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Vierzehntes Kapitel

Monatelang lag er mit den entsetzlichsten Schmerzen zu Bett. Zwischen den Kisten stöhnend, erlebte er seinen fünfzigsten Geburtstag. Er dachte jetzt oft an den Tod. Nicht freiwillig, denn er haßte diesen Gedanken, aber die Vorstellung, daß er einmal nicht mehr sein würde, lastete jetzt auf ihm wie ein teuflisch grausamer Alpdruck. In der Nacht, wenn sein Gehirn hemmungslos und fiebrig arbeitete wie eine verzauberte Mühle, schrie er in seiner dunklen Einsamkeit auf: nein, nein! Um jeden Preis wollte er leben. Noch lange. Und wenn es eine Unmöglichkeit war: er wollte ewig leben. Das Leben ist wunderbar schön und gut. Auch für den vor Qualen stöhnenden Kranken; denn am Essen fand er unsagbaren Genuß, der Geschmack des Weines berauschte ihn, und es war eine fast überirdische Freude, aus dem Fenster auf die Türme der angebeteten Heimatstadt zu blicken. Nicht nur einmal fielen ihm die Worte Fra Paolos ein: Wer das Leben so sehr liebt, ist nicht zum Märtyrer geboren.

»Ich will auch keiner werden!« rief eine heftige Stimme in ihm. »Ich will leben für meine Arbeit, ich will mit diesen großen Gedanken siegen und ich will diesen Sieg bis zur Neige auskosten!«

Während er in seinem gepolsterten Gefängnis auf diese Weise mit sich rang, wandte sich aus einem wirklichen Gefängnis ein sonderbarer Mensch an ihn: Campanella. Dieser Dominikanermönch, der um seines rebellischen Geistes willen vier Kirchenprozesse über sich ergehen lassen mußte, hatte mit Giordano Bruno im Gefängnis des Papstes gesessen und war stets nur um Haaresbreite dem Scheiterhaufen entgangen. Er konnte einfach nicht Ruhe geben. In seinem Geburtsort in Calabrien, in dem kleinen Stilo, hatte er einen neuen Staat gründen wollen; die Verschwörung war jedoch verraten worden. Seine Parteigenossen wurden geköpft, und er entging der Enthauptung nur dadurch, daß er den Irrsinnigen spielte. Die neapolitanisch-spanische Regierung wußte nichts mit ihm anzufangen und verurteilte ihn zu lebenslänglichem Kerker. Der angebliche Irre schrieb im Kerker nacheinander seine metaphysischen und politischen Bücher und überschüttete sowohl den Papst als auch die weltlichen Herrscher mit weltverbessernden Plänen. Im Augenblick wollte er den Sonnenstaat gründen, ein sonderbares kommunistisches und antidemokratisches Gebilde, das unter der selbstlosen Führung großer Geister stehen sollte. In fernen zahlreichen Büchern sprühten merkwürdige Funken eines verkommenen Genies. Viele seiner klar formulierten philosophischen Sätze ließen sich bei wissenschaftlichen Debatten gut benutzen. Er behauptete zum Beispiel Dinge wie: »Wissen, ist soviel wie Sein«, oder: »Drei Dinge sind auf dieser Welt bestimmt: unser eigenes Sein, unser eigenes Bewußtsein und unser eigener Wille.«

Als ob der gefangene Mönch mit hellseherischen Augen aus seinem neapolitanischen Kerker einen Blick auf Galilei geworfen habe, schrieb er ihm jetzt, daß er an einem neuen großen Werk arbeite: er wolle beweisen, daß sowohl des Alte als auch das Neue Testament für Kopernikus spreche.

 

»Alle Gelehrten der Welt empfangen ihr Gesetz aus Eurer Feder; denn ohne eine gesicherte Weltordnung kann man wissenschaftlich nicht arbeiten. Alles, was wir bisher wußten, ist zweifelhaft geworden und schwankt. Ich bitte Euch inständig, vernachlässigt alle Eure anderen Arbeiten und beschäftigt Euch ausschließlich mit der Ausarbeitung des neuen Weltsystems; denn Ihr könnt nicht wissen: vielleicht sterbt Ihr morgen.«

 

»Der Teufel soll dich holen«, brummte Galilei, »ich werde mich hüten, schon morgen zu sterben.«

Er war zornig auf diesen eigenartigen Dominikaner, der sorgenlos und in blühender Gesundheit schon seit sechzehn Jahren in seinem Kerker lebte, sich dort sehr wohlfühlte und ihn jetzt mit Todesgedanken belästigte.

