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Zweites Kapitel

Vincenzo Gonzaga, der prachtliebende Herzog von Mantua, empfing den Mathematiker, den er zu einer Besprechung aus Padua zu sich gebeten hatte, im Corte Reale. Galilei war dieser fürstlichen Einladung nachgekommen, wußte aber bereits, daß sein Besuch keinen Zweck haben würde. Hofmathematiker des Herrscherhauses von Mantua zu werden, hatte er nicht viel Lust. Den Lehrstuhl des Bo hätte er höchstens mit Florenz eingetauscht.

Den Herzog kannte er bereits persönlich. Bei einem Festmahl in Padua hatte man ihm auch den Mathematiker vorgestellt. Sie hatten sich damals etwa eine Viertelstunde lang unterhalten, und diese Viertelstunde hatte dem Gelehrten genügt, Vincenzo zwar als keinen dummen, aber überaus launenhaften und eigensinnigen Menschen zu erkennen.

Es ging hier alles viel feierlicher zu als in Florenz. Herzog Vincenzo war in ganz Italien als Freund glänzender Schaustellungen bekannt, der auch sein Privatleben zu einem Theater gestaltete. Wenn er innerhalb der Mauern seines Palastes von dem appartamento ducale in das appartamento degli arazzi hinüberging, so wurde daraus ein wohlorganisierter Aufzug. Auch Galilei wurde so empfangen: den Gelehrten begleiteten auf Schritt und Tritt sich verbeugende oder stolz erhobenen Hauptes einherschreitende Hofkavaliere; als ob sie sich nur auf einer Bühne bewegten, gaben sie den Gast von Hand zu Hand, bis er inmitten all der sinnlos verschwenderischen Pracht vor dem Antlitz des Herrschers stand.

»Gewährt mir die Ehre, durchlauchtigster Herzog«, begann Galilei, sich tief verneigend, »Euch mit einer bescheidenen Erfindung meine Huldigung zu erweisen.«

Er übergab dem Herzog von Mantua einen prächtigen Zirkel, den Mazzoleni mit besonderer Sorgfalt hergestellt hatte.

»Was ist das?« erkundigte sich der Herrscher.

»Ich nenne es Proportionalzirkel. Es ist ein Ding, das alles kann. Wenn Eure Hoheit befehlen, so erkläre ich gern, welchen Nutzen er insonderheit vom militärischen Standpunkt aus hat.«

»Vom militärischen Standpunkt«, erwiderte der Herzog zerstreut, »ja, natürlich. Aber sagt einmal, könntet Ihr auf einer Bühne eine Festung erbauen, die in einem bestimmten Augenblick zusammenstürzt und in Flammen aufgeht?«

»Warum nicht, das ist keine Hexerei.«

Der Herrscher wurde munter und erregt.

»Wirklich? Könnt Ihr das? Engel müßten über die Szene fliegen und auf den Märtyrer Blumen streuen. Aber ihre Flügel sollen sich bewegen. Könnte man auch das einrichten?«

»Sehr leicht. Man müßte über die Bühne, unsichtbar, ein Seil spannen, an diesem Seil die Engel befestigen und sie daran entlang gleiten lassen; die Flügel könnten sie selbst mit Hilfe einer einfachen Einrichtung bewegen.«

»Endlich, endlich! Ihr seid mein Mann! So einen Gelehrten brauche ich. Und so möchte ich jetzt klar aussprechen, was ich Euch schon brieflich angedeutet habe: hättet Ihr Lust, in den Dienst meines Hofes zu treten?«

»Das ist erstens eine finanzielle Frage, Hoheit, und dann auch eine Zeitfrage. Ich müßte wissen, welche Zeit mir für meine wissenschaftliche Arbeit bliebe. Ich habe außerdem eine große Familie zu ernähren.«

»Gut. Und könntet Ihr auch Erdbeben auf der Bühne darstellen mit Wasser und Wellen?«

»Auch das ist nicht schwer. Bei jeder technischen Anlage kommt es nur auf die geschickte Lösung an.«

»Großartig. Aber die Wellen müßten sich türmen. Würde sich das auch machen lassen? Großartig! Kurz und gut, Ihr hättet also Lust, nach Mantua zu kommen?«

»Ich wiederhole Eurer Hoheit: es ist eine Zeit- und Geldfrage.«

»Natürlich, natürlich. Aber könntet Ihr zum Beispiel hier auf dem Teich eine Seeschlacht mit griechischem Feuer veranstalten?«

So ging das stundenlang. Der Herrscher blieb keine Minute lang bei dem Thema selbst, sondern sprang von einem auf das andere. Der Sinn der ganzen Unterredung war, daß der Hof für die technische Leitung verschiedener Theatervorstellungen, Paraden, Gartenfeste und Aufzüge einen Gelehrten benötigte, die Höhe der Besoldung aber vorerst mit den zuständigen Herren beraten werden müsse. Die Audienz schloß damit, daß Galilei ersucht wurde, eiligst Entwürfe zu den besprochenen Veranstaltungen zu zeichnen.

