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Zwölftes Kapitel

Im September hatte der Großherzog interessanten Besuch: zwei Kardinäle reisten über Florenz und verweilten eine Zeitlang als Gäste im neuen Palazzo Imperiale. Der eine war Kardinal Gonzaga aus einem lombardischen Herrschergeschlecht, der andere ein Florentiner und bürgerlicher Abstammung: Masseo Barberini, der Sohn eines steinreichen florentinischen Großkaufmanns. Zu ihrer Unterhaltung lud der Großherzog auch Galilei ein, dem er vorher mitteilen ließ, er möge sich recht gut vorbereiten; denn der Kardinal Gonzaga sei ein großer Freund der Wissenschaften und Kardinal Barberini pflege die Literatur und schreibe selber berühmte klassische Gedichte. Galilei zerbrach sich eine Zeitlang den Kopf, womit er die Herren unterhalten solle. Aber dann winkte er ab: es werde sich schon von selbst ergeben.

Als er in seinem Sonntagsstaat langsam den Berg hinanstieg, an dessen Hang das Schloß lag, zwischen den Reihen der Hellebardiere in den großen Vorhof einbog und endlich auf dem ihm wohlbekannten Wege die Gesellschaft traf, fand er die beiden Kirchenfürsten schon anwesend. Der Kardinal Gonzaga schien ihm unbedeutend, er machte nicht mehr Eindruck auf ihn als die unendlich vielen anderen vornehmen Geistlichen, die er in Rom kennengelernt hatte. Um so mehr beachtete er den anderen. Ein außerordentlich hochgewachsener Mann mit breiten Schultern und mächtigem Brustkorb, der mit einer auffallend dünnen Stimme sprach. Er eröffnete das Gespräch gleich damit, daß sie einander schon kannten.

»Woher?« fragte Galilei überrascht.

»Von hier, aus Florenz. Ihr seid doch der Sohn des Tuchhändlers Galilei, der sich auch mit Musik befaßt, nicht wahr?«

»Befaßte, Monsignore; denn er ist schon lange tot. Ich bin sein Sohn.«

»Das sage ich ja. Unter hundert anderen hätte ich Euch herausgefunden. Noch als kleinen Jungen kannte ich Euer Gnaden. Ihr kamt damals aus Vallombrosa nach Hause. Ich war zwei Jahre jünger und habe Euch sehr beneidet, weil mir die anderen Jungen erzählten, daß Ihr das stärkste Kind unter den Spielgefährten seid. Meinen Bruder Carlo habt Ihr auch einmal tüchtig verprügelt.«

»Jetzt erinnere ich mich. Haben die Eltern Monsignores nicht am Markte Santa Croce gewohnt? Eure Mutter war doch eine Barbadori. Ja, nun erinnere ich mich ganz genau. Und Monsignore haben noch einen Bruder, ist es nicht so?«

»Natürlich, Antonio. Er ist Kapuziner geworden. Carlo hat geheiratet, er hat eine Magalotti zur Frau. Mein Gott, wie die Zeit vergeht. Seht Ihr, Euer Gnaden, und doch haben wir uns wiedergesehen. Aber jetzt werden wir uns nicht mehr prügeln, höchstens noch mit geistigen Waffen messen.«

Auch Gonzaga griff nun in die Unterhaltung ein:

»Wie ich höre, waren Euer Gnaden in Rom und sind sehr gefeiert worden.«

»Ach Gott, Monsignore, das Feiern ist vergänglich. Mein Lieblingsdichter Berni sagt …«

Die Diener öffneten die Flügeltüren, und der Zeremonienmeister geleitete die Gesellschaft zur Tafel. Kaum hatte der Großherzog Platz genommen und zu essen begonnen, als er sich auch schon an seinen Hofmathematiker wandte.

»Also nun laßt hören, erzählt etwas von Rom.«

Galilei nickte. Er hatte sich schon daran gewöhnt, daß er bei jedem Essen am Hofe hungrig blieb, da er immer reden mußte. Er war ja deswegen geladen, die hohen Herren zu unterhalten, dafür bezog er sein Gehalt. Also erzählte er von Rom: sehr fließend, sehr heiter, auf die geistlichen Herren besonders Rücksicht nehmend.

»Sagt einmal«, unterbrach ihn Barberini plötzlich, »ich möchte Eure Meinung hören: wie fandet Ihr das wissenschaftliche Niveau der Geistlichkeit in Rom?«

»Sehr hoch, Monsignore, mein Fach ist dort durch sehr kluge Köpfe vertreten.«

»Aber Ihr wollt doch nicht etwa behaupten, daß die Geistlichen in Rom alle Genies sind?«

»Nein, aber der Durchschnitt ist sehr gut. Einem Geistlichen, der nicht klug war, bin ich kaum begegnet. Ich kann mich nur eines einzigen Falles erinnern, als ich mich im Garten des Jesuitenkollegiums mit einem holländischen Jesuiten über das Eis unterhielt. Der hat mich allerdings ein wenig aus der Fassung gebracht. Was alles au peripatetischem Eigensinn vorhanden ist, hat dieser Holländer gegen mich ins Treffen geführt.«

»Das interessiert mich«, sagte Gonzaga aufhorchend, »weil auch ich ein überzeugter Peripatetiker bin. Was habt Ihr über das Eis gesprochen?«

