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Pommersche Sage
Klaus Borgen, die Schafe hütend, stand
      
 am See bei Naugard sinnend
      
 und an den gegenüberliegenden Strand
      
 seine stillen Gedanken spinnend.
      
 Klaus Borgens Herde, wie mager und matt
      
 Die Weide war karg; sie wurde nicht satt.
»Da drüben«, spricht Klaus für sich hin,
      
 »wär' nicht der See, so wahr ich bin,
      
 ich ging' hinüber, und meine Herden
      
 sollten mir besser gefüttert werden.
      
 Doch eine Meile rings um den See,
      
 da treibe, wer kann!
      
 Ich kann es nicht, und steht der Klee
      
 so hoch wie ein Mann.«
's ist Abendzeit; Prinz treibt mit Bellen
      
 die müde Herde nach den Ställen.
      
 Klaus folgt, wie immer mißgelaunt,
      
 und seine innere Stimme raunt:
      
 »Die Weide, Klaus, die fette Weide
      
 statt deiner trocknen, dürren Heide,
      
 das wär' ein Fest! und überdies,
      
 so kannst du es nicht weiter treiben!
      
 Wo sollen Weib und Kinder bleiben?
      
 Wenn du nur einzig wüßtest, wie's
      
 zu machen ist, um durchzukommen.«
      
 Er wendet sich. Fern winkt das Land
      
 übers Wasser im grünen Gewand.
      
 Ein wildes Entlein kommt geschwommen
      
 durch kühler Fluten Abendpracht,
      
 hat ein Kleehälmchen mitgebracht,
      
 ein fettes Hälmchen, strotzend, kraus,
      
 vom andern Ufer. Unser Klaus
      
 sieht's und ergrimmt und – treibt nach Haus.
Zu Hause aber gibt's 'nen Tanz.
      
 Ihn ärgert jeder Lämmerschwanz.
      
 Er stößt die Lämmel,
      
 er pufft die Hämmel,
      
 tät seine sieben Kinder schlagen,
      
 sein Weib mit Redensarten plagen,
      
 hätt' sich vergriffen auf ein Haar,
      
 nur weil der See kein Stoppel war.
      
 Erst ist er laut; dann ist er stumm,
      
 kriecht still in Haus und Hof herum,
      
 suchet Ruhe überall
      
 und bleibt zuletzt in seinem Stall.
      
 War doch ein Jammer anzusehn:
      
 die Böcke konnten kaum aufrecht stehn;
      
 die Lämmer hörten nicht auf zu nagen
      
 im dumpfen Stroh, und ohne Ruh'
      
 klingt ihr Blöken, wie lauter Klagen
      
 klagten sie sich einander zu. –
      
 Klaus kratzt sich seinen Stoppelbart,
      
 ist von Gefühlen nicht allzu zart,
      
 schneidet Gesichter, bis er zuletzt
      
 fühlt die Wangen von Tränen benetzt.
Er streift sie fort und sieht umher,
      
 schämt sich über die Maßen sehr,
      
 kommt sich vor recht sonderbar,
      
 hatte geglaubt manch liebes Jahr,
      
 daß bei ihm die Quellen der Zähren
      
 längst versiegt und vertrocknet wären.
      
 Und länger hält er's nicht mehr aus;
      
 es treibt ihn in die Nacht hinaus.
      
 Der Mond liegt still und hüllet weit
      
 das Land mit seinem Silberkleid,
      
 träufelt aus der dämmrigen Höh'
      
 flüssiges Silber über den See.
      
 Leichter Lufthauch vorüberstreicht,
      
 küsset das Wasser wunderleicht,
      
 küsset es linde und küsset es weich;
      
 tanzen und flimmern die Fluten bleich.
Klaus Borgen stand am Uferrand,
      
 starrte gierig und unverwandt
      
 nach dem Ufersaume mit heißem Blicke,
      
 und was er ersehnt', ist eine Brücke.
      
 Doch wie er lange genug gestanden
      
 in kühler Nacht, im Mondenschein,
      
 da sah er endlich, endlich ein,
      
 was Weise schon vor Jahren fanden,
      
 daß nur mit Wünschen trotz aller List
      
 keine Brücke zu schlagen ist.
      
 Er wandte sich verzweifelt ganz,
      
 da sieht er mit Hörnern und mit Schwanz,
      
 mit wildem Augendrehen
      
 den Teufel vor sich stehen.
      
 Klaus Borgen kam das Zittern an.
      
 Er sprach: »Gott gnädig sei uns,
      
 das ist, soviel ich wittern kann,
      
 der heilige Gottseibeiuns.«
      
 Der Teufel aber grinst vergnügt
      
 und reicht ihm seine Tatze.
      
