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Viertes Kapitel

Astronom aus Liebhaberei, Messer Antonio Lorenzini aus Montepulciano, der sich Eintritt zu den Vorlesungen verschafft hatte, blieb in Padua. Man erzählte sich, daß er sich sehr verächtlich über Galileis Vorträge geäußert und verkündet habe, daß er das Ganze unvergleichlich besser erklären würde als dieser Fachgelehrte, mit dem man am Bo so wichtig tue. Wahrscheinlich hatte er an seinem Buche schon früher gearbeitet; denn es waren noch keine zwei Wochen vergangen, da erschien es schon in Padua. In einer so kurzen Zeit hätte er es kaum schreiben können.

Galilei besorgte es sich sofort und begann zu lesen. Der Titel lautete: »Dissertation Seiner Gnaden, des Herrn Antonio Lorenzini aus Montepulciano über den neuen Stern.« Schon aus den ersten Seiten tönte dem Leser die schwülstige Sprache der Peripatetiker entgegen. Nach den einleitenden Zeilen griff der Autor sogleich heftig die Behauptung an, daß der neue Stern sich außerhalb der sogenannten elementaren Sphäre befinde: das sei unmöglich, denn dann hätte er seinen Ursprung nicht von der Erde nehmen können, sondern hätte entstehen müssen. Und Aristoteles habe erklärt, daß der Sternenhimmel ursprungslos sei. Auch jene irrten sich gewaltig, die die Ansicht verträten, daß der Stern sich entferne; denn Aristoteles habe behauptet, daß, sofern ein neuer Stern am Himmel auftauchen würde, was jedoch völlig ausgeschlossen sei, das Weltsystem diesen als unbeweglichen Punkt festhalten und auch der Sternenhimmel selbst erstarren würde.

Galilei las mit dem Stift in der Hand. Er liebte es, zu unterstreichen und Bemerkungen an den Rand zu schreiben. Ein derartiger wissenschaftlicher Wechselbalg war ihm schon lange nicht mehr in die Hände gekommen. Das Buch konnte als abschreckendes Beispiel dienen, wohin die luftdicht abgeschlossene scholastische Denkweise der Peripatetiker schließlich führen mußte.

 

»Wer behauptet, der Sternenhimmel sei nicht ursprungslos, der bezweifelt zugleich dessen Vollkommenheit. Er bezeichnet ihn demnach als unvollkommen, mithin verdorben. Zum Verderben sind jedoch irdische Voraussetzungen erforderlich. Die Himmelsdecke hingegen, die weder Wasser noch Erde oder Luft oder Feuer, also keines der vier Elemente ist, kann nur als fünftes Element angesprochen werden. In diesem fünften Element aber befinden sich keinerlei irdische Elemente, folglich sind in ihm auch nicht die Voraussetzungen zur Vernichtung enthalten. Ich frage also die Mathematiker, und diese mögen mir antworten, wenn sie es können: wieso hat die Himmelsdecke die Himmelsdecke selbst soweit verdorben, daß sie sie zeugungsfähig machte?«

 

Galilei schüttelte wohlwollend lächelnd den Kopf und schrieb an den Rand: »O, du Rindvieh!« Dann las er vergnügt weiter. Lorenzini erklärte auch, was dieser neue Stern sei. Kein Stern, sondern ein Meteor, von der Erde ungefähr so weit entfernt wie der Mond. Woher der Stern seinen Glanz erhielt, erörterte er so verwickelt, daß der Leser ihm nicht mehr zu folgen vermochte. Aber er wollte ihm auch gar nicht weiterfolgen. Er blätterte das Buch bis zum Ende oberflächlich durch und schüttelte plötzlich verwundert den Kopf.

Am anderen Tage nahm er das Buch in das Benediktinerkloster zu Spinelli und Castelli mit.

»Hört einmal zu! Ein herrlicheres Produkt menschlicher Dummheit ist mir noch nie begegnet! Ich habe einige Stellen unterstrichen, die will ich euch vorlesen. Mein Name ist darin zwar nicht erwähnt, aber es ist ganz offenkundig gegen mich geschrieben.« Er las die Absonderlichkeiten so vor, als ob er eine sehr feine Speise koste. Die Zuhörer jauchzten vor Wonne. Es gab Abschnitte, von denen sie nicht genug bekommen konnten und die sie zweimal lasen.

»Es wäre ein Genuß, darauf zu erwidern«, meinte Galilei endlich, »aber kräftig und mit Humor. Jeder dieser Sätze ist eine Schatzkammer, zum Küssen blöde. Der Herrgott möge diesen Lorenzini mit beiden Händen segnen.«

»Warum erwidert Ihr nicht?« fragte Spinelli.

»Ich darf meinen Namen dazu nicht hergeben. Bis jetzt ist noch kein Buch von mir erschienen, meine Manuskripte ruhen in meiner Schublade. Ich kann nicht damit beginnen, daß ich so eine Kinderei verspotte. Eigentlich hätte ich ja eine fabelhafte Idee. Man müßte in der Erwiderung kluge Bauern aus Padua sprechen lassen, die dieses Buch gelesen haben und nun ganz menschlich darüber diskutieren. Natürlich in der Mundart der Bauern, die ich, obwohl Florentiner, so vollkommen beherrsche, als ob ich hier geboren wäre. Manchmal wechsle ich mit meinem Freund Sagredo Briefe in diesem Stil. Diese Schreibweise bereitet mir einen ungeheuren Genuß!«

Erregt unterbrach ihn Castelli:

»Schreibt, Euer Gnaden, schreibt!«

»Es wäre eine Sünde, es nicht zu schreiben«, ergänzte auch Pater Spinelli, »es wäre wirklich eine Sünde.«

»Aber ich habe doch schon gesagt, ich kann es nicht unter meinem Namen bringen, und wenn mir auch das Herz bricht.«

»Das ist das wenigste«, erklärte der Benediktinerpater, »ich gebe meinen Namen dazu her. Ich kann Euch sogar mit einigen mundartlichen Ausdrücken zu Hilfe kommen, damit mein Name nicht zu Unrecht in dem Buche steht.«

»Darüber ließe sich reden. Wollen wir es machen?«

»Machen wir es! Machen wir es!« jubelte der junge Castelli.

»Also meinetwegen«, antwortete Galilei, »machen wir es. Wir fangen morgen an. Es wird ein köstlicher Spaß!«

Schon am anderen Tage machten sie sich an die Arbeit. Vor allem besprachen sie den Titel. Bei Wein und lustiger Unterhaltung kam ihnen der Gedanke, das Werk unter einem erfundenen Namen zu veröffentlichen; mochte der Leser sich, wenn er wollte, den Kopf zerbrechen, wer der unbekannte Astronom sein könnte, der in dieser Mundart schrieb. Sie hatten einen großartigen Namen erfunden: Cecco dei Ronchitti. Als Geburtsort wählten sie das Dörfchen Bruzene; denn Querengo, der Präsident der Akademie der Ricovrati, dem sie dieses Buch widmen wollten, stammte von dort. Cecco dei Ronchitti da Bruzene, so lautete der volle Name des Autors. In dessen Namen zerpflückten sie die feierlichen Dummheiten Lorenzinis. Als Form wählten sie den Dialog. Zwei aufrechte Bauern, Matteo und Natale, unterhalten sich über die diesjährige große Trockenheit. Natale erzählt, daß er von einem erst kürzlich erschienenen Buche gehört habe, in dem irgendein gelehrter Paduaner Doktor die Schuld an der Dürre dem neuen Stern zuschiebe. Und nun entspinnt sich eine Diskussion über das Buch dieses Gelehrten. Natale zählt nacheinander die einzelnen Argumente des klugen Doktors auf und Matteo antwortet darauf, wie eben ein kluger italienischer Bauer schlicht und menschlich in seiner prächtigen Mundart sprechen würde.