Er bekam schöne Wohnräume zugewiesen mit Schreibgerät und allen erdenklichen Bequemlichkeiten. Zwei Tage lang zeichnete er munter drauflos, dann erschien er mit zwei Herren des Hoftheaters vor dem Herrscher. Vincenzo war von den Plänen ganz entzückt. Zu ernsten Verhandlungen vermochte man ihn aber auch jetzt nicht zu bewegen. Er redete immer nur begeistert hin und her. Zehnmal mindestens fing Galilei von seinen eigenen Angelegenheiten an, aber schon bei jedem zweiten Wort fuhr der Herrscher dazwischen. Später versuchte Galilei, aus den Beamten des Hofes etwas herauszuquetschen und erfuhr so endlich, daß er mit jährlich dreihundert Dukaten rechnen könne, für seine und seines Dieners Verpflegung aber selbst zu sorgen habe. Mit dieser Zusage reiste er wieder ab, nachdem er versprochen hatte, sich die Sache zu Hause nochmals zu überlegen und dann wiederzukommen.

In Padua vergaß er die ganze Angelegenheit nur zu schnell. Er wäre auch niemals wieder darauf zurückgekommen, wenn nicht Fra Paolo Sarpi das Angebot von Mantua erwähnt hätte, als Galilei eines Tages nach Venedig kam, um mit den Riformatori über seinen Vertrag zu sprechen, der nunmehr bald ablief.

»Um keinen Preis der Welt laßt Ihr dieses Angebot außer acht, mein Sohn. Ich will Euch sagen, warum: es hält sehr schwer, den neuen Vertrag durchzubringen, denn die Herren vom Magistrat haben jetzt andere Dinge im Kopf. Es wird gut tun, sie mit diesem Angebot aus Mantua zu erschrecken. So könnt Ihr vielleicht gar noch eine Gehaltserhöhung durchsetzen.«

»Das verstehe ich nicht. Wovon haben denn die Ratsherren den Kopf so voll?«

»Seid Ihr denn gar nicht unterrichtet? Wir stehen im Kampf mit dem Papst.«

»Mit dem Papst? Im Kampf?«

»Wo lebt Ihr denn, lieber Sohn? Also gut, ich will Euch das Ganze erklären, damit Ihr wißt, woran Ihr Euch zu halten habt. Aber zum zweitenmal erzähle ich es nicht.«

Galilei versprach, aufmerksam zuzuhören. Und Fra Paolo berichtete: Serenissima hatte im vorigen Jahr ein Gesetz erlassen, wonach im Hinblick auf die bereits bestehende große Anzahl von Kirchen künftighin nur noch mit Genehmigung der Regierung eine Kirche oder irgendeine andere Andachtsstätte erbaut werden dürfte. Darüber allein war der Papst schon sehr erzürnt. Der Vorfall mit dem Domherrn von Vicenza, Sarraceno, steigerte seinen Zorn nun noch. Dieser Sarraceno hatte die Frau eines venezianischen Patriziers schwer beleidigt und war verhaftet worden. Der Papst war wütend, ließ sich in Rom den venezianischen Gesandten kommen und erhob tobend dagegen Einspruch, daß man einen Kirchenfürsten vor ein weltliches Gericht stelle. Er erklärte, daß er die Rechte der Geistlichkeit, die mit dem Schlüssel St. Petri auf ihn übergegangen seien, erforderlichenfalls auch mit seinem Leben verteidigen würde. Und nun war der Krieg da. Der Papst bestand darauf, daß nur er über eine kirchliche Person richten könne und niemand anders. Serenissima hingegen stützte sich auf das kirchenrechtliche Gutachten des Fra Paolo Sarpi und behauptete, wenn die Geistlichen weltliche Sünden begingen, unterständen sie auch dem weltlichen Gericht. Und wenn der Papst einen Geistlichen, der bei einem Diebstahl erwischt worden sei, der Gerechtigkeit Venedigs entziehen wolle, mische er sich offensichtlich in die Hoheitsrechte von Serenissima.

