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Achtes Kapitel

Bis Sonnenuntergang war sein Haus belagert, die Nachbarn waren vollzählig versammelt, aber es kamen auch Menschen, die mit dem Gelehrten noch nie gesprochen hatten und deren Namen er jetzt zum ersten Male hörte. Der Menschenauflauf zerstreute sich erst, als es schon dunkel war. Galilei konnte sich an dem Wunder, das er entdeckt hatte, nicht satt sehen. Am liebsten hätte er dieses Rohr mit in sein Bett genommen wie ein kleines Kind sein neues Spielzeug.

Am anderen Tage nahm er es in die Universität mit. Dem ersten Studenten, dem er begegnete, drückte er es in die Hand. Es war ein junger, vornehmer Florentiner namens Marci Medici, ein Novize, unendlich fleißig, aber beschränkt. Der sah in das Rohr, sperrte Mund und Nase sperrangelweit auf und staunte Galilei an, als ob er den leibhaftigen Teufel vor sich hätte. Ein anderer Student trat hinzu, und schon entstand ein Auflauf im Hofe. Der alte Professor Fabrizio kam zufällig vorüber, er war dieses Jahr in den Ruhestand getreten, nachdem es wegen seines hohen Alters nicht gelungen war, ihn am Hofe von Florenz unterzubringen. An diesem Tage wollte er irgend etwas mit dem Hauptpedell erledigen. Fabrizio guckte auch durch das Instrument. Er war ebenfalls ganz hingerissen von dem Wunder und schüttelte sein Haupt.

»Daß ich das noch erlebe«, murmelte er, »daß ich das noch erlebe …«

Da kam auch Cremonini.

»Cesare, schnell, komm her, steh dir an, was für ein Wunder ich entdeckt habe … Das hat dein Aristoteles nie gekannt …«

Cremonini sah durch das Rohr. Er war erschüttert. Eine ganze Weile untersuchte er das Instrument. Er schüttelte den Kopf.

»Unglaublich! Aber laß den Aristoteles in Ruh'! Sicherlich steht das auch schon in seinen Büchern. Es steht alles drin.«

»Das möchte ich aber wirklich gerne sehen«, erwiderte Galilei beleidigt, »du bekommst einen Soldo, wenn du beweist, daß es bei Aristoteles schon dasteht.«

Auch andere Professoren blieben stehen, die Vorlesungen fielen aus. Ein dichter Ring von Menschen hielt Galilei umzingelt, die weiter ab Stehenden drängten und stießen sich. Inzwischen trafen auch schon Bekannte aus der Stadt ein; denn die Nachricht von dem Wunder verbreitete sich schnell. Es war von nichts anderem die Rede als von dem Wunderrohr. Zur Mittagsstunde geleitete eine große Menschenmenge den Entdecker nach Hause. Die Tore mußten verschlossen werden; denn sogar in das Speisezimmer drangen während des Mittagessens Neugierige ein, die »auch einmal in das Zauberrohr gucken wollten«. Gleich nach dem Mittagessen erschien Cornaro, der die Erfindung namens der Akademie Ricovrati in Augenschein nahm und Galilei sofort bat, für die Akademie einen besonderen Vortrag im Cornaro-Palais vor geladenen Gästen zu halten. Und auch Cremonini kam aufgeregt angerannt.

»Es steht drin! Ich habe dir gesagt, daß es drin steht!«

Er brachte zwei Bände von Aristoteles mit und blätterte eine Titelseite auf: » De generatione animalium.« Dann wies er auf eine Stelle des Textes.

»Bitte! Wort für Wort steht es hier: ›Der durch ein Rohr sieht, kann weiter sehen.‹ Ich habe dir doch gesagt, daß es drin steht. Aber hier, die andere Stelle. Lies mit deinen eigenen Augen: ›Vom Grunde eines tiefen Brunnens, und zwar auch am Tage, kann man die Sterne sehen.‹ Was ist denn schließlich ein tiefer Brunnen anderes, wenn nicht eine solche Röhre? Deine Erfindung ist großartig, und ich freue mich darüber am meisten. Aber sieh doch ein, daß bei Aristoteles alles schon geschrieben steht …«

»Cesare«, fiel ihm Galilei ins Wort, »in deiner Hartnäckigkeit redest du unsinniges Zeug. Das ist genau so, wenn du mich in Carrara zu den Steinbrüchen führen würdest und erklärtest: sämtliche vergangenen und künftigen Bildhauer bedeuten nichts; denn in diesem Felsen sind alle Statuen bereits vorhanden. Begreife doch, daß Aristoteles von meiner Erfindung nicht die geringste Ahnung gehabt hat. Das ist ja das Große an diesem Rohr, daß es euch Peripatetikern vollkommen neue Dinge vor die Nase setzt. Ich sage dir zum hundertsten Male: Aristoteles steht auf einem Fleck, die Welt aber geht vorwärts. Auch dieses Rohr ist ein Schritt, der die Menschheit der Zukunft entgegenführt. Ich sterbe nicht eher, als bis ich euch vollkommen besiegt und eure Fesseln gebrochen habe. Denke du ruhig mit des Aristoteles Gehirn weiter, ich werde mit dem meinen weiterdenken.«

»Du tust mir von ganzem Herzen leid, weil ich dich lieb habe und sehen muß, daß du dich auf Irrwegen befindest.«

Cremonini schüttelte traurig den Kopf.