Und unerwartet meldete sich auch Simon Mayr wieder, der längst in Vergessenheit geraten war, um den im Krankenbett leidenden Gelehrten an die Entdeckung der Jupitertrabanten zu erinnern. Nach dem Capra-Skandal waren Capra und er aus Padua spurlos verschwunden. Später erzählte man sich, daß sich Capra nach Mailand zurückgezogen habe. Jetzt tauchte Mayr also wieder auf. Er hatte unter dem Titel » Mundus Jovialis« ein Buch über seine Entdeckung der Jupiterplaneten geschrieben. Galilei wollte seinen Augen nicht trauen, als er dieses Buch las. Die maßlose Unverschämtheit Mayrs imponierte ihm beinahe. Wie sie ihm seinerzeit den Zirkel stahlen und ihn obendrein des Plagiats bezichtigten, so hatte Mayr ihm jetzt die Medici-Sterne entwendet und würde ihn zweifellos wiederum des Plagiats anklagen, wenn er dagegen Einspruch erhöbe. Das Buch prahlte mit genauen Daten und war überhaupt bestrebt, die Geschichte der Entdeckung der neuen Sterne recht aufregend darzustellen. Galilei konnte nichts anderes, als verwundert mit dem Kopf schütteln. Er war müde und krank. Er warf das Buch in die Ecke. Diesen neuen unglaublichen Fall unverschämter Dreistigkeit betrachtete er wie eine noch nie gesehene Naturerscheinung, die ihn persönlich gar nicht berührte und die er sich selbst niemals zutraute. Die Entscheidung, ob er sich damit befassen und antworten sollte, verschob er bis zu seiner unbestimmten Genesung.

Noch nie hatte ihn die Krankheit so arg mitgenommen wie diesmal. Im Kloster war die Zeit herangekommen, daß seine Töchter im Rahmen der üblichen Feierlichkeiten eingekleidet werden sollten. Er wolle unbedingt zugegen sein, schrieb er. Er hatte viele Sorgen mit den Mädchen gehabt. Virginia war oft krank. Vor allem hatte sie mit ihren Zähnen Beschwerden. Kaum daß ein Zahngeschwür geheilt war, trat ein anderes auf. Monatelang lief sie mit geschwollenem Gesicht und mit einem Verband um den Kopf herum. Und der Kleinen ging es nicht immer gut. Galilei schickte seinen eigenen Arzt ins Kloster, und dieser Doktor brachte Nachrichten von den kranken Kindern zum kranken Vater. Zugleich berichtete er auch von der Ungeduld der Schwester Lodovica, daß man die Einsegnung der Mädchen nun nicht länger aufschieben könne. Schließlich wurden Virginia und Livia eingeweiht, ohne daß der Vater an der Festlichkeit teilgenommen hätte. Es war überhaupt niemand von der Familie da: vor der Großmutter hatte man die ganze Sache verheimlicht, weil man Angst hatte, daß sie im Kloster noch einen Skandal machen könnte, und so blieben auch Landuccis fern.

Erst im Spätsommer konnte der Kranke wieder aufstehen. Er mußte erst wieder gehen lernen; drei Schritte bis zum Tisch und zurück zum Bett. Dann ging er, auf seinen Sohn gestützt, in den Garten. Als er unten war, konnte er nicht mehr weiter. Langsam, ganz allmählich kam die Zeit, daß er endlich wieder auf die Straße konnte. Wer ihn traf, erkannte den blassen, von dem dauernden heftigen Fieber abgemagerten und sich mühselig dahinschleppenden Mann kaum wieder. Bis in das Kloster Arcetri konnte er nicht zu Fuß gehen. Er bekam vom Hof eine Sänfte zur Verfügung gestellt, um seine Töchter besuchen zu können. Vincenzo nahm er auch mit. Mit der besonderen Erlaubnis der Oberin durften sie den ganzen Nachmittag zusammen verbringen. Vincenzo jagte die Hühner im Klostergarten, schlug ein Fenster ein, brach den schönsten Zweig eines jungen Obstbaumes ab, und obwohl er für jede seiner Untaten von seinem Vater eine Ohrfeige erhielt, beruhigte er sich jedesmal nach fünf Minuten kräftigen Brüllens, tobte weiter und fühlte sich sehr glücklich. Livia war wortkarg und mürrisch, sie saß stumm neben ihrer Schwester und ihrem Vater, zupfte fortwährend an den Falten ihres Gewandes herum und hätte um keinen Preis der Welt gelächelt. »Sie ist immer so«, sagten die Klarissen. Virginia aber war trotz ihres Verbandes und ihrer schmerzenden Zähne lebhaft, fesselnd und liebenswürdig. Sie sprudelte ihre kleinen Klostergeschichten fröhlich hervor, jede ihrer Erzählungen hatte Humor, und aus dem Kinde strahlte überirdische Güte.