»Und was ist jetzt geworden?« fragte Galilei.

»Jetzt bekämpfen sich in Venedig zwei Parteien. Die eine Gruppe führt Offredi an, der Nuntius, die andere ich. Aber nicht nur wir bekriegen uns, das ganze Staatsgefüge ist aufgescheucht wie ein Ameisenhaufen, in den jemand hineingetreten ist. Die Senatoren schlafen nächtelang nicht. Täglich sitzen zwanzigerlei Ausschüsse beisammen, Kuriere zwischen Venedig und Rom verkehren stündlich mit Protokollen, Gegenprotokollen und ungezählten Bogen, gefüllt mit juristischen Haarspaltereien. Aber das dicke Ende kommt nach. Der Senat hat schon seit längerem einen Entwurf ausgearbeitet, wonach Kirchen und Orden keine Geschenke und auch keine Nachlasse übereignet werden dürfen, da dem Staat sonst ungeheure Steuern entgehen. Der Nuntius weiß ganz gut, daß diese Gesetzesvorlage zur Verhandlung kommen wird, und ist außer Rand und Band. Dann schwebt da auch noch die Sache mit dem Abt Narvese. Dieser Mensch ist ein ganz gewöhnlicher Verbrecher. Er hat krankhafte Neigungen, und wenn er einen von seinen Bevorzugten satt bekommt, läßt er ihn von gedungenen Mördern einfach erdolchen. Der Rat der Zehn will die Angelegenheit nur nicht übereilen, man sammelt also sorgfältig Einzelbeweise. Wenn sie alle zusammengetragen sind, lassen wir den Abt verhaften.«

»Habt Ihr keine Angst, Fra Paolo?«

»Doch. Ich würde gern ein Panzerhemd tragen, aber das ist unmöglich. Der Nuntius läßt mich beobachten. Neulich erstattete er in Rom Anzeige gegen mich, daß ich keine Sandalen, sondern Pantoffeln trüge, die Gesetze unseres Ordens schrieben dagegen Sandalen vor. Das ist richtig; da ich aber einen kranken Fuß habe, ziehe ich zu Hause während meiner Arbeit Pantoffeln an. Anscheinend bezahlt der Nuntius jemand in meiner unmittelbaren Nähe. Jetzt muß ich auf die Pantoffeln verzichten, und ein Panzerhemd kann ich auch nicht anziehen. In den Gesetzen meines Ordens steht nichts von einem Panzerhemd. So gebe ich eben Obacht, so gut ich kann; tagsüber gehe ich nicht allein aus, gehe grundsätzlich nicht durch enge Gassen, und bleibe abends zu Hause. Ich muß Euch aber warnen, mein Sohn: es wird gefährlich, mit mir auch weiterhin Freundschaft zu halten.«

»Schon möglich«, erwiderte Galilei mit einem treuen Blick, »aber auf diese Freundschaft kann ich nicht verzichten.«

Mit den Herren vom Magistrat konnte man tatsächlich nicht verhandeln; jeder, den man sprechen sollte, war entweder bei einer Sitzung oder gerade auf dem Wege dorthin. Galilei mußte aber Klarheit über seine künftige Lage gewinnen. Sein zweiter Vertrag lief zwar noch über ein Jahr, aber er wollte jetzt schon wissen, was mit ihm geschehen würde; hauptsächlich aber, was mit seinem Gehalt geschehen würde. Er befolgte also Fra Paolos Rat, da er mit den Herren persönlich nicht sprechen konnte, und ließ die Riformatori durch einen Brief wissen, daß er mit dem Hofe von Mantua in Verhandlung stehe. Und damit das Ganze nicht nur wie leeres Gerede aussehe, hielt er auch den Briefwechsel mit dem Herzog Vincenzo aufrecht, ja, er reiste sogar noch einmal nach Mantua. Der Herzog empfing ihn mit überschwenglichem Lob für seine Bühnenentwürfe, die sich vollkommen bewährt hätten. Er rückte auch sogleich mit neuen Problemen heraus: für eine Festlichkeit brauchte er einen Vulkan mit Ausbruch, Lava und Aschenregen; die Lava sollte aus Wein und der Aschenregen aus Zucker bestehen. Galilei hingegen sprach immer nur davon, daß er gerne bereit sei, weiter zu verhandeln, wenn er eine Jahresrente von fünfhundert Dukaten und volle Verpflegung für drei Personen erhalte. Sie konnten nicht einig werden; denn Galilei sprach fortwährend nur von fünfhundert Goldstücken, der Herrscher ausschließlich von seinem Vulkan.

