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Die sieben bunten Mäuse

Pommersche Sage

»Das war eine wunderbare Geschichte,
die sich zu Pudmin zugetragen,
und wollt ihr, daß ich sie berichte,
dann, Kinder, braucht ihr's nur zu sagen,
hat just vom Turme zehn geschlagen.
Wen eine Stunde Zeit gereut,
dem rat' ich, bald sich fortzumachen,
zu solchem Ding und solchen Sachen
braucht's Ruhe und Gemütlichkeit.« –
Wie nun die Stube halb geleert,
sich alles noch zusammenrückt
und alles lauscht und alles hört,
hat sich der Alte angeschickt,
sein Märlein wacker zu erzählen
und seine Worte wohl zu wählen.

»Sieben Kindlein saßen«, beginnt der Greis,
»allein in verödeter Stube.
War'n ihrer sieben, soviel ich weiß,
und unter allen kein Bube.
Sie trugen alle ein buntes Kleid
und alle ein rötliches Käppchen
und hatten alle, 's war Frühstückszeit,
zu Händen das selbige Häppchen.
Die Mutter, zur Kirche ist sie gewallt,
als fernher das Glöcklein herübergeschallt.
Zur Kirche waren die Nachbarsleut',
Karfreitag steht im Kalender heut.
Ein jedes knuspert, ein jedes nagt
am spärlich bestrichenen Brote.
Die Mutter hat jedem ins Ohr gesagt
ein ganzes Dutzend Gebote;
die nicht zu verletzen, bald hier und bald dort,
wagt sich kaum eines von seinem Ort,
die Mutter, die Mutter ist zornig.
Doch wie es immer bei Kindlein geht,
so geht es auch bei den sieben.
Was so in Kinderköpfchen steht,
ist nicht in Eisen geschrieben.
Als Stund' auf Stunde vergangen war,
da hatten alle ganz und gar
der Mutter Gebote vergessen. –
Die Mittagsstunde kommt heran,
doch immer noch nicht die Mutter.
Wer sich nicht selber füttern kann,
der schreit und greint nach Futter.
So ging es auch den armen Kleinen,
sie fingen alle an zu weinen
und weinten, bis aus dem Tränenbronnen
kein einziges Tröpflein mehr kam geronnen.
Da suchten sie denn in Küche und Kammer,
wo sonst die eßbaren Dinge standen,
doch als sie alles verschlossen fanden,
erhoben sie alsbald ein neues Gejammer.
Bis eins der Mägdlein, mit großen, runden
Guckaugen, was hinter dem Ofen gefunden.
Nun drängten sich alle um den Fund!
Es ist ein kleines, strotzendes Säckchen,
draus gucken Äpfel mit purpurnen Bäckchen,
so recht begehrlich für den Mund.
Alsbald geht's an ein kurzes Beraten,
doch schleunigst schreitet man zu Taten;
und wie die Untersuchung erweist,
ist schließlich alles aufgespeist. –
Die Mutter indessen, in stillem Gebet,
noch von der Predigt ganz benommen,
bei ihrer guten Gevatterin steht,
die jüngstens hat ein Kind bekommen.
Die Glocken läuten, es tönt das Amen,
und alle gehen in Gottes Namen.
Doch wie alles erst aus der Kirche gelaufen,
läßt man sich an, das Kind zu taufen.
Das Wasser wird über den Täufling gesprengt
und drüber der Segen Gottes verhängt.
Drauf alles sich trennt. – Nur die beiden Frauen
sich noch zum Schluß ein wenig erbauen,
bis sie denn auch unter Händedrücken
sich endlich an zu gehen schicken.
›Du brauchst‹, spricht die eine, ›fürs heutige Taufen
dir keine Äpfel und Nüsse zu kaufen,
hab' just ein Säcklein hinterm Herd
für diesen Tag mir hingestellt.
Das Obst kost't heuer schweres Geld.
Gott hat euch so viel beschert,
drum sag mir weiter nur kein Wort,
in einer Stunde bin ich dort
und bring' euch mit, was ich versprochen.
Leb wohl, und grüß mir deinen Jochen.‹
Sie geht nun still vergnügt nach Haus
und denkt, wie gut doch bei dem Schmaus
die schönen Äpfel schmecken werden.
Sie sieht die dankenden Gebärden
der Wöchnerin. – Verwundert schier
steht sie, eh sie es noch gedacht,
daß sie den halben Weg gemacht,
schon vor der eignen Hütte Tür.
Da hört sie denn ein lautes Lärmen,
ein Kichern, Huschen und ein Schwärmen,
ein helles Klatschen in die Hände
und Jauchzen und Jubeln ohne Ende.
Sie will hinein, dann lauscht sie wieder,
doch plötzlich zuckt's ihr durch die Glieder,
sie ahnt, stößt auf die Tür und sieht,
was ihr das Herz zusammenzieht,
das leere Säckchen auf der Dielen,
womit die Mägdlein lustig spielen;
ein Schrei der Wut – ein Schlag – ein Stoß –
die Kinder stieben in alle Ecken,
bleich wie der Tod. Nun bricht es los,
wie Wetterwinde in die Hecken:
›Ihr Brut, ihr Krähen, Diebsgesichter!
Bin ich ein Maus- und Rattenzüchter?
Hab' ich das Stehlen euch gelehrt?
Beim Satanas und allem Bösen,
ihr Diebsvolk, bin ich das gewesen,
so wollt' ich, daß ihr Mäuse wärt!‹
Hui, was geschah! – Es steht im Buch,
geht hin und seht es selber an;
solch grauser, finstrer Höllenfluch,
und am Karfreitag noch getan,
gibt Macht den Teufeln ohne Maßen,
da muß sie Gott gewähren lassen.
Kaum also ist das Wort heraus,
husch, husch am Herd, husch, husch am Rocken,
hie eine Maus, da eine Maus.
Der Mutter alle Pulse stocken.
Sie starrt und taumelt, will sich halten.
›Fort‹, ruft sie, ›fort, ihr Spukgestalten!‹
Dann wieder schaut sie nach den Kleinen
und sucht umher mit Schluchzen und Weinen
und findet nichts im ganzen Haus.
Nur immer vor der Mutter her,
husch, husch – gespenstig kreuz und quer
hie eine Maus, da eine Maus.
Sonst ist die ganze Stube leer.
›O Jesus!‹ ruft das arme Weib,
wie sie das grause Wunder schaut,
und zitternd schier am ganzen Leib,
rennt sie, die Mäuslein einzufangen,
die über Topf und Tiegel sprangen.
Waren ihrer sieben an der Zahl,
trug ihrer jedes ein rotes Mal
und ein blauschillernd buntes Fell;
zwei Äuglein, klar und wunderhell,
schauten die Mutter bittend an,
just als wollten sie traurig sagen:
‹Mutter, du hast uns weh getan,
müssen es büßen, müssen es tragen.‹
Der Mutter aber schnitt's hinein
ins arme Herz wie scharfe Messer;
sie wurde blaß und immer blässer.
›O hört mich‹, rief sie, ›Kindelein!
Höhnt eure treue Mutter nicht!‹
Und zu dem lieben Gott gericht't,
die Augen stier und wild nach oben,
von kaltem Angstschweiß überquollen,
Mit wildem, grausem Augenrollen
beginnt sie alles zu geloben,
was Menschen nur geloben können.
Die Mäuslein aber hüpfen und rennen
und suchen herum an allen Wänden,
wo sie ein Loch zum Fliehen fänden.
Das merkt die Frau in ihrer Not,
springt eilig vor der Kammer Pforte,
holt alle ihre Schmeichelworte,
heult, klagt und wimmert, fleht und droht.
Die Mäuslein aber schauen sie an,
just als wollten sie traurig sagen:
›Mutter, du hast uns weh getan,
müssen es büßen, müssen es tragen,
Mutter, Mutter, es muß geschehn,
werden dich nimmer wiedersehn!‹
Und wie die Mutter auch fleht und spricht,
die armen Mäuslein folgen ihr nicht;
und Maus auf Maus,
husch, husch, hinaus,
hinaus aus dem Haus,
hinaus auf die Gasse,
entlang die Straße,
quer über den Rain
ins Feld hinein.
Die arme Mutter mit Wimmern und Schnaufen
kommt angstvoll hinterdreingelaufen,
rennt sich die Sohlen der Füße wund,
bittet und klagt mit vertrocknetem Mund.
Aber die Mäuslein springen gewandt
über Steine, Schollen und Sand,
lassen die Mutter klagen,
rennen und hüpfen und jagen,
bis ein schilfiger Weiherrand
sie ein wenig bannt.
Und als sie am stillen Gewässer stehn,
klingt es zur Mutter wie leises Flehn,
klingt es herüber, so lang, so lang,
wie ein trauriger, schauriger Totengesang,
klingt es fort und erstirbt im Schilf,
haucht noch leise: ›Gott, hilf, Gott, hilf!‹
Zu Hilfe, zu Hilfe die Mutter eilt,
da sieht sie, wie sich die Woge teilt.
Da sieht sie, wie ein glühender Schlund
die Mäuslein reißt in den schwarzen Grund.
Funken stieben und sprühen umher,
dann ist die Fläche glatt und leer.

