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Neuntes Kapitel

Neben der Ricovrati gab es in Padua noch eine zweite Akademie, der Galilei aber nicht angehörte. Ein vornehmer Venezianer namens Duodo hatte sie ausschließlich für junge Aristokraten gegründet. Diesen Duodo hatte Serenissima in Padua als Polizeipräfekten eingesetzt. Die Akademie trug den Namen »Delia«, nach der Insel Delos, auf der Apollo geboren wurde, und die vornehme Jugend sollte sich hier vornehmlich in der Wissenschaft der Befestigungslehre üben. Duodo hatte die Satzungen der »Delia« selbst ausgearbeitet. Fechten, Schießen, Reiten, Befestigungslehre, Kriegsgeschichte und alles, was sonst jungen Rittern nützlich sein konnte, war hier berücksichtigt. Die »Delia« genoß dank ihren vornehmen Verbindungen reichliche Staatsunterstützung, sie besaß allerlei Fonds, aus denen die Vorlesungen für die Mitglieder bezahlt werden konnten. Duodo hatte von Anfang an die Absicht gehabt, auch mathematische Vorträge halten zu lassen, aber es war nie dazu gekommen. Jetzt verbreitete sich in der Stadt die Nachricht, daß die »Delia« auch mathematischen Unterricht einführte. Galilei hatte sich um dies alles gar nicht gekümmert; sein ganzes Denken galt nur zwei Dingen: er betrachtete auch jetzt noch fortwährend den Sternenhimmel; und er sehnte sich nach Florenz.

Eines Abends eilte er mit schnellen Schritten nach Hause zu seinem Fernrohr, als er auf Cremonini stieß. Obwohl Cremonini jetzt ein womöglich noch heftigerer Gegner von ihm geworden war, blieb er unverändert ein treuer Freund. Ganz aufgeregt hielt er Galilei an.

»Hast du schon gehört, welche Unverschämtheit man sich bei der ›Delia‹ geleistet hat? Man hat dich überstimmt. Ich bin empört.«

»Mich?« fragte Galilei verwundert, »ich habe nie etwas mit der ›Delia‹ zu tun gehabt! Das verstehe ich nicht.«

Cremonini erzählte, daß die Akademie »Delia« beschlossen hätte, mathematische Vorträge einzuführen. Wie es sich für die vornehme Gesellschaft geziemt, wollte man diese Vorträge auch von einem Aristokraten halten lassen. Ursprünglich hatte man an den jungen Grafen Zabarella gedacht. Da zog aber Graf Ingolfo, ein guter Mathematiker, von Mailand nach Padua. Er hatte einst Moletti hier am Bo gehört, unterhielt vorzügliche Verbindungen zu den Kreisen der Aristokratie und hatte andererseits die hundertfünfzig Dukaten jährlich, die von der »Delia« für die mathematischen Vorträge ausgesetzt waren, dringend nötig. Graf Zabarella war seiner Sache sicher und unternahm nichts. Graf Ingolfo aber hielt sich wochenlang in Venedig auf und sammelte Empfehlungsschreiben. In der »Delia« kam es zu einem inneren Zwist. Ingolfo hatte die Mehrheit der Mitglieder auf seiner Seite, die Wahlkommission hingegen wollte um jeden Preis Zabarella haben. Die Wahl wurde in einer großen Sitzung abgehalten, in der es sehr laut und stürmisch zuging. Als die Anhänger Zabarellas sahen, daß die Partei Ingolfos nicht zu besiegen war, erhob sich ein Mitglied der Kommission und schlug auf eigene Verantwortung Galileo Galilei vor, in der Absicht, wenigstens den verhaßten Ingolfo zu Fall zu bringen, wenn er schon die Kandidatur Zabarellas nicht durchsetzen konnte. Die Abstimmung wurde bei unbändigem Lärm vorgenommen. Ingolfo erhielt achtundzwanzig, Zabarella siebzehn und Galilei fünfzehn Stimmen.

»Eine beispiellose Frechheit«, tobte Galilei. »Jetzt wird die ganze Stadt der Meinung sein, ich hätte kandidiert und sei durchgefallen. Auch in Venedig. Und auch daheim in Florenz. Was soll ich nun machen? Was ist das bloß für eine Gemeinheit, wenn sich einige Grafen streiten, einfach meinen Namen zu nennen, mich gegen andere auszuspielen und mich zu beschämen? Ich habe diese Stadt wirklich satt …«

Cremonini war sprachlos.

»Du hast diese Stadt satt? Wo man dich so verehrt? In deinen Vorlesungen sind die meisten Studenten, du hast die meisten Privatstunden, dein Gehalt hat man verdoppelt, ein Erfolg löst den anderen ab. Ich verstehe dich nicht! Was willst du noch?«

Galilei schluckte seine Antwort herunter. Seine Absichten und Pläne mit Florenz hielt er vor allen geheim. Bisher wußte nur Marina davon, und auf ihr Schweigen konnte man Gift nehmen. Galilei wechselte das Gesprächsthema.

»Hast du mein Buch gelesen, Cesare?«

»Gewiß.«

»Und hast du nichts dazu zu bemerken?«

»Streiten wir uns nicht erst darüber, wir können einander doch sowieso nicht verstehen. In der Wissenschaft ist Aristoteles mein Abgott, davon wirst du mich nicht abbringen. Ich bin in dieser Überzeugung aufgewachsen, alt geworden und will daran bis an mein Ende glauben.«

»Du glaubst also an die eintausendsiebenundzwanzig Sterne? Du glaubst an die Unveränderlichkeit des Sternenhimmels? Du glaubst daran, daß die Planeten vollkommen sind und der Mond zum Beispiel eine ganz glatte Kugel ist?«

»Ja, das glaube ich alles. So hat er es gesagt. Autos efa.«

»Cesare, komm doch einmal mit. Ich gehe jetzt nach Hause. Blicke einmal durch mein Instrument. Du wirst sehen, daß der Jupiter vier Monde hat, von denen die Peripatetiker nichts wissen. Außer den eintausendsiebenundzwanzig Sternen kannst du noch weitere tausend zählen, wenn es dich nicht langweilt. Und du kannst die Oberfläche des Mondes betrachten, sie ist voller Rillen. So komm doch!«

Cremonini dachte einen Augenblick nach, dann schüttelte er mit dem Kopf.