Das Ende vom Liede war, daß der Gelehrte wieder nach Hause fuhr. Brieflich stellten sie dann fest, daß die Verhandlungen zu keiner Einigung geführt hatten. Der Herrscher von Mantua erwies sich jedoch als Kavalier, wenn man mit ihm auch nicht sachlich verhandeln konnte. Er schickte Galilei als Geschenk eine goldene Kette und eine goldene Medaille, so groß wie ein Teller, außerdem noch zwei silberne Schalen. Die Professoren und Studenten bestaunten das fürstliche Geschenk wie ein Wunder. Meister Mazzoleni schätzte das Ganze auf zweitausenddreihundertvierzig Lire Wert unter Juwelieren.

Zu gleicher Zeit zeigte sich auch in Venedig bereits die Wirkung des Angebots von Mantua: die Riformatori erklärten, daß er mit einem neuen Vertrag auch eine wesentliche Gehaltserhöhung erhalten werde, und zwar rückwirkend. Im großen und ganzen hatten alle seine Geschäfte beweisen müssen, daß sich seine geldlichen Verhältnisse ständig verbesserten. Das Geschäft mit dem Zirkel ging vorzüglich, das große Haus war voll von gutzahlenden Studenten. Und nachdem Marina ihn jahrelang gedrängt hatte, jede Einnahme und Ausgabe aufzuschreiben, hatte er sich seit einiger Zeit dazu entschlossen. Trotzdem war er ständig in Geldnöten. Seine Schuld an Landucci wollte und wollte nicht geringer werden, und mit seinem neuen Schwager Galletti gab es auch fortwährend Schwierigkeiten, weil er die Zahlungsfristen ständig versäumte.

»Man bestiehlt dich von vorn und hinten«, zankte Marina, »du bemerkst es nur nicht.«

»Man bestiehlt mich?« fragte er verwundert.

»Natürlich. Was dachtest du denn? Die würden sich schämen?«

»Aber wie können sie mich bestehlen, wenn ich meine eiserne Truhe immer verschlossen halte?«

»O du himmlische Unschuld! Die Haushälterin stiehlt soviel bei der Abrechnung, wie sie will. Die Diener rechnen soviel Wein ab, wie sie wollen. Mazzoleni haut dich übers Ohr, wann er will. Man würde dir das Hemd vom Leibe stehlen, wenn es ginge. Mich geht die ganze Sache schließlich nichts an, aber ich sage es dir trotzdem; denn im Endergebnis sind deine Kinder die Bestohlenen.«

»Die Kinder werden immer haben, was sie brauchen. Du und die zwei Kinder, ihr seid die ersten. Um alles andere kümmere ich mich nicht besonders, das ist wahr.«

Marina widersprach nicht. Sie war nicht streitsüchtig, und meistens war ihr sowieso alles ganz gleichgültig. Außerdem hatte sie sich längst damit abgefunden, daß niemand diesen Astronomen ändern werde: der würde immer und für alle Zeit in den Himmel gucken und dabei über den kleinsten Kieselstein stolpern.