»Monsignore, es war davon die Rede, daß die Kälte die Körper zusammenzieht und die Wärme sie ausdehnt. Ich erwiderte darauf, daß das Wasser eine Ausnahme mache; denn wenn das Wasser so kalt wird, daß es friert, dehnt es sich aus. Daher kommt es, daß das Eis auf der Oberfläche des Wassers schwimmt. Deswegen beginnen die Flüsse nicht in der Tiefe, sondern an ihrer Oberfläche einzufrieren …«

»Entschuldigt«, fiel Gonzaga ein, »das Eis schwimmt nicht auf dem Wasser, weil es leichter ist, sondern weil es breit ist. Aristoteles sagt, es käme nicht auf das Gewicht, sondern die Ausdehnung der Körper an, ob sie auf dem Wasser schwimmen oder untersinken. Ein breiter eherner Topf zum Beispiel versinkt nicht, obwohl er schwerer ist als das Wasser.«

»Es handelt sich hier auch nicht um das Gewicht überhaupt, Monsignore, sondern nur um das spezifische Gewicht.«

»Spezifisches Gewicht? Jeder Gegenstand hat sein Gewicht. Die größeren Gegenstände ein größeres, die kleineren ein kleineres.«

»Das nenne ich nicht spezifisches Gewicht, Monsignore. Die Frage ist, wieviel Kubikzoll von der Masse verdrängt werden.«

»Nun, und ein Kubikzoll von diesem ehernen Gefäß wiegt vielleicht weniger?«

»Wenn es auf dem Wasser schwimmt, ja. Ich will das gleich erklären. Wenn ich zu dem Gewicht des eisernen Topfes noch den leeren Raum hinzuzähle, der darin enthalten ist, so ist das spezifische Gewicht dieses eisernen Topfes, nicht aber die Eisenmasse selbst, geringer, als das des Wassers. Deswegen schwimmt er also auch im Wasser und versinkt nicht.«

»Das ist doch das, was ich sage«, erwiderte der Kardinal Gonzaga im Bewußtsein seiner Gescheitheit, »was Ihr von dem spezifischen Gewicht sagt, ergibt sich alles aus der Form des Topfes. Aristoteles hat also recht.«

»Er hat nicht recht, Monsignore; denn wenn ich dieses Gefäß mit Wasser fülle, wird es versinken, obwohl seine Form oder Gestalt oder Ausdehnung, wie man es nennen will, dieselbe bleibt und es zufolge der peripatetischen Physik schwimmen müßte. Nach meiner Physik aber hat sich das spezifische Gewicht des Topfes verändert; es ist größer geworden als das spezifische Gewicht des Wassers, folglich muß er sinken.«

Daraus entstand eine lange Debatte. Gonzaga ließ sich nicht unterkriegen und verteidigte die Physik des Aristoteles bis zum letzten Atemzuge. Galilei hingegen wollte sich auch nicht schlagen lassen. Auch der Großherzog, dem als Galileischüler der Begriff des spezifischen Gewichtes geläufig war, griff in die Debatte ein; ja er warf sogar das Schlagwort seines Lehrers » momentum« in die Debatte. Er erzählte von der spielerischen Erfindung, wie man das Gewicht eines Gegenstandes so regulieren könne, daß es sich dem spezifischen Gewicht des Wassers vollkommen anpasste und dadurch im Wasser in jeder beliebigen Lage schwimme. Der Kardinal Barberini nahm auch an diesem Gedankenaustausch teil und, obwohl seine naturwissenschaftliche Bildung nicht auf allzu festen Füßen stand, ihm hingegen ein scharfer Verstand angeboren war, stellte er sich auf die Seite Galileis. Während der Debatte bemerkte Galilei, daß man bei der Berechnung des spezifischen Gewichtes des betreffenden ehernen Gefäßes auch die Luft mit in Betracht ziehen müsse.

»Wieso«, fragte der Kardinal Gonzaga verwundert, »hat denn die Luft auch ein Gewicht? Davon habe ich noch nie etwas gelesen.«

»Ich habe es auch noch nie gelesen, Monsignore, aber ich bin durch meinen Verstand darauf gekommen und behaupte es. Die Luft hat ihr Gewicht. Allerdings ein so geringes, daß es nicht in unserer Macht steht, es zu messen, aber sie hat eins. Warum steigt denn der Rauch in die Luft empor? Offensichtlich aus demselben Grunde, wie die Luftblasen im Wasser. Dieser Rauch ist leichter als die Luft. Das spezifische Gewicht der Luft ist kleiner als das des Wassers, aber das spezifische Gewicht des Rauches ist noch leichter als das der Luft. Ja, Monsignore, die Luft hat ihr Gewicht.«

Der Kardinal Gonzaga lächelte fein und spitz.