»Ich kann mir das Kloster ohne Virginia gar nicht mehr denken«, sagte die Oberin, »ich würde mich geradezu gelähmt fühlen, wenn sie einmal nicht mehr hier wäre.«

»Ein liebes Kind, wirklich!« pflichtete Galilei stolz bei und freute sich.

»Mehr als das. Eine kleine Heilige. Als ob sie gar nicht von irdischen Eltern wäre. Eine tiefe Frömmigkeit wohnt ihn ihr, die ich selten bei Erwachsenen festgestellt habe. Ich weiß gar nicht, woher sie das hat … o, vergebt mir, ich wollte Euer Gnaden nicht beleidigen …«

»Ihr habt mich nicht beleidigt, Schwester Lodovica, aber warum haltet Ihr mich nicht für einen religiösen Menschen?«

»Zürnt mir nicht … man redet soviel … Ich glaube es natürlich nicht … daß Ihr die Heilige Schrift verleugnet … Und dann habe ich auch so etwas gehört, daß Ihr an den Allmächtigen nicht so glaubt, wie man soll. Verzeiht, ich weiß, daß alles nur Geschwätz ist, aber wenn es schon zur Sprache gekommen ist, wollte ich es eben nicht verschweigen …«

Galilei lachte und versicherte der Oberin, daß er an denselben Gott glaube wie sie. Als er aber mit seinem Sohn von diesem Ausflug heimkehrte, dachte er in seiner Sänfte noch lange darüber nach. Was könnte man unternehmen, um dieses widerliche Geschwätz zum Schweigen zu bringen? Wenn es möglich gewesen wäre, hätte er sich am liebsten auf den Domplatz gestellt und hierüber zum Volke geredet. Er hatte das Gefühl, als ob sich unsichtbare Schlingpflanzen um seine Füße legten, schmutzige, ekelhafte Winden, und je mehr er sie mit den Füßen trat, um so fester verwirrten sie sich. Wenn er auf der Straße einem Geistlichen begegnete, empfand er sofort, daß ihn dieser haßte. Er sollte ihn eigentlich ansprechen und ihm menschlich auseinandersetzen, daß er sich irre. Er ging aber zu keinem hin, und diese wandten ihren Kopf mit starrem Gesicht ab, wenn sie an ihm vorüberschritten.

An einem Adventssonntag besuchte ihn vormittags sein Schwager Landucci. Der Schwager war ein seltener Gast bei ihm, ebenso wie er ein seltener Gast im Hause Landucci war. Er mußte also sehr wichtige Gründe haben, wenn er zu ihm kam. Sein verstörtes Gesicht zeugte von starker Erregung.

»Galileo, es ist etwas sehr Unangenehmes geschehen. Die ganze Stadt spricht von dir und uns. Das ist sehr peinlich für die Familie, ich kann es nicht leugnen. Mein Vater war Gesandter in Rom, ich bin es seinem Namen schuldig, daß ich unseren Namen in Ehren halte. Es wäre gut, wenn du etwas unternehmen würdest. Meine Frau schämt sich und weint. Sie wollte nicht einmal mit herkommen.«

»Aber warum? Was ist los?«

»Man hat dich von der Kanzel angegriffen, lieber Freund. Ich komme gerade aus der Santa Maria Novella, wir hören dort jeden Sonntag die Messe. Caccini, der Dominikaner, hat gepredigt. Die ganze Kirche hat nur uns angestarrt. Ich bin vor Scham fast in die Erde gesunken.«

»Was hat er gesagt? Hat er auch meinen Namen genannt?«

»Natürlich hat er das. Allerdings muß man sagen, daß er sehr geschickt gepredigt hat. Er legte seiner Philippika einen zweifachen Text zugrunde, nämlich einen Abschnitt aus dem Buche Josua und einen aus der Apostelgeschichte. Er sagte: ›Ihr galiläischen Männer, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor?‹«