Und nicht nur Marina dachte so von ihm. Auch die Professoren winkten ab, wenn das Gespräch auf Galilei kam. Seit zwölf Jahren war er nun schon Professor am Bo und viele waren nach ihm gekommen. Der alte Professor der Botanik war gestorben und der Lehrstuhl mit einem neuen namens Alpina besetzt worden. Er gehörte schon zur alten Garde der Professoren des Bo. Auf seine Mucken achtete längst keiner mehr. Über seine in der ganzen Stadt bekannte wilde Ehe ging man zur Tagesordnung über, und seine Teilnahmslosigkeit gegenüber der Allgemeinheit warf man ihm nicht mehr vor. Gerade jetzt wäre das allerdings zeitgemäß gewesen, denn die Spannung zwischen Venedig und dem Vatikan machte sich auch im Bo geltend. Am Bo dozierten auch Theologen, ein Kirchenrechtler und ein Kirchengeschichtler, und der Senat war schon dabei, in einzelnen juristischen Fragen ein Gutachten des Professorenkollegiums einzufordern. Sarpi suchte die Professoren in Padua öfter auf, da sie sich allesamt zur Partei der Serenissima bekannten und die Erregung immer mehr überhand nahm. Jeder debattierte, jeder politisierte, nur Galilei nicht. Er saß unter seinen Studenten und betrachtete es höchstens als ein großes Ereignis, wenn er von Kepler oder Michelagnolo einen Brief erhielt. Denn der jüngere Bruder gab plötzlich Lebenszeichen aus Polen. Er klagte über Geldmangel, offenbar, um vorzubeugen, daß man wegen der restlichen Raten der Mitgift auf ihn rechnete. Der heitere Ton seiner Briefe und manche Einzelheit deutete aber darauf hin, daß er in Polen gut untergebracht war und dort das geruhsame Leben eines Hofmusikus führte. Um so mehr war in Keplers Briefen von Schwierigkeiten zu lesen. Er hatte die Stellung des verstorbenen Tycho Brahe geerbt und war kaiserlicher Hofmathematiker geworden. Tycho Brahe hatte aber auch einen Schwiegersohn, Tengnagel mit Namen, der die Instrumente und Manuskripte des Hofastronomen als sein persönliches Erbe ansah und dem Nachfolger nicht aushändigte. Kepler war verzweifelt. Ohne Instrumente konnte er seiner Arbeit nicht nachgehen, ohne Manuskripte seine Aufzeichnungen nicht weiterführen und organisch vervollständigen. Es kostete einen zweijährigen Kampf, bis man Tengnagel durch höheren Druck zur Herausgabe hatte zwingen können. Dafür nahm der Hof aber Kepler das Versprechen ab, aus Dankbarkeit ein Werk zum Ruhme Kaiser Rudolfs zu schreiben. Dieses Werk schrieb er auch, aber nicht über Kopernikus, sondern über optische Fragen. Die Angelegenheit des Kopernikus begann langsam einzuschlafen. Galilei selbst verzichtete mit der Zeit darauf, mit seiner Überzeugung vor die Öffentlichkeit zu treten. In seiner Gleichgültigkeit ging er sogar so weit, daß er auch seine unanfechtbaren Gegenbeweise gegen die Mechanik des Aristoteles nicht mehr zur Diskussion stellte. In seinem Kolleg behandelte er zwar auch die von ihm ausgestellten, dem Aristoteles widersprechenden Fallgesetze, und er hatte die Ergebnisse seiner Forschungen auch schriftlich niedergelegt. Er zögerte aber, das Buch in Druck zu geben. Die Streitlust in ihm wandelte sich langsam in Resignation. Der einst so kühne Rebell wurde ein geruhsamer Paduaner Spießbürger, der in seinem Weingarten herumbuddelte …