»Ich glaube, wir können diesen wirklich lehrreichen und sehr unterhaltenden Gedankenaustausch abschließen, weil wir im Begriff sind, in das Reich der Phantasterei zu entgleiten. Daß die Luft, also das Nichts, ein Gewicht haben soll, ist vielleicht doch ein wenig zu verstiegen. Auf alle Fälle sind wir unserem erlauchten Gastgeber großen Dank schuldig für einen so vergnüglichen Abend.«

»Die Freude ist ganz auf meiner Seite«, erwiderte der Großherzog, »wenn sich meine Gäste wohlgefühlt haben. Aber auch, weil ich die Ausführungen des Messer Galilei über das spezifische Gewicht des Eises ganz neu und fesselnd finde. Messer Galilei, wir tragen Euch auf, über das, was Ihr soeben hier dargelegt habt, ein Buch zu schreiben. Eurer diesbezüglichen Meldung sehen wir entgegen, aber Eurer Logik sprechen wir bereits heute unsere Anerkennung aus.«

Das Essen war beendet. Sie gingen in den Nebensaal hinüber. Hier setzte sich der Kardinal Barberini sogleich neben Galilei. Auf jede nur erdenkliche Art und Weise bekundete er dem Hofastronom seine Zuneigung. Er fragte auch nach seinen sonstigen Arbeiten. Da kam natürlich das Fernrohr zur Sprache. Sofort traten sie in der warmen Septembernacht auf den Balkon hinaus und sahen sich durch das Fernrohr die Sterne an. Vor allem natürlich die Medici-Sterne. Stolz erklärte der Großherzog, daß sich mit diesen Sternen eine kirchliche Kommission befasse, da Messer Galilei, der mit ganz neuen, wundervollen Dingen vor die Öffentlichkeit treten wolle, hierzu auch die Zustimmung der Kirche haben möchte. Darauf klopfte ihm der Kardinal Barberini auf die Schulter.

» Macte puer, wie der Lateiner sagt. Nur immer vorwärts. Meiner Hilfe und Unterstützung könnt Ihr stets sicher fein.«

Beim Abschied betonte er nochmals seine Bereitwilligkeit. Galilei ging in der Überzeugung nach Hause, in diesem Kardinal einen unschätzbaren Gönner gefunden zu haben. Er beschloß, ihn nochmals zu besuchen und sich erneut mit ihm zu unterhalten. Daraus wurde aber nichts, denn er wurde wieder krank. Sein Gelenkleiden trat von neuem auf, wieder mußte er seine Beobachtungen vom Bette aus machen. Der Arzt ging täglich ein und aus, aber die Schmerzen konnte er nicht lindern. Und der Kranke blickte ihn mit zorniger Verachtung an. Die unüberwindliche Abneigung, die er sich gegen die Medizin angeeignet hatte, als er in Pisa die Vorlesungen schwänzte, lebte unverändert in ihm fort. Er verabscheute die Ärzte, die nicht mehr verstanden als die Kurpfuscherinnen, mit der einzigen Ausnahme, daß sie geschickter zur Ader lassen konnten. Bei solch einer Gelegenheit mußte er immer an seinen Vater denken, an den längst Verstorbenen, und hätte ihn am liebsten aus dem Grabe geholt, um ihm vorzuhalten: Da, sieh' her, du hattest unrecht! Jetzt kannst du dich in dem Weltruhm deines Sohnes sonnen!

Da entdeckte er im Krankenbett, daß es mit dem Ruhm ebenso bestellt ist, wie mit allen anderen Dingen dieser Welt: nicht alles ist Gold was glänzt. Wenn er der Meinung war, daß er mit seiner römischen Reise nunmehr die Zustimmung der Kirche erhalten, allen Angriffsmöglichkeiten vorgebaut hatte, so mußte er erleben, daß die siegreiche Ruhe nach dem Angriff Sizzis nur eine Windstille war; denn nacheinander kamen neue Angriffe, und nicht nur einer, sondern eine ganze Reihe.

Das erste mahnende Zeichen erhielt er aus Rom von seinem Freunde Cigoli, der ihm über Dinge berichtete, die sich hier in Florenz abspielten, in seiner unmittelbaren Nähe, im Palast des Bischofs Marcimedici. Der Bischof hegte anscheinend noch aus der Zeit des Bo eine starke Antipathie gegen Galilei und arbeitete gewaltig gegen ihn. Er griff den unangenehmen Satz aus dem im übrigen sehr schnell in Vergessenheit geratenen Buche Sizzis auf, daß die Lehren Galileis der Heiligen Schrift widersprächen, und brachte es unter seinen Geistlichen immer wieder von neuem zur Sprache, daß es gut wäre, wenn sich jemand von der Kanzel herab mit dieser Frage beschäftigen wollte. Er hatte sogar, wie Cigoli von zuständiger Stelle aus wußte, einen seiner Geistlichen offen dazu aufgefordert, jener hatte aber abgelehnt. Man konnte jedoch sicher sein: aufgeschoben war nicht aufgehoben.

Dann kamen neue Schwierigkeiten. Als er wieder so weit genesen war, daß er aufstehen konnte, beeilte er sich, das vom Herrscher gewünschte Buch zu schreiben. Es wurde sofort gedruckt, aber als er hocherfreut das erste Exemplar dem Großherzog überreichen wollte, konnte er nicht zu ihm gelangen; denn jetzt war der Großherzog krank geworden. Und seine Krankheit war nicht so leichter Natur, die Ärzte konnten nicht klug aus ihr werden. Schweres Fieber verzehrte ihn und er klagte über fast unerträgliche Kopfschmerzen und Übelkeit. Die weisen Doktoren konnten machen, was sie wollten, sie fanden kein organisches Leiden. Lunge, Herz, Nieren, Galle, alles war in bester Verfassung. Der Kranke aber quälte sich, seufzte, abwechselnd wurde ihm besser oder schlechter, er stand zwischendurch auf und legte sich noch kränker ins Bett zurück. Diese Krankheit stimmte Galilei sehr düster. Er hatte Angst um den jungen Herrscher, den er sehr liebte, aber er fühlte sich selbst auch gleichzeitig lahm. Der kluge Sagredo fiel ihm ein und alles, was er in jenem bewußten Briefe über das höfische Leben gesagt hatte. Also doch nur eine Krankheit – und schon sah er sich des Panzers der Sicherheit beraubt, mit der er sich beim Großherzog gemeldet hatte, um das Lob für sein Werk einzuheimsen. Er hatte es gern, wenn man seine Schriften lobte. Zwar widerstrebte es ihm selbst, dies einzugestehen, in seinen einsamen Stunden beschuldigte er sich unwürdiger Eitelkeit, aber er konnte es nicht ändern, es war so.

