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Das Mediceergrab

Die Grabkapelle der Medici ist ein Tempel von abgeklärtester Heiterkeit. Michelangelo ward hier zum Griechen. Taine aber empfand es nicht, dieses Griechentum Michelangelos. Er nennt die Kapelle, grundfalsch: kalt oder frostig. Die großen Gebilde darin bezeichnet er ferner als »figures colossales«, was mir nicht minder befremdlich erscheint.

Es heißt, daß Michelangelo, als Florenz vom Papste erobert war, sich lange in Lebensgefahr befand, verborgen lebte und endlich verschont ward, um die Kapelle der Mediceer zu vollenden. Da sei nun, meint Taine, alle giganteske Wut des Meisters und alle Bitterkeit in das Werk geströmt. War Michelangelo wirklich ein Gefangener in dieser Kapelle, so wäre wohl kein Gefängnis zu finden gewesen, das so wenig für ihn eins war als dieses. Hier war er unter dem Schutz und Schirm einer göttlichen Konzeption, und ihre ursprüngliche Größe und Weihe – es konnte nicht anders sein – mußte ihn wieder durchdringen, weihen und groß und olympisch machen.

Die »Nacht« erscheint Taine als eine in barbarische Gefangenschaft geratene Diana. Die »Morgenröte« erwacht aus einem schlechten Traum. Bei dem »Tage« denkt er an Figuren Dantes, besonders an »Ugolin rongeant le crâne de son ennemi«. Er sagt, alle diese Figuren seien nicht von unserem Blut, aus ihrer Nacktheit spreche nichts als Schmerz und Rasse, und es könne bei ihrem Anblick kein anderes Gefühl aufkommen als Furcht und Mitleid. Die ganze Betrachtungsart gäbe dem Betrachter aber nur Teile in die Hand, selbst wenn sie nicht an sich falsch und verkleinernd wäre. Sie benimmt vollkommen die Aussicht über die große michelangeleske Einheit des Ganzen.

Ein Kunstwerk wie dieses ist aus einer großen, stolzen Empfindung geboren – denn eine andere trägt die Bürde der Riesenarbeit nicht – und von ihr in allen seinen Teilen durchherrscht. Sieger ist jeder große Schöpfer zuerst und hell und festlich bekränzt in der Arbeit, wenn er auch sonst im schwarzen Kleide des Grams einhergeht. Alles das, wovon er im Leben beherrscht wird, beherrscht er in seiner Kunst. Als Michelangelo, aus aller Erniedrigung heraus, sein Reich und Werk wieder betrat, da ward er und fühlte sich: der Fürst über die Fürsten. Erniedrigung, Rachedurst, alles fiel von ihm ab und mußte von ihm abfallen, bevor er den Meißel ansetzen durfte. Zu ganzer Größe und Vollkommenheit mußte er sich aufrichten, ehe er sein eigenes Werk wieder erreichte, um weiter über sich hinaus wirken zu können. Gewiß, hätten die Wände dazumal Ohren besessen und könnten sie heute reden: wir würden von geflüsterten Flüchen und knirschend ausgestoßenen Rufen des Hasses und mehr noch der Verachtung erfahren. Ich sehe im Geist den Meister, wie er umherging, pfiff, bitter lachte, sang, dies und jenes zur Hand nahm, seinen Holzhammer in die Ecke warf, und dergleichen mehr, aber immer doch seiner geheimen, sicheren Richtschnur nachging, über dem Druck und Dunst der Stunde bergeshoch und unter dem Oberflächengekräusel der eigenen Seele meerestief.

Den Historiker führt eben – ach, wie oft! – wie den Ästhetiker der Drang, das Mysterium der Kunst zu entschleiern, vom tiefsten Begreifen ab.

Die Totenkapelle ist grazil und hochstrebend, hell und leicht ihre Kuppel, viel Licht ist darin. Nischen aus Marmor von edelstem Ebenmaß, durch korinthische Säulenformen begrenzt, ringsum in mäßiger Höhe. Statuen, welche hineingedacht sind, fehlen. Zwei Sarkophage der Medici sind von einer so letztgefundenen Schönheit in Ernst und Grazie, daß, wenn die darauf ruhenden Figuren im Taineschen Sinne wirkten, das Mißverhältnis vollkommen wäre.

Giuliano und Lorenzo de' Medici, über den Särgen thronend, sind wie griechische Krieger gekleidet. Giulianos Haltung, von praxitelischer Ruhe und jugendlich-ahnungsloser Würde, griechisch-göttlich frei. Lorenzo, schön wie sein Verwandter, schöner vielleicht als er, hat sich selbst und das Leben vergessen, das ihn durchdringt. Sein Auge sinnt fern über Vergangenes, über Zukünftiges. Es füllt den Raum des Lichts mit einem weichen, ernsten Stimmungsgehalt, sehnsüchtig, unbegreiflich, unendlich süß. Dies ist der Tribut Michelangelos an das Grab.

Taine sagt von Lorenzo: »So muß Barbarossa ausgesehen haben, bevor er den Befehl erteilte, den Pflug über Mailand zu führen.« – Man kann gar nicht grimmiger fehlgreifen.

Was hätten wir hier mit Barbarossa zu schaffen ja, was selbst mit den Medici? Das tiefgeschöpfte Gebilde des großen Künstlers ist ganz persönlich und namenlos. Hier ist des Meisters Haus! Es ist niemand darin als er, nicht Giuliano de' Medici, nicht Lorenzo de' Medici, sondern allein Michelangelos marmorne Klarheit. Irgendein Großer vor einem sogenannten welthistorischen Entschluß: er würde zur Erbärmlichkeit herabsinken in dem Stillen, Ewigen, das hier sich umspinnt.

Die Stimmung der weichen Rätselsehnsucht, die von Lorenzo ausgeht, mußte geschont werden; so fein und verschwiegen sie ist: die lauteste Aussprache im Räume mußte sie bleiben. Alles andere durfte nur stiller und ruhender sein. Daher die tiefe, unendliche, erschütternde Stille in dieser Kapelle, diese leuchtende Stille! – Man muß diese Stille finden, um die Hoheit und Einheit dieses Werkes zu begreifen, jenes Letzte und Zarteste der Kunstabsicht und des reinen Triumphes der Vollendung: »... deh, parla basso!«

Dieses »Sprich leise, leise!« sagt Michelangelo zu allen, welche die Kapelle betreten. Er hat es während der Arbeit zu sich selbst gesagt. Er hat es zu seinen Figuren gesagt, auch zu den vier gigantesken Gestalten: dem »Tage«, der »Nacht«, dem »Morgen«, dem »Abend«. Jede der vier Gestalten ist erhaben, nicht kolossal. Der Tag blickt frei und grad, das Auge starr und unbewölkt, unendliche, scheinbar ruhende Macht ist dieser Sonnengigant. Fern weiche der Ugolino Taines, der die Hirnschale nagt! Die Nacht ist als Weib gebildet. An ihr ruht alles, doch in ihr lebt, wirkt und schwellt alles, traumhaft, halb unbewußt. Sie ist auch der schmerzausruhende, bürdenermattete Erschöpfungsteil des Daseins. Der Marmor Giuliano, der freie, heitere, ruhige Augenblick: das ist ihr Kind. In Abend- und Morgenröte kämpfen die Schatten des Schlafs mit den Gewalten des Tages. Ihr Geschöpf ist ein Zwittergeschöpf: Lorenzo. In ihm empfindet das Leben im Licht die Nacht und den Tod und wird zum Wachtraum. Der Tod aber ruht in den Sarkophagen als Ungeschautes und Unbegriffenes.

1902.


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