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Der Tod des Gracchus

Hoch über Romas Scheitel geht
die Schar der ew'gen Sterne,
indes der junge Morgen steht
mattschimmernd in der Ferne.
Er hebt das Füllhorn von Rubin,
da zuckt es rot am Palatin
und rinnt durch Myrtenäste
auf Villen und Paläste.

Und rege wird's mit einemmal
in Straßen und in Gassen,
und ihr verschlungener Kanal
kann kaum die Bürger fassen.
Die Zungen eifern allesamt,
und wilder Rede Feuer flammt
aus haßerfülltem Schlunde
und fliegt von Mund zu Munde.

Und brüllend wächst der Donner an,
und grollend sinkt er nieder.
Und einen Helden, einen Mann,
den nennt man immer wieder.
Sein Name steigt aus tiefer Gruft
des Elends in die Morgenluft
und schwebt, als hab' er Flügel,
um alle sieben Hügel.

»Tiberius Gracchus!« tönt es wild
und tönt es um die Wette.
Und auf zu neuem Donner schwillt
der Stimmen weite Kette.
Und hinter seinen Mauern steht
der Wuchrer, murmelnd ein Gebet,
und bebt im Nachtgewande
vorm Tode – nicht vor Schande.

Und auf vom Lager steht Tiber,
umhüllend die Gewänder.
Der Sklave schnüret kummerschwer
ihm der Sandalen Bänder.
Und was das Knechtesauge spricht,
von tiefer Wehmut trunken,
der stille Mann vernimmt es nicht,
in Sinnen tief versunken.

Und ruhig, ohne Blick und Wort,
geht Gracchus durch das Zimmer,
er hört im Busen fort und fort
ein klagendes Gewimmer:
»Ich komme«, spricht er, »harret aus!
Zusammenstürzt das faule Haus;
ich will es euch zerhauen
und euch ein neues bauen!«

Die Toga ordnend mit Bedacht,
schickt er sich an zu gehen,
doch plötzlich, wie vom Traum erwacht,
bleibt er im Laufe stehen.
Die Stirne streichend mit der Hand,
spricht er von neuem: »Volk und Land,
euch gab ich mich zu eigen,
mag Lieb' und Sehnsucht schweigen.

Schlaf, schlaf, mein Weib! Schlaf, schlaf, mein Kind!
Schlaft still auf kühlem Lager!
Da draußen auf der Gasse sind
Gespenster, dürr und hager.
Durch unsres Staates Wunden brach
ein Meer von Elend, Leid und Schmach
und wogt in Fieberschauern
um meines Hauses Mauern.«

Und wie es ewig sich verhält
mit starker Männer Glücke,
der Überzeugung Hammer fällt
und schmettert es in Stücke.
Er geht, – da, ohne Wort und Gruß,
fällt ihm zu Füßen Blossius;
erhitzt vom schnellen Gange,
stockt er und stottert lange.

»Herr, fliehe! fliehe! – Deine Tat
wird nimmer sich vollenden!
Sie schüren oben im Senat
an deinen Todesbränden!
Bald fällt die Flamme prasselnd ein,
es wird um Tod und Leben sein!
Sie brüten wilde Rache
und fluchen deiner Sache.«

»Laß sie nur brüten allesamt;
laß sie nur spein und fluchen!
Ich hab' den Ätna mir entflammt;
sie mögen mich besuchen!
Was frommt mir Leben oder Tod!
Die armen Leute brauchen Brot, –
das will ich ihnen reichen,
und sollt' ich drob verbleichen!«

Er schiebt den Freund hinweg und geht;
da wirft sich ihm entgegen
sein Weib und warnt und mahnt und fleht
ihn lang und allerwegen:
»O sieh, wie bleich mein Angesicht!
O sieh, wie bleich es warnt und spricht!
Mach rot die bleichen Wangen,
bleib, stille mein Verlangen!«

»O Weib, was flehst du mich so heiß
mit ungestümer Bitte?
Fürwahr, du bist wie Schnee so weiß.
Doch wie ich immer litte,
ob deine Wange weiß, ob rot –
die armen Leute brauchen Brot!
Soll, um dich rot zu färben,
das Römervolk verderben?«

Er ringt sich los, er drängt sie fort
und wehret ihren Küssen.
Da wird mit raschem Schreckenswort
die Pforte aufgerissen:
»Flieh! Denn zur Räuberbande wird
der hohe Rat, der Völker Hirt,
es wollen seine Horden
mit Knütteln dich ermorden!«

»Schweigt alle!« spricht Tiber und steht,
und seine Lippen beben;
durch seine Glieder aber geht
ein ungestümes Streben.
»Was seid ihr fahl, was seid ihr bleich? –
Ein Geier nagt am Römerreich,
er wird's zum Aase machen,
hilft Gracchus nicht den Schwachen!