Das Buch schrieben sie zu dritt, Galilei und die beiden Benediktiner. Und während sie bei der Arbeit fröhlich scherzten, trat Galilei mit seinen Gegenargumenten kühn aus dem Rahmen des Almagest. Er hatte Matteo, den einfachen und klugen Bauern, dazu auserwählt, in italienischer Sprache zunächst ein Geständnis für Kopernikus abzugeben.

»Dieser weise Gelehrte bezieht sich auf einen gewissen Aristoteles oder wie der heißt«, sagt Natale, »der meint, daß der ganze Sternenhimmel erstarren würde, wenn ein neuer Stern am Himmel erschiene.«

»Das wäre gar kein so großer Fehler«, erwiderte Matteo gutmütig, »es kann auch jetzt schon so sein: die Sonne steht und die Erde bewegt sich, wir sehen es nur umgekehrt.«

Hier wurde in einer Fußnote der Name Kopernikus genannt. Und im weiteren Verlaufe noch öfter.

»Wird daraus nichts Böses entstehen?« fragte der kleine Castelli.

»Und wenn!« lachte Galilei. »Höchstens werden die Peripatetiker den Cecco bei Ronchitti heftig angreifen. Vielleicht hängen sie ihn sogar, wenn sie ihn finden. Aber selbst wenn sie ihn finden, wird Cecco behaupten, daß er wirklich nichts für das könne, was zwei Bauern draußen bei der Feldarbeit miteinander reden.«

Die kurze Arbeit war bald beendet. Die Druckerei arbeitete bereits daran, als in Padua unerwartet ein Buch über den neuen Stern erschien. Auch Galilei hatte es erhalten. Überrascht las er den Namen des Autors: Baltassare Capra. Das Buch trug den klangvollen Titel: »Astronomische Abhandlung über den neuen und wunderlichen Stern, der am zehnten Oktober sechzehnhundertvier auftauchte; Diskurs über seine Bedeutung nebst Anhang.« Galilei legte sofort die Korrektur Ceccos beiseite und begann das Buch Capras zu lesen. Bald begegnete er darin seinem Namen. Gegen den Ton war nichts einzuwenden, Capra hatte ihn als den »hervorragenden Galilei« bezeichnet. Es war in klarem Stil geschrieben, eine nicht immer einwandfreie Wiedergabe seiner drei Universitätsvorträge, die Capra und Mayr mit angehört hatten. Der Autor ging aber dann zur Beurteilung der einzelnen Vorlesungen über. Nachdem er zur Genüge betont hatte, daß er, Mayr und Sasso diesen Stern zuerst erblickt hätten, erhoben alle drei schwerwiegende Vorwürfe gegen Galilei. Erstens: warum habe er in der Universität nicht getreulich berichtet, daß der neue Stern am zehnten Oktober abends aufgetaucht sei? Zweitens: da er diesen Stern nicht selbst entdeckt habe, sondern dessen Vorhandensein erst von Cornaro erfahren, warum habe er dann in seinen Vorträgen den Namen Cornaros verschwiegen? Drittens: warum habe er seinen Zuhörern den Standort dieses Sternes nur oberflächlich bezeichnet und nicht wissenschaftlich einwandfrei errechnet?

Galilei warf das Buch ärgerlich beiseite. Aber der Ärger hielt nicht lange an. Er schenkte der ganzen Angelegenheit keine weitere Beachtung. Das Cecco-Buch interessierte ihn dafür um so mehr. Noch feucht vom Druck versandten sie es, jedoch anonym. Und sie fanden einen köstlichen Gefallen daran, daß man sich alsbald in der ganzen Stadt gegenseitig ausfragte: wo könne bloß dieser unbekannte Verfasser Cecco der Ronchitti da Bruzene stecken? Seine Sprache sei vorzüglich, seine Argumente auffallend klug. Aus der Beweisführung gehe allerdings hervor, daß er ein Anhänger jener tollen Auffassung ist, wonach die Sonne stillstehe und die Erde sich bewege! Die drei Verbündeten wahrten strenges Stillschweigen. Nicht einmal Querengo hatten sie etwas verraten, dem das Buch gewidmet war. Der ganze Fall war ein einziger Spaß. Galilei platzte beinahe vor Lachen heraus, als Cornaro in der nächsten Sitzung der Akademie geheimnisvolle Anspielungen machte: er wisse einiges über den geheimnisvollen Cecco, aber er würde nichts sagen. Lorenzini aber konnte nicht die Straße entlang gehen, ohne daß die Menschen ihm listig zuzwinkerten. Spaßige Leute sprachen gar nicht anders zu ihm als in bäuerlicher Mundart.

Die fröhliche Stimmung, die dieser Schabernack hervorgerufen hatte, währte nicht lange. Galilei bekam einen neuen Anfall seines Gelenkleidens. Die Krankheit meldete sich diesmal noch viel schmerzlicher als zuvor. Seine beiden Knie schwollen unheimlich an. Die kleinste Bewegung im Bett verursachte ihm höllische Qualen. Zu allem Überfluß kostete die Krankheit sehr viel Geld. Es war März, der Höhepunkt des Semesters, und nach den Gesetzen der Universität wurde ihm für jede versäumte Stunde ein bestimmter Betrag von seinem Gehalt abgezogen. Des hohen Fiebers wegen konnte er nicht einmal vom Bett aus Privatunterricht erteilen, so daß auch diese Gelder ausblieben. Und gerade jetzt hätte er das Geld so bitter nötig gehabt. Der Schwager Galletti verlor die Geduld und klagte. Das erfuhr durch irgendeinen Zufall auch der Schwager Landucci und klagte ebenfalls schnell, um nicht etwa den kürzeren zu ziehen. In dieser schweren Lage erhielt der Kranke ein Angebot vom Hofe in Florenz, den mathematischen Unterricht beim Thronfolger zu übernehmen. Herzog Cosimo, der Erstgeborene des Herrschers, war fünfzehn Jahre alt. Man hatte ihn sorgfältig erzogen, er hatte auch Mathematik lernen müssen, die Eltern aber wünschten, daß er von dem berühmtesten italienischen Gelehrten, der obendrein noch Florentiner war, unterrichtet werde. Der Hof fragte bei dem Gelehrten des Bo an, ob er in den Sommerferien den Unterricht des jungen Herzogs übernehmen wolle.

Diese große Auszeichnung rührte Galilei, der in dem geheimsten Winkel seiner Seele sich stets nach Florenz gesehnt hatte; zugleich aber war er auch aufs tiefste erbittert. Die schöne Einladung hätte zu keinem ungelegeneren Zeitpunkt kommen können. Wenn er jetzt nach Hause ginge, so wäre er noch gar nicht im Palazzo Pitti angelangt, und die Schergen hätten ihn schon als widerspenstigen Schuldner gefaßt und ihn nach dem Bargello geschleppt. Und zahlen konnte er weniger denn je. Die Einnahmen der Werkstatt wurden immer schmäler, in letzter Zeit waren Zirkel sogar vorrätig, und nur unter den neuen Studenten fand sich ab und zu ein Käufer. Das große Haus, das zu verwalten er ganz unfähig war, brachte gerade so viel ein, daß ihn Unterkunft und Verpflegung nichts kosteten, sonst hoben sich Einnahmen und Ausgaben gegenseitig auf. Sein Professorenhonorar mußte herhalten für den Haushalt von Marina und den beiden Kindern. Und nun hatte er noch diese zwei Prozesse am Halse. Es wäre angebracht gewesen, sich vor Gericht zu verteidigen, mit juristischen Schlichen Aufschub der Termine zu erwirken, unter Umständen einen Vergleich anzustreben, jedenfalls die Entscheidung recht lange hinauszuziehen. Auch hätte er in Venedig seinen neuen Vertrag mit Fleiß betreiben müssen, vielleicht hätte man ihm auf Grund der ihm zugesicherten Gehaltserhöhung einen Vorschuß gewährt. Aber das Fieber und die schmerzhafte Krankheit hielten ihn an das Bett gefesselt, so daß er sich nicht einmal rühren konnte. Er konnte nur über die böse Laune des Schicksals nachsinnen, das ihm die glanzvolle Stellung eines Ostilio Ricci gerade dann in den Schoß fallen ließ, wo er sie wegen geldlicher Schwierigkeiten zu seiner Schande nicht annehmen konnte.