»Ich komme nicht mit. Es hat keinen Zweck. Alles das kann nicht wahr sein. Aristoteles hat es nicht so gesagt. Um den Jupiter herum können keine Sterne sein. Ich komme nicht.«

»Cesare! Der Allmächtige möge dich segnen, aber sage mir bloß, bin ich denn verrückt?«

»Du bist nicht verrückt. Du irrst dich bloß. Diese Sterne können nicht dort sein.«

»Du, Cesare, ich schleppe dich jetzt mit Gewalt zu mir und halte dir mein Fernrohr mit Gewalt vor die Augen. Du wirst es selbst sehen. Komm!«

»Nein! Laß mich! Ich komme nicht. Es kann nicht so sein, wie du sagst. Gute Nacht.«

Er löste seinen Arm aus der Umklammerung Galileis und eilte fort. Wie einer, der auf der Straße vor einem Dieb flüchtet. Galilei entfernte sich in der anderen Richtung. Er konnte sich mit Cremoninis Widerstand einfach nicht zufrieden geben. Er beschloß, ihm früher oder später doch die Wahrheit zu beweisen. Wie er sie schon anderen bewiesen hatte, die nicht weniger hartnäckig waren. Sein Buch hatte er an alle berühmten Mathematiker Europas geschickt, jetzt wartete er auf die Antworten.

Die konnten aber noch nicht da sein. Diese europäischen Städte waren alle sehr weit entfernt. Vorerst traf ein anderer Brief ein, über den er sich herzlich freute. Der Großherzog Cosimo lud ihn für die Osterferien nach Pisa ein. Er war sogar so zuvorkommend, ihm bis Bologna eine Sänfte entgegenzuschicken. Aufgeregt packte Galilei seine Sachen. Er wußte, daß diese Einladung sein Schicksal entscheiden werde.

Erst am Nachmittag reiste er ab. Er war täglich nur bis Einbruch der Dunkelheit unterwegs. Wo er abends haltmachte, stellte er sein Fernrohr auf und untersuchte den Sternenhimmel, schrieb und zeichnete bis zum Morgengrauen, dann schlief er bis Mittag. In Bologna beabsichtigte er, Magini zu besuchen. Er wollte mit ihm nicht in Streit leben und war auch sehr neugierig, was wohl Magini über das Fernrohr und die Wunder des »Sidereus Nuncius« dachte. In Bologna wohnte auch einer seiner Schüler, ein geschickter und begabter Mathematiker namens Rosseni. Den suchte er zuerst auf und ging dann mit ihm zu Magini.

Der alte Gegner, der ihn beim Kampf um den Lehrstuhl in Bologna besiegt hatte, in Padua hingegen unterlegen war, empfing ihn auffallend freundlich, ja sogar mit einer gewissen honigsüßen Höflichkeit, hinter der er seinen Neid kaum verbergen konnte. Er erklärte, unter keiner Bedingung zuzulassen, daß Galilei anderswo übernachtete als in seinem eigenen Hause. Er stellte ihm sodann einen jungen vor mit stechenden Augen, einem Asketengesicht und abweisender Haltung, der lateinisch mit slawischem Einschlag sprach.

»Dies ist Messer Horky, ein böhmischer Mathematiker, mein Schüler. Kepler hat ihn zu mir gesandt.«

»O, Kepler!« rief Galilei, »das ist doch mein lieber Kampfgenosse und Korrespondent! Er hat Euch tatsächlich hierhergeschickt?«

»Ja«, erwiderte der junge Tscheche, »er war der Meinung, daß ich bei Meister Magini das meiste lernen könnte.«

Galilei war überrascht, beschloß aber, diese herabsetzende Anspielung nicht zu beachten. Er erkundigte sich nach Kepler. Horky, der aus Prag kam, hatte ihn erst kürzlich gesprochen und konnte viel von ihm berichten: er habe drei Kinder und seine Pflegetochter sei bereits verheiratet an einen bayrischen Arzt namens Ehm. Im allgemeinen fühle er sich nicht wohl. In Prag brächen immer wieder politische Unruhen aus, gegen Kaiser Rudolf arbeite eine mächtige Partei im Interesse des Erzherzogs Matthias, es gäbe viele Straßenschlägereien, und Kepler könne nicht ruhig genug arbeiten. Er habe zwar den Herzog Friedrich Johann in Stuttgart ausgesucht, ob er vielleicht an seinem Hofe unterkommen könne, aber ohne Erfolg. Jetzt sei er wieder in Prag. Er habe viel zu leiden, seine Frau gebe sehr viel Geld aus, sie sei sehr putzsüchtig und er wäre immer wieder gezwungen, den Herren vom Hofe Horoskope zu stellen.

»Aber er ist ein seelenguter Mensch«, lobte der Tscheche, »für mich hat er auch ein Stipendium erwirkt, damit ich nach Bologna kommen konnte.«

»Bei uns am Bo sind auch viele Böhmen«, entgegnete Galilei höflich, »wirklich treue Schüler von mir. Sie beobachten jetzt auch, sobald sie nur Zeit haben, den Sternenhimmel durch mein Fernrohr. Aber da fällt mir ein: ich möchte den liebenswürdigen Hausherrn um Erlaubnis bitten, mich an meine Beobachtungen setzen zu dürfen, die ich keinen Abend versäume; denn schon gehen die Sterne auf. Wenn es Euch interessiert, Messer Magini, so bin ich gern bereit, Euch einiges zu zeigen.«

»Sehr freundlich«, erwiderte Magini honigsüß, »aber auch ich habe meine Arbeit; ich arbeite an dem großen Atlas von Italien.«

»Nun, vielleicht hätte Messer Horky Lust …«

»Ich danke«, lehnte der Böhme kühl ab, »auch ich habe keine Zeit.«

»Aber ich, ich«, rief Rosseni, der einstige Schüler, begeistert, »wenn ich hierbleiben und teilnehmen dürfte …«

Galilei erhielt ein Zimmer, von dem aus er den Sternenhimmel gut beobachten konnte. Er setzte sich an seine Aufzeichnungen und erklärte nebenbei die Einzelheiten des » Sidereus Nuntius«.