Damit ging er betrübt fort, noch unter dem Tore schüttelte er den Kopf. Als er gegangen war, drängten sich zehn andere nach. Neugierige Frauen, Geistliche, Kaufleute aus der Nachbarschaft, Menschen von allerlei Ständen. Immer wieder erklärten die Diener den Besuchern am Tore, daß Seine Gnaden keine Zeit hätten. Es gab aber Unbekümmerte, die sich durch die Türöffnung zwängten. Das Haus glich einer belagerten Festung.

Galilei konnte von den übrigbehaltenen Linsen noch drei Rohre anfertigen. Mit ungeheuerlicher Erregung blickte er in das zweite Rohr, weil er fürchtete, daß das erste Rohr Bestandteile haben könnte, die im zweiten nicht aufzufinden wären. Siegreich frohlockte er aber: auch in das zweite Rohr setzte er eine plankonvexe und eine plankonkave Linse, und das Rohr brachte die Gegenstände wiederum so nahe heran wie das erste. Die Vollkommenheit seiner Erfindung konnte nunmehr nicht in Zweifel gezogen werden.

Der Sturm der ersten bewegten Tag ebbte allmählich ab. Da beschloß er, dem Staatsoberhaupte seine Erfindung in geziemender Form anzuzeigen, und richtete einen schön und sorgfältig geschriebenen Brief an den Dogen Donato.

 

»Durchlauchtigster Regent!

Der untertänigste Diener Eurer Herrlichkeit, Galileo Galilei, war fleißig und mit allen Mühen bestrebt, nicht nur den Verpflichtungen zu genügen, die ihm der mathematische Lehrstuhl der Universität von Padua auferlegt, sondern wollte Eurer Herrlichkeit auch mit einer nützlichen und hervorragenden Erfindung besonders dienlich sein, und so tritt er nun vor Eure Herrlichkeit mit der Entdeckung eines neuen Sehrohres, dem Ergebnis tiefgründiger optischer Studien. Es bringt die sichtbaren Gegenstände dem Auge so nahe und vergrößert sie so stark, daß es einen neun Meilen entfernten Gegenstand so zeigt, als wäre er nur eine Meile entfernt. Diese Tatsache bedeutet eine unschätzbare Hilfe bei allen Unternehmungen auf dem Festlande und auf dem Meere. Denn wir können damit auf dem Meer in einer weit größeren Entfernung als bisher die Schiffe des Feindes entdecken, mindestens zwei Stunden früher als sie uns, können Zahl und Art der Schiffe feststellen, können ihre Kraft abschätzen, können uns auf die Verfolgung, auf eine Schlacht oder auf die Flucht vorbereiten. Ebenso können wir auf dem Festlande aus einer viel größeren Entfernung als bisher das Lager des feindlichen Heeres und seine Befestigungswerke erblicken; in offener Schlacht können wir zu unserem größten Vorteil die Bewegungen und Vorbereitungen des Gegners mit unseren Augen verfolgen. Daneben hat diese Erfindung in verständnisvollen Händen einen noch größeren Wert. Deshalb entschloß ich mich, sie Eurer Herrlichkeit vorzuführen, damit Eure Herrlichkeit sie annehmen und als nützlich bewerten sollen, und ich überlasse es der Beurteilung Eurer Herrlichkeit, ob diese Erfindung nach Dero Befehl hergestellt werden soll oder nicht. Ich widme meine Erfindung Eurer Herrlichkeit als Dero ergebenster Diener in ehrerbietigster Liebe als Frucht der Wissenschaft, der ich bereits seit siebzehn Jahren an der Universität zu Padua diene, in der Hoffnung, daß ich noch bedeutendere Sachen werde erfinden können, wenn ich, meinem Wunsche nach, den Rest meines Lebens im Dienste Eurer Herrlichkeit verbringen darf, wobei ich in tiefster Demut den Allmächtigen bitte, er möge Eure Herrlichkeit mit seinem Segen überschütten.«

 

Den Brief las auch Marina. Verwundert sah sie auf.

»Du willst dein Leben lang Venedig dienen? Gehst du denn auf einmal nicht mehr zurück in deine Heimat?«

Mit verlegenem Lächeln zuckte Galileo die Achseln.

»Ich habe eine kleine Verwirrung angerichtet. Ich bin nämlich zum heiligen Antonius mit der Absicht gegangen, ihn zu bitten, mich so schnell als möglich in meine Heimat zurückkehren zu lassen. Aber in der letzten Sekunde bat ich ihm doch um etwas anderes. Daß ich nämlich in der Wissenschaft etwas Großes schaffen möchte. Und der Heilige erfüllte meine Bitte. Jetzt bin ich abergläubisch geworden: mein zweiter Wunsch wird nicht in Erfüllung gehen. Das soll dich aber nicht beunruhigen, du wirst deswegen schön deinen Bartoluzzi heiraten.«

Den Brief nahm er selbst mit nach Venedig, um ihn im Amtszimmer des Dogen abzugeben. Auch das eine Fernrohr nahm er mit. Er zeigte es jedem, vor allem seinen Freunden: Sarpi, Magagnani, Zorzi und den anderen. Das war auch ausreichend. Das kleine Gasthaus neben der Santa Lucia, in dem er wohnte, verwandelte sich in einen Wallfahrtsort. Die ganze Stadt war voll von der Kunde über dieses Wunder. Hohe Militärs und Offiziere der Marine, die er gar nicht kannte, suchten ihn auf. Senatoren schrieben ihm und luden ihn mit seinem unglaublichen Instrument in ihr Haus ein. Die Nachricht von seiner Erfindung wäre auch bis zum Dogen vorgedrungen, und der Doge wäre auch auf das Wunderrohr neugierig geworden, wenn er ihm gar nicht geschrieben hätte.