Wie stets, wenn die Wellen des Unglücks über seinem Haupte zusammenschlugen, wandte er sich auch diesmal an Sagredo. Wie immer bewies dieser sich als zuverlässiger Freund. Er besuchte ihn in Padua und blieb einen ganzen Tag bei ihm, obwohl auch er jetzt sehr wenig Zeit hatte, weil Serenissima seinen Vater zum Provveditore von Candia ernannt hatte und dadurch im Palazzo Sagredo sehr viel persönliche Angelegenheiten zu erledigen waren. Obendrein war Papst Clemens gestorben und jedermann in Venedig war begierig zu erfahren, wie der Krieg zwischen Serenissima und dem Heiligen Stuhle ausgehen würde. Trotzdem ließ Sagredo daheim alles im Stich und eilte zu seinem kranken Freunde. Sofort lieh er Geld für das Notwendigste, die alten Darlehen erwähnte er mit keinem Wort. Er ließ sich von dem Kranken eine Vollmacht ausstellen, um ihn in seinen Vertragsangelegenheiten in Venedig vertreten zu können. Er übernahm es auch, für geeignete Anwälte zu sorgen, und versprach außerdem, mit Juristen zu sprechen, was man in seinen Prozessen in Florenz unternehmen könne. Schließlich gab er auch noch Fra Paolo Sarpi Bescheid, damit auch der den Kranken besuche.

Auch Sarpi kam, und auch er zeigte sich ebenso opferbereit. Als beamteter Kirchenrechtler hatte er nie soviel zu tun gehabt wie jetzt. Der Streit zwischen dem Papsttum und Venedig vertiefte sich immer mehr. Gegen den Abt von Narvese waren unwiderlegbare Beweise zusammengetragen. Man hatte ihm einwandfrei nachweisen können, daß er einen Mönch der Abtei und mehrere Diener aus dem Wege geräumt und sogar seinen eigenen Vater vergiftet hatte. Der Senat ordnete nach einer längeren Unterredung mit Sarpi die Verhaftung des Abtes an. Jetzt war nur noch die Frage, wer Papst werden würde. Das Konklave hatte nach Clemens zwar schnell Leo XI. gewählt, aber der erkrankte kurz darauf schwer, und schon traf aus Rom die Nachricht ein, daß er im Sterben liege. Im Dogenpalast war ein besonderes Amtszimmer hergerichtet worden mit verschiedenen Fächern, in denen je eine Akte lag: jede einzelne Akte in diesen Fächern bedeutete einen tiarawürdigen Kardinal. Tag und Nacht berieten die Senatoren, ein ganzes Heer von Kurieren und Spionen war täglich zwischen Rom und Venedig unterwegs. Bei alledem war die Anwesenheit Sarpis dringend erforderlich. Trotzdem eilte er nach Padua zu dem Kranken, zumal er wichtige Nachrichten mitbringen konnte. Sagredo hatte bereits Advokaten gefunden und außerdem auch schon mit einem Juristen gesprochen, der in der zwischenstaatlichen Rechtsprechung bewandert war: Galilei hatte eine venezianische Staatsstellung inne, er konnte also Anspruch darauf erheben, daß über ihn in Florenz kein gewöhnliches Gericht, sondern das Gericht für Ausländer urteile, und in dem Galletti-Prozeß konnte er ebenso gegen die Zuständigkeit der venezianischen Gerichte Einspruch erheben.

Als er endlich von der qualvollen langen Krankheit genesen war, war auch der neue Papst schon gewählt. Der alte Leo XI. hatte insgesamt nur sechsundzwanzig Tage lang regiert und sich auf seinem Sterbebette um Venedig nicht viel kümmern können. Ihm folgte Camillo Borghese, trotz aller Wühlarbeit des venezianischen Gesandten in Rom. Er bestieg als Paul V. den Thron und wandte sich sogleich scharf gegen Venedig. Für Galilei bedeutete das die Unmöglichkeit, einen Vorschuß zu erlangen, weil er einfach keine Gelegenheit fand, mit den regierenden Herren zu sprechen. Niemand hatte Zeit, jedermann saß in einer Konferenz über den Streit mit dem Papst. Es gelang Galilei zwar, seine Prozesse immer wieder hinauszuschieben, aber das nützte auch nur vorübergehend. Früher oder später mußte er den beiden Schwägern doch etwas zukommen lassen. Er fand keinen anderen Ausweg, als sich an Wucherer zu wenden und mit Wechseln ein Loch zuzustopfen und ein anderes wieder aufzureißen.

Er war nun ganz verschuldet, aber er hatte die beiden Schwäger doch vorübergehend besänftigen können. Und nun hatte er auch keinen Grund mehr, aus Furcht nicht nach Florenz heimzukehren. Die Aufforderung des Hofes wegen des Unterrichts beim Prinzen Cosimo, die vorher nur als Anfrage zu ihm gelangt war, wurde nunmehr offiziell wiederholt. Vincenzo Giugni, der Oberhofkämmerer, gab in einem feierlichen Brief den Wunsch der Großherzogin Christina bekannt, daß Prinz Cosimo die Handhabung des berühmten Zirkels von dem Erfinder selbst erlernen solle. Galilei fuhr mit diesem beglückenden Brief nach Venedig und besuchte den Gesandten des Großherzogtums Toskana, Seine Exzellenz Montauto. Als Anmeldung ließ er den Brief überreichen, worauf ihn der Diplomat sofort empfing.

»Ich bin über die ganze Angelegenheit unterrichtet«, sagte er sehr liebenswürdig, »der Hof freut sich außerordentlich, daß ein so berühmter Mann wie Euer Gnaden toskanischer Abstammung ist.«

»Darüber freue ich mich selbst am meisten«, entgegnete Galilei, »es tut mir wirklich wohl, die Sprache der Heimat zu vernehmen.«

»Nun, das könnt Ihr jetzt zur Genüge, wenn Ihr nach Hause geht. Meinen herzlichsten Glückwunsch zur schönen Auszeichnung. Aber … ich möchte noch etwas zur Sprache bringen. Bei Hofe hat es Aufsehen erregt, wie man mir berichtete, daß Ihr kein Akademiker seid.«

»Ich? Aber natürlich. Ich bin einer der Mitbegründer der Akademie der Ricovrati in Padua.«

»Ja, das schon, aber nicht in Florenz. Und es wäre immerhin schicklich, nicht wahr, daß der Thronfolger von einem Akademiker unterrichtet würde. Der Wunsch des Hofes ist deshalb, daß Euer Gnaden Mitglied der Crusca werden.«

»Verzeihung, aber das hängt doch nicht von mir ab …«

»Ich weiß, ich weiß, aber das ist ja so schwierig. Kennt Ihr irgendeinen einflußreichen Mann in Florenz, der bei der Crusca ein Wort für Euch einlegen könnte? Denn für den Hof selbst wäre das etwas heikel …«

»Ich wüßte schon jemanden, Euer Exzellenz: mein alter Gönner, der Kanzler Vinta.«

»Wirklich? Nun, den kostet es natürlich nur ein Wort. Ich werde ihm schreiben, denn Ihr könnt das schwer zur Sprache bringen. Wißt Ihr, Mitglied der Crusca zu sein, ist doch noch etwas anderes. Diese kleinen Akademien hier …«

Der Gesandte brach ab und trat an das offene Fenster. Er blickte hinaus, ob nicht etwa jemand unter dem Fenster stehe. Galilei lächelte verstohlen, aber der Gesandte erwischte ihn bei diesem Lächeln, als er sich ihm wieder zuwandte.