Ein großes Ereignis war der Besuch seiner Mutter in Padua. Wegen des Schwagers Landucci glaubte er Florenz meiden zu müssen, aber er sehnte sich, die alte Frau wiederzusehen. An einem heißen Sommertage traf Frau Giulia ein. In unzähligen Körben und zusammengenähten Bettüchern schleppte sie ihr Hab und Gut, sogar ihre Lieblingsmeisen brachte sie in einem Bauer mit. Sie war nun sechzig Jahre alt, ihr Haar vollkommen weiß, ihr Rücken gekrümmt, ihr Gang schwerfällig. Galileo nahm sie liebkosend in die Arme und war unausgesetzt bemüht, freundlich gegen die arme Alte zu sein, die aus der einst so zornigen Harpyie zu einem so verwelkten und hilflosen Weiblein geworden war. Frau Giulia bestaunte die Wohnung ihres Sohnes, die man ruhigen Gewissens einen Palast hätte nennen können, beäugte andächtig die kommenden und gehenden deutschen, französischen und polnischen adeligen Studenten; als sie die Werkstätte Mazzolenis sah, rieb sie sich gerührt die Augen vor Stolz, daß es der schlechte Sohn so weit gebracht hatte. Dann lief sie zu Marina, um sie und die beiden kleinen Mädchen kennenzulernen. In ihrer überschwenglichen Art verliebte sie sich auf der Stelle in Marina, herzte und küßte sie, verhätschelte und umschwärmte sie. Fünf Tage lebte die Familie in innigster Eintracht. Am sechsten Tage entstand Streit zwischen Schwiegermutter und Schwiegertochter wegen der Behandlung eines der Kinder. Ganz aufgebracht kam die Alte nach Hause, zeterte und schrie, schlug alles kurz und klein, hatte an allem etwas auszusetzen und brachte schließlich auch den Sohn gegen sich auf. Das war aber kein Skandal wie einst in Florenz, wo die Nachbarn in der kleinen Straße zusammenliefen. Hier versammelten sich die Studenten in den Fenstern und die Gehilfen der Werkstatt unterbrachen ihre Arbeit. In dem geräumigen Hofe stand Frau Giulia in hitzigem Gefecht, mit einem Male steif aufgerichtet und ganz verjüngt. Ihr weißes Haar zitterte vor Erregung und ihre Flüche schallten durch die ganze Gegend. Abends erschien sie aus Trotz nicht zum Essen und entfesselte einen neuen Skandal, indem sie behauptete, sie sei nicht zu Tisch gerufen worden. Am anderen Tage aß sie wieder mit an der großen Tafel, als ob nichts vorgefallen wäre. Von da an ließ sie jeden dritten Tag ihrer zänkischen Laune freien Lauf. Endlich schrie sie eines Tages aus vollem Halse, daß sie keine Minute länger in diesem Hause bleiben könne, sammelte schnell ihre Habseligkeiten und verließ das Haus zu einer Stunde, wo der Sohn an der Universität seine Vorlesungen hielt. Erst nachdem sie fort war, stellte sich heraus, daß sie sowohl von Mazzoleni als auch von Messer Silvestro einen beträchtlichen Betrag geliehen hatte. Galilei zahlte jenen das Geld zurück und setzte eine ganze Woche lang jedem Mitbewohner des Hauses auseinander, daß man wegen der unglücklichen Veranlagung seiner Mutter ein Auge zudrücken müsse, im Grunde genommen sei sie die beste Frau auf der Welt.

Das also waren die großen Ereignisse im Leben eines im eintönigen bürgerlichen Alltag versunkenen Professors. Da kam etwas, was den Galilei von einst wachrüttelte: der neue Stern.

An einem Oktobertage, als er keine Vorlesungen an der Universität zu halten hatte und soeben zu Hause seine Aufzeichnungen ordnete, stürzte einer seiner Lieblingsschüler, ein angehender Geistlicher, Graf Castelli, Hals über Kopf in sein Zimmer. Er war ein siebzehnjähriger Bursche, der jüngste Sohn seiner Familie. Er war bei den Benediktinern eingetreten und befaßte sich neben der Theologie hauptsächlich mit Mathematik. Galilei hatte ihn sehr liebgewonnen, nicht nur wegen seiner schnellen Auffassungsgabe und seines klaren Verstandes, sondern weil er ihn als vornehmen, charaktervollen, großdenkenden jungen Menschen erkannt hatte. Der junge Benediktiner stand keuchend unter der Tür und die große Erregung war auf seinem Gesicht geschrieben.

»Was ist denn, was ist denn? Verschnauft Euch erst und redet dann. Brennt das Haus?«

»Euer Gnaden … Euer Gnaden … Der neue Stern …«

»Was ist los? Setzt Euch, mein Sohn, und holt lang und tief Atem. So. Jetzt redet. Was ist also los mit einem neuen Stern?«

»Der junge Capra und dieser Mayr haben einen neuen Stern entdeckt.«

Galilei lachte gutmütig.

»Einen neuen Stern? Ist denn etwa das Ende der Welt gekommen?«

»Lacht nicht, Euer Gnaden. Seine Gnaden Giacomo Alviso Cornaro lassen bestellen, Ihr möget Euch sofort zu ihm bemühen, und zwar sowohl in Eurer Eigenschaft als Mitglied der Akademie als auch als Astronom. Denn Monsignore Cornaro hat selbst diesen Stern gesehen.«

Wortlos nahm Galilei seinen Hut und machte sich auf den Weg. Er empfand ein wenig Schadenfreude; Capra und Mayr, die ihn hinterrücks verlästerten, hatten offensichtlich einen Bock geschossen und würden sich mit Cornaro zusammen gründlich lächerlich machen. Cornaro hatte das gleichfalls verdient mit seiner großspurigen Art, den gelehrten Kulturförderer zu spielen.

