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Falter im Schnee

Novembersturm in wildem Wirbeltanze
treibt Flocken übers Feld und durch die Tannen,
schneeschwere Wolken düster rings umspannen
das Firmament mit grauem Nebelglanze.

Ich nehme Hut und Stab und warme Hülle
und pfeife schreitend meinen flinken Hunden,
um auszuwandern meine Ruhestunden
in weißumwehten Forstes Winterstille.

Der Leithund schnobert ruhlos durch die Stämme;
das Wachtelhündchen trollt an meiner Seite.
Ich schicke die Gedanken in die Weite,
traumferne schreitend über Bergeskämme.

Zur Jugend ging ich und zum später Alter
auf ungesehner und geheimer Fährte;
bis ich zurück zu jener Stätte kehrte,
wo am Wacholder saß erstarrt ein Falter.

Ich nahm ihn auf; und seine güldnen Schwingen
leis schonend, legt' ich ihn in meine Hände,
wo seines Kerkers lebenswarme Wände
begannen ihn mit Wonne zu durchdringen.

Er lebte auf, und er begann zu regen
das Schwingenpaar und suchte zu entweichen,
ich aber schnell mein Zimmer zu erreichen,
wo ich gedachte seiner treu zu pflegen.

Doch vor der Pforte zeigt' ich meinem Weibe,
was ich gefunden, öffnend meine Finger,
und schnell benutzt's der kleine Flügelschwinger
zu seiner Flucht mit neu gestärktem Leibe.

Er hebt sich, regt mit Kraft die güldnen Flügel
zu unsrem Staunen durch die grauen Lüfte,
befreit sich wähnend, spottend seiner Grüfte,
gradweges taumelnd nach dem Grabeshügel.

Nie war die Freiheit näher beim Verderben!
Nie war die Wonne näher bei dem Wehe!
Nie war der Frühling näher bei dem Schneee!
Nie war das Leben näher bei dem Sterben!

Und rufen hört' ich tausend Frühlingsgeister,
indes der Sturm zerwühlte meine Locken,
indes ich starrte in das Spiel der Flocken:
du warst ein lässig-schlechter Kerkermeister.


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