»Seid vor diesen Menschen auf der Hut, Euer Gnaden«, unterbrach ihn Rossini plötzlich. »Sie beschimpften und schmähen Euch bei jeder Gelegenheit. Es ist ekelhaft, wie sie jetzt, Auge in Auge, so scheinheilig liebenswürdig sind …«

»Der junge Böhme ist gar nicht liebenswürdig«, entgegnete Galilei leichthin, »er macht kein Hehl daraus, daß er mein Feind ist. Das wundert mich eigentlich; denn er kommt doch von Kepler. Und der ist ein guter Freund von mir. Aber gleichviel. Arbeiten wir weiter.«

Bis zum Morgengrauen arbeiteten sie zusammen. Galilei stand spät auf. Mit sehr höflichen und liebenswürdigen Worten verabschiedete sich Magini von ihm. Horky war nirgends zu sehen. Galilei nahm stolz in der vom Hofe gesandten Sänfte Platz und winkte von dort aus seinem Kollegen Abschied zu. Mit ähnlichem Stolz ließ er vor dem Hause Landuccis halten. Die Familie sollte einmal sehen, wieweit es Galileo gebracht hat. Auch in das Kloster ließ er sich bringen, wo er die kleine Virginia untergebracht hatte. Das Kind zitterte vor Freude, als es seinen Vater sah.

»Wir können uns gar nicht erinnern«, flüsterten die Nonnen, »jemals ein so liebes, gutes Kind unter den Händen gehabt zu haben. Es ist wie ein auf die Erde herabgestiegener Engel.«

»Habt ihr aber schon festgestellt, liebe Schwester, was für ein großer Mathematiker sie ist?«

»Das nicht. Wir befassen uns nicht damit.«

»Also paßt einmal auf. Komm her, Virginia. Ich möchte den lieben Schwestern zeigen, wie du rechnen kannst. Aber daß du mich nicht im Stich läßt! Hör' gut zu. Im Hofe des Bo, wo ich unterrichte, befinden sich an allen vier Seiten je acht Säulen, die Eckpfeiler mit eingerechnet. Wieviel Säulen gibt es dort also insgesamt?«

Das kleine Mädchen dachte angestrengt nach. Dann erklärte es:

»Achtundzwanzig, da wir die Eckpfeiler nicht zweimal rechnen können.«

Der Vater riß das Kind an sich und überschüttete es mit Küssen. Stolz blickte er auf die Nonnen.

»Das von mir erfundene Fernrohr ist bestimmt etwas Großes, aber dieses Kind ist etwas noch Größeres. Schade, daß es kein Junge ist, dann könnte er mein Nachfolger sein.«

»Sie müßte Nonne werden, Euer Gnaden«, sagte die Oberin. »Unbedingt müßte sie Nonne werden.«

Das kleine Mädchen fiel dem Vater um den Hals. Sie bettelte:

»Vater, ich möchte so gerne Nonne werden …«

»Gut, mein Liebling, du sollst es werden. Was du nur willst, alles will ich dir erfüllen! Jetzt gehe ich nach Pisa zum Großherzog, ich werde ihm sagen, daß du ihm die Hand küssen läßt, und auf dem Rückweg besuche ich dich wieder.«

Am anderen Tage betrachtete er die Sterne schon in Firenzuola, am dritten Tage in San Remo. Und am vierten Tage stand er im Palais von Pisa vor dem Großherzog, in demselben Saal, wo er einst, vor langer, langer Zeit, die Baggermaschine des Giovanni Medici so schonungslos beurteilt hatte. Der Großherzog empfing ihn mit strahlendem Gesicht. Er war ganz erfüllt von überschäumender Freude: die Großherzogin hatte ihm Zwillinge geboren. Galilei sprach seine Glückwünsche aus. Dann redeten sie von seinem Buch, von dem wunderbaren Fernrohr und von der Bedeutung der vier Sterne. Der Großherzog dankte warmherzig für diese Aufmerksamkeit und kam sogar noch zweimal darauf zurück.

»Und was gibt es sonst bei Euch Neues? Wie steht Serenissima zum Papst?«

»Davon ist mir im Augenblick wenig bekannt, Euer Hoheit, höchstens daß Fra Paolo Sarpi wiederum überfallen wurde. Aber diesmal entkam er. Er schlug Lärm, und die Angreifer suchten das Weite. Da begann er die Angelegenheit selbst zu verfolgen und erstattete vor dem Strafgericht in Venedig Anzeige gegen den Nuntius, den Kardinal Borghese und gegen den Papst wegen Anstiftung zum Mord. Ein schwieriger Prozeß ist das, und das Gericht weiß nicht, wie es sich verhalten soll.«

»Welch blutiges Land … Wieviel schöner ist es, in unserem Lande zu leben!«

»Ja, wenn ich nach Hause kommen könnte!« rief Galilei inbrünstig und so laut, daß er sich gleich erschrocken duckte.

»Ihr werdet nach Hause kommen«, nickte Cosimo, »das ist unser aller Wunsch. Wir werden es jetzt möglich machen. Wir laden Euch hiermit nach Florenz ein. Wir werden Euch jederzeit mit großer Liebe in unserer Umgebung wissen. Alles andere besprecht mit Belisario Vinta. Jetzt entlassen wir Euch in Gnaden, aber am Nachmittag wünschen wir, uns länger mit Euch zu unterhalten.«

Galilei verließ den Großherzog in glückseliger Stimmung. Am liebsten hätte er laut gejubelt. Aber er mußte sich beherrschen; an den mit Gobelins behangenen Wänden der langen Gänge standen überall feierliche Hellebardiere. Er wollte sogleich Vinta aufsuchen, fand ihn aber nicht. Da ging er in die Stadt und besuchte seinen alten, lieben Schüler Castelli. In jeder Stadt hatte er nun schon Schüler; in den dreiundzwanzig Jahren waren viele junge Männer durch seine Hände gegangen. Nach der ersten Freude des Wiedersehens ging er mit Castelli spazieren. Sie besuchten den Dom, wo ihn einst der schwingende Leuchter veranlaßt hatte, über die Gesetze des freien Falles nachzudenken. Er sah zu dem Schiefen Turm empor, wo er damals seine Versuche mit den verschiedenen Gewichten angestellt hatte. Er suchte das Haus auf, wo er als Professor gewohnt hatte und sah sich auch seine Studentenwohnung an.

