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»Lieder eines Sünders« von Hermann Conradi

Über eine Originalität ist nicht zu rechten: sie mag uns sympathisch oder antipathisch sein, gleichviel, sie muß hingenommen werden, wenn anders man sich nicht etwa mit dem Versuche trägt, die Lebensadern eines Dichters zu unterbinden. Die vorliegenden Lieder werden wohl schwerlich eine große Gemeinde finden, denn sie mitzufühlen, beziehungsweise zu verstehen, wird nur dem kleinen Teil solcher Menschen möglich sein, welche mit dem Dichter den heißen Drang nach Licht und Wahrheit teilen. Diese aber werden gewiß, zumal da der Inhalt der Sünder-Lieder eine fortlaufende Entwicklung darstellt, welche durch die Titel ihrer einzelnen Abschnitte genügend charakterisiert wird – Inferno, Im Strudel, Liebe und Staubverwandtes, Revolution, Emporstieg, Zwischenstille, Gipfelgesänge, Triumphgesang der Lebendigen –, Erhebung, Stärkung und Begeisterung zu neuem Ringen daraus schöpfen. Es kann nicht meine Absicht sein, auch nur annähernd eine Kritik vorliegenden Buches im Rahmen einer kurzen Besprechung geben zu wollen; deshalb muß ich mich begnügen, die triviale Tatsache festzustellen, daß auch hier, wie überall, sich Gutes und Schlechtes vereint vorfindet. Das Gute allerdings ist außergewöhnlich gut, das Schlechte außergewöhnlich schlecht. Letzteres aber hat seinen Ursprung nicht in der Unfähigkeit des Dichters, sondern vielmehr in einer gewissen Überkraft desselben, einer wüsten Zügellosigkeit seiner Phantasie, die sich mitunter in Roheiten verliert, deren oft nicht einmal witzige Brutalität eine künstlerische Wirkung nicht aufkommen läßt. In der Vorrede seines Buches nennt Conradi dasselbe ein gutes, markiges, saftgeschwollenes Stück Seelenlebens, und so wenig sympathisch mich dieses »saftgeschwollen« auch berührt, so ist es doch ein Beiwort, welches sich mit dem Inhalt des Buches deckt. Verhält es sich aber so, und spiegelt das Buch dabei eine weit über das Gewöhnliche hinausgehende leidenschaftdurchglühte Seele, so ist sein Verfasser ein wirklicher Dichter. Demnach fasse ich Hermann Conradi als einen Dichter auf, der mit diesen seinen Sünder-Liedern dem Sturm und Drang seinen Tribut bezahlt hat und dessen Weiterentwicklung man mit Interesse entgegensehen muß.

1887.


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