»Ein geistreicher Einfall! Ausgerechnet den Himmel. Und mein Name. Sehr geschickt! Was hat er also gesagt?«

»Er hat auf dich geschimpft. Eine gute halbe Stunde lang. Daß du über die Bewegung der Sonne und der Erde das Gegenteil dessen lehrst, was in der Bibel steht. Daß du in Florenz Gottlosigkeit säest und daß du gar nicht mehr weit von der Ketzerei stehst. Die Kirche war voll, und das Volk hat in totenstiller Andacht zugehört. Caccini wetterte und schlug mit der Faust auf die Kanzel, niemand dürfte die Bibel anders auslegen, als wie sie die Kirchenväter auslegten. Zum Schluß geißelte er die Mathematiker fürchterlich. Er erklärte, daß der Teufel die Mathematik erfunden habe und man aus jedem Lande die Mathematiker hinausjagen müsse, denn sie seien die Ursache der Ketzerei. Aber ich bitte dich, mein lieber Schwager, damit ist nicht mehr zu spaßen. Ich habe mich nie in deine Angelegenheiten gemischt, aber jetzt, wo auch unser guter Ruf …«

Galilei hob die Hand. Er holte tief Atem, um seinem Schwager kräftig die Meinung zu sagen, aber dazu kam es nicht, da ein Hoflakai eintrat.

»Ihre durchlauchtigste Hoheit, die Großherzogin-Mutter, läßt Euer Gnaden ausrichten, daß Euer Gnaden Ihre Hoheit sofort aufsuchen möchten.«

Galilei verabschiedete sich in der Eile gar nicht erst von seinem Schwager, nahm sein Samtbarett und eilte nach dem Poggio Imperiale. Er atmete schwer, als er ankam, denn der Weg war steil. Man meldete ihn sofort. Die Großherzogin Christina wartete den Gruß des Hofgelehrten gar nicht erst ab.

»Messer Galilei«, sagte sie kühl und bestimmt, »sicherlich habt Ihr schon von der Predigt heute vormittag gehört. Ja? Also das hat uns noch gefehlt, daß man von der Kanzel gegen unseren Hofmathematiker als Ketzer loswettert! Mit Seiner Hoheit, meinem Sohne, der sich nicht wohlfühlt, habe ich noch gar nicht darüber gesprochen, aber sicherlich wird auch ihm diese Angelegenheit sehr nahe gehen. Ich beschuldige Euch nicht, ich mache Euch auch keine Vorwürfe, aber es wäre gut, wenn Ihr irgend etwas unternehmen wolltet.«

»Hoheit«, stammelte der Gelehrte vernichtet, »ich kann nichts anderes tun, als ein guter Katholik sein, die Heilige Schrift achten und meine wissenschaftliche Arbeit verrichten. Geruht zu verfügen, was ich noch tun soll. Ich werde die Befehle Eurer Hoheit gehorsamst entgegennehmen.«

»Das ist es ja eben! Wie soll ich wissen, was Ihr tun sollt. Ich weiß nur, daß mich diese ganze Sache, Josua und die Bibel und die vielen Anzeigen, und ich weiß nicht, was sonst noch alles, zu beunruhigen beginnt und auch Seine Hoheit, den Großherzog. Zieht kein so verzweifeltes Gesicht. Wir zürnen Euch nicht. Aber jetzt wäre es wirklich an der Zeit, die Angelegenheit in Ordnung zu bringen. Das und nichts weiter wollte ich sagen.«

Als Zeichen ihrer Zuneigung reichte die Großherzogin-Mutter ihm die Hand zum Kuß. Wankend verließ Galilei den Saal und eilte geradenwegs zu Picchena, der als Nachfolger Vintas die Staatsgeschäfte lenkte. Auch dieser empfing ihn sofort, weil auch er von der Predigt schon gehört hatte.