Das ist's, was ich von Pudmin weiß,
ich hab's erzählt auf euer Geheiß.
Wer's nicht will glauben, frage die Leute,
die dorten jetzt wie damals leben;
der ›Mäusewinkel‹ heißt noch heute
der Ort, wo dieses sich begeben.
Und wer es dennoch nicht will glauben,
der kann sich jeden Zweifel rauben,
geht er bei nächt'gem Dämmerschein
zum allbekannten ›Mäusestein‹.
Da wird er alsbald im Mondenglanz
erschaun der Mäuslein Mittnachtstanz.
Denn immer zur stillen Mitternachtsstunde
kommen sie aus des Teiches Grunde
und hüpfen im Kreise
rings um den Stein
und singen die Weise
ins Herz dir hinein:

›Herauf, herauf,
du kleiner Hauf',
der Bräutigam soll kommen,
versäumt ihn nicht
im Mondenlicht,
das wieder ist entglommen!

Ach gar zu früh
wir sanken hie
zu aller Englein Leide.
Wir wollen fein
erlöset sein,
wir Mäuslein und wir Maide.

Komm, Junggesell,
der Mond scheint hell,
ruh aus auf unserm Steine!
Wir werden dein
und Fleisch und Bein,
und du bleibst nicht alleine.

Sechs Knaben doch
sich finden noch.
Sieben Maidlein wir im Kranze,
wir warten schön,
mit euch zu gehn,
juchhe zum Hochzeitstanze.

Ach gar zu früh
wir sanken hie
zu aller Englein Leide.
Wir wollen fein
erlöset sein,
wir Mäuslein und wir Maide.›‹«


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