, weil ihr kein anderes Mittel zu Gebote steht, auf der Fläche den Eindruck der Körperlichkeit hervorzubringen. Denn gerade dies – die körperliche Form und deren Bewegtheit mindern dies – bringt allein eine wahre Ansicht des inneren Lebens hervor. Die Bildhauerei bedarf zum Ausdruck des inneren Lebens des Stoffes, der stofflichen, körperlichen Form. Aber diese erfüllt auch die Kunstabsicht vollkommen, und wohl nie ist jemand, an dem inneren Lebenshauche eines Apollo vom Belvedere oder einer Venus von Capua irre geworden. Ist aber das innere Leben in der farblosen oder gleichfarbigen Form typisch zum Ausdruck gebracht, was soll dann noch die Farbe? Sie drängt sich vor als ein Moment der Kunstfertigkeit, verrät eine Verkennung der wahren Kunstabsicht, die nicht mehr in der Offenbarung eines inneren Gesetzes, sondern in der Naturnachahmung gesucht wird, und zerstört auf diese Weise, als auf plumpe Täuschung berechnet, die Kunstwirkung.

Deshalb widerstrebt die Bemalung der Statuen dem Wesen der Kunst.

1887.


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