Kurz darauf erhielt er Nachricht, daß er zu einer bestimmten Stunde im Amtszimmer des Dogen erscheinen solle, um die näheren Einzelheiten über die Vorführung seiner Erfindung zu besprechen. Galilei empfahl, einen recht hochgelegenen Ort zu wählen, damit man durch das Rohr auch weit abliegende Gegenden betrachten könne. Nach langer Beratung einigte man sich endlich, den Campanile zu besteigen; zuvor müsse man jedoch die greisen Senatoren, die der Doge einzuladen gedachte, befragen, ob sie auch bereit wären, mit ihren alten Beinen den Turm zu erklimmen. Das Wunder genoß schon einen so großen Ruf, daß sich auch die ältesten Senatoren bereit erklärten, die Treppen hochzusteigen. Also setzten sie die Vorführung auf den vierundzwanzigsten August morgens um acht Uhr an.

Die Gesellschaft versammelte sich am Fuße des Campanile. Lauter vornehme Leute, die wichtigsten Herren vom Senat, die der Doge aus Freundlichkeit an dieser außerordentlichen Demonstration teilnehmen lassen wollte. Als erster kam Girolamo Priuli, der Prokurator und zugleich Riformatore in diesem Semester. Dann erschienen nacheinander Contarini, die beiden Venier, Falier, der alte Sagredo, Soranzo, Cavalli. Sie standen in einer Gruppe unten am Fuße des Turmes und waren bereits ganz begeistert von der neuen Erfindung. Sie rissen das Rohr einander aus den Händen, richteten es auf die Figuren an den Mauern des Dogenpalastes, auf die Tauben auf dem Dache von San Marco, den Bauschmuck der Prokurazien, die ehernen Pferde über dem Portal der Kathedrale. Allesamt waren von diesem Wunder hingerissen und klopften Galilei anerkennend auf die Schulter. Ein Viertel nach acht Uhr trat der Doge aus dem Palast. Die Patrizier nahmen sogleich eine achtungsvolle Haltung ein. Der Regent schritt gravitätisch auf sie zu und nahm ihre Begrüßung entgegen.

»Nun, dann wollen wir einmal das Wunder besehen, Messer Galilei«, sagte er mit freundlicher Herablassung zu dem Gelehrten.

Priuli war der Meinung, daß sich der Regent eine größere Überraschung sicherte, wenn er sich geduldete, bis sie ganz oben an der Balustrade des Turmes angelangt seien. Von dort oben sei der Blick sicherlich noch verblüffender. Der Doge willigte lächelnd ein. Sie begannen nun die Treppen des Campanile emporzusteigen, schön langsam und bedächtig, wie es älteren Herren geziemt. Unterwegs machten sie öfters halt, um zu verschnaufen und sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Und das geschah immer öfter. Schließlich aber waren sie oben angekommen. Keuchend lehnten sie sich an die verstaubten Gestelle der in der Nähe so mächtig erscheinenden Glocken. Galilei war der letzte im Zuge. Dieser Versuch versprach auch ihm viel Neues. Blendend klarer Sonnenschein begünstigte den Versuch, nicht ein einziges Wölkchen war am blauen Himmel zu sehen. Er trat an das Geländer und richtete das Fernrohr nach Murano. Vor Entzücken mußte er laut aufschreien. Das Rohr zeigte ihm die San-Giacomo-Kirche, und er konnte sogar erkennen, daß Menschen in die Kirche gingen. Er richtete das Rohr etwas weiter und erblickte die vor dem Rio de' Verieri stehenden Säulen, an deren Fuße die Gondeln anzulegen pflegten. Menschen stiegen aus, andere bestiegen gerade die Gondeln …

»Herr Gelehrter«, mahnte man und klopfte ihm auf die Schulter, »der durchlauchtigste Doge wartet auf das Rohr.«

Erschrocken riß er sich von der Herrlichkeit los und reichte das Rohr, sich tief verneigend, dem Dogen. Dieser blickte auch nach Murano und rief ganz entzückt:

»Unglaublich! Den Traghetto kann man ganz klar erkennen! Als ob er hier in der Nähe wäre! Contarini, kommt her! Contarini! Ich sehe in Eurem Park den Hund, seht nur hier durch! Das grenzt an Wahnsinn! Der Hund sieht aus wie ein kleiner, schwarzer Punkt!«

Contarini übernahm erregt das Fernrohr und betrachtete seinen Hund. Dann griffen andere nach dem Rohr, aber bald nahm es ihnen der Doge wieder aus der Hand. Ein Ausruf der Verwunderung ertönte nach dem anderen. Unten breitete sich vor ihnen die feenhafte Stadt der Lagunen aus. Der Canale Grande hob sich grün flimmernd aus dem Meer der roten Ziegeldächer und gelbgrauen Hausmauern. Jeder suchte sein eigenes Haus. Soranzo rief plötzlich laut:

»Die werden den Jungen noch einmal aus dem Fenster fallen lassen, ich sage es doch immer!«

Darüber lachten alle. Dann richteten sie das Rohr weiter in die Ferne: Chioggia, Treviso, der Lido, der Hafen von Conegliano, alles ganz klar. Und dort, wo der Kontinent lag, die » terra ferma«, erkannten sie ganz verblüfft die Fassade und den Glockenturm der Santa Giustina im Häusermeer von Padua. Dann blickten sie auf das offene Meer hinaus, und wo das bloße Auge nicht einmal einen kleinen Punkt zu erspähen vermochte, da ließ dieses Wunderrohr ganz deutlich eine Fischerbarke und deren goldbraune Segel erkennen.