»Ihr haltet mich vielleicht für einen Prahler, zum mindesten aber wundert Ihr Euch. Ihr tut schlecht daran, denn Ihr habt keine Ahnung, wie sehr ich hier achtgeben muß. Es ist schon vorgekommen, daß ich einen Gast aus Florenz bei mir hatte, mit ihm unter vier Augen vertrauliche Sachen besprach, und bald darauf konnten wir uns alle beide nicht genug wundern, daß dem Rat der Zehn unsere Unterhaltung Wort für Wort bekannt war. Ist Euch das venezianische Gesetz über die Wohnräume der Gesandten nicht bekannt? Wenn in Venedig der Gesandte eines fremden Staates ein Haus mieten will, so ist der Hauseigentümer verpflichtet, dies der Behörde zu melden, die zuvor das Haus untersucht und erst dann die Genehmigung zum Einzug erteilt. Wenn in den beiden Nachbargebäuden nicht die Hauseigentümer, sondern nur Mieter wohnen, so müssen diese sofort ausziehen, und in beide Häuser ziehen die Beauftragten des Zehnerrates ein. Warum? Das werden Euer Gnaden leicht erraten können. Venedig ist wirklich ein sonderbarer Staat. Es gleicht dem Kaufmann, der zweierlei Bücher führt: eins für die anderen und eins, das richtige, für sich selbst. Glaubt nicht, daß man Venedig nach den bestehenden Gesetzen regiert, das glaubt nur das Volk. Regiert wird es nach den allmächtigen geheimen Verfügungen. Ich besitze deren Text. Soll ich Euch daraus einige Auszüge vorlesen? ›Wenn ein venezianischer Bürger sich mit einem Gesuch an die Regierung wendet, ist zunächst vor allem zu untersuchen, ob sein Name nicht in der Liste der politisch Verdächtigen steht, die von den Beauftragten des Zehnerrates geführt wird. Ist er darin enthalten, muß das Gesuch sofort abgewiesen werden.‹ Noch ein schönerer Paragraph gefällig? ›Wenn ein Adeliger und ein Bürgerlicher prozessieren, so muß ohne Rücksicht auf den Sachverhalt des Prozesses dem Adeligen das Recht zugesprochen werden.‹ Oder: ›Wenn ein Adeliger die Tochter eines Bürgerlichen heiraten will, kann dies nur zugelassen werden, wenn das Mädchen reich ist. Dann ist die Heirat eifrig zu fördern, damit das Vermögen in adelige Hände kommt.‹ Sagt einmal, Messer Galilei, warum dient Ihr einem solchen Staate?«

»Ich habe keinen größeren Wunsch, als in die Heimat zurückzukehren, aber was wahr ist, muß wahr bleiben: man hat mich hier stets äußerst verbindlich und gütig behandelt. Ich habe mich mit Politik nie befaßt, war jedoch immer bestrebt, mich denen nützlich zu zeigen, die mir mein Gehalt gaben.«

»Das ist ganz richtig. Aber meint Ihr nicht, daß Ihr auch dem Vaterlande etwas schuldig seid, und wenn Ihr noch so berühmt geworden seid …«

»Exzellenz, quält mich nicht. Ich sehne mich doch unsagbar nach Hause. Aber was soll ich machen? Esten muß ich und ich muß auch anderen zu essen geben. Ich bin ein armer Mann. Als ich versuchte, Toskana an der Universität zu Pisa zu dienen, nahmen alle Studenten und Professoren gegen mich Stellung, um mich von dort zu verdrängen. Ich ging auch fort. Der Bo hat mich in Liebe aufgenommen und behandelt mich wie sein eigenes Kind. In Mantua, wohin mich der Herrscher rief, sollte ich ein größeres Gehalt beziehen, aber ich ging nicht hin. Wenn ich den Bo verlasse, gehe ich nur nach Hause. Aber wie soll ich gehen? Florenz gibt mir doch nichts zu essen.«

»Natürlich, eine Stellung, das ist nicht so einfach«, erwiderte der Gesandte und blickte abermals aus dem Fenster, »aber diesen Faden werden wir nicht wieder fallen lasten. Vor allem teilt mir mit, wann Ihr dem Thronfolger zur Verfügung stehen könnt.«

»Sobald ich das Semester beendet habe. Mitte August.«

»Sehr schön. Also was muß ich mir denn nun alles aufschreiben? Crusca … Mitte August … feste Anstellung – Ausgezeichnet!«

Der Gesandte wechselte mit seinem Besucher noch einige höfliche Worte, dann entließ er ihn. Galileo grübelte noch lange über die unglaublichen Dinge, die ihm Montauto über die geheime Regierung von Venedig erzählt hatte. Das wollte ihm einfach nicht in den Kopf. Es war ihm zumute wie einem, der über die Vergangenheit seiner Geliebten häßliche Sachen erfahren hat. Er ging in das Palazzo Sagredo und brachte diese Frage wieder zur Sprache, klugerweise verschweigend, woher er kam.

»Sagt einmal, Messer Gianfrancesco, ist es wahr, daß Serenissima nach außergesetzlicher, geheimer Verordnung regiert wird?«

»Freilich ist das wahr. Das weiß doch jeder. Warum fragt Ihr?«

»Weil ein jeder die Staatsform der Republik preist und ich staunend sehe, was alles hinter dem Wappen der Republik vor sich geht.«

»Laßt nur dieses Wappen in Ruhe. Es ist schon ganz gut so. Schließlich sind wir doch ein unabhängiger Staat. Nennt mir noch einen Staat in Italien, der dem Heiligen Stuhl gleichermaßen die Stirne zu bieten wagt.«

»Das interessiert mich nicht. Ich habe mit der Geistlichkeit nie etwas gehabt.«

»Mit wem habt Ihr denn jetzt etwas?«

Galilei konnte nichts erwidern. Er fühlte nur einen stummen Widerspruch in sich und zog es vor, von etwas anderem zu reden. Er blieb bei Sagredo zum Mittagessen, dann suchte er Sarpi auf. Und auch bei ihm erkundigte er sich nach dem, was ihn bewegte.

»Sagt mir doch, Fra Paolo, geschehen denn Ungerechtigkeiten auch in einer Republik?«

»Die Frage ist, mein lieber Sohn, was Ihr unter Ungerechtigkeiten versteht.«

»Wenn zum Beispiel ein Adeliger mit einem Bürgerlichen prozessiert und nicht im Recht ist, ist es dann möglich, daß er den Prozeß gewinnt?«

»Gewiß ist das möglich. Es ist sogar sehr wahrscheinlich, daß er ihn gewinnt. Aber vom Standpunkte des Staates aus ist das keine Ungerechtigkeit. Im Interesse des Staates liegt es, den Adel stark und mächtig zu erhalten, um über das Volk herrschen zu können. Ich zum Beispiel war immer dagegen, daß man einen Adeligen zum Tode verurteilt und öffentlich hinrichtet. Das untergräbt die Autorität der herrschenden Kaste, schwächt ihre Kraft und widerspricht somit den Interessen des Vaterlandes. Einen Adeligen muß man, wenn er es verdient, schön im geheimen vergiften. Die Kaste selbst soll weiter herrschen zum Wohle des Vaterlandes. Und was für das Vaterland geschieht, ist immer gerecht.«

»Kurz und gut, es ist also nicht erwünscht, daß das Volk Rechte erhalten soll?«

»Nein. Das Volk ist unwissend. Man muß es niederdrücken, solange es geht.«

»Könnte man es denn aber nicht aus seiner Unwissenheit herausheben?«

»Wozu? Glaubt Ihr, daß es dadurch glücklicher würde? So ist es ihm viel lieber. Ist das nicht Eure Meinung?«

»Nein. Für mich gibt es nichts Schlimmeres als unwissend zu sein. Und keine größere Freude als zu wissen. Wenn es nach mir ginge, würde ich auf der Landstraße jeden Bauer anhalten, ihm Lesen und Schreiben beibringen und den Euklid erklären.«

Sarpi lachte.