Und gerade diesmal hätte er von dem Großherzog wirklich Anerkennung erwarten können, wenn dieser überhaupt in der Lage gewesen wäre, wissenschaftliche Bücher zu lesen. Mit seinem kleinen Werk war er sehr zufrieden. Er wußte, daß es ganz neuartig und bahnbrechend war. Das ganze Problem hatte er in ein Licht gestellt, in das sich sein schon seit langem geprägtes physikalisches Kunstwort » momentum« glücklich einfügte. Was er geschrieben hatte, war sehr klar, einfach und fesselnd: das Problem des ins Wasser gesetzten Körpers vereinfachte er und identifizierte es mit dem Problem der Wärme. Er erörterte die Frage des Gleichgewichts und erklärte, daß ein ins Wasser getauchter Körper und die Menge des von ihm verdrängten Wassers in dem gleichen Verhältnis zueinander stünden, wie die beiden Schalen einer Waage. Es machte ihn schon im voraus glücklich, wenn er daran dachte, wie sehr dem Großherzog dies gefallen würde, insbesondere wenn er ihm auseinandersetzte, wie kühn und neuartig das Ganze sei und welch wichtigen Fortschritt in der Mechanik es bedeute. Diese Freude war ihm nun nicht vergönnt. An ihre Stelle trat, kaum daß das Buch erschienen war, ein grober Angriff. Der Verfasser hatte seinen Namen nicht genannt. »Die Meinungen eines unbekannten Akademikers«: diesen Titel trug der Angriff, dessen Autor sein Werk der Großherzogin Maria Magdalena gewidmet hatte.

Bereits am nächsten Tage wußte er, von wem der Angriff ausging, nämlich vom Grafen d'Elzi, dem Gouverneur der Universität von Pisa, einem verknöcherten Peripatetiker, der überdies sein persönlicher Feind war. Er konnte es nicht verwinden, daß man ihm durch eine Bestimmung von oben in seine wissenschaftliche toskanische Welt einen Gelehrten aufgehalst hatte, bei dessen Wahl er nicht hinzugezogen worden war.

Galilei las die Schrift. Es war eine minderwertige Arbeit, heimtückisch, verschwommen und voller Widersprüche. Er beschloß, nichts darauf zu erwidern, bei der Großherzogin aber um eine Audienz zu bitten. Er mußte sich lange Zeit gedulden, was er auch gar nicht Übelnehmen konnte, da die Ehegattin fast die ganze Zeit am Bette des Großherzogs zubrachte. Endlich konnte er vor der Großherzogin erscheinen und fing sofort an zu erklären, inwiefern sein anonymer Angreifer im Unrecht wäre. Aber er hatte mit seinen Begründungen noch gar nicht richtig begonnen, als ihn die Großherzogin schon unterbrach. Sie machte einige Bemerkungen, aus denen einwandfrei hervorging, daß sie von dem Werk Galileis kein Wort verstand, auch keines aus dem ihr gewidmeten Angriff, geschweige denn von den eben angeführten Gegenbeweisen. Dann bedauerte sie, daß ihre Zeit sehr knapp bemessen sei, und versicherte Galilei liebenswürdig ihrer warmen Zuneigung.

Da war nichts zu machen, man mußte es hinnehmen. Gleichzeitig erschien eine zweite Gegenschrift. Sie stammte von Coresio, dem Professor für griechische Sprache an der Universität zu Pisa, ebenfalls einem Peripatetiker. Er hatte seinen Namen nicht verschwiegen und sein Buch dem jüngeren Bruder des Herrschers, dem Herzog Francesco, gewidmet. Auch dieser zweite Angriff war minderwertig und unfachmännisch, dafür aber stark persönlich gefärbt. Und darauf glaubte Galilei erwidern zu müssen. Er vereinbarte mit seinem ehemaligen Schüler Castelli, der jetzt Professor in Pisa war, daß dieser eine geeignete Erwiderung schreiben solle. Der unglückselige Angreifer geriet aber vorher in große Schwierigkeiten. Es stellte sich zufällig heraus, daß er griechisch-katholischen Glaubens war, obwohl er seine Stellung als Römisch-Katholischer übernommen hatte. Er wurde unverzüglich entlassen und Galilei und Castelli konnten sich ihre Erwiderung sparen. Gleich darauf trat ein neuer Angreifer, namens Nozzolini, auf, der kein Buch schrieb, sondern eine Denkschrift an den Bischof von Florenz richtete, und darin die unzähligen Irrtümer des Hofmathematikers Galileo Galilei nachwies, der den göttlichen, unsterblichen Aristoteles anzugreifen wage. Dann folgten die Gelehrten Lodovico delle Colombe und Vincenzo di Grazia, die seine Verdrängungstheorie angriffen. Und nun platzten die Angriffe nur so aufeinander. Galilei verlor die Geduld, setzte sich hin und erwiderte einer ganzen Reihe von Angreifern. Nicht unter seinem eigenen Namen, sondern unter dem Castellis; es war so viel bequemer und seiner Würde entsprechend.