 Er spricht wie immer, spricht und lügt:
      
 »Ich helfe dir vom Platze.«
      
 Schlau schlägt sein Schweif das dürre Land,
      
 daß wirbelnd steigt der trockne Sand
      
 so recht vor Klausens Blicken
      
 und droht, ihn zu ersticken.
      
 »Verdammt«, spricht Klaus und niest dabei,
      
 »Versuchung, grause Teufelei!«
      
 Und plötzlich muß er denken dran,
      
 wie Satan nicht den größten Mann,
      
 den Gottessohn, ließ unversucht.
      
 Wer weiß? – Vielleicht! ich bin verflucht,
      
 wenn ich es nähme, doch bei Gott,
      
 macht er aus Wüstensteinen Brot,
      
 nicht ganz so fest möcht' er mich finden
      
 wie einst den Menschen ohne Sünden.
»Siehst du«, der Teufel spricht's und lacht,
      
 »im Mondenlicht die Blütenpracht
      
 am Ufer drüben? In der Luft,
      
 du spürst ihn doch, den Blütenduft?
      
 Kleefelder unermeßlich schier,
      
 wenn du nur willst, ich schenk' sie dir.
      
 Der See?! Ein Pfützlein, eine Lache,
      
 die ich im Umsehn trocken mache.«
Klaus Borgen steht der Atem still,
      
 Klaus Borgen wollte sprechen,
      
 und weil er etwas sprechen will,
      
 will ihm die Zunge brechen.
      
 Er sieht das Feld mit wilder Gier
      
 und dann des Teufels Klauen,
      
 und solcherart vergeht er schier
      
 vor Habsucht und vor Grauen.
      
 Die Habsucht siegt. Er lallt, er sagt:
      
 »Herr Gott, weil mich der Teufel plagt,
      
 weil mich die Sorge nicht verläßt
      
 und mir die Not das Herz zerpreßt,
      
 so will ich mich dazu bequemen,
      
 des Teufels Gabe anzunehmen!«
      
 Und nieder fällt er, wie er ist.
Der Satan aber spricht mit List:
      
 »Gut, Klaus, ich will den See verschütten;
      
 das heißt, ich will durch Seees Mitten
      
 dir einen Damm hinüberlegen
      
 nach jenen fetten Weidgehegen.
      
 Doch eh wir gänzlich einig sind,
      
 versprichst du mir, bei Todesstrafe
      
 und für die Weide deiner Schafe,
      
 dein Jüngstes, dein Zweimonatskind.«
Klaus springt empor.
      
                      Doch Satanas
      
 dreht sich gelassen auf dem Fuße
      
 und geht mit kaltem Blut fürbaß.
      
 »Geh heim«, spricht er, »und tue Buße!« –
      
 »Halt, Herr!« ruft Klaus, und seine Hand
      
 den Schäferstecken fallen läßt.
      
 Er hält an seine Brust gepreßt
      
 sein Kind und auch sein Weideland,
      
 und keines möcht' er gern vermissen.
      
 Doch jener geht und bleibt nicht stehn.
      
 Da wird denn unter tausend Wehn
      
 der Vaterliebe Band zerrissen.
Klaus rennt ihm nach, um noch im Rennen
      
 das Kind vom Herzen loszutrennen.
      
 Er spricht: »Ich helfe aus der Not,
      
 sonst ist's der sieben sichrer Tod.«
      
 Und vor dem Teufel fällt er wieder,
      
 Gewährung stammelnd, keuchend nieder.
      
 »Du willst?« –
      
                      »Ich will!« –
      
                                           »Sobald gebaut der Damm, ist mein das Kind?« –
      
                                           »O nein, noch nicht. Bevor der Morgen graut,
      
 muß euer Damm vollendet sein!« –
      
 »Und ist er das?« –
      
                      »Ist's Kindlein dein,
      
 sonst nicht!« –
      
                      »Nun gut, schlag ein, es sei.« –
      
 »Und fertig vor dem Hahnenschrei,
      
 sonst ist's mit unserm Pakt vorbei.« –
      
 »Es sei! – Noch ist's nicht Mitternacht,
      
 der Teufel hat in halber Zeit
      
 wohl zehnmal Größeres vollbracht;
      
 beim ersten Hahnschrei sei bereit.«
      
 Klaus rennt nach Haus, stürzt sich ins Bett,
      
 zieht sich die Decke übers Ohr
      
 und schaut nur furchtsam draus hervor.
      