»Eine wievielfache Vergrößerung ist das?« erkundigte sich der Doge, um wissenschaftlich zu erscheinen.

»Eine neunfache, Euer Durchlaucht.«

»Und wie habt Ihr mit Eurem Verstand so etwas erfinden können, Ihr teuflischer Mensch?«

»Zu mir war die Nachricht gelangt, Euer Durchlaucht, daß ein Niederländer ein Vergrößerungsrohr erfunden habe. Er schenkte es dem Grafen Moritz von Nassau. Ich dachte mir: was der kann, kann ich auch. Ich habe so lange darüber nachgegrübelt, bis ich es heraus hatte. Und ich bin jetzt glücklich, der Anerkennung Serenissimas gewürdigt zu werden.«

Der Doge legte ihm die Hand auf die Schulter und wollte gerade etwas erwidern, als in unmittelbarer Nähe die Glocken zu schlagen begannen. Mit unglaublicher Wucht dröhnte das Erz, und sie hielten sich die Ohren zu. Das mächtige Dröhnen ließ ihren ganzen Körper erbeben. Endlich war es wieder still.

»Ihr könnt beruhigt sein, Serenissima wird wissen, wie sie diese geniale Sache zu belohnen hat. Denn anders als genial kann ich sie nicht bezeichnen. Wie hoch ist Euer Gehalt?«

»Fünfhundertzwanzig Goldstücke im Jahr, Euer Durchlaucht. Mein Vertrag läuft noch über ein Jahr.«

Der Doge sah Priuli an.

»Wann ist Pregadisitzung, Herr Riformatore?«

»Am fünfundzwanzigsten.«

»Also schon in vier Tagen. Sehr schön. Seine Gnaden, Messer Galilei, wird zu dieser Sitzung geladen. Dort werden wir ihn wissen lassen, wie wir über den Fortgang seiner Angelegenheit denken. Aber ich will nochmals durch dieses Rohr sehen. Ich kann mich davon gar nicht trennen.«

Alle konnten sich kaum von ihm trennen. Endlich mußten sie aber doch wieder vom Turm herabsteigen. Am Fuße des Campanile nahm Galilei der Reihe nach die Glückwünsche der großen Herren entgegen, und außerdem wurde ihm die seltene Auszeichnung zuteil, daß ihn der Doge freundschaftlich auf die Schulter klopfte. Als sie sich trennten, zögerte Galilei keine Sekunde lang, sondern fuhr sofort wieder zurück nach Padua. In Padua ging er gar nicht erst nach Hause, sondern sogleich zu einem seiner Handwerker.

»Ich brauche ein neues Rohr«, sagte er, »genau so groß wie dieses, aber es eilt sehr! Es soll prächtig sein, stark mit Gold verziert und in einer bunten Hülle stecken. Bis wann könnt Ihr es schaffen?«

»Für wann braucht Ihr es, mein Herr?«

»Wenn ich es jetzt hätte, wäre es schon zu spät.«

»Ich verstehe. Übermorgen wird es fertig sein.«

Zur Pregadisitzung erschien Galilei mit dem neuen, vergoldeten Fernrohr. Der Doge führte selbst den Vorsitz. Als Galileis Angelegenheit an der Reihe war und man ihn eintreten hieß, bat er um die Erlaubnis, das Wort ergreifen zu dürfen. Der Doge nickte zustimmend.

»Es würde mir zur großen Ehre gereichen, wenn Eure Herrlichkeit dieses Fernrohr als bescheidenes und untertäniges Geschenk von mir annehmen wollten.«

Der Doge errötete vor Freude.

»Wieso, wieso? Ihr wollt es mir schenken?«

»Es wäre eine hohe Ehre für mich.«

»Ich danke Euch«, sagte der Doge hastig, »ich danke Euch aufrichtig. Meine Familie wird begeistert sein. Im übrigen sind wir der Meinung, daß diese Erfindung dem Staate sehr nützlich sein kann, ja daß sogar ihr ganzer Wert nach unser aller Meinung noch gar nicht abzuschätzen ist. Deshalb bestellen wir bei Euch sogleich zwölf Stück von diesem, na, wie heißt es denn –? Habt Ihr ihm schon einen Namen gegeben?«

»Ich dachte es Fernrohr zu nennen: Cannocchiale.«

»Gut. Wir bestellen also hiermit zwölf solcher Fernrohre. Und was Euren weiteren Verbleib auf der Universität betrifft, so werdet Ihr unseren diesbezüglichen Bescheid schriftlich erhalten. Der Segen Gottes sei mit Euch!«

Galilei verbeugte sich tief und verließ den Saal. Draußen wartete er aber noch, da ihn Priuli, der Riformatore, bedeutet hatte, daß er ihn noch sprechen wolle. Tatsächlich waren kaum fünf Minuten vergangen, da trat auch Priuli schon aus der Tür, eilte auf ihn zu und umarmte ihn.