Viele Wochen saß er über dieser Arbeit. Ursprünglich hatte er zwar nur eine kurze Entgegnung geplant, aber dann wurde er immer wärmer und verteidigte sein Recht mit immer mächtigerem Schwung. Castelli verbrachte den größten Teil seiner Ferien bei ihm. Sie hatten das Werk gemeinsam geschrieben, wie es sich gerade gab. Jedenfalls hatte Galilei die Feder immer dann geführt, wenn er besonders schlagende Gegengründe anführen und die Unwissenden mit beißender Ironie abfertigen konnte. Dann flog sein Gänsekiel förmlich über die Blätter. Zehn, zwanzig, hundert Seiten ging das so. Wenn er dann mit einem Kapitel fertig war, zeigte er es Castelli mit großer Genugtuung. Das Werk wuchs und wurde aus einer Streitschrift zu einer ernsten, grundlegenden Arbeit. Aber er mußte schreiben. Diesen Selbsttrost hatte er nötig. Er mußte sich seine Unruhe unbedingt von der Seele schreiben …

Aber nach diesen Angriffen kam erst das wirklich Unangenehme. Unter seinen Bekannten, mit denen er im Briefwechsel stand, hatte er auch einen besonders liebenswürdigen, entgegenkommenden Anhänger, den Bürgermeister von Augsburg. Er hieß Markus Welser und war seinen Briefen nach ein sehr gebildeter Mann, besten selbständiges Denken eine erstaunliche Kühnheit verriet. Sie standen schon seit langem in Briefwechsel, und Welser schloß sich gern seinen wissenschaftlichen Ansichten an. Jetzt berichtete er ihm nun, daß jemand an der Sonne Flecken entdeckt hatte, und wollte die Ansicht Galileis über diese Flecken wissen.

Galilei sprang vom Stuhle empor, als ob ihn eine Schlange gebissen hätte. Denn er hatte wahrlich etwas sehr Wichtiges vergessen: er hätte noch beizeiten festhalten müssen, daß er die Sonnenflecke entdeckt, und daß er sie schon des öfteren beobachtet hatte. Es wäre gar nicht nötig gewesen, diese Entdeckung übereilt vor die Öffentlichkeit zu bringen, auch in diesem Falle hätte es genügt, so zu verfahren, wie seinerzeit beim Saturn. Aber nun kam einer daher und schnappte ihm den Ruhm des Entdeckers vor der Nase weg!

Wilder Zorn ließ sein Blut heftig aufwallen. Welser hatte das an ihn gerichtete Schreiben des Unbekannten mitgeschickt, der seine Briefe mit dem Decknamen Apelles zeichnete. Und die Briefe gaben tatsächlich über die Sonnenflecke Aufschluß. Man merkte ihnen deutlich an, daß ein ganz hervorragender Astronom und großer Fachmann sie verfaßt hatte, obwohl er Peripatetiker war und den Erscheinungen eine aristotelische Erklärung gab. Er berichtete eingehend von seinen Beobachtungen, verriet aber nichts, woraus man auf seine Person oder seinen Wohnort hätte schließen können. Dieser Umstand erhöhte Galileis Erregung nur, da er es mit einem Gegner zu tun hatte, der sich in völliges Dunkel hüllte.

Eine Zeitlang erwiderte er dem Bürgermeister von Augsburg gar nichts. Er wußte nicht, wie er sich verhalten sollte. Genügend Beobachtungen besaß er noch nicht, um jetzt schnell mit einem Buch vor die Öffentlichkeit zu treten. Seine Schrift gegen Colombe hatte ihn zu sehr in Anspruch genommen. Er hatte nicht einmal so viel Zeit, um seine neuen Beobachtungen zu ordnen, geschweige denn ein Buch zu schreiben. Mit den Trabanten des Jupiter, mit dem Mond, mit dem Saturn und der Venus hatte er in den Nachtstunden genug zu schaffen. Wieder ein Konglomerat von Buchstaben wegschicken und dies dann später öffentlich deuten …? Unmöglich! Sowohl Welser als auch der unbekannte Apelles konnten mit Recht behaupten, daß so etwas natürlich sehr leicht sei: von Augsburg einen Brief erhalten, sogleich nach der Sonne sehen, sich von der Richtigkeit der Beobachtungen überzeugen und sich die Priorität durch ein Kryptogramm sichern!

Endlich nahm er sich die Zeit, um sich die Antwort genau zu überlegen. Er richtete einen langen Brief an Welser und teilte ihm ausführlich mit, daß er die Sonnenflecke schon vor anderthalb Jahren gesehen, ja sie sogar im vorigen Sommer in Rom mehreren kirchlichen und weltlichen Würdenträgern gezeigt habe. Er habe sich auch bereits mit der wissenschaftlichen Seite dieser Frage befaßt. Apelles, der diese Sonnenflecke auf Planeten zurückführe, die sich vor der Sonne bewegen sollen, könne nicht recht haben; er ginge in dieser Frage vielmehr vor wie die Peripatetiker im allgemeinen: er denke sich alles Mögliche und Unmögliche aus, nur damit die Lehre von der Unveränderlichkeit des Sternenhimmels und der Vollkommenheit der Planeten keinen Schaden erleide. Nein, auch die Sonne sei nicht vollkommen! Diese Flecken befänden sich auf der Sonne wie die Gebirgsketten auf dem Mond. Und die Beobachtung der Bewegungen dieser Flecke führe zu dem wunderbaren Ergebnis, daß sich die Sonne um ihre eigene Achse drehe! Diese Achse stehe senkrecht auf der Fläche der Ekliptik und deute ewig auf ein und denselben Punkt des Weltalls. Diese Achse drehe sich einmal um sich selbst innerhalb eines Zeitraumes, der einem Monat entspräche. Mit einem Wort, ein Tag auf der Sonne sei einen Monat lang.