»Ihr seid ein sonderbarer Kauz, das weiß ich schon lange. Sprechen wir von etwas anderem. Ich höre, Ihr geht nach Florenz. Ich rate Euch, dort ausgiebig zu beichten und zu kommunizieren und die Messen zu besuchen, denn wenn ihr hierher zurückkehrt, werdet Ihr vielleicht dazu nicht mehr in der Lage sein. Die Beziehungen zum Papst Paul haben sich sehr verschlechtert. Es ist nicht unmöglich, daß er uns exkommunizieren wird. Dann wird es hier verboten sein, die Sakramente zu erteilen. Aber damit habe ich mich schon abgefunden. Venedig ist ein freier, unabhängiger Staat und wird es bleiben. Wenn Ihr inzwischen hören solltet, daß man mich niedergestochen hat, dann wundert Euch nicht.«

Galilei war über diese Rede nicht wenig erstaunt. Er hatte sich eingebildet, Venedig zu kennen, und jetzt begann er langsam zu begreifen, daß er keine Ahnung von dieser geheimnisvollen Stadt hatte, wo die niedrigsten Triebe mit der erlauchtesten Kunst, die begeistertsten Freiheitsgefühle mit blutiger Tyrannei Hand in Hand gingen. Ein neues Gefühl schürte nunmehr das seit Jahren immer stärker werdende Heimweh. Dieses Gefühl war gleich der Angst eines kleinen Kindes, das sich im Urwald verirrt hat und sich bemüht, in das friedliche, vertraute Heim zurückzufinden.

Mitte August packte er seine Sachen, nahm Abschied von Marina und seinen Kindern und fuhr heim nach Florenz. Als er das erste Mal wieder die alten lieben Türme sah, fühlte er sich wie ein zehnjähriger Knabe und die Freude des Wiedersehens preßte ihm das Herz so heftig zusammen, daß ihm Tränen in die Augen traten. Überall, wo sein Wagen vorfuhr, standen rechts und links neue Häuser. Wenn er ein altbekanntes Gesicht entdeckte, hüpfte sein Herz vor Freude.

Zu Hause im Familienkreise, wo ihn Schwager Landucci mit überschwenglicher Freude empfing, als ob überhaupt nichts geschehen wäre, ließ er bis zum Morgengrauen niemanden zu Bett gehen. Immer wieder hatte er neue Fragen. Ganz eingehend berichtete man ihm, was seit dem Besuche der Mutter in Padua geschehen war: wer gestorben war, wer wen geheiratet hatte, wessen Haus abgebrannt, wo ein Kind geboren war. Und am anderen Tage ging er in die Stadt. Mit einem Lächeln, wie ein Liebhaber seine Geliebte begrüßt, trat er über die Schwelle. Zuerst ging er zum Dom, dessen Kuppel mit dem Kruzifix von Verrocchio der Sturm zerstört hatte; nun stand eine neue Kuppel da und ein noch größeres, ganz neues Kreuz prangte obenauf. Dann ging er, den neuen Bau neben der Kirche San Lorenzo zu betrachten. Der Großherzog Fernando hatte hier ein prächtiges Medici-Mausoleum erbauen lassen. Dann sah er sich die Festung San Giorgio an, die nicht nur ihr Aussehen, sondern auch ihren Namen geändert hatte: sie hieß jetzt Belvedere. Buontalenti, dessen Lebensgeschichte so abenteuerlich war, hatte sie umgebaut: als einstmals am Arnoufer ein Erdbeben eine Kirche zum Einsturz brachte, holte man unter den Trümmern ein kleines Kind hervor. Der Hof erfuhr davon, nahm das Kind in seine Obhut und ließ es erziehen. Aus diesem Kinde wurde der berühmte Architekt und Zeichner, der sein ganzes Leben den Medicis widmete. Wie Galilei von seiner Familie hörte, hatte er zwischen den Mauern des Belvedere einen unterirdischen Gang eingebaut, dessen geheimen Eingang und kompliziertes Schloß im ganzen Lande nur er und der Großherzog kannten. Dort würden die Medici-Schätze aufbewahrt: fünf Millionen Goldstücke, siebentausend spanische Münzen und so viel Edelsteine, daß, wenn man sie auf einen Haufen würfe, dieser mannshoch sein würde.

Alles, was neu war, sah er sich an, aber auch das Alte suchte er auf wie ein Pilger. Er betastete die wundervoll gehämmerten Eisenfiguren an den Torflügeln des Domes und des Battistero, mit Bewunderung blickte er zu dem zartgetönten Turm des Campanile empor, lange ließ er seine Augen über die alten Schlösser am Arnoufer schweifen. Er ging am Ponte Vecchio entlang und erinnerte sich genau der Stelle, wo ihm die Tochter Benvenuto Cellinis begegnete, als seinerzeit die Nachricht vom Tode des Großherzogs Francesco und der Bianca Cappello in der Stadt eintraf. Dann wandte er sich nach der Piazza della Signoria und schloß dort glücklich die Augen: linker Hand stand die Loggia die Lanzi, rechter Hand der Palazzo Vecchio, etwas weiter hinten der Neptunbrunnen, an dessen Bau er sich noch aus seiner Kindheit erinnerte, weil man in der Familie mit großem Stolz dessen gedachte, daß Bartolommeo Ammanati, ein Verwandter seiner Mutter, die Hauptfigur dieses Brunnens geschaffen hatte. Und dann das Reiterstandbild Cosimos I., die Merceria mit den vor dem Tor auf ihren Sold wartenden Soldaten, der Palazzo Uguccioni … Er brauchte nur die Augen zu öffnen und die ganze altbekannte heimische Wirklichkeit erhob sich vor ihm, als ob all das sein Eigentum wäre.

Den ersten Tag wanderte er so umher, als wollte er sich für das Heimweh vieler Jahre belohnen. Erst am zweiten Tage ging er seiner Beschäftigung nach. Sein erster Weg führte ihn zu Belisario Vinta. Aber er traf ihn nicht in Florenz an. Der junge Sekretär, der den Vorgesetzten vertrat, gab zuerst ziemlich schnippische Antworten. Als Galilei aber seinen Namen nannte, wurde er mit einem Male über alle Maßen höflich und zuvorkommend und überbrachte ihm auch eine Mitteilung des Kanzlers. Seine Gnaden, der Herr Galilei, mögen den Hofmarschall Giovanni del Maestro aufsuchen, von ihm würde er alles Weitere erfahren. Der junge Mann führte den Gelehrten über die lange nicht mehr beschrittenen Gänge des Palazzo Pitti, wo ihn einst der schöne rothaarige Kopf der Bianca Cappello bezaubert hatte. Was war aus diesem Bild geworden? Marinas Liebe, deren er längst überdrüssig war, splitterte davon ab, und in seiner tiefsten Seele stand wieder das alte Bild als unerreichbares, törichtes, ewiges Traumgesicht.

Der Hofmarschall bat den Gast Platz zu nehmen und nötigte ihn, sich mit dem sehr starken, aber feinen spanischen Pfeifentabak zu bedienen. Mit breitem Redeschwall kündigte er an, welche Ehrungen dem Gelehrten zuteil werden würden, und bemerkte schließlich, der Großherzog lade den berühmten Professor hiermit nach Pratolino ein, wo sich der ganze Hof in der Sommerfrische aufhielte. Er möge sich aber nicht sofort auf den Weg machen, sondern zwei bis drei Tage in Florenz verweilen; denn die Akademie della Crusca habe für übermorgen, den siebzehnten August, ihre Mitgliederwahl angesetzt, und den berühmten Professor würde man sicherlich einstimmig zum Mitglied wählen, nachdem die in den Statuten vorgesehenen Empfehlungen durch drei Personen vorangegangen seien. Er brauche sich auch nicht persönlich zur Akademie zu bemühen, der Kanzler habe alles bereits erledigt, die Urkunde über die Mitgliedschaft werde man ihm in seiner Wohnung aushändigen. Daran anschließend möge er aber sogleich reisen und sich in Pratolino bei Seiner Exzellenz Piccolomini melden, dem die Gesamterziehung des Thronfolgers obliege.