 Sein Herz pocht wie ein Hackebrett.
      
 Wenn er einschliefe, hätt' er morgen
      
 ein Kind verloren und alle Sorgen,
      
 so denkt er, doch er wacht und wacht,
      
 und näher kommt die Mitternacht.
      
 Jetzt reckt er sich, weiß kaum warum,
      
 und zählt mechanisch seine Kinder;
      
 blickt stier im Zimmerchen herum,
      
 schon fröstelnd wie ein armer Sünder,
      
 den man zum Blutgerüste führt.
      
 Wie aber wird sein Blick gerührt,
      
 als er auf jenes Bette fällt,
      
 wo atmend an der Mutterbrust,
      
 sich keiner Sünde noch bewußt,
      
 noch kaum gehörend in die Welt,
      
 der Säugling süße Ruhe hält.
      
 Klaus schiebt die Decke sacht beiseit,
      
 steht auf vom Lager, tritt heran
      
 an jenes andre, öffnet weit
      
 die treuen Vaterarme dann,
      
 faßt sich von neuem, schleicht sich fort,
      
 schaut an die Uhr mit leisem Zagen,
      
 erschauert, spricht ein tröstend Wort,
      
 da fängt die Glocke an zu schlagen:
      
 zwölf Schläge, lang und schwer und bang,
      
 ein mitternächt'ger Totensang.
Klaus schrickt zusammen, rafft sich auf.
      
 »Noch sechse hab' ich zu ernähren«,
      
 spricht er zu sich, »ich schwöre drauf,
      
 sie wird mir neue noch gebären.
      
 Ich muß! – Gott mag es mir verzeihn,
      
 daß ich das eine hingegeben
      
 um all der andern Kindlein Leben,
      
 es soll mein ewiges Beten sein.
      
 Ich will!« ... O Trost, so leer und mager!
      
 Sein Blick fällt wieder auf das Lager;
      
 er sieht das Kindlein, süß und hold,
      
 und über Klausens Wange rollt
      
 ein Tränlein nach dem andern nieder,
      
 und keine Tröstung hemmt sie wieder.
Ich glaube, wenn der Teufel jetzt
      
 die andern sechse weggenommen,
      
 es wär' ihm leichter angekommen,
      
 es hätt' ihn weniger entsetzt.
      
 Und horch! – Klaus spitzt die Ohren, lauscht.
      
 Ein fernes Rufen dringt herein.
      
 Ein Wirbel übern Dachfirst rauscht.
      
 Klaus fühlt ein Rieseln durchs Gebein.
      
 »Ho ho, holla!« – ein Zischen dann,
      
 ein Bröckeln nieder durch den Schlot.
      
 Klaus fühlt dreifache Todesnot.
      
 Drauf fängt ein dumpfes Sausen an.
      
 Das Sausen wächst und saust vorbei,
      
 und gellend tönt ein neuer Schrei:
      
 »Hohe! Hohe!
      
 Zum See! zum See!«
Und nun, wie auf ein Gebieterwort,
      
 öffnet sich brüllend der Wolkenrachen,
      
 Schlangen zucken hier und dort
      
 durch die Lüfte mit Donnerkrachen.
      
 Teufel fahren aus allen Lüften,
      
 Teufel kriechen aus allen Grüften,
      
 schleppen und tragen
      
 steinig Gerölle,
      
 alles zur Stelle,
      
 kappen und schlagen
      
 Eichen und Tannen,
      
 drehen und spannen
      
 feurige Seile,
      
 hämmern und rammen
      
 schweflichte Keile.
      
 Tausend Flammen
      
 beleuchten den See.
Wogen türmen sich in die Höh',
      
 zischen und bäumen
      
 über ihr Becken,
      
 bersten und schäumen
      
 und wollen sich strecken.
      
 Unaufhörlich fallen,
      
 geschleudert von Teufelskrallen,
      
 Steine, Geröll und Moos
      
 in des Seees Schoß.
      
 Es schlürft, es platscht;
      
 schon hebt sich des Dammes Rücken
      
 in vereinzelten Stücken;
      
 und der Satanas, der die Scharen führt,
      
 jubiliert.
      
 »Noch wenige Schritte,
      
 so sind wir in Seees Mitte!
      
 Steine herbei!«
      
 tönt sein Geschrei.
      
 »Und wenn die Steine nicht reichen,
      
 so reißt aus den Grüften die Leichen.
      