»Auf die Universität gehen wir nicht?« erkundigte sich Castelli.

»Nein, ich will sie nicht sehen.«

Die Osterferien verliefen sehr angenehm. Er war viel in der Gesellschaft des großherzoglichen Paares, der Großherzogin-Mutter und der Geschwister des Großherzogs. Nur den Kanzler konnte er nicht erreichen, obwohl er unter allen Umständen mit ihm sprechen wollte. Vinta war der einzige im Palais, der arbeitete; außer ihm höchstens noch sein Sekretär Giugni. Von früh bis spät hatte er hochwichtige Angelegenheiten zu erledigen, hohe Geistliche und ausländische Gesandte gingen bei ihm ein und aus, für Galilei hatte er nicht soviel Zeit übrig, daß sie sich über alle Fragen hätten einigen können. Sie wurden sich nur darüber klar, daß vor allem festgesetzt werden müsse, wieviel Honorar Galilei beziehen und welcher Rang und Titel ihm zugeteilt werden sollte. Eine endgültige Entscheidung ließ sich aber nicht herbeiführen. Die Einzelheiten mußten brieflich erledigt werden. Der Großherzog verabschiedete sich mit betonter Liebenswürdigkeit von ihm und versicherte, daß er ein baldiges und endgültiges Wiedersehen erwarte. Aber Galilei glaubte noch immer nicht an sein Glück. Es konnte noch etwas dazwischen kommen, und dann waren seine ganzen Hoffnungen vernichtet.

In Padua erwarteten ihn schon verschiedene Briefe. Auf Keplers Brief war er am neugierigsten, er öffnete ihn ganz zuerst. Der deutsche Gelehrte hatte sein neuestes Werk » Astronomia Nova« beigefügt. Im Brief sagte er, er habe die Behauptungen des »Sidereus Nuncius« vom ersten bis zum letzten Buchstaben nachgeprüft und als richtig befunden und er werde dieses wunderbare Werk überall empfehlen und verbreiten. Für Prag habe er bereits eine neue Ausgabe vorbereitet, zu der er selbst ein Vorwort schreiben wolle. Dann öffnete Galilei Altobellis Brief aus Ancona:

 

»Euer Gnaden Werk › Sidereus Nuncius‹ hat mich so erschüttert, daß es mich mit einem Male aus meiner nun schon fünf Jahre währenden Lethargie aufgerüttelt hat … Hipparch, Ptolemäus, Tycho Brahe, Kopernikus, die Ägypter, die Chaldäer, würden den Verstand verlieren, wenn sie plötzlich erführen, daß sie nicht einmal die Hälfte dessen sahen, was sie zu sehen glaubten, und der Ruhm Euer Gnaden stellt jetzt alle völlig in den Schatten.«

 

Luca Valerio schrieb aus Rom:

 

»Dieses Buch hat endlich alles das bewiesen, was ich in den hiesigen wissenschaftlichen Kreisen zur Verteidigung Euer Gnaden bislang behauptet habe.«

 

Manso, der neapolitanische Gelehrte, schrieb:

 

»So wie Plato dereinst die Götter pries, daß er in den Tagen des Sokrates auf die Welt gekommen sei, so danke ich dem Allmächtigen, daß ich heute leben darf.«

 

Immer mehr begeisterte Glückwünsche liefen ein, Antworten seiner einstigen, glücklichen Schüler. Sogar aus München kam ein Brief. Der Hofarzt des bayrischen Kurfürsten, Mermann, bezog sich auf seinen guten Freund im Hoforchester, Michelagnolo, und erkundigte sich im Namen seines Herrn, ob er nicht auch ein Fernrohr bekommen könne, um all die wundersamen Dinge selbst zu sehen. Die französische Gesandtschaft in Venedig leitete den Wunsch des französischen Königshofes weiter, daß, sobald der große Gelehrte wieder einen neuen Stern entdecken sollte, er ihn nach seiner Majestät Heinrich IV., dem politischen Stern Europas, »Henricusstern«, zumindesten aber »Bourbonstern« taufen möge. Worauf Galilei sofort höflich erwiderte, daß dafür bedauerlicherweise wenig Aussicht bestehe, da er den Sternenhimmel bereits gründlich erforscht habe und einen neuen Stern kaum noch entdecken würde.

Alle diese Briefe erfüllten ihn mit überschwänglicher Freude. Nun war er zweifellos weltberühmt. Wenn der Abend hereinbrach, schlug sein Herz immer heftiger bei dem herrlichen Gedanken, daß er durch sein Fernrohr in den Himmel schauen und die Sterne betrachten werde, die, seit die Menschheit auf dieser Erde lebt, unter unzähligen Millionen ihm als allererstem zu sehen vergönnt sei. Manchmal sah er sich in seinem Heim um: von hier also stammte diese unerhörte Entdeckung, die der Menschheit geschenkt wurde. Und wenn er gar in den Spiegel sah, kam er sich vor wie ein Fremder: das ist also dieser seltsame Mensch, der das Wunder zuerst sah …

Unter den vielen Huldigungsbriefen befanden sich ständig auch Briefe von Vinta. Die Angelegenheit seiner Anstellung in Florenz ging den üblichen Amtsweg. Man einigte sich über die finanziellen Bedingungen und auch über seinen Rang. Galilei wurde als Professor der Mathematik an der Universität Pisa, jedoch ohne Lehrstuhl, dem Hofe zugeteilt, und erhielt von der Universität jährlich eintausend florentinische Gulden, was wesentlich mehr war als eintausend venezianische; außerdem wurde er offiziell zum Hofmathematiker des Großherzogs von Toskana ernannt. Vinta teilte ihm mit, daß er die Ernennungsurkunde innerhalb weniger Tage erhalten würde.

Mit diesem Brief rannte Galilei sogleich zu Marina. Ohne ein Wort zu sagen, hielt er ihr das Blatt hin. Marina las es ruhig von Anfang bis zu Ende.