Die Urkunde der Akademie ließ tatsächlich nicht lange auf sich warten, aber er machte sich trotzdem nicht gleich auf den Weg. Zuerst besuchte er noch seinen lieben, alten Bekannten, den Grafen Bardi di Vernio, mit dem er sich zuzeiten Ostilio Riccis befreundet hatte. Der alte Graf war eines der geschätztesten Mitglieder der Crusca, und Galilei besuchte ihn nicht nur, um sich für die Wahl zu bedanken, sondern auch um die alte Bekanntschaft zu erneuern. Weit außerhalb der Stadt, nach Fiesole zu, wohnte der alte Herr in einer mit Blumen über und über bewachsenen Villa.

»Ihr seid aber groß geworden, mein Sohn, seit ich schriftlich bestätigt habe, daß Ihr die hydrostatische Waage erfunden habt, erinnert Ihr Euch noch?«

»Natürlich erinnere ich mich, und immer werde ich dafür dankbar sein. Für die Mitgliedschaft der Akademie möchte ich Euch außerdem noch besonderen Dank sagen.«

»Dankt nicht mir, sondern der Wissenschaft. Wir hätten Euch längst wählen müssen. Der Herr Kanzler hat uns wirklich verpflichtet, indem er uns an dieses Versäumnis erinnerte. Aber Ihr müßt nun auch für die Akademie tätig sein. Diesen Ruhm geben wir nicht umsonst.«

»Verzeiht, Eure Exzellenz, aber warum nennt man diese Akademie ›Crusca‹? Warum gibt man einer Akademie den Namen Kleie? Was hat das zu bedeuten?«

»Diese Frage ist schon öfter aufgetaucht. Wir wissen es selbst nicht genau. Wie Ihr aus der Mitgliedschaftsurkunde ersehen konntet, ist unser Wappen ein Sieb. Die Gründer waren vor fünfzig Jahren der Meinung, daß man aus der täglichen Kleie des Lebens das Mehl der Kunst und der Wissenschaft heraussiebt. Also siebt auch Ihr recht fleißig. Ihr gehört doch viel eher zu uns, als zu diesen Sklavenhändlern.«

»Zu wem?«

»Zu den Venezianern. Dort gibt es ja noch immer einen Sklavenmarkt. Ist das wahr oder ist das nicht wahr?«

»Es läßt sich kaum leugnen. Auf der Piazzetta kann man ab und zu noch beobachten, daß von weither gesegelte Schiffer hin und wieder einen Schwarzen verkaufen.«

»Seht Ihr! Was für ein Staat ist denn das überhaupt? Warum kommt Ihr nicht heim nach Toskana? Euer Platz ist hier!«

»Mein Platz, ja. Aber wovon soll ich leben?«

»Allerdings, allerdings. Aber seht Euch nur erst um, etwas wird sich schon finden. Auf mich könnt Ihr ebenso zählen wie vor zwanzig Jahren. Um so eher, da ich Euren Vater, der ein hervorragender Musiker war, sehr gut kannte und sehr hoch schätzte. Und wenn es dann gelingt, Euch hier zu behalten, werden wir Euch kräftig an unserer großen Arbeit teilnehmen lassen. Habt Ihr noch nichts davon gehört? Die Akademie Crusca will ein einheitliches großes italienisches Wörterbuch herausgeben. Italien besteht aus einer ganzen Reihe von Ländern, aber unsere Sprache ist die gleiche. Und die Sprache hält uns Italiener alle zusammen. Dieser großen menschlichen Gemeinschaft dient unsere Akademie also dadurch, daß sie die gemeinsame Sprache pflegt. Eine herrliche, große Enzyklopädie wird das! Sie wird den richtigen Sinn der einzelnen Wörter deuten und ihre einheitliche genaue Form bestimmen. Eine riesenhafte Arbeit. Es werden Jahre vergehen, bis wir das Buch in Satz geben können. Seht Ihr, schon deswegen würde es sich lohnen, heimzukehren, damit Ihr daran teilnehmen könnt. Ich will auch noch mit Vinta sprechen, vielleicht fällt uns etwas ein. Habt Ihr Eile? Mein Sohn wird es sicher bedauern, Euch nicht angetroffen zu haben. Jetzt ist auch er schon Mitglied der Crusca. Ja, die Zeit vergeht …«

Jeder rief ihn nach Hause. Das freute ihn, ärgerte ihn aber gleichzeitig auch. Denn es war ja leicht zu sagen, er solle nach Hause kommen, das Gehalt der Universität, die Privatstunden, die Werkstatt und alles, alles einfach im Stich lasten. Und was sollte er mit Marina machen? In Padua hatte man sich an diese wilde Ehe schon gewöhnt, nicht einmal die Pfarrer unter seinen Bekannten kümmerten sich noch darum. Wenn er aber hier eine Stellung übernähme, könnte er sein Wirken nicht mit diesem Skandal beginnen. Er müßte sie heiraten. Und schon vor diesem bloßen Gedanken erschauerte er. Es wäre ein schöner Traum, nach Hause zu kommen, aber es ging einfach nicht. Vielleicht nahm aber sein Schicksal eine Wendung, wie er sie sich heute noch gar nicht vorzustellen vermochte, so daß er für seine alten Tage doch noch nach Hause käme. Bis dahin müßte er an dem schließlich auch gar nicht so schweren Pflug in Padua ziehen.

In Pratolino war er noch nie gewesen. Der Palazzo des Großherzogs flößte ihm Bewunderung ein. Mit klopfendem Herzen sah er sich um, ob er nicht jemanden von der großherzoglichen Familie erblicken könnte. Aber er begegnete nur Hoflakaien, die ihm den Weg wiesen, ihn zu einem Beamten führten, der ihn endlich zu seinen Wohnräumen geleitete.

Gleichzeitig teilte man ihm mit, daß der Kanzler auf ihn warte. Belisario Vinta, den er viele Jahre nicht gesehen hatte, umarmte und küßte ihn. Dann versah er ihn schleunigst mit eingehenden Ratschlägen, wie er sich zu benehmen habe und wessen Gunst er suchen solle.

»Sieh zu, daß dich der Hof liebevoll aufnimmt, mein Sohn, dann will ich dir auch meinen Plan verraten, wie ich dich nach Hause holen will.«

»Ich würde wirklich kommen, wenn es ginge.«

»Überlasse das nur mir. Ich habe nur eine Bedingung: mache nichts ohne mich. So etwas muß in einer Hand liegen. Wenn sich viele damit befassen, zersplittert es.«

»Ohne Eure Exzellenz unternehme ich keinen Schritt.«

»Also gut, dann vertraue nur auf mich. Nachmittags gibst du dem Thronfolger die erste Unterrichtsstunde. Und sei geschickt und streite dich nicht viel mit der Großherzogin herum, denn sie liebt es, recht zu behalten.«

Nachmittags war der große Augenblick da. Der Kanzler selbst führte Galilei in den großen Saal, wo sich die Großherzogin Christina, der Thronfolger Cosimo und sein Erzieher, Silvio Piccolomini, Herr von Sicciano und Herzog von Amalfi, aufhielten. Die Großherzogin war eine wohlbeleibte, würdige Familienmutter geworden seit der letzten Begegnung in Pisa; erst vor kurzem hatte sie ihr achtes Kind zur Welt gebracht. Piccolomini war ein gescheiter Mann mit scharfem Blick und fester Sprache, dem man den Soldaten von weitem ansah. Der Thronfolger, Herzog Cosimo, war ein baumlanger Bursche von fünfzehn Jahren und nicht einmal seine größten Schmeichler hätten von ihm behaupten können, daß er ein schöner Junge sei. Sein auffallend länglicher Kopf machte den Eindruck, als sähe man ihn durch einen Zerrspiegel. In dem länglichen Gesicht hing eine plumpe Gurkennase, und unter der Nase quollen die aufgeworfenen Lippen seines breiten Mundes hervor. Und wenn er sprach, fiel seine Stimme aus der kindlichen Höhe abwechselnd in einen männlichen Bariton. Als ihm Galilei vorschriftsmäßig die Hand küßte, reichte er ihm diese Hand nur sehr unbeholfen.