»Was soll ich tun?« fragte Galilei mit bebender Stimme. »Soll ich diesen Pfaffen in Stücke reißen? Ich weiß doch gar nicht, wes Geistes Kind er ist.«

»Aber ich weiß es. Er ist erst kürzlich von Bologna hierher versetzt worden, weil er auch dort auf der Kanzel Skandal gemacht hat. Er hat sich hinterher entschuldigen müssen, und daraufhin hat man ihn eben hierher in das Kloster San Marco versetzt.«

»Nach San Marco«, entgegnete Galilei zähneknirschend, »unter die Engel des Fra Angelico. Wie kann man so einen Fuchs in die Gänge des Klosters hineinlassen? Was soll ich mit ihm anfangen? Wie soll ich mir Genugtuung verschaffen? Nunmehr geht es wirklich schon um meine Haut. Die Großherzogin-Mutter hat mich schon kommen lassen. Eines schönen Tages wird auch der Großherzog das viele Hin und Her satt bekommen und dann kann ich wieder in der Fremde von Haus zu Haus ziehen.«

»Das braucht Ihr nicht zu fürchten. Der Großherzog ist Euch ehrlich zugetan, er wird Euch niemals im Stich lasten. Wir haben oft genug darüber gesprochen. Daran fehlt es also nicht. Aber mit der Kirche haben wir Scherereien. Habt Ihr noch nie daran gedacht, daß man Euch bei der Inquisition anzeigen könnte?«

Galilei fuhr erschrocken zurück:

»Mich?«

»Natürlich. Ich wundere mich beinahe, daß das noch nicht geschehen ist. Ich rate Euch, rüttelt nicht an dieser Geschichte, wahret Ruhe und lastet einmal eine Weile Sonne und Erde Sonne und Erde sein. Befaßt Euch mit etwas anderem. Wenn sich die ganze Sache gelegt hat, könnt Ihr ja wieder von neuem beginnen. Aber habt ein Auge auf die Pfaffen. Ihr scheint übrigens keine Ahnung davon zu haben, welch fürchterliche Macht dieses Santo Offizio ist. Auf mich könnt Ihr aber immer zählen, das brauche ich wohl nicht zu betonen.«

Mit hämmernden Schläfen verließ Galilei den Kanzler. Er ging nach Hause, schloß sich ein und versuchte ruhig zu denken. Soll er es dabei bewenden lassen? Das ist unmöglich. Wenn der Feind merkt, daß er den Rücktritt antritt, wird er nur noch ungestümer über ihn herfallen. Aber auch sich selbst könnte er nicht mehr achten, wenn er das kopernikanische Prinzip jetzt, wo er sich gerade erst damit vor die Öffentlichkeit gewagt hat, schon wieder aufgäbe. Er schritt ruhelos in seinem Zimmer auf und ab und rauchte stark.

Als er sich einigermaßen beruhigt hatte, beschloß er, eine Denkschrift an die Großherzogin zu richten. Diese Denkschrift sollte auch von anderen als Sachverständigen gelesen werden. Ganz eingehend wollte er begründen, daß er der Heiligen Schrift treu geblieben sei und gerade seine Gegner in Gegensatz zur Heiligen Schrift stünden. Er nahm sich auch vor, seinen römischen Gönnern zu schreiben, möglichst einem vornehmen Dominikaner, daß man Caccini zum Schweigen bringen solle.

Er machte sich alsbald an die Arbeit. Bis spät abends saß er über der Denkschrift und den Briefen. Schon nach wenigen Tagen erhielt er Antwort aus Rom von Pater Maraffi, einer der angesehensten Autoritäten des Dominikanerordens, von dem er wußte, daß er ein Kopernikaner war. »Dieser Skandal hat mich furchtbar erzürnt«, schrieb Pater Maraffi, »um so mehr, als ihn einer meiner Ordensbrüder verursacht hat.« Er tadelte Caccini heftig, eine Intervention oder eine Genugtuung aber konnte er nicht versprechen. Auch andere Briefe trafen ein, liebenswürdig und gönnerhaft im Ton. Selbst in Florenz hatte die Stimmung umgeschlagen, Bekannte suchten ihn auf, andere schrieben ihm wieder. Man tröstete ihn, feierte ihn, redete ihm gut zu.

Aber diese günstige Stimmung währte nur kurze Zeit. Daß etwas nicht in Ordnung war und im geheimen vorbereitet wurde, darauf machte ihn der Großherzog selbst aufmerksam. Er bestellte seinen Hofmathematiker zu sich und sprach ganz leise mit ihm, damit auch der Posten an der Tür nichts erlauschen könne.