»Messer Galilei, ich habe eine große Nachricht für Euch! Den Dogen hat Euer Geschenk so gerührt, daß er die Bedingungen des neuen Vertrages gleich selbst diktiert hat. Ratet einmal, wie hoch Euer Jahresgehalt wird? Tausend Goldstücke! Das ist in der Geschichte des Bo ein unerhörtes Gehalt. Und ratet, für wie lange? Lebenslänglich! Hoffentlich seid Ihr nun zufrieden?«

»Was der Doge sagt, ist für mich Befehl.«

»Wir wollen hoffen, daß es dem Senat auch Befehl sein wird. Vorläufig ist dies nämlich erst der Vorschlag des Dogen, darüber wird nun gemäß den Statuten der Senat noch abstimmen. Aber seid beruhigt, das ist nur eine Formalität. Ich gratuliere Euch von ganzem Herzen, Messer Galilei.«

Er umarmte ihn nochmals und eilte dann zurück in den Sitzungssaal. Tief in Gedanken versunken schritt Galilei die Treppen hinab. Das Glück war ihm doch wirklich hold, man hatte sein Gehalt verdoppelt, seine Stellung wurde lebenslänglich gesichert, und außerdem durfte er überzeugt sein, daß seine Erfindung in ganz Europa auf die wissenschaftliche Welt eine riesige Wirkung ausüben würde. Er könnte ruhig zu Hause sitzen, seinen kleinen Weingarten bebauen, langsam seinen Schwager bezahlen, Marina verheiraten und auch seine sonstigen Schulden allmählich tilgen. Er könnte geruhsam arbeiten, sich voll und ganz dem seit langer Zeit vernachlässigten Kopernikus widmen. Früher oder später fände sich bestimmt eine Möglichkeit, mit der kopernikanischen Lehre die ptolemäische Welt aus den Angeln zu heben. Alles war hoffnungsvoll wie noch nie, siegesverheißend und beglückend – und dennoch empfand er eine lähmende Traurigkeit. Das »lebenslänglich« hatte ihn so traurig gemacht. Das Heimweh brach aus ihm hervor, wie das Blut aus einer Wunde strömt. Florenz! Florenz! Seine Gönner schwiegen aber schon seit langem, der Kanzler rührte sich nicht, der neue Großherzog, sein einstiger Schüler, gleichfalls nicht, als ob er ihn vollständig vergessen hätte. Welch kühne Hoffnungen hatte er einst gehegt: wenn Cosimo nur erst auf dem Thron säße, käme alles sofort in Ordnung. Jetzt war Cosimo schon ein halbes Jahr Alleinherrscher, und es geschah nichts. Die Republik Venedig hatte ihn aber lebenslänglich verpflichtet.

Die Sommerferien verlebte er daheim in Florenz, am Hofe traf er jedoch niemanden an. Der ganze Hof war in die Sommerfrische gefahren und ihn hatte man nicht geladen. Die Stadt war unter dem neuen Herrscher zu neuer Blüte gelangt. Cosimo II. begann seine Regierung gleich damit, daß er die Medici-Bank schließen ließ. Dieses altehrwürdige Bankhaus, aus dem die Macht der Familie emporgewachsen, eine Dynastie entstanden war, deren Blut nun auch in den Adern der französischen Könige floß, hatte bis zum letzten Tage gut gearbeitet, den Zinsfuß gehalten, Wechselgeschäfte abgewickelt und den Kurs der fremden Währungen täglich notiert. Anscheinend aber wollte die österreichische Erzherzogin keine Bankiersfrau sein. Das Bankhaus schloß also seine Tore. Auch das innere Leben des Palazzo Pitti hatte sich gewandelt. Cosimo wollte nicht in der Stadt wohnen. Den Pitti ließ er zwar vergrößern, damit er der prächtigste Palast ganz Europas werde, aber für seine Frau ließ er ein neues Schloß bauen, weitab von der Stadt nach Arcetri zu, und einen prächtigen, von Zypressen umsäumten Weg dorthin anlegen. Das neue Schloß hieß Poggio Imperiale.

Galilei machte einen Spaziergang durch die Stadt, um zu sehen, was aus dem Pitti geworden war. Seine Verwunderung über die Großartigkeit der Anlage kannte keine Grenzen. Die Vorderfront des Palastes war bislang sieben Fenster breit gewesen, jetzt hatte man sie auf dreizehn Fenster erweitert. Zwei Flügel mit einem großen Hof wurden angebaut und auf der Innenseite eine breite Terrasse zum ersten Stockwerk. Galilei stieg zwischen den Kalkgefäßen und Baugestellen hin und her und sah traurig zu den alten Fenstern empor. Er fühlte sich wie ein ausgestoßenes Kind. Mit bitterem Spott sagte er zu sich selbst: »Genug jetzt, gehe nun Mittag essen, du Venezianer!«

Ein Fernrohr hatte er auch nach Florenz mitgenommen. Dieses Instrument erregte auch hier großes Erstaunen. Während der ersten Tage war das Haus des Schwagers Landucci umlagert. Landucci selbst konnte sich nicht genug damit vergnügen. Er machte auch wiederholt Anspielungen, daß es eine große Freude für die Kinder wäre, wenn so etwas ständig im Hause bliebe. Aber Galilei wollte diese Anspielungen nicht verstehen. Das Ende vom Liede war, daß um das Fernrohr ein fürchterlicher Familienkrieg entstand, gerade als Galilei abreisen wollte: Frau Landucci geriet mit ihrer Mutter in Streit. Frau Giulia machte einen grauenhaften Spektakel, pflanzte sich vor dem Tor auf und schwor dort laut und deutlich, daß sie Virginia nicht mehr als ihre Tochter anerkenne; sie wolle sie nie mehr im Leben sehen, sie habe Gott sei Dank noch ein anderes Kind, sie werde zu Livia ziehen, und während man ihr dort bei Gallettis die Wohnung einrichte, wolle sie einige Wochen bei ihrem Sohn Galileo verbringen. Sie packte auch sogleich ihre Siebensachen und fuhr mit Galileo nach Padua. Schwager Landucci bemühte sich bis zur letzten Sekunde, sie zu besänftigen, aber die alte Frau blieb unerbittlich.

»Fürchterlich«, seufzte sie noch im Wagen, »Virginia ist ganz aus der Art geschlagen. Ich kann sie gar nicht mehr sehen. Nur um Benedetto ist es mir leid. Ein seelensguter Mensch. Noch nie hat ein Schwiegersohn seine Schwiegermutter so behandelt wie er. Er tut mir wirklich aufrichtig leid. Dieses Fernrohr hättest du ihm auch geben können. Was macht dir das denn aus, so ein Fernrohr …«

Galileo erwiderte nichts. Er wußte, warum Landucci so liebenswürdig zu seiner Schwiegermutter war und sich bemühte, sie unter allen Umständen zurückzuhalten: er bekam das Geld in die Hände, das Galilei für den Lebensunterhalt seiner Mutter monatlich zahlte, und auf dieses Geschäft hatte er nicht draufgezahlt.

In Padua wechselte die alte Frau nach einigen ruhigen Tagen die Stimmung. Als man ihr erzählte, daß Marina heiraten würde, hatte sie von früh bis abends etwas an ihr auszusetzen. An der Erziehung der drei Kinder, ihrer Ernährung, ihrer Kleidung, an allem nörgelte sie herum, quälte ihren Sohn ständig mit endlosen Kinderstubengeschichten und ließ ihm keine Ruhe: er möge die Kinder keine Minute länger bei Marina lassen. Wenn es also noch zu früh wäre, den kleinen Vincenzo von seiner Mutter zu trennen, so sollte man ihr die beiden Töchter nehmen, wenigstens aber die eine. Auch die Kleinen hetzte sie heimlich gegen ihre Mutter auf. Und da Marina alles das mit unendlichem Gleichmut erduldete, geriet Frau Giulia in immer größere Wut. Im Umkreis der Kirche Santo gewöhnte man sich allmählich an die alte Frau aus Florenz, die entweder ihren törichten und unmännlichen Sohn auf dem Wege zu ihren Enkeln schäumend vor Wut schmähte oder aber, von ihren Enkelkindern kommend, vor jedem Vorübergehenden die venezianische Hergelaufene beschimpfte. Inzwischen hatte sie auch unter den Bedienten Klatsch und Tratsch verbreitet, so daß auch diese untereinander in Streit gerieten. Endlich trafen sich Galileo und Marina im Botanischen Garten, um ungestört beraten zu können, was nun geschehen solle. Galilei fragte behutsam, ob es nicht möglich wäre, der Großmutter eines der beiden kleinen Mädchen zu lassen, vielleicht würde sie sich dann zufrieden geben.

»Sie mag ruhig nehmen, welche sie will«, erwiderte Marina achselzuckend.

Galilei war wiederum sehr verwundert. Konnte eine Mutter ihr Kind so leichten Herzens hergeben? Er sagte aber nichts. Er war froh, daß er auf diese Art die Ruhe wiederherstellen konnte. Er beschloß, Virginia mit der Großmutter ziehen zu lassen. Sie war jetzt neun Jahre alt, kein schönes Kind: sie glich weder ihrem stattlichen Vater noch ihrer sehr schönen Mutter. Aber sie hatte ein bezauberndes Wesen, war gutmütig, still, fleißig und willig. Ihr Vater hatte mehr als einmal von ihr gesagt, daß er sich die Engel so vorstelle. Im Blick dieses neunjährigen Mädchens lag etwas Durchgeistigtes, eine ätherische Schwärmerei, die sie von allen anderen Kindern unterschied. Ihrer Mutter gegenüber war sie lieb und folgsam, aber ihren Vater betete sie dermaßen an, daß ihre Augen sofort voller Tränen liefen, wenn sie wortlos zu ihm emporsah. Als man ihr mitteilte, daß sie mit der Großmutter nach Florenz ziehen sollte, sagte sie folgsam »Ja«, fragte aber sofort, ob denn ihr Vater in Padua bleibe?

»Ich bleibe vorerst hier, mein Engelchen, aber ich werde dich oft besuchen und werde dir immer schreiben.«

»Ja«, erwiderte auch hierauf die Kleine, wurde aber blaß und ihr Stimmchen zitterte.

Frau Giulia entfesselte noch ganz zuletzt einen gewaltigen Skandal: sie zankte sich auch mit ihrer zweiten Tochter, Frau Galletti, die sie aus Padua abholen wollte. Jetzt mochte sie wieder von dieser Tochter nichts mehr wissen und wollte zur anderen zurück. Sie tobte in dem Hof hin und her und zerrte die kleine Virginia hinter sich her, die, an der Hand der Großmutter hängend, sich stillschweigend alles gefallen ließ.

»Hört, Mutter«, erklärte endlich auch Galileo heftig, »mir ist es gleichgültig, zu welcher Eurer Töchter Ihr zieht. Aber geht endlich; denn ich kann so nicht arbeiten und mein ganzes Haus steht auf dem Kopf.«

Da ließ die alte Frau zum Abschied ihren ganzen Zorn an dem Sohne aus. Alles atmete auf, als sie sich endlich in den Wagen setzte, um zu Landucci zurückzukehren. Die kleine Virginia nahm sie wie eine Beute mit. Das Kind sah blaß und mit weit aufgerissenen Augen zu seinem angebeteten Vater auf, biß aber die Zähne zusammen. So fuhren sie ab.

Galilei machte sich wieder an die Arbeit. In der Stadt hatte er allerlei zu erledigen, und es war schon Abend geworden, als er nach Hause zurückkam. Voller Neugierde richtete er das Fernrohr auf den Sternenhimmel. Jetzt zum ersten Male. Bislang war ihm das noch nicht eingefallen.

Es überraschte ihn außerordentlich, was er sah. Das Fernrohr verkleinerte die Sterne, anstatt sie zu vergrößern. Dort aber, wo das bloße Auge eine sprühende, glänzende Lichtquelle von unbestimmter Form sah, zeigte das Fernrohr deutlich einen genau abgegrenzten Kreis. Galilei nahm am Sternenhimmel seine alten Bekannten der Reihe nach vor. Er betrachtete den Sirius, sämtliche Sterne des Großen und Kleinen Bären der Reihe nach, jeden für sich. Auch auf den Standort des »neuen Sternes« richtete er das Rohr, aber selbst mit dem Fernrohr war dort nichts mehr zu erkennen. Zwischen den Wolken kam gerade der Mond hervor. Mit fiebernder Erregung sah Galilei, daß man mit Hilfe des Fernrohres eine ganz eigentümliche Zeichnung auf dem Mond erkennen konnte. Er sah aus wie eine Kugel, an deren Oberfläche ausgedehnte, schattenwerfende Gebirgszüge mit riesenhaften Kratern erschienen. Galilei neigte sich aufgeregt vor und beobachtete gespannt. Und als ob ihn das große Glück brutal in die Brust gestoßen hätte, so brach in ihm die plötzliche Erkenntnis auf, daß er endlich, endlich in diesem Augenblick den Weg betrat. Dieses Instrument hatte ihn dorthin geführt. Mit diesem Instrument konnte er ganz scharf Dinge sehen, die Aristoteles nie geschaut hatte. Der alte Sternenhimmel gehörte dem Aristoteles; vor ihm, Galileo Galilei, entfaltete sich an diesem Herbstabend des Jahres sechzehnhundertneun ein Sternenhimmel, den bisher noch niemand gesehen. In dieser Nacht blieb er bis zum Morgengrauen auf den Beinen, bis er kein einziges Lichtpünktchen mehr am Himmel sah. Als er sich in der Morgenkühle zu Bett legte, konnte er lange nicht einschlafen. Er grübelte über diese merkwürdige Erscheinung nach, warum das Fernrohr den Mond wesentlich größer und gleichzeitig sämtliche Sterne wesentlich kleiner zeigte. Das konnte er sich vorläufig nicht erklären. Aber trotzdem war er glücklich wie Kolumbus, als er die Ufer des neuen Landes betrat.

Am nächsten Vormittag mußte er verschiedenes erledigen und konnte erst nachmittags schlafen, aber auch nur von Privatstunden unterbrochen. Als aber die Sterne zu erglänzen begannen, saß er schon wieder mit seinem Fernrohr am Fenster. Zuerst betrachtete er den Mond, von dem er selbst in der Universität, wie es seit zweitausend Jahren üblich war, lehrte, daß seine Oberfläche spiegelglatt sei. Jetzt sah er die riesigen Trichter wieder, die gespensterhaft schwarze Schatten werfenden Gebirgszüge, dann wandte er seine Aufmerksamkeit der Milchstraße zu, die er auf Grund des Almagest als Nebelschleier, als eine ätherische Wolke aus einer geheimnisvollen Materie, schilderte. Jetzt sah er deutlich, daß das kein Nebel war, sondern eine dichte Masse von Tausend und aber Tausend, ja Hunderttausenden von kleinen Sternen. Also schon bei der zweiten Beobachtung war alles anders, als wie es die Alten behaupteten und wie er es lehrte. Wieder untersuchte er den Sternenhimmel bis frühmorgens, abermals war es hell, als er einschlief.

Inzwischen begannen die Vorlesungen auf der Universität wieder, und auch seine Privatstunden mit den bei ihm wohnenden Schülern nahmen zu. In seiner Arbeit mußte er erst einmal wieder Ordnung schaffen und gab deshalb jeglichen gesellschaftlichen Verkehr auf. Er ließ Cornaro wissen, daß er bei sehr wichtigen Versuchen sei und an den Sitzungen der Akademie nicht teilnehmen könne. Zu Marina ging er nicht hinüber, die beiden Kinder, die zu Hause geblieben waren, ließ er zweimal in der Woche während der Mittagszeit zu sich kommen. Seinen Stundenplan stellte er mit großer Sorgfalt und Überlegung auf, und als ein junger Professor namens Bimbiolo, ein Neuling im Professorenkollegium des Bo, seinen Stundenplan nicht nach dem seinigen richten wollte, machte er nicht viel Federlesens und zeigte ihn in Venedig an. Er nahm sich streng vor, beim Abendessen dem Wein nur noch mäßig zuzusprechen. Er machte sich mit Leib und Seele entschlossen an die Entdeckung des neuen Landes voller Wunder. Noch einmal störte ihn eine unangenehme Familienangelegenheit: er bekam Nachricht aus Florenz, daß seine kleine Tochter bei der Großmutter nicht gut untergebracht sei: die jähzornige alte Frau verwöhne sie entweder mit Affenliebe oder schütte ein andermal ihren ganzen Zorn über ihr aus. Sofort verfügte er, daß das kleine Mädchen ohne jegliche Verzögerung in das Kloster Nunziatina gebracht werde. Ungeduldig und grob schrieb er nach Haus, es war ein Befehl. Der Befehl wurde unverzüglich befolgt, da man Angst hatte, der zornige Vater könne die Geldsendungen einstellen.

Nun erst widmete er sich mit großem Eifer seiner Arbeit. Er ließ sich sogar ein neues Fernrohr anfertigen mit noch viel größeren Linsen. Bis jetzt hatte er eine neunfache Vergrößerung erreichen können, nunmehr eine zwanzigfache. In der Bodenkammer seines Hauses hatte er sich eine kleine Sternwarte eingerichtet. Dort stand ein Tisch mit Schreibzeug und Handbüchern und ein Öllämpchen. Wenn das Wetter klar war, ließ er sich sogar das Abendessen heraufbringen und verschlang es in wenigen Minuten. An dem gemeinsamen Mahl nahm er nur teil, wenn er wegen bewölkten Himmels keine Sterne sehen konnte. Jede geschlagene Nacht saß er bis zum Morgengrauen dort oben und prüfte seine Beobachtungen nach. Sein wahres Leben wurde die kosmische Einsamkeit nächtlicher Stunden. Tagsüber war er zerstreut und wortkarg, von seinen Beobachtungen erzählte er niemandem ein Wort. Um so mehr schrieb er sich auf. Er wußte nun schon genau, daß der unabänderliche Sternenhimmel des Aristoteles, in dem tausendsiebenundzwanzig Sterne stehen sollten, eine lächerliche Kinderei war: er selbst konnte außer der Milchstraße mindestens doppelt so viele zählen. Eine Mondlandschaft mit ihren geheimnisvollen Einbuchtungen, Bergspitzen und schattigen Tälern hatte er auch schon entworfen. Und er war auch dahinter gekommen, warum sein Fernrohr die Sterne verkleinerte: weil die strenge Sachlichkeit der Linsen den scheinbaren Glanz beseitigt, mit dem das bloße Auge sie umgibt. Er erkannte also, daß der wirkliche Kern der Sterne, ihre wahre Gestalt, viel kleiner war, als man mit bloßem Auge zu sehen meinte, und daß ihm sein Fernrohr diesen kleinen Kern in einer zwanzigfachen Vergrößerung zeigte.

Nun hatten sich schon sehr viele Aufzeichnungen angesammelt, und er fühlte, daß daraus etwas Einheitliches zustande kommen müsse, etwas Systematisches, das er später als Fundament für das offene Bekenntnis zur kopernikanischen Lehre verwenden könnte. Denn er erhielt, wonach er sich am meisten sehnte: Beweise. Daß der Mond nicht spiegelglatt sei, konnte er jetzt schon zweifelsfrei beweisen. Nicht mit den Zeichnungen, die auf dessen Oberfläche sichtbar waren; denn die Halsstarrigkeit der Peripatetiker hätte dafür sicher irgendeine Erklärung gefunden. Als er sich aber einmal die sichelförmige Linie, die den glänzenden Teil des Mondes vom dunklen Teil trennte, bei Neumond ansah, sah er ganz deutlich, daß diese Linie keine glatte, ovale war, sondern zerklüftet, krumm und holprig. Eine solche Schattenlinie ist auf einer vollständig glatten Kugelfläche unmöglich. Er hatte aber auch eine ganze Reihe von Aufzeichnungen neben dieser klaren und logisch zu beweisenden Erscheinung, die er noch nicht zu erklären vermochte. Jede Minute seines Wachseins verbrachte er mit diesen Grübeleien, und er wurde fast wirklich mondsüchtig über der Untersuchung der Wunder des Mondes. Wenn man ihn ansprach, gab er keine Antwort, seine Briefe öffnete er nicht. Er lebte gar nicht mehr in dieser Welt. Manchmal jauchzte er plötzlich vor Freude auf wie ein Wahnwitziger und lief zu seinen Aufzeichnungen. Er vertiefte sich in seine Papiere und vergaß alles um sich herum.

In der Nacht zum siebenten Januar, eine Stunde nach Mitternacht, beobachtete er mit seinem Fernrohr den Jupiter, und in der frostigen Einsamkeit der Nacht, während er vor Kälte zitternd im Sitzen mit den Füßen trampelte, schrie er mit einem Male laut auf. In der Nähe des Planeten erblickte er drei ganz winzige, aber scharf glänzende Sterne. Von diesen Sternen wußte bis jetzt noch niemand etwas.

Nach der Lehre der Peripatetiker durften sie überhaupt nicht existieren.

Aber sie waren da! Sie glänzten dort oben wie stecknadelgroße Diamanten. Parallel zur Ekliptik. Nach dem Schrei blieb Galilei der Mund offen, als ob er ein Gespenst erblickt hätte. Er trat von dem Fernrohr weg und starrte ins Dunkel. War das möglich? Er ging zurück zum Fernrohr und sah nochmals hinauf. Die drei diamantenen Punkte glänzten dort oben. Nein, es war doch unmöglich! Sicherlich war in der Linse ein Herstellungsfehler. Geschlagene anderthalb Stunden strengte er seine Augen an. Abwechselnd glaubte er, daß es Sterne waren, und glaubte es auch wieder nicht. Er zeichnete ihren genauen Standort ein, gerade noch zur rechten Zeit; denn der Sternenhimmel bewölkte sich.

Am anderen Tage konnte er kaum den Abend erwarten. Er stellte das Fernrohr ein, abermals fand er die drei diamantenen Punkte, als er aber seine gestrige Zeichnung hervorholte, stimmten die Standorte nicht mehr überein. Der eine stand weiter entfernt, der andere näher. Oder hatte sich der Jupiter bewegt? Er rieb sich die Stirn. Er grübelte. Er strengte sein Gehirn an wie