Galilei war darauf vorbereitet, daß Welser diesen langen Brief, der einer astronomische Studie gleichkam, nicht verborgen halten würde. Das aber wäre ein offenes Glaubensbekenntnis zu Kopernikus gewesen. Er überdachte es sich noch einmal und schickte ihn fort. Die Würfel waren gefallen. Viel schneller zwar, als es in seiner Absicht gelegen hatte, aber es war geschehen.

Währenddessen wuchs daheim die Schar seiner Feinde. Die Aristoteles-Anhänger, die ihre Existenzberechtigung angegriffen sahen, liefen einen Sturm nach dem anderen gegen ihn. Der Großherzog war krank, und im bischöflichen Palast bildete sich ein richtiger Klüngel, der sich tagtäglich mit Galilei beschäftigte. Es blieb nichts anderes übrig, als sich im voraus die Zustimmung der Kirche zu sichern. Oder wenigstens einen wichtigen Kirchenmann zu finden, auf den man sich schlimmstenfalls berufen konnte. Also erkundigte er sich eingehend, wer von den geistlichen Würdenträgern in Rom zu den bedeutendsten Bibelforschern zählte. Die meisten nannten ihm den Kardinal Conti. Darüber freute er sich, denn dem Kardinal Conti war er in Rom öfters begegnet und hatte sich jedesmal länger mit ihm unterhalten. Er schrieb ihm also und bat ihn, sein Sachverständigengutachten darüber abzugeben, ob die kopernikanische Lehre in Widerspruch zur Heiligen Schrift stehe.

Die Antwort kam sehr schnell, fast zu schnell, um gründlich und ausgiebig sein zu können. Der Kardinal antwortete wohlwollend, aber sehr kurz. Er setzte ihm auseinander, daß die Heilige Schrift die Lehre von der Unveränderlichkeit des Sternenhimmels nirgends klar behaupte, eher sogar dagegen sei; die Heilige Schrift sei also in dieser Hinsicht nicht peripatetisch. Es sei sogar anzunehmen, daß die Kirchenväter den Sternenhimmel eher als veränderlich ansähen, es also für möglich hielten, daß die Wissenschaft immer neue Dinge am Himmel entdecken könne. In dieser Hinsicht stoße demnach die kopernikanische Lehre auf keine grundsätzlichen kirchlichen Hindernisse. Was sodann die Bewegung der Erde anbelange, so müsse man von zweierlei Bewegungen sprechen: nach Kopernikus bewege sich die Erde einmal um ihre eigene Achse. Das widerspräche der Bibel nicht. Es stimme jedoch weniger mit der Bibel überein, daß die Erde sich um die Sonne bewege. Man könne schließlich aber auch die ganze Angelegenheit so auffassen, daß der Allmächtige die Bibel für die Benutzung der Massen inspiriert habe. Sie rede also in der Sprache der Massen, und ihre einzelnen Teile seien auch demgemäß zu verstehen. Dies sei aber ein sehr gefährliches Argument, das man nur im äußersten Notfall anwenden dürfe. Es habe unzweifelhaft schon kirchliche Autoren gegeben, die auf seiten des Pythagoras und nicht des Aristoteles gestanden und die Meinung vertreten hätten, daß sich nicht die Sonne um die Erde, sondern die Erde um die Sonne bewege. So zum Beispiel Diego Zuñiga, der spanische Geistliche, in einer Abhandlung über jenen Abschnitt des Buches Josua, in dem erzählt wird, wie Josua »die Sonne anhielt«. Hier hätte Zuñiga eine Deutung angeführt, die Kopernikus sehr nahe komme …

Es war schwer, aus dieser theologischen Auskunft klug zu werden. Der vorsichtige Kardinal hatte die wichtige Frage weder bejaht noch verneint. »Stimmt weniger überein«, schrieb er. »Ist hinwiederum zweifelsfrei«, schrieb er gleichzeitig. Und unverändert tobte die Schlacht weiter. Einer seiner Angreifer hielt es für zweckmäßig, den Kardinal Bellarmin in seinem Wohlwollen für Galilei zu erschüttern und schickte ihm die gegen Galilei gerichteten Schriften. Der Kardinal Bellarmin ließ durch seinen Sekretär Gallanzoni in Florenz anfragen, was Galilei zu diesen Beweisen meine. Er antwortete, verlor aber endlich die Geduld. Den Haupträdelsführer Colombe nannte er ein gewaltiges Rindvieh.