»Ich möchte Euch etwas im Vertrauen mitteilen. Eine geistliche Person, der Name ist jetzt nebensächlich, hat den Beichtvater meiner Mutter gefragt, ob Ihr den bewußten Brief an Castelli nicht auch meiner Mutter vorgelegt hättet.«

»Ich habe ihn nur Castelli geschickt.«

»Ich habe aber einen Verdacht, und darauf möchte ich Eure Aufmerksamkeit lenken, daß mit diesem Briefe irgend etwas nicht stimmt. Wo befindet sich das Original?«

»Bei Castelli.«

»Verlangt den Brief zurück! Ganz gleich unter welchem Vorwand. Die Unterredung mit mir dürft Ihr dabei nicht erwähnen. Laßt Euch von mir sagen, von mir, der ich viel jünger bin, aber ein Medici, daß Abschriften von solchen Briefen in der ganzen Welt frei herumflattern können; denn eine Abschrift ist niemals ein unanfechtbares Dokument. Aber das Original, das unterzeichnet ist, das soll zu Hause unter sicherem Verschluß liegen! Jetzt küßt mir die Hand und geht.«

Galilei verstand das alles nicht. Was konnte man mit diesem Brief nur wollen? Der sprach doch nicht gegen ihn. Im Gegenteil. Was er darin behauptete, konnte er sogar vor dem Papst belegen. Aber sein Instinkt sagte ihm auch, daß irgendeine Gefahr im Anzuge sei. Er verlangte also den Brief von Castelli unter einem unauffälligen Vorwand zurück und erhielt ihn auch unverzüglich. Einige Tage später berichtete Castelli ihm von einem bedeutsamen Ereignis.

Er schrieb, daß Bonciani, der Bischof von Pisa, ihn zu sich gebeten habe. Vor allem habe er ihm Vorwürfe gemacht, daß er Kopernikaner sei. Mit Nachdruck habe er ihm geraten, daß er, wenn er als Geistlicher die Karriere wolle, die ihm als Sproß eines gräflichen Geschlechts offenstehe, von all den Vorstellungen lassen müsse, die der Heiligen Schrift widersprächen. Sehr bescheiden, aber hartnäckig habe er, Castelli, daran festgehalten, daß Kopernikus in keinerlei Gegensatz zur Heiligen Schrift stehe. Da habe der Bischof die Unterhaltung auf Galilei gelenkt und ihm auseinandergesetzt, daß es gescheiter wäre, wenn auch er von dieser unmöglichen Lehre ließe. Er, der Bischof, wäre durchaus imstande, Galilei zu überzeugen, wenn er dessen Argumente kenne.

»Er hat dir doch einen Brief geschrieben«, hatte der Bischof zu Castelli gesagt, »in dem er seine Beweise aufzählt.«

»Jawohl. Ich besitze auch eine Abschrift davon, die kann ich vorweisen.«

»Nein, Abschriften sind meist fehlerhaft. Ich möchte das Original sehen. Wenn ich es vor mir habe, werde ich Galilei Punkt für Punkt beweisen, daß er unrecht hat.«

Damit schieden sie. Castelli setzte sich sogleich hin, berichtete von dem Geschehenen und bat seinen Meister um den Originalbrief. Galilei wurde ganz blaß, als er diese Mitteilung seines Schülers las. Castelli war ein hervorragender Mathematiker, aber ein überaus naiver und gutgläubiger Mensch. Es war sehr durchsichtig, warum der Bischof von Pisa unter dem Vorwand einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung sich mit der Abschrift nicht begnügen, sondern das Original sehen wollte. Die Ermahnungen des Großherzogs beruhten also auf genauer Kenntnis der Sachlage: jemand wollte sich aus ganz bestimmten Gründen den Originalbrief beschaffen.

Galilei schob die Antwort hinaus. Er ließ Castelli warten. Und erst nach geraumer Zeit schickte er ihm eine eigenhändige Kopie des Briefes, unterschrieb sie aber nicht. Den Briefwechsel mit Rom griff er nachdrücklich wieder auf; denn wenn die kopernikanische Frage schon zu einer theologischen Frage geworden war, wollte er sich auf dem Gebiete der Theologie wenigstens in Rom Rückhalt holen.