»Kommt, kommt, Carissimo«, rief Cornaro, »hier ist etwas Unglaubliches geschehen. Ein neuer Stern steht am Himmel. Heute nacht habe ich ihn mit eigenen Augen gesehen. Unserem Präsidenten, dem Grafen Querengo, habe ich es bereits gemeldet.«

Da horchte Galilei auf. Im Tonfall dieser Rede lag etwas Besonderes.

»Nehmt Platz«, fuhr Cornaro fort, »ich will Euch alles genau der Reihe nach erzählen, – auch was mir die Capras bereits mitgeteilt haben. Vor sechs Tagen, also genau am zehnten Oktober sechzehnhundertvier, hat der junge Baltassare Capra, wie er es jeden Abend zu tun pflegt, in der Gesellschaft von Simon Mayr die Fixsterne betrachtet. Wie Ihr wißt, macht Capra astronomische Studien und hat Mayr als seinen Meister auserkoren.«

»Sein Meister dürfte wohl ich sein. Von Mayr hat er mir nie etwas gesagt. Er war vielmehr mit seinem Vater bei mir und …«

»Verzeihung, das gehört nicht hierher. Kurz und gut, sie beobachten jeden Abend die Fixsterne. An besagtem Tage befand sich auch einer ihrer Freunde aus Calabrien in ihrer Gesellschaft, ein gewisser Camillo Sasso. Capra hatte den Quadranten, wie Mayr es ihn gelehrt, in der astronomischen Höhe von Padua eingestellt. Nacheinander blickten sie durch die Öffnung des Quadranten. Mit einem Male schrie Mayr auf. An einer bisher leeren Stelle am Himmel bemerkte er einen Stern. Und ich will Euch nur gleich verraten, an welcher Stelle: in der Verlängerung der den Mars und den Jupiter verbindenden Achse. Sasso, durch den Schrei neugierig geworden, trat hinzu und blickte auch hin. Da er aber in der Astronomie nicht bewandert ist, erkundigte er sich gleichgültig: ›Wie heißt denn dieser Stern, den ich nicht kenne?‹ Mayr erwiderte nichts, sondern zog Capra an das Instrument. Erst als auch der hinzugetreten war, sagte er: ›Ein neuer Stern ist am Himmel.‹ Capra sagt, Mayr hätte dabei gegrinst, so verstört war er. Auch Capra war verwundert, weil er seit acht Tagen jeden geschlagenen Abend nach dieser Stelle geschaut und nie zuvor einen Stern da gesehen hat. Sie maßen sofort nach und stellten fest, daß der neue Stern in einer Entfernung von neunundvierzig Minuten vom Mars steht. Ratlos rieben sie ihre Augen und sahen sich zehn-, wo nicht gar zwanzigmal den neuen Stern an. Nach langem Zögern beschlossen sie, diese Entdeckung zunächst geheimzuhalten, aus Angst, sich lächerlich zu machen. Am nächsten Tage haben sie dann die gesamte einschlägige Literatur durchgeblättert; nirgends aber fanden sie etwas über einen Stern an dieser Stelle. Aufgeregt warteten sie auf den Abend, aber das Wetter war trübe, und sie konnten nichts sehen. Das trübe Wetter hielt tagelang an. Gestern endlich klärte es sich auf. Als die Sterne durchkamen, suchten sie fiebernd den neuen. Sie fanden ihn an der gleichen Stelle. Jetzt war kein Zweifel mehr. Abends um zehn Uhr sandten sie einen Boten nach mir. Ich ging mit und sah ihn mit meinen eigenen Augen. Ein Stern vierter Größe mit rötlichem Glanz. Bis eine Stunde nach Mitternacht beobachtete ich ihn ganz verblüfft. Auf dem Nachhausewege wollte ich Euch noch Bescheid sagen, aber ich sah in Eurem Hause kein Licht mehr brennen.«

»Ich war auch gar nicht zu Hause«, sagte Galilei; er erinnerte sich, daß er sich um diese Zeit aus Marinas Armen gelöst hatte.