Aber er war freundlich und wirkte von der ersten Minute an sympathisch. Liebenswürdig nahm er die Huldigung des Gelehrten entgegen. Galilei richtete eine kurze Rede an ihn, wie es sich geziemte, und übergab ihm dabei sein Geschenk, einen prächtig verzierten Zirkel. Damit nahm zugleich auch die wissenschaftliche Diskussion ihren Anfang. Galilei begann, die Erfindung in großen Zügen zu erklären. Geduldig, wie ein folgsamer, braver Schüler hörte der Thronfolger zu, aber es erging ihm wie einem kleinen Kinde mit dem neuen Spielzeug, an das die Erwachsenen es nicht heranlassen. Auch Piccolomini interessierte sich lebhaft für den neuen Zirkel, überschüttete den Gelehrten mit Fragen, und alsbald war ein reger Gedankenaustausch über die militärische Verwendbarkeit des Zirkels im Gange. Piccolomini lobte das Instrument sehr.

»Es ist ein großer Fehler«, erklärte er dann, »daß sich die Wissenschaft mit allerlei abstraktem Unsinn befaßt, statt die Interessen des Landes im Auge zu haben. Ihr verzeiht mir doch, Euer Gnaden, daß ich so ungeschlacht daherrede, aber ich bin ein Soldat. Über diesen neuen Stern verschwendet man so viele Worte, die wichtigsten Fragen hingegen liegen noch ungelöst da.«

»Vielleicht hätten Eure Durchlaucht die Güte, einige solche ungelöste Fragen zu nennen.«

»Gerne, mein Freund, zehn. Nehmen wir zum Beispiel eine Kanone. Die Kugel wird bekanntlich durch die Explosivkraft des Schießpulvers aus dem Rohr herausgeschleudert. Die Kugel fliegt fort, und nach einer gewissen Zeit fällt sie zu Boden, weil ihr Gewicht sie herabzieht. Die Kugel beschreibt also in der Luft einen Bogen. Die Kraft des Schießpulvers ist bekannt, weil man sie dosieren kann. Das Gewicht der Kugel ist auch bekannt und der Winkel, den die Lafette zur Erdoberfläche bildet, desgleichen. Warum kann mir also die Wissenschaft nicht ausrechnen, wo die Kugel niederfällt. Mit einer Kanone kann man nur ins Blaue hineinzielen. Meine besten Kanoniere zielen nur gefühlsmäßig. Wo bleibt hier die Wissenschaft, mein Herr? Wozu ist die Wissenschaft da, wenn nicht für solche Sachen?«

Piccolomini redete sich in Eifer. Überrascht sah ihn Galilei an: das war ein kluger Kopf! Er verneigte sich.

»Ich danke für die Aufgabe, ich werde darüber nachdenken.«

Da nahm die Großherzogin das Wort.

»Von was für einem Bogen ist hier die Rede? Wenn man eine Kugel aus dem Rohr schießt, fliegt sie doch ganz gerade, das ist ja selbstverständlich.«

Galilei, der angesichts solcher Unkenntnis außerordentlich ungeduldig zu werden pflegte, wollte gerade heftig entgegnen, als ihn der Kanzler am Wams zupfte. Statt seiner antwortete der Thronfolger.

»Nein, meine erlauchte Mutter, mit der Kanone zielt man nicht so. Die Mündung des Rohres sieht nicht auf das Ziel, sie sieht viel höher. Die Kugel fliegt hoch, dann läßt ihre Kraft nach, und sie fällt herab. Wenn der Schuß gut war, fällt sie auf das Ziel.«

»Aber das ist doch ganz falsch«, meinte die erlauchte Mutter, »man muß das Ziel genau aufs Korn nehmen und in das Kanonenrohr mehr Schießpulver stecken, damit genug Kraft vorhanden ist.«

»Dann explodiert die Kanone, Hoheit«, warf Piccolomini ein.

»Dann soll man eben stärkere Kanonen bauen, das ist doch ganz einfach.«

Die Herren blickten sich verstohlen an. Galilei beobachtete sie. Vinta antwortete sogleich:

»In der Tat noch eine Aufgabe für unseren Gelehrten. Und eine um so schönere Aufgabe, weil sie die Gemahlin des Herrschers selbst gestellt hat. Ich zweifle nicht daran, daß dies unseren Freund Galilei besonders begeistern wird. Aber eines habe ich noch nicht verstanden. Wie muß man von diesem Instrument auf offenem Feld die Entfernung ablesen?«

Galilei nickte verständnisinnig. Er begann die Kunst der höfischen Unterhaltung zu begreifen. Er fuhr in seiner Erklärung fort, und zwar absichtlich recht wissenschaftlich, damit die Großherzogin nicht folgen und nicht dreinreden könne. Sie mischte sich auch nicht wieder ein, nickte nur ab und zu sehr gnädig als Zeichen ihrer allerhöchsten Zufriedenheit. Eine eingehende Erklärung verschoben sie auf die nächste Stunde und legten dabei gleich den Stundenplan fest. Danach war Galilei berufen, jeden Tag zwei Stunden lang den Thronfolger über den Zirkel, Geometrie und Astronomie zu belehren. Als Zeitdauer dieses Lehrganges bestimmte man sechs Wochen. Das bedeutete also, daß der Professor des Bo sechs Wochen lang der Gast des toskanischen Hofes in Pratolino war.

Die zwei Stunden wurden nicht nacheinander abgehalten, sondern am Vormittage befaßte man sich mit Geometrie und Mathematik und abends mit Astronomie. Piccolomini nahm an dem Vormittagsunterricht fast ständig teil, da der Gegenstand ihn auch interessierte. Er brachte sogar seinen Sohn Ottavio mit, der zwar der Spielgefährte der jüngeren Herzöge war, aber ein sehr kluges Kind. Zu dem Abendunterricht erschien Piccolomini nicht. Meistens blieben sie zu zweit: der Thronfolger und der Gelehrte. Die Erörterungen über die Gestirne machten sie bald zu Freunden. Prinz Cosimo, eine anhängliche Natur, verträumt, sehr gütig, hatte eine reine, unschuldige Seele. Er liebte es, die Hand auf die Schulter seines Professors zu legen, wenn sie sich zu dem Quadranten niederbeugten, er liebte es, ihn über fremde Sitten und Gebräuche auszufragen, liebte es, ihm seine Träume zu erzählen.

»Das dort ist der berüchtigte neue Stern. Können Hoheit ihn sehen?«

»Er ist ganz klein, aber ich sehe ihn.«

»Anfangs glänzte er viel mehr und war viel größer. Jetzt kann man ihn kaum noch sehen. Nächstes Jahr wird er ganz verschwinden. Mir wird er aber als Beweis, solange ich lebe, immer in Händen bleiben. Wenn ich nur die Möglichkeit hätte, in Ruhe arbeiten zu können. Ich habe leider viele Sorgen zu Hause.«

»Habt keine Sorgen, Messer Galilei, was an mir liegt, wird geschehen. Sagt mir, was ich tun kann.«

»Darf ich es wagen, Hoheit? Denn Hoheit könnten sehr viel für mich tun.«

»Natürlich, redet nur. Wir sind doch gute Freunde, nicht wahr?«

»Hoheit sind wirklich zu gütig. Die jetzigen Riformatori des Bo …«

Hier blieb er stecken. Der eine Riformatore war Cappello, ein Verwandter Biancas. Und am Hofe war es noch immer verboten, den Namen Biancas zu nennen. Er vermied also den Namen Cappello und änderte seinen begonnenen Satz:

»… haben in dem Senator Lionardo Donato ihren Führer. Ein sehr vornehmer und steinreicher Herr, ein ständiger Dogenkandidat. Wenn Eure Hoheit in meinem Interesse an diesen Herrn schreiben könnten, würde das sehr viel nützen. Man hat mir nämlich eine Gehaltserhöhung zugesichert, aber ich komme in der Angelegenheit nicht vorwärts.«

»Das ist alles? Sehr gerne! Ich muß natürlich meinen erlauchten Vater um Erlaubnis bitten, aber ich bin sicher, daß er sie mir ohne weiteres erteilt. Wißt Ihr was: schreibt den Brief und ich unterzeichne ihn. Aber erzählt mir einmal, wie wird der Doge gewählt? Es ist so sonderbar, sich vorzustellen, daß man jemanden wählen muß. Und vom Herzog Piccolomini habe ich gehört, daß diese Dogenwahl die komplizierteste Wahl der Welt sei. Wißt Ihr, wie sie vor sich geht?«

»Allerdings, Hoheit. Der Große Rat setzt sich zusammen, der sogenannte Maggiore Consiglio. Das gibt ein farbenprächtiges Bild: sie tragen alle reichgeschmückte Purpurmäntel, deren Ärmel fast bis zu den Fußspitzen und bis zum Boden reichen. Diese Herren in Purpur losen dreißig Senatoren aus. Die Auslosung wird mit Hilfe einer Kugel vorgenommen. Ich habe einmal eine solche Kugel gesehen. Fra Paolo Sarpi zeigte sie mir. Es ist eine rote Kugel mit zwei goldenen Streifen, die einander kreuzen. Kurz und gut also, sie losen dreißig Männer aus. Diese setzen sich wiederum zusammen und losen neun aus ihren Reihen aus.«

»Und einer von diesen neun wird Doge?«

»Ach nein, davon sind wir noch weit entfernt. Diese neun Herren setzen sich zusammen und wählen einen vierzigköpfigen Rat, aber diesmal nicht mit Kugeln, sondern durch Stimmabgabe. Wollen Eure Hoheit jetzt gut achtgeben, ich habe es auswendig gelernt, weil es mir Spaß machte, dieses System mit mathematischen Berechnungen zu kontrollieren. Es wird also ein vierzigköpfiger Rat gewählt. Diese vierzig losen mit der Kugel wieder zwölfe aus. Diese wählen fünfundzwanzig, diese fünfundzwanzig kugeln wieder neun aus ihren Reihen aus. Diese neun wählen fünfundvierzig. Diese wiederum elf und die elf neuerlich einundvierzig. Und da sind wir am Ende angelangt. Diese einundvierzig Räte sind die letzten. Sie wählen aus ihrer Mitte den Dogen. Aber mindestens fünfundzwanzig Stimmen müssen auf ihn entfallen. Erhält der Betreffende nur vierundzwanzig, fängt das Ganze wieder von vorn an. Dieses umständliche Hin und Her soll Betrügereien vorbeugen. Morgen vormittag will ich es nochmals auf dem Papier erklären.«

»Und sagt, Messer Galilei, was wird aus dem Sohne des Dogen?«

»Nichts, Hoheit.«

Herzog Cosimo schüttelte den Kopf.

»Ein sonderbares Land. Aber gehen wir jetzt schlafen.«

Der Brief an Lionardo Donato ging ab. Der Thronfolger schrieb sogar noch an den venezianischen Gesandten Montauto einen eigenhändigen Brief, er möge die Angelegenheit bei dem Senator Lionardo beschleunigen. Galilei wartete ihm aus Dankbarkeit sofort mit einer kleinen Erfindung auf. Sie bestand aus einem Wasserbehälter von Glas, einem ehemaligen Aquarium, in dem eine rotbemalte Holzkugel schwamm. Diese Holzkugel hatte Galilei innen ausgehöhlt, irgend etwas hineingelegt und das Loch dann schwarz abgedichtet. Das Interessante daran war, daß die Kugel, wenn man sie tiefer in das Wasser drückte, auch unterhalb des Wassers blieb und nicht wieder an die Oberfläche heraufkam. Sie schwamm immer dort, wo man sie hindrückte. Legte man sie auf die Wasseroberfläche, blieb sie dort liegen. Drückte man sie auf den Boden des Behälters, blieb sie auch dort.«

»Ist das aber lustig«, rief erfreut der Thronfolger, »erklärt es mir doch, Messer Galilei. Was ist das?«

»Das ist eine Widerlegung des Aristoteles.«

»Wieso?«

»Aristoteles behauptet, daß die Körper entweder an der Wasseroberfläche schwimmen oder aber versinken. Eine dritte Möglichkeit gäbe es nicht. Ich beweise hiermit, daß sich der Alte auch hierin irrt, wie in vielen hundert anderen Dingen. Denn er hatte keine Ahnung von dem spezifischen Gewicht. Ich habe in diese rote Kugel, die aus Holz ist und auf der Wasseroberfläche schwimmen würde, Eisenstaub gefüllt. Und zwar genau soviel, daß das spezifische Gewicht der Kugel mit dem spezifischen Gewicht des Masters übereinstimmt. Es gibt nichts Einfacheres auf der Welt. Und was denken Eure Hoheit, wird geschehen, wenn wir diesen Wasserbehälter von unten erhitzen?«

Cosimo dachte angestrengt nach. Dann entgegnete er frohlockend: »Die Kugel wird sinken.«

»Bravo, ausgezeichnet! Das warme Wasser ist leichter, sein spezifisches Gewicht also kleiner. Die Kugel wird erst später warm, sie sinkt. Eure Hoheit sehen also, wir haben die Zeit nicht vergeudet; denn es ist schon eine große Freude, logisch zu denken …«

Die Geschichte von dem Wasserbehälter mit der roten Kugel drang bis zum Herrscher. Der ganze Hof spielte damit. Der Gelehrte war schnell volkstümlich geworden. Als die sechs Wochen vorüber waren, verabschiedete er sich von dem Thronfolger wie ein vertrauter Freund. Sie versprachen einander fest, sich zu schreiben. Auch die Großherzogin reichte dem Scheidenden mit besonderem Wohlwollen die Hand zum Kuß. Belisario Vinta umarmte ihn und klopfte ihm auf die Schulter. Der Herzog Piccolomini sicherte ihm seine Hilfe und Unterstützung für alle Zeit und für jede Gelegenheit zu. Galilei hatte seine Sachen schön eingepackt, der angespannte Wagen wartete bereits, aber kein Beamter erschien, ihm das Honorar für den Unterricht zu übergeben. Er hielt sich noch mit diesem und jenem auf, vielleicht kam doch noch jemand mit dem Honorar oder der Entschädigung. Aber es kam niemand. Er bestieg den Wagen und blickte fragend den Kutscher an. Vielleicht hatte der die paar tausend Goldstücke? Aber der Kutscher schwieg. Der Wagen fuhr ab.

Die Dynastie hatte dem Professor des Bo keine Entschädigung gezahlt. Der Herr Professor Galilei hatte den Thronfolger umsonst unterrichtet. Allerdings war es richtig, daß er in diesen sechs Wochen unschätzbare Beziehungen angebahnt hatte, rein geschäftlich war er nicht schlecht gefahren. Die Auszeichnung trug zu seiner Autorität sehr viel bei. Im Endergebnis hatte er, wenn auch nicht Geld, so Geldeswert erhalten. So große Herren haben es leicht, sie können zahlen, ohne daß es sie etwas kostet. Mit fröhlichem Leichtsinn ging Galilei über die weggeschwommenen Goldstücke zur Tagesordnung über.

»Ich bin selbst schuld daran«, sagte er gutgelaunt vor sich hin, als er unter den Bäumen des Palazzo entlang fuhr, »warum bin ich als Galilei und nicht als Medici geboren?«

Dann brannte er sich seine Pfeife an. Er stellte bei sich fest, daß die Genüsse des Lebens nie vollkommen seien; denn es gebe Freuden, die einander ausschließen. Um so mehr müßte man auf einmal genießen können; die Zeit ist kurz, und es ist sehr schön zu leben.


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