»Wann gehst du?« fragte sie.

»Sobald ich kann. Ich brauche noch einige Wochen, um meine hiesigen Angelegenheiten zu ordnen. Es ist da allerlei zu tun. In Venedig muß ich um die Genehmigung zur Ausbürgerung nachsuchen, ich muß die Sache mit dem Haus regeln, über die diesjährige Weinernte verfügen, die überflüssigen Möbel verkaufen … ich weiß gar nicht, wo mir der Kopf steht. Ich rechne damit, daß ich Ende August übersiedeln werde.«

»Gut. Ich wünsche dir, daß du dich dort recht wohl fühlst.«

»Ich danke dir. Livia nehme ich mit, wie wir es besprochen haben, der Junge bleibt noch eine Zeitlang bei dir.«

»Ja.«

»Und was Bartoluzzi anbelangt, so werde ich bestrebt sein, das Geld so schnell als möglich herbeizuschaffen. Dieser Mensch hat einen sehr guten Eindruck auf mich gemacht. Ich möchte beinahe sagen, daß er mir sympathisch ist.«

»Ja«, sagte Marina, ein Gähnen unterdrückend, »ein sehr ordentlicher Mensch!«

Dann entstand eine kleine Pause. Galilei hatte das Gefühl, als müßte er etwas sagen.

»Wir trennen uns also, Marina.«

»Verabschiede dich doch nicht gleich«, sagte Marina zerstreut, »das hat noch gut Zeit. Nicht wahr, du bist mir nicht böse, wenn ich dich jetzt fortschicke, aber ich habe mir ein Bad bereiten lasten.«

Galilei schlich still davon. Er hatte sich diese Unterredung nicht so vorgestellt. Ein wenig fühlte er auch seine Eitelkeit verletzt, daß Marina, die ihm drei Kinder geboren, die Nachricht von ihrer endgültigen Trennung so gleichgültig aufnahm. Eine leise Sehnsucht stieg in ihm auf, diese schöne Frau, nach der sich die Menschen auf der Straße noch immer umwandten, noch einmal, zum letzten Male, sein eigen nennen zu dürfen. Beschämt verscheuchte er diesen Gedanken aber gleich wieder. In seinem Herzen hatte er schon lange von seiner gestorbenen Liebe für ewig Abschied genommen …

Als er in Venedig dem Riformatore Contarini erklärte, daß er die Absicht habe, seine lebenslängliche Stellung hier aufzugeben und mit einem noch, größeren Gehalt als Hofmathematiker nach Florenz zu gehen, entgegnete Contarini eine ganze Weile kein Wort, sondern sah ihn nur überrascht an. Dann erklärte er sehr höflich:

»Serenissima wünscht niemanden zurückzuhalten. Wir haben Eure Angelegenheiten stets mit der größten Zuvorkommenheit erledigt und wünschen Euch viel Glück in Eurer neuen Stellung. Zugleich bedauern wir unendlich, daß wir nicht in der Lage waren, Euch soviel Vorteile zu bieten, daß Ihr hier geblieben wäret, aber es beruhigt uns andererseits, daß wir alles taten, was in unserer Macht stand. Gott segne Euch.«

Galilei wollte noch etwas erwidern. Viele schöne und herzliche Worte hatte er sich zurechtgelegt. Aber sie blieben in ihm stecken. Contarini erhob sich von seinem Schreibtisch. Galilei verbeugte sich und ging. So schied er vom Bo, besten beliebtester Professor er achtzehn Jahre lang gewesen war. Nach Padua zurückgekehrt, betrat er noch einmal die Universität, um seine Sachen mitzunehmen. Er sagte niemandem ein Wort. Es war ja noch lange Zeit bis zum Abschied. Als er aber durch das Tor schritt und zu dem beflügelten Löwen aufsah, krampfte sich sein Herz zusammen.

Von da an widmete er sich nur der Auflösung seines Haushaltes, der Erledigung seiner Korrespondenz und der nächtlichen Beobachtung des Himmels. Die Tagesarbeit brachte ihm nicht viel Freude. Nach den begeisterten Anerkennungsschreiben trafen auch aus dritter Hand Nachrichten über die Gelehrten ein, die nicht schrieben, weil sie mit dem »Sidereus Nuntius« nicht einverstanden waren. Nacheinander hörte er einmal von da, einmal von dort, daß die eingefleischten Peripatetiker sein Werk glatt ablehnten. Die Gemäßigten bezeichneten es als einen Irrtum, eine Illusion. Selbst Clavius gehörte zu jenen: er erklärte in Rom, daß er nicht an das glauben könne, was Galilei gesehen haben wollte. Die ganz sturen Peripatetiker aber bezeichneten diese angeblichen himmlischen Wunder als unsinniges Geschwätz. Einige behaupteten sogar, Galilei lasse schlauerweise oszillierende Linsen herstellen, so daß man durch sein Fernrohr gar nicht vorhandene Sterne sehen könne. Und als Krönung aller dieser Angriffe kam schließlich noch ein gedrucktes Buch.

Horky hatte es geschrieben, der Böhme, die rechte Hand Maginis. Es war ganz kurz, eher eine Flugschrift als ein Buch: » Spaziergang gegen den Sternenboten« lautete der Titel. Sämtliche Wunder des Sternenboten wurden hier einfach als Hochstapelei und Lüge bezeichnet. Wissenschaftlich widerlegte die Schrift nichts. Sie ließ sich auch auf keine Beweise ein; der Verfasser wußte nur zu berichten, er, also Horky, habe selbst durch dieses Fernrohr nach den bewußten Punkten des Sternenhimmels geschaut, aber nirgends etwas von alledem entdecken können, was Galilei dort zu erblicken behauptete. Galilei wolle die Menschheit verblüffen, wie ein Wahrsager auf dem Jahrmarkt. Aus den Zeilen dieser Schmähschrift sprach offenkundig der Pharisäer Magini. Darüber wunderte sich Galilei gar nicht, eher gab ihm der Umstand zu denken, daß ausgerechnet Keplers Schützling dieses Pamphlet verfaßt hatte. Keplers Ehrlichkeit und Gutgläubigkeit stand über jeden Zweifel erhaben da. Er schrieb daher sofort an Kepler, wie sonderbar sich sein Schützling benehme.