Von dort erhielt er aber keinen Bescheid. Der Herzog Cesi teilte ihm mit, daß der Kardinal Bellarmin, der so hilfsbereit gewesen war, die Beobachtungen des » Sidereus Nuntius« zu bestätigen, auf einmal unbegreiflicherweise sehr kühl geworden sei und erklärt habe, daß seiner Auffassung nach die Sache mit Josua eine recht heikle Angelegenheit sei und daß nach seiner Meinung Kopernikus unbedingt im Widerspruch zur Bibel stehe. Der Herzog schrieb noch, daß Galilei auf Bellarmin anscheinend auch nicht mehr rechnen könne. Vornehme geistliche Herren, die seinerzeit ausnehmend liebenswürdig zu Galilei gewesen waren, ihn als großen Gelehrten gefeiert und zum Mittagessen eingeladen hatten, zeigten sich jetzt mit einem Male äußerst zurückhaltend. Es gab auch welche, die auf seine Briefe überhaupt nicht antworteten.

Zu gleicher Zeit gab ein Geistlicher namens Foscarini, der zu den unbedingten Anhängern Galileis zählte, in Rom ein Buch über die kopernikanische Weltanschauung heraus. Dieser Umstand wühlte den ganzen theologischen Fragenkomplex nur noch mehr auf. Nacheinander wurden Stimmen laut, daß Foscarini Unannehmlichkeiten haben werde. Endlich kam aus Rom die Mitteilung, daß die Inquisition auf die Anregung unbekannter Persönlichkeiten hin das Werk des Kopernikus höchstwahrscheinlich nachprüfen und auf den Index setzen würde. Galilei wurde immer unruhiger und gereizter. Er war vollständig verstört. Gehetzt wartete er jeden Augenblick auf den Hieb; er wußte nur noch nicht, von wo er kommen würde. Nach und nach zeigten sich seine Nerven diesem aufreibenden Krieg im Dunklen nicht mehr gewachsen. Und eines abends spät fand sich ein junger Adliger namens Attavante bei ihm ein, den er vom Hofe her oberflächlich kannte. Er schlich sich förmlich ein wie ein Dieb, zu ungewohnter Stunde, und sah sich unruhig um.

»Es ist niemand hier, Ihr könnt ruhig sprechen.«

»Euer Gnaden, man hat mich Euretwegen verhört. Ich habe lange mit mir gekämpft, ob ich kommen sollte oder nicht, aber ich habe mich dann doch entschlossen zu kommen.«

»Bitte redet, ich höre Euch.«

»Ich will Euch alles der Reihe nach erzählen, damit Ihr es besser verstehen könnt. Es war noch im Frühjahr, als ich mit Pater Ximenes, dem Dominikaner, im Garten der Santa Maria Novella spazieren ging. Vielleicht kennt Ihr gar den Pater Ximenes? Diesen Spanier …«

»Ich kenne ihn nicht.«

»Das tut auch nichts zur Sache. Wir unterhielten uns über theologische Fragen, hauptsächlich vom Sein Gottes. Ich führte eine ganze Reihe von Argumenten auf, die die Atheisten zu verwenden pflegen, um von Pater Ximenes Gegenargumente zu hören. Als ich mich nach dieser Unterhaltung von ihm verabschiedete, fiel mir auf, daß hinter mir das Laub raschelte. Ich schaute mich um und sah gerade noch Pater Caccini fortschleichen. Denselben, der Euch von der Kanzel herunter angriff. Ich wußte sofort, daß er die ganze Unterredung belauscht hatte, habe aber der Sache weiter keine Bedeutung beigemessen; ja ich habe sie sogar vergessen. Nun bekam ich gestern eine Vorladung, ich möge mich an einem ganz bestimmten Ort einfinden.«

»Wo?«

»Erspart mir die Antwort, Euer Gnaden. Ich habe auf die Bibel geschworen, es niemand zu verraten. Halb habe ich mein Gelübde sowieso schon gebrochen. Ich flehe Euch an, dringt nicht in mich.«

»Gut, ich dringe nicht in Euch. Fahrt fort.«

»Auf die Ladung hin erschien ich also, und man verhörte mich. Zu meiner größten Überraschung befragte man mich darüber, ob ich die gottlosen Lehren, über die ich mit Pater Ximenes gesprochen, von Euch hätte.«

»Von mir?«

»Ja, auch ich war verwundert. Ich habe erklärt, daß ich mit Euer Gnaden niemals über Fragen gesprochen hätte, die Gott beträfen. Und daß ich überhaupt zu meinem größten Bedauern nur ein- oder zweimal Gelegenheit gehabt hätte, an einem Gedankenaustausch mit Euer Gnaden teilzunehmen. In dem Gespräch mit Pater Ximenes sei Euer Name gar nicht gefallen. Mehr konnte ich nicht aussagen. Das war alles. Soviel darf ich auch erzählen. Glaubt mir, Euer Gnaden, dies war mir eine große Erleichterung; denn ich habe das Gefühl, daß gegen Euch etwas im Gange ist. Jetzt muß ich wieder gehen. Aber schwört mir zuvor, daß Ihr mich niemandem verratet.«

Galilei dachte nach.