 Alles hinein,
      
 vorm Hahnschrei müssen wir fertig sein.«
Klaus Borgen zu Haus in Angst und Schrecke
      
 drückt sich vernichtet in eine Ecke;
      
 und Stimmen höhnen aus allen Wänden:
      
 »Klaus Borgen, Klaus Borgen, wie wird das enden
      
 Klaus Borgen ist ein verstockter Sünder,
      
 nimmt auf sich alle Höllenstrafe.
      
 Klaus Borgen gibt seine sieben Kinder
      
 für ein Stück Weideland seiner Schafe.«
      
 Und solchergestalt und solchermaßen
      
 weiß sich Klaus Borgen nicht länger zu fassen.
      
 Er rüttelt sein Eh'weib aus dem Schlummer,
      
 erzählt ihr hastig all seinen Kummer,
      
 tät mit der Hand, sie wollte keifen,
      
 gar schnell ihr vor das Maulwerk greifen
      
 und bat inständig, an nichts zu denken,
      
 als wie sie das Kindlein könnten erretten.
      
 Schon viele, wie ihm bekannt sei, hätten
      
 den Teufel betrogen, trotz all seinen Ränken.
      
 Er schilt sich selbst einen gottlosen Schächer,
      
 da wird das Zorngewölke schwächer,
      
 und weiter einen teuflischen Lumpen
      
 und einen erbärmlichen Sündenklumpen.
      
 Da ist der Ärger des Weibes bezwungen,
      
 und beide halten sich weinend umschlungen.
      
 Doch immer wilder und näher klang
      
 der tausend Teufel Höllengesang;
      
 und Mann und Weib schier ratlos sind,
      
 weiß keins zu retten das arme Kind.
Da gerade, wie sie so trostlos stehen,
      
 ruft plötzlich das Weib: »So muß es gehen.
      
 Sind sie nicht fertig vor Hahnenschrei,
      
 so sagst du, sei's mit dem Pakt vorbei?
      
 Mit Gottes Hilfe und Gottes Segen
      
 will ich dem Teufel das Handwerk legen.«
      
 Sie springt hinaus, eh Klaus es faßt.
      
 Er eilt ihr nach in freudiger Hast
      
 bis in den Hof. Die Türe schlägt
      
 ins Schloß, vom Sturmwind zugefegt;
      
 ein fern Geheul, ein Feuerschein
      
 zeigt, daß die Teufel tätig sind
      
 und sich die Hälse heiser schrein
      
 um Klausens armes Wickelkind.
      
 Klaus Borgen schwinden die Gedanken.
      
 Der Schlot, das Dach fängt an zu wanken.
      
 »Ach lieber Gott, wo ist das Weib?«
      
 Da zittert er am ganzen Leib,
      
 horcht auf, – horcht wieder – geht – bleibt stehn:
      
 »Ich glaube gar, die Hähne krähn?!
      
 Wahrhaftig! o du heiliger Christ –
      
 der Hahn, der Hahn ...« Mehr spricht er nicht,
      
 dann fällt er auf das Angesicht,
      
 und all sein brünstig Lallen ist,
      
 auf kalte Steine hingebettet,
      
 nur immer, immerzu: »Gerettet!«
      
 Die Teufel aber kaum vernehmen
      
 den Warnruf, als sie allesamt
      
 Reißaus zu ihrer Hölle nehmen,
      
 weil sie zu ew'ger Nacht verdammt.
      
 Halb fertig ist der Damm geblieben,
      
 wie Satanas auch brüllt und keift
      
 und außer sich, von Wut getrieben,
      
 ingrimmig in die Erde greift.
      
 Noch immer will er sie nicht lassen,
      
 es müssen ihn zwölf Teufel fassen,
      
 ihn an den Beinen aufwärtszerren
      
 und in die heiße Hölle sperren.
      
 Wie das geschehen, da schweigt's umher.
      
 Die Wolken schwinden in der Ferne,
      
 enthüllend leis die Mondenscheibe
      
 und die unzähl'gen reinen Sterne.
Klaus tritt, gestützt von seinem Weibe,
      
 zurück ins Haus, eilt zu der Wiegen
      
 und sieht sein schlummernd Kindlein liegen;
      
 und mit unsagbar heißer Lust
      
 drückt er es fest an seine Brust.
      
 Zum Weibe drauf er schluchzend spricht:
      
 »Was hätt'st du, Marthe, nun gemacht,
      
 schrie heut so früh der Gockel nicht?« –
      
 »Ach Mann, der ist ja nur erwacht
      
 von meinem angesteckten Licht.
      
 Das hat ihn ja zum Krähn gebracht.« –
      
 »Blitz, daran hab' ich nicht gedacht!« –
Wer übrigens den Damm will sehn,
      
 braucht nur zum See bei Naugard gehn.