Und während er sich über diese Sache ärgerte und sich mit den Möbelaufkäufern herumstritt, war er noch gezwungen, inmitten des Wirrwarrs einen Kranken zu pflegen. Alessandro, sein Diener, lag im Sterben. Er hatte den treuen, alten Mann in sein Herz geschlossen, besuchte ihn mehrmals am Tage und verweilte, wenn es ihm möglich war, auch länger an seinem Krankenbette. Man wußte nicht recht, was dem Alten fehlte. Der Arzt meinte, es sei Altersschwäche. Langsam siechte er dahin. Er stöhnte ununterbrochen und weinte, er wollte noch leben und leierte in einem fort das Gebet an den heiligen Antonius herunter. Aber diesmal half ihm der Heilige nicht. Nachdem er einen ganzen Tag lang ohne Besinnung gewesen war, schloß der Treue seine Augen bei Sonnenuntergang für immer. Galilei bestellte ihm ein würdiges Begräbnis. Das ärmliche Hab und Gut sammelte er selbst zusammen, um es der Verwandtschaft zu schicken.

Als er den Inhalt der Truhe seines Dieners ordnete, fand er unter zerrissenen Hemden zu seiner größten Überraschung zahlreiche Briefe, die die Handschrift seiner Mutter trugen. Verwundert las er einen:

 

»Hauptsächlich vergiß nicht, eingehend über die Freude zu berichten, die meine Abreise im Hause hervorgerufen hat; denn ich weiß, daß Du gar nicht genug darüber berichten kannst. Du kannst mir getrost schreiben, denn diese Briefe gelangen bestimmt in meine Hände. Achte Du nur darauf, daß Marino meine Briefe nicht in die Finger bekommt. Bis in die kleinsten Einzelheiten will ich wissen, was man über mich im Hause spricht. Ich weiß, daß Du der einzige bist, der trauert, wenn sich die anderen so sehr freuen … Und ich bitte Dich, teurer Alessandro, verschaffe mir von Deinem Herrn heimlich zwei oder drei von den Linsen, die zu einem Fernrohr gehören, für meinen Schwiegersohn Landucci, von jenen aber, durch die man alles vergrößert sehen kann. Galileo hat genug, es wird Dir nicht schwer fallen, zwei oder drei zu entwenden. Lege sie in eine Schachtel und fülle sie mit Aloe-Pillen, die der Professor Fabrizio verordnet hat. Darum möchte ich Dich herzlich bitten, denn Galileo ist sehr undankbar gegen seinen Schwager, der ihm nur Liebe und Güte entgegenbringt.«

 

Es waren auch noch andere Briefe, die sich nicht nur mit Klatsch und der Entwendung von Linsen befaßten. Erschüttert las Galilei diese Bekenntnisse seiner Mutter. Bis jetzt hatte er für jeden ihrer Skandale eine Entschuldigung bereitgehabt, hatte sie mit ihrer heftigen Natur stets in Schutz genommen. Für diese Briefe aber gab es keine Entschuldigung. Seine Mutter hatte mit Alessandro unter einer Decke gesteckt, den Alten zum Stehlen gereizt und ihn, Galileo, vor dem Diener des Undanks bezichtigt. Das tat ihm so weh, war eine so bittere Enttäuschung, daß ihm Tränen in die Augen stiegen. Wenige Menschen hatten so an ihrer Familie gehangen wie gerade er, und nun hatte er das Gefühl, seine Mutter für immer verloren zu haben. Er war nicht mehr imstande, mit der alten, zärtlichen Nachsicht an sie zu denken. Und plötzlich schrak er vor dem Gedanken zurück, daß er bis an ihr Lebensende bei dieser Mutter wohnen sollte …

Die Briefe hob er sorgfältig auf und sprach mit keinem Menschen darüber. Der Diener hatte ausgelitten, er aber ging mit einer Wunde umher, wie er sie schmerzlicher noch nie im Leben erhalten. Er grübelte über seine Eltern, seine Geschwister, über sich selbst und über seine Kinder nach, und gequält mußte er sich eingestehen, daß seine zweite Tochter, Livia, nach seiner Mutter geraten war. Schon seit langem fühlte er das, aber er wagte es nicht zu glauben. Ein so entzückendes Kind Virginia war, die Güte selbst, ein zur Erde herab gestiegener Engel, so jähzornig und egoistisch war Livia, so häßliche Züge wies sie schon jetzt mit neun Jahren auf. Galilei arbeitete von früh bis spät, er lief seinen tausenderlei Sorgen nach, aber die Wunde saß fest in seinem Herzen.

Wenn aber die Sterne am Himmel aufzuleuchten begannen, fand er Trost für alles. Einsam saß er vor seinem Fernrohr und blickte in den Himmel, und in diesem undurchdringlich dunklen Ring, den die Öffnung seines Rohrs begrenzte, begrüßte er seine geheimnisvollen Freunde, die ihm statt Enttäuschung das Wunder der Erkenntnis brachten.

In der Nacht zum fünfundzwanzigsten Juli wollte er schon mit seiner Arbeit aufhören, als ihm etwas am Saturn auffiel. Er stellte sein Instrument entsprechend ein und begann, den Planeten ganz eingehend zu betrachten. Je länger er ihn beobachtete, um so mehr überzeugte er sich, daß er richtig sah: der Saturn war keine glatte Kugel. Es sah aus, als hätte man einen dicken Ring, zu beiden Seiten stark hervorspringend, um eine Kugel gelegt. Da es aber ganz undenkbar war, daß der Allmächtige einen Planeten mit einem Ring versehen hätte, wies sein Verstand diese Auslegung sogleich zurück, und er versuchte angestrengt, die Erscheinung zu ergründen. Endlich kam er zu dem Beschluß, daß diese Erweiterung zu beiden Seiten Sterne sein müßten, die zu dem mittleren Mutterstern gehörten. Der Saturn war also ein Dreigestirn.