»Jetzt war es meine erste Aufgabe, Euch zu benachrichtigen. Was sagt Ihr nun zu diesem Wunder?«

»Ich bezweifle es noch.«

»Aber ich wiederhole: ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen.«

»Die Sinnesorgane der Menschen sind unzuverlässig. Heute abend werde ich selbst nachsehen. Solange ich mich nicht selbst überzeugt habe, zweifle ich.«

Sie stritten noch eine Weile darüber, da der ungeduldige Cornaro um jeden Preis unbesehen das Gutachten des offiziellen Astronomen des Bo hören wollte. Dann sprachen sie noch von den laufenden Angelegenheiten der Akademie. Und Cornaro versäumte auch diesmal nicht, ganz nebenher stolz darauf hinzuweisen, wie er das stets zu tun pflegte, daß seinerzeit die polnische Königstochter Bona in diesem Zimmer als Gast der Familie Cornaro geweilt habe.

Aber Galilei hatte gar nicht zugehört. In tiefe Gedanken versunken ging er nach Hause. Unterwegs blickte er zum klaren Himmel hinauf und suchte die Stelle neunundvierzig Minuten vom Mars entfernt auf der verlängerten Achse Mars-Jupiter. Bei Sonnenschein war natürlich nichts zu sehen. Nur Galileis grübelnder Geist bohrte an dieser Stelle ein unsichtbares Loch in das geheimnisvolle blaue Himmelszelt. Aber wie mit dem leiblichen, so konnte er auch mit dem geistigen Auge nichts wahrnehmen.

Er vertiefte sich in seine Bücher. Er suchte, er las, er zog alles genau in Betracht; an dieser Stelle konnte kein Stern stehen. Um die Mittagszeit herum kam Cremonini aufgeregt zu ihm gerannt, um ihn über seine Meinung auszufragen. Durch Cornaro war die große Nachricht schon im ganzen Bo verbreitet. Beim Mittagessen sprachen die Studenten nur noch von dem neuen Stern. Nach dem Essen erschienen der alte Fabrizio und Alpino, der neue Botaniker, beide aufs äußerste gespannt, vom Fachgelehrten Genaueres zu erfahren. Schließlich war Galilei gezwungen, die Haustür abzuschließen; denn einer kam nach dem anderen. Er aber erwartete voller Ungeduld den Abend und grübelte in einem fort.

Als es zu dämmern begann, ging er in seinen Weingarten und stellte den Quadranten auf, da er in seinem Arbeitszimmer wegen der Bäume im Garten kein geeignetes Fenster fand. Er nahm auch Castelli mit. Am Himmel begannen allmählich, kaum sichtbar, die blinkenden Lichtpunkte hervorzutreten. Castelli trat vor Aufregung von einem Fuß auf den anderen, aber Galilei gebot ihm mit einem Wink Ruhe.

»Wir müssen abwarten, bis man die Sterne ganz klar sehen kann. Erst dann. Habt Geduld. Solange ins Leere blicken hat keinen Zweck.«

Sich selbst mußte er aber auch zurückhalten. Heftige Erregung tobte in ihm, weil er auf einen Gedanken gekommen war, von dem sehr viel abhing. Der diamantene Glanz der Sterne wurde stärker. Der junge Benediktiner zitterte vor Ungeduld. Endlich holte Galilei tief Atem.

»Jetzt!«

Er blickte zu der betreffenden Stelle empor. Er hätte schon früher hinsehen können, und auch ohne Quadranten hätte er entdeckt, was er suchte. Er wußte ja ganz genau, wohin er sehen mußte. Der neue Stern stand tatsächlich am Himmel. Der wundersame Ankömmling erglänzte in voller Pracht, ein flammendes Geheimnis. Galilei schrie auf, warf seinen Hut in die Luft, fiel Castelli um den Hals und küßte ihn stürmisch.

»Ich habe gesiegt!« rief er. »Ich habe gesiegt! Seht auch Ihr dorthin! Dort ist er! Dort ist er! Der neue Stern!«

Der junge Mann blickte auf.

»Ich sehe ihn. Aber wieso habt Ihr gesiegt, Euer Gnaden?«

»Das wißt Ihr nicht? Erinnert Ihr Euch denn nicht, wie der erste und grundlegende Lehrsatz von Aristoteles heißt? ›Der Sternenhimmel ist ewig, unwandelbar und ursprungslos.‹ Bitte! Es stimmt nicht! Ich habe ihn erwischt! Ich habe ihn erwischt! Jetzt wird alles anders werden, mein Junge! Ich bin unsagbar glücklich!«

Und er umarmte und küßte noch einmal den kleinen Grafen im Priesterrock. Jeder, der den im Weingarten um den Quadranten herumhüpfenden und jauchzenden Professor gesehen hätte, wäre der Meinung gewesen, er habe seinen Verstand verloren.


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