Er fühlte sich wie ein Keiler, den von allen Seiten zähnefletschende Hunde umlauern. Wütend hieb er einmal nach dieser, einmal nach jener Seite. Aber es waren der Hunde zu viele und er ganz allein. Der Großherzog war mehr leidend als gesund, mit ihm konnte er kaum reden. Belisario Vinta, sein greiser Hauptgönner, kränkelte gleichfalls und näherte sich immer mehr dem Grabe, an ihn konnte er sich mit seinen Sorgen auch nicht mehr wenden. Virginia, deren Gutherzigkeit ihn alle seine Sorgen vergessen ließ, durfte er nach den strengen Regeln des Klosters nur selten sehen. Zu Landuccis ging er nicht gerne, da dort fast der Teufel los war. Inzwischen erhielt er aus Rom die Nachricht, daß Clavius, der liebenswerte Greis, der deutsche Jesuit, der ihm immer soviel Freundlichkeit erwiesen hatte, sanft entschlafen war.

Das Alleinsein machte ihn reizbar und trotzig und beraubte ihn seiner bisherigen Überlegung. Er beschloß, unbekümmert um die Folgen, sich in der Öffentlichkeit zu Kopernikus zu bekennen. Er wollte ja sowieso klären, daß die Priorität bei der Entdeckung der Sonnenflecke ihm gebühre. Also setzte er sich hin und schrieb alles das auf, was er über die Sonnenflecke zu sagen hatte. Nachdem er mit dem Herzog Cesi übereingekommen war, daß sein Werk in der Ausgabe der Akademie in Rom erscheinen würde, sammelte er seine an den Bürgermeister von Augsburg gerichteten Briefe, von denen er zu Hause eine Abschrift hatte, legte die Briefe des geheimnisvollen Apelles dazu, verwies auf verschiedene Zeugen und betonte, daß er von diesen Sonnenflecken schon bedeutend früher in Rom gesprochen habe, ehe er etwas von den Beobachtungen des Apelles erfahren habe. So stellte er einen ganzen Band zusammen, aus dem sich eindeutig ergab, daß der unbekannte Apelles in seiner Erklärung der Sonnenflecke eine ganz unzulängliche peripatetische Auffassung vertrete. Aber ebenso einwandfrei ging hervor, daß er diese Frage nach kopernikanischer Auffassung deute. Das Buch wurde von der Lincei-Akademie sehr schön ausgestattet, und vor dem Titelblatt ließ man sein Bild anbringen.

Er erhielt das Buch aus Rom und konnte sich nicht satt daran sehen. Immer wieder schlug er es auf, blätterte darin schon zum hundertsten Male, Wort für Wort, sogar ganze Zeilen konnte er auswendig und schließlich blätterte er, wie immer, zu seinem Bilde zurück. Mit kindlicher Liebe und Freude betrachtete er es und sann darüber nach, wieso es möglich war, daß er trotz seines vorgeschrittenen Alters sich noch soviel von seinem kindlichen Gemüt bewahrt hatte. Dann kehrte er wieder zu dem Text zurück. Er war sehr zufrieden damit. Keine Spur von jenem Ton, den er Colombe und den Seinen gegenüber angeschlagen hatte. Die hatte er in seiner Ungeduld einfach als Esel bezeichnet, aber dieser unbekannte Apelles war ein kluger Kopf, ein gebildetes astronomisches Gehirn, dem gebührte ein anderer Ton. Von Anfang bis zum Schluß behandelte er den Unbekannten mit größter Hochachtung, fast entschuldigte er sich, daß er eine abweichende Meinung vertrete. Die kopernikanische Lehre aber hielt er aufrecht. Ja! Die Sonne dreht sich, an einem Punkt feststehend, mit ihrem fleckigen, strahlenden Körper um ihre eigene Achse als Mittelpunkt und die Planeten kreisen zusammen mit der kleinen Erde um sie herum wie die Höflinge um den Fürsten.

Er verspürte eine große und wohltuende Erleichterung. Endlich hatte er es ausgesprochen! An die zwanzig Jahre hatte er diese Frage mit sich herumgeschleppt, und während Kepler nacheinander mit seinen Schriften für Kopernikus eingetreten war, hatte er gewartet und auf die Beweise gelauert. Er hatte seinen Geist beobachtet, wie ein Bienenzüchter den Bienenstock: wann würde endlich Honig darinnen sein? Jetzt war es soweit! Seine mit dem Fernrohr erzielten ungeheuer wichtigen Beobachtungen lieferten ihm genügend Beweise: die neuentdeckten Wunder des Jupiter, des Mondes, der Venus, des Saturn, der Milchstraße, der Sonne paßten so vortrefflich in diese neue Weltordnung, wie in ein geheimes Schloß der einzig vorhandene Schlüssel. Jetzt blieb nur abzuwarten, was die Kirche zu dieser Stellungnahme sagen würde. Deswegen legte er gewissenhaft eine Namenliste von den Personen an, denen er ein Exemplar schickte. Von den wichtigen Autoritäten der Kirche, die ihm seinerzeit in Rom Wohlwollen entgegenbrachten, ließ er keinen außer acht und sandte das Buch auch an den Kardinal Barberini.