Ganz allein war er mitten in der Nacht mit dem Geheimnis dieses neuen Wunders. Immer wieder sah er durch sein Fernrohr, dann stützte er die Ellenbogen auf den Tisch, schob die Regiomontanus-Tabellen beiseite, grub sein bärtiges Gesicht in die Hände und grübelte. Also wieder etwas, was, seit die Menschheit bestand, er als erster sah. Und was für ein merkwürdiges Wunder, daß ein Planet ein Drilling fein sollte! Wie und woher mochten diese Zusammenhänge kommen? Wie mochten sie sich auf ihrer Bahn bewegen? Was war das für eine geheimnisvolle Dreiheit auf diesem mystischen, blauen Gewölbe?

Er verriet niemandem, was er gesehen hatte. Jetzt kam er ja auch in Padua kaum noch mit jemandem zusammen, im Herzen lebte er schon in Florenz. Noch fünf Tage lang beobachtete er den Saturn jede Nacht, dann folgte er der Regung seines Herzens und schrieb aus dem Gefühl heraus, daß er nunmehr mit Leib und Seele den Medicis gehöre, an Belisario Vinta.

 

»Ich habe wiederum ein merkwürdiges Wunder entdeckt und möchte, daß Ihre Hoheiten und Eure Exzellenz davon Kenntnis erhalten, es aber als strenges Geheimnis hüten mögen, bis mein neues Werk gedruckt ist. Aber Ihren Hoheiten wollte ich Rechenschaft ablegen; wenn ein anderer dasselbe entdecken sollte, wollte ich sie bereits aufmerksam gemacht haben. Es handelt sich darum, daß der Saturn kein alleinstehender Stern, sondern eine aus drei Sternen bestehende Gruppe ist. Diese scheinen sich zu berühren und gegeneinander keinerlei Bewegung oder Veränderung zu zeigen. Man steht sie in einer Reihe in der Richtung des Tierkreises. Der mittlere Stern ist ungefähr dreimal so groß wie die zwei seitlichen, wie ich dies im Herbst auch Ihren Hoheiten zeigen werde, wenn wir die Bewegungen der über dem Horizont stehenden Planeten besonders gut werden beobachten können.«

 

Der Gedanke aber, daß auch ein anderer diese Eigenschaften des Saturn, die bisher noch niemandem bekannt waren, entdecken konnte, ging ihm nicht wieder aus dem Sinn. Seine Erfindung begann sich jetzt überall zu verbreiten. Jedermann, der die Konstruktion seines Fernrohres untersucht hatte, konnte jetzt schon solch ein Rohr anfertigen. Überall in Europa richtete man solche Rohre gen Himmel, und die Gefahr, daß mit einem Male jemand mit einem sensationellen Buch über den Saturn hervortreten würde, war nicht zu leugnen. Wie könnte er sich den zweifelsfrei ersten Rang sichern, ohne gezwungen zu sein, seine Veröffentlichung zu überstürzen? Er zerbrach sich lange den Kopf, bis er endlich einen Ausweg fand. Die Tatsache der Entdeckung formulierte er in kurzen lateinischen Worten, und mengte die Buchstaben dieser vier lateinischen Worte durcheinander. Das ergab folgenden unverständlichen Wortlaut:

SMAISMRMILMEPOETALEVNIPVENVGTTAVIRAS.

Das schickte er allen denen, die er als Zeugen in Aussicht genommen hatte, für den Fall, daß ein Zeugnis gefordert werden könnte. Er sandte das Blatt an Castelli, an einen ihm befreundeten Maler namens Cigolo, an Clavius, an einen deutschen Geistlichen in Rom, Grienberger mit Namen, mit dem er schon mehrere astronomische Briefe gewechselt hatte, und noch an viele andere, vor allem aber an Giuliano Medici in Prag, der sich dort in amtlicher Eigenschaft aufhielt und das Rätsel sogleich Kepler überreichte.

Es gab eine große Aufregung. Die Empfänger wollten alle das Rätsel der aneinandergereihten Buchstaben lösen, das, wie ihnen Galilei mitteilte, das Geheimnis seiner neuesten Entdeckung enthalte. Aber niemand vermochte die Geheimschrift zu entziffern. Nur Kepler gelang es, einen einigermaßen verständlichen Satz aus den durcheinandergeworfenen Buchstaben zu bilden. Er war der Meinung, Galilei habe etwas am Mars entdeckt, und ging davon aus. So kam er zu dem folgenden Satz, in dem er einen Buchstaben allerdings nicht unterbringen konnte:

Salve umbistineum geminatum Martia proles.

Aber dieser Satz hatte wenig Sinn. Das sah Kepler selbst ein und so schrieb er Galilei, er möge ihm die Lösung doch mitteilen, weil sie ihn sehr beschäftige. »Stille unsere Hoffnung, und laß uns Deine neue Entdeckung kennenlernen. Es gibt doch niemanden, den Du als Rivalen fürchten müßtest.«

Im übrigen hatte Kepler inzwischen auch die Monde des Jupiter gesehen. Bis jetzt hatte er sie nur dem »Sidereus Nuntius« geglaubt, weil er ein mangelhaftes Fernrohr besaß und sie deshalb nicht hatte unterscheiden können. Endlich bekam er ein besseres Rohr in die Hände, und nun erblickte er sie mit eigenen Augen. Man erzählte Galilei, Kepler habe, als er die Medici-Sterne erblickte, ausgerufen, wie Julian der Abtrünnige nach seiner Niederlage: » Vicisti, Galilei!« Du hast gesiegt, Galilei!

Aber der Siegreiche gab das neue Geheimnis nicht bekannt. Er wartete noch ab. Das Geheimnis war sein Eigentum, jetzt konnte den Saturn betrachten, wer wollte, seinen Vorrang hätte er jederzeit beweisen können, indem er die Auflösung seines bei den Fachleuten hinterlegten Rätsels veröffentlichte. Er arbeitete weiter, löste seinen Haushalt auf, und schrieb nachts fleißig seine Beobachtungen nieder. Im August fuhr er öfter nach Venedig und besuchte der Reihe nach seine Freunde, um sich von ihnen zu verabschieden: Fra Paolo, Magagnani, Zorzi, Boccalini. Dann kehrte er nach Padua zurück und machte auch hier seine Abschiedsbesuche, die ihm unendlich schwer fielen. Zum Glück waren nicht mehr viele Bekannte in der Stadt anwesend, weil alle ihre Ferien anderswo verbrachten. Aber Cremonini war da.