Von dannen, wem's an Mut gebricht,
er schleiche sich von dannen!
Des Volkes Flüche zittern nicht,
die meine Sehnen spannen. –
Und schlägt man mich mit Knütteln tot,
die armen Leute brauchen Brot,
das will ich ihnen reichen,
und sollt' ich drob verbleichen!«

Sein Auge flammt, er schreitet fest
hinab die Marmorstufen,
und wie sein Haupt sich blicken läßt,
beginnt das Volk zu rufen:
»Tiberius Gracchus Sieg und Heil,
in seine Hand ein Donnerkeil,
die Aigis seinem Arme!
Bring Lindrung unserm Harme!«

Und wo er geht der Straßen Gleis,
wälzt sich der wilde Haufen.
So Knabe, Jüngling, Mann und Greis
kommt schreiend nachgelaufen.
Das Forum öffnet seinen Plan,
und weiter seine heiße Bahn
geht Gracchus unter Winken
zur Rechten und zur Linken.

Die Menge teilt sich vor ihm her
und neigt sich vor dem Helden.
Und Boten rennen kreuz und quer,
zu künden und zu melden.
Da – plötzlich alle Kehlen ruhn,
denn mächtig schreitet der Tribun
mit ruhig stolzer Miene
empor zur Rednerbühne.

Er überschaut mit festem Blick
die aufgeregte Menge
und mustert ruhig Stück um Stück
das flutende Gedränge.
Dann tönt die Stimme wie Kristall –
und stiller noch wird's überall.
Es dringt zum fernsten Orte
die Lava seiner Worte.

Er spricht von Sklaven, die das Land
des freien Manns bewohnen,
die in des reichen Prassers Hand
nur seinen Lüsten fronen.
Er spricht vom Prasser, dessen Gut
zusammenklebt der Bürger Blut,
und zeigt auf seiner Brüder
zerlumpte Kleider nieder.

Er sagt: »Wo ist des Bürgers Land?
Wo ist das Brot der Bürger?
In seine Felder kam der Brand,
in seinen Stall der Würger,
auf seinem Hause sitzt die Not,
auf seiner Wange hockt der Tod,
die Schmach an seinem Weibe,
der Hunger ihm im Leibe!

Gebt, Brüder, was des Armen ist,
gebt, was ihr habt genommen!
Ein Lieben und Erbarmen ist
des edlen Mannes Frommen! –
Wir herrschen nah, wir herrschen fern,
uns selber wühlt der Wurm im Kern.
Löst ihn aus seinem Marke,
daß unser Baum erstarke!«

Es murrt des Volkes Rächerwort,
es flucht im düstren Grimme,
und immer schallet fort und fort
des Redners mächt'ge Stimme. –
Und höher kriechet dumpf und hohl
des Volkes Fluch aufs Kapitol
und murrt zum hohen Rate
der Reichen im Senate.

»Hört, wie die Bestie murrt und keift!«
Nasica ruft's im Zorne.
»Des Staates letzte Stunde reift
an diesem Unheilsdorne!
Auf, rettet, rettet unsern Staat!
Ist hier ein Schurke im Senat,
der sich darob besinnet,
indes die Zeit verrinnet?

Wie? fürchtet ihr den tauben Lärm,
ihr zagenden Gemüter?
So tragt den Hunger im Gedärm,
verschleudert eure Güter! –
Ein Knüttelhieb, ein rascher Arm:
zum Orkus rennt der feige Schwarm!
Auf! Zeiget diesen Katzen
nun eure Löwentatzen!

Ihr säumt? So wollt ihr euer Gut
zerrissen sehn von Geiern,
und, wenn man wühlt in eurem Blut,
mit feiger Miene feiern?
Die Heuschreck' liegt in eurer Saat!
Ist hier ein Schurke im Senat,
der sich darob besinnet,
indes die Zeit verrinnet?«

Er springt empor in wilder Hast,
kraftstrotzend jede Sehne,
und seine Rechte mächtig faßt
die nächste Sessellehne.
Hoch über seinem Haupte her
schwingt er das mächtige Gewehr
und stürzt mit Kriegsgebrülle
sich in die Menschenfülle.

Die andern folgen wild ihm nach. –
Die Menge weicht und fliehet.
Der Habsucht Wölfe wurden wach;
des Abgrunds Feuer glühet.
Da zuckt ein Stoß – da saust ein Streich:
»Nicht wahr, die Lumpen fallen gleich?
Wir haben ihre Knochen
bei Lebzeit schon gebrochen!«

Und wirklich, was nicht sinkt und fällt,
das flieht in wüsten Massen.
Der Senatoren Schlachtruf gellt
durch Tempel, Markt und Gassen.
Tiber – auf seiner Bühne kühl
beschaut das grauliche Gewühl,
indes mit tausend Schlingen
die Feinde ihn umringen.

Und starrt und starrt und wird nicht müd,
den Flücht'gen nachzuschauen.
Ein Eishauch füllet sein Gemüt
und ein unnennbar Grauen.
Doch – plötzlich rinnt ein Tränenstrom:
»O armes, armes Volk von Rom!«
Da – unter schweren Streichen
die Sinne ihm entweichen.

Es knirscht sein Haupt, und beißend fällt
der Dolch in seine Rippen,
und eine herrliche Götterwelt
entröchelt seinen Lippen:
»Kraft, Götter, Kraft! – Das ist der Tod!
Gebt ihr – den – armen Leuten Brot!«
So betet er im Sterben
auf seiner Hoffnung Scherben.


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