Ein Exemplar trug er stets bei sich. Wenn er einen Bekannten traf, holte er es hervor, gab es ihm in die Hand und beobachtete mit kindlicher Freude, wie der Betreffende darin bis zu seinem Bilde blätterte. Und es gab einen, vor dem er auf dieses Buch besonders stolz war, obwohl dieser eine kein Wort davon verstand. Das war kein anderer als sein kleiner Sohn. Vincenzo hatte jetzt sein sechstes Lebensjahr erreicht, und es war nicht mehr unbedingt erforderlich, daß er bei seiner Mutter blieb. Ein guter Bekannter brachte den Knaben von Padua nach Florenz. Marina machte keine Schwierigkeiten. Sie schickte alle seine Sachen mit, um zu zeigen, daß ihre mütterliche Sorgfalt jeder Kritik standhalten könnte. Einen Brief gab sie aber dem Kinde nicht mit. Nicht einmal einen Gruß. Das schmerzte Galilei ein wenig, einige freundliche Worte hätten ihn erfreut, wenn der letzte Faden zwischen ihnen beiden auch zerriß. Aber bald vergaß er das Ganze. Er brachte den Jungen bei Landuccis unter, und sooft er nur konnte, ging er zu ihm und holte ihn zum Spazierengehen ab. Hand in Hand gingen sie am Ufer des Arno entlang und plauderten. Vincenzo konnte seinen Vater mit unzähligen Fragen bestürmen, mit so neugierigem Eifer, daß er meist die Antwort gar nicht abwartete, sondern gleich mit neuen Fragen kam. Beglückt antwortete Galilei. Er sah sein Ebenbild in diesem Kinde. Er versuchte, sich in seine Kindheit zurückzuversetzen und seinen damaligen Verstand mit dem seines Sohnes zu vergleichen. Ob sein Sohn wohl einmal so begabt sein werde wie sein Vater? Er bemühte sich, zu erfahren, wofür er sich interessierte, wie scharf sein Verstand wäre. Aber der kleine Schädel verriet ihm nichts, Vincenzo war wie alle sechsjährigen Kinder.

Manchmal tat es ihm leid, daß sein Sohn nicht älter war und die Siege seines Vaters nicht miterleben konnte. Sein Buch »Geschichte und Erklärung der Sonnenflecken« fand lebhaften Widerhall. Agucchia, eine der wichtigsten Persönlichkeiten aus der Umgebung des Papstes, ließ ihm einen ganz begeisterten Brief durch Vermittlung des Herzogs Cesi zugehen. Er sprach die Überzeugung aus, daß diese Ideen teils der beneideten Person des Autors wegen, teils ihrer Neuartigkeit wegen, viele Feinde haben, früher oder später aber doch die Zustimmung der ganzen Welt erobern würden. Mit einem noch schöneren Brief meldete sich der Kardinal Maffeo Barberini. In seinem Entzücken schrieb er zu Ehren des großen Gelehrten eine Ode:

Was äußerlich glänzt, ist im Innern
nicht immer blank:
auch die Sonne hat ihre Fehler,
die du nur siehst,
o Galilei, mit deiner Kunst!

Der Hofmathematiker eilte sogleich in den großherzoglichen Palast. Er wollte um eine dringende Audienz bitten, seine überschäumende Freude, die ihn fast erstickte, dem Herrscher vor die Füße legen. Aber er konnte von Cosimo keine Audienz erhalten. Der Kämmerer erwiderte ihm:

»Seine Hoheit sind von der traurigen Nachricht sehr erschüttert, und können jetzt niemanden sprechen. Seine Hoheit haben sich eingeschlossen. Soeben haben sie den Kranken besucht.«

»Welchen einen Kranken?«

»Wissen Euer Gnaden denn nicht? Der Kanzler Vinta liegt im Sterben.«

Atemlos lief Galilei zum Palazzo Vinta. Dort schlich alles auf Zehenspitzen umher. Niemandem gewährte man Einlaß. Jemand, den er im Treppenhaus abfangen konnte, erklärte, daß der Zustand des Kranken unverändert schlecht sei.

»Was sagen denn die Ärzte? Was fehlt ihm?«

»Sie können nur soviel sagen, daß er an einer inneren Krankheit leidet.«

Der alte Kanzler kämpfte lange mit dem Tode. Auch auf dem Sterbelager arbeitete er noch, bis zum letzten Augenblick nahm er die Meldungen seiner Sekretäre entgegen, diktierte die wichtigsten Briefe und bat ab und zu, dem Herrscher auszurichten, er müsse ihn sprechen. Galilei sah ihn nicht mehr. Eines Herbstmorgens, als er aufstand, empfing er die Nachricht, daß Vinta in der Nacht gestorben sei.

Der Großherzog hatte beschlossen, daß Toskana einem seiner größten Söhne gegenüber gebührenden Pomp entfalten solle. In der Kirche Santa Croce bettete man den Leichnam zur ewigen Ruhe. Zwei Wochen später ließ man an dieser Stelle für sein Seelenheil eine Trauermesse lesen, die der Bischof Marcimedici zelebrierte. Auch Galilei war dabei; in den letzten Reihen der höfischen Würdenträger erhielt er einen Platz zugewiesen. Von dort aus betrachtete er seinen Herrscher, der ein Schatten seiner selbst war. Durch das ununterbrochene Fieber war er abgemagert, dunkle Schatten lagen über seinen Augen, seine große Nase ragte noch weiter aus dem Gesicht. Man mußte damit rechnen, daß er schon in jungen Jahren den Thron seiner Ahnen verlassen würde. Und was wurde dann aus dem Hofmathematiker? Der Thronfolger, der kleine Herzog Fernando, war jetzt drei Jahre alt.

Nach Beendigung des Gottesdienstes segnete der Bischof den Großherzog. Da begegnete sein Blick den Blicken Galileis. Dunkler, verbissener Haß funkelte aus den Augen des Bischofs den Gelehrten an, ein Haß, der keinen Augenblick ruhen und rasten würde.


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