»Ich wünsche dir viel Glück, Galileo. Du weißt, ich habe dich immer lieb gehabt.«

»Ich weiß es, Cesare. Ich dich auch. Und jetzt bitte ich dich zum letzten Male, laß dich überzeugen! Komm zu mir, ich will dir alles zeigen. Du wirst erkennen, daß du bisher auf falschem Wege warst, daß sich vor der Menschheit die Tore einer neuen Astronomie geöffnet haben. Du bist ein begabter Mann und kannst sehr viel. Auch du könntest durch dieses Tor schreiten und sehr viel nützen.«

»Nein, nein, ich gehe nicht! Du verwirrst mich nur. Ich will gerade jetzt ein Buch gegen dich schreiben. Habe keine Angst, nicht gegen deine Person, sondern gegen deine Lehren. Ich will über den Mond schreiben und die klassische und allein richtige aristotelische Auffassung verteidigen.«

»Schreibe was du willst, aber komme zu mir und überzeuge dich mit deinen eigenen Augen.«

»Nein, ich sehe in das Fernrohr nicht hinein. Was du verkündest, kann nicht wahr sein.«

So stritten sie noch lange. Cremonini wurde immer erregter, schließlich brach es heftig aus ihm hervor:

»Höre zu, Galileo, die Wissenschaft der Welt ist auf den Pfeilern der aristotelischen Weisheit aufgebaut. Seit zweitausend Jahren lebt und stirbt die Menschheit in der Überzeugung, daß die Erde der Mittelpunkt des Weltalls und der Mensch Herr dieser Erde sei. Gleich nach dem allmächtigen Gott kommen also wir, die nach seinem Ebenbild geformten Geschöpfe. Nach Aristoteles stieg unser Herr Jesus Christus auf die Erde herunter, um uns zu erlösen und hinterließ uns als wundervolles Geschenk das Christentum. Dieses Christentum hat die Lehre des Aristoteles durchgeistigt und zu einem christlichen Wissen gemacht. Was wir heute von der Logik bis zu den Wissenschaften der Medizin, der Botanik, der Astronomie wissen, das ist alles aristotelisch und christlich. Ein wundervolles Gebäude menschlichen Geistes, von dessen Ziegelsteinen einer haargenau dem anderen gleicht. Die größten Köpfe zweier Jahrtausende arbeiteten daran, bis sie es so genial, systematisch und glorreich gestaltet hatten. Mein Leben verlief in der Bewunderung und im Dienste dieses heiligen Gebäudes. Das Lernen wie das Lehren hat meiner Seele Glück und Frieden gebracht. Ich bin heute ein alter Mann, mein Leben geht auf die Neige. Sage mir, warum du so grausam bist, in mir das erschüttern zu wollen, woran ich glaube und was ich liebe? Willst du mir meine letzten Jahre mit Zweifeln und Seelenkämpfen vergiften! Laß mir die Ruhe meines Herzens und tue mir nichts an. In dieses Fernrohr sehe ich nicht hinein!«

»Aber die Wahrheit, Mensch, die Wahrheit! Willst du denn die Wahrheit nicht erkennen?«

Erschüttert und ängstlich wehrte Cremonini ab.

»Nein, ich will glücklich und ruhig sein!«

»So, ich verstehe. Sonderbar. Ich habe meine Ruhe und mein Glück immer darin gesehen, die Wahrheit zu suchen und mich zu ihr zu bekennen. Im Grunde genommen besteht die ganze Welt nur aus uns beiden, Cesare. Aus lauter Cremoninis und lauter Galileis. Ihr haltet die Welt, wir bringen sie vorwärts. Ich verstehe dich, du hast Angst, auf den Himmel zu sehen, denn dort könntest du etwas erblicken, was die Arbeit deines ganzen Lebens umstößt. Leider sind der Cremoninis sehr viele, der Galileis nur wenige. Unsere Arbeit ist sehr schwer. Aber nur wir können siegen!«

»Und wenn du siegst! Wenn du beweist, daß diese Erde tatsächlich nur ein kleiner nichtsnutziger Stern unter tausend anderen ist? Daß die Menschheit nur ein zufälliges Produkt gasartiger Gebilde auf einer dieser Tausenden von Kugeln ist? Willst du den Liebling Gottes, den Menschen soweit herabsetzen? Willst du das? Ihn in seinem siegesbewußten, weltbeherrschenden Stolz zum jämmerlichen Wurm erniedrigen? Wollt ihr das, Kopernikus, Kepler und du? Ist das das Ziel der Astronomie?«

Galilei erwiderte eine ganze Zeitlang gar nichts.

»Daran habe ich nie gedacht. Ich suche nur die Wahrheit, weil ich Mathematiker bin. Und ich glaube, daß der, der die Wahrheit erkennt, Gott näher steht als jener, der seine menschliche Würde auf sinnlosen Irrtümern aufbaut. Aber ich gehe weiter. Auf dem bisherigen Wege, immer weiter, immer vorwärts. Gott mit dir, Cesare.«

»Gott mit dir. Ich bleibe, wo ich bis jetzt stand.«

Die beiden Weltanschauungen sahen einander in die Augen, unschlüssig und tief bewegt standen sie da, dann breiteten sie plötzlich gleichzeitig ihre Arme aus und preßten sich liebevoll aneinander.

Am Tage darauf fuhr Galilei ab. Als er die kleine Livia zu sich in den Wagen hob, schnürte Wehmut seine Kehle zusammen. Er setzte sich so, daß er noch lange zurückblicken konnte, um Marina bis zuletzt zu sehen, wie sie, den kleinen Jungen an der Hand, im Torbogen stehen und ihm gerührt nachwinken würde. Aber es kam anders: der Wagen hatte sich noch gar nicht in Bewegung gesetzt, als Marina einen letzten Gruß rief und, den kleinen Vincenzo bei der Hand nehmend, unter dem Tor verschwand. Sie sah nicht einmal zurück, obwohl sie annehmen mußte, daß sie die kleine Livia in diesem Leben kaum je wiedersehen würde.


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