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Der Wächter

Wenn bleich der Mond mit mildem Licht erhellt
um Mitternacht die schlummermüde Welt,
dann denk' ich oft an einen stillen Mann,
und meine Träne fängt zu rinnen an.
Um einen Bahnhof schlich er jede Nacht,
den er mit seinem Spieß und Hund bewacht'.
Der Spieß war rostig, struppig war der Hund,
der arme Wächter krank und todeswund.

Die Lippe bleich und schmal; sein Auge matt
unheimlich düster nur gefunkelt hat,
wenn man ihm mitleidsvoll ein Mittel bot,
zurückzuschrecken den Gevatter Tod,
Gevatter Tod, mit dem er rum sich schlug
und den er fest im kranken Busen trug.
Kein Mittel half; und ob er auch zuletzt,
von Todesangst und Herzensqual gehetzt,
von seinem Spieß den braunen Rost geleckt,
nichts hat den Gast im Busen fortgeschreckt.

So schlich er sich gespenstig um das Haus
und maß der Schienen blanke Stränge aus,
ging hin und her auf einsam stiller Wacht;
Gott weiß es, was der Arme da gedacht.
Rings Wald und Flur; im bergig weiten Tal
ein fernes Licht, bald rot, bald gelblich fahl;
ein Tropfen Schweiß bald, bald ein Tropfen Blut:
Kalköfen sind's in ewig reger Glut.
Und jedesmal, wenn heller ward ihr Brand,
ward rot miteins des Wächters Wang' und Hand;
und wurde matter ihr erdrückter Strahl,
so ward ihm Hand und Wange wieder fahl.
Denn was sich tödlich drin im Busen regt,
das hat die Flamme ihm hineingelegt.
Sie buk ein Brot, das er im Hunger aß,
an dem er krankt', wie Weib und Kind genas.
Doch sah er auch von ferne schon den Tod,
sein Weib und seine Kinder brauchten Brot.
Schweißtropfen quollen nieder Jahr auf Jahr,
die Brust vom Kalkstaub schier zerfressen war;
er ließ mit Sorg' und Mühen nimmer nach,
bis er auf einmal jäh zusammenbrach.
Ein Krankenlager kam: Furchtbare Pein,
zum Tode krank und arm dabei zu sein,
zu sehn die Not im Weibesangesicht,
ein hungrig Kind, das fast zusammenbricht
vor Mattigkeit, mit jammervollem Schrei
die Ärmchen ausstreckt nach der Arzenei.
Da sprang er auf, und noch zum Tode krank,
er seine schwachen Kräfte neu verdang –
ward Wächter – lief die Nächte müd umher
und schlief am Tage heiß und fieberschwer.

So schritt er denn in einsam-stillem Gang
wohl auf und ab den graden Schienenstrang,
im letzten Dienst, gemartert und erschlafft
für Weib und Kind, mit seiner letzten Kraft.
Oft stand er da vom Wintersturm umbraust,
mit großen Augen und geballter Faust,
von heißen Tropfen das Gesicht betränt,
an des Gebäudes Ziegelwand gelehnt,
und sah hinaus mit stierem Angesicht
nach seiner fernen Totenfackeln Licht.

Und so auch fand man ihn zuletzt erstarrt
und hat ihn still und schleunigst eingescharrt.
Es dröhnt der Zug und tobet übers Gleis,
das Feuer brennt noch heut wie Blut und Schweiß,
und jetzt wie damals bäckt man in das Brot
den frühen, kalten, jammervollen Tod!


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