»Ich möchte es dem Großherzog erzählen, ohne daß ich Euren Namen und den Namen des Pater Ximenes erwähne. Seid Ihr einverstanden?«

»Wenn es sein muß.«

»Es muß sein. Um meinetwillen. Mehr werde ich niemandem verraten. Und ich danke Euch aufrichtig, daß Ihr gekommen seid!«

Attavante stahl sich wieder in die Nacht hinaus.

Galilei schlief ein wenig und eilte, so früh es nur anging, zum Großherzog. Er berichtete ihm von diesem geheimnisvollen Besuch mit allen seinen Einzelheiten, nur die Namen verschwieg er. Cosimo hörte aufmerksam zu, zum Schluß nickte er mit dem Kopf.

»Die Lösung ist sehr einfach. Es hat Euch jemand bei der Inquisition angezeigt. Die Beweisaufnahme hat bereits begonnen. Diesen jungen Mann, der bei Euch war, hat man vor die Inquisition geladen. Man hat ihm natürlich den Eid abgenommen, daß er schweigen werde. Aber auch ohne Eid schweigt da ein jeder, der halbwegs nüchtern denkt.«

»Aber warum hat man mich denn angezeigt, Hoheit? Was habe ich verbrochen?«

»Sicherlich das alte Lied: was Ihr lehrt, steht in Widerspruch zur Heiligen Schrift. Und jene sind ja glänzend organisiert. Angesichts ihrer Kunst zu schweigen und andere zum Schweigen zu bringen, läuft einem ein kalter Schauer über den Rücken. Die ganze Welt haben sie auf diese Weise eingesponnen. Eine fürchterliche Macht! Seid auf der Hut!«

»Aber was soll ich tun, Hoheit?«

»Geht sofort nach Rom, verliert keinen Tag. Dort werdet Ihr leichter vorwärtskommen, mehr erfahren, und könnt gegebenenfalls auch den Papst um eine Audienz bitten. Mein Gesandter dort ist zur Zeit Guicciardini, der großen Einfluß beim Heiligen Stuhl hat. Briefe, Geld, Sänfte und Diener erhaltet Ihr von mir. Die Einzelheiten besprecht mit Picchena. Geht nur sobald als möglich und seid ohne Sorge, Euch kann nichts geschehen. Wenn es nötig ist, schreibe ich selbst an den Papst. Ich werde Euch nicht im Stich lassen.«

»Sofort reisen kann ich beim besten Willen nicht, Hoheit. Mir ist da neulich ein äußerst wichtiger Gedanke gekommen, und den muß ich zuvor ausarbeiten. Ich habe ein neues Argument für Kopernikus gefunden: die Entstehung von Flut und Ebbe.«

»Das ist sehr interessant! Könnt Ihr mir das ganz kurz erklären?«

»Natürlich, Hoheit, in einem Satz. Eure Hoheit mögen sich vorstellen, daß ich ein mit Wasser gefülltes Gefäß plötzlich in eine gewisse Richtung stoße. Was geschieht mit der Oberfläche des Wassers in dem Gefäß? Da haben wir den Beweis, daß sich die Erde bewegt! Diese Theorie will ich, schon ausgearbeitet, mit nach Rom nehmen.«

»Das klingt ganz überzeugend. Ich verstehe. Aber beeilt Euch! Im übrigen ist es nicht ausgeschlossen, daß Ihr in Rom meinen jüngeren Bruder, den Herzog Carlo, trefft; er erhielt erst vor kurzem den Kardinalshut. Alter Überlieferung nach muß er nun nach Rom und mit prunkvollem Gefolge im Vatikan einziehen, um sich für den Kardinalshut zu bedanken. Vielleicht kann er Euch auch behilflich sein. Also verliert keine Zeit, schnell, schnell!«

In aller Eile arbeitete Galilei die Theorie der Flut und Ebbe aus. Mit dem fertigen Werk in der Tasche machte er sich an einem Novembertage bei strömendem Regen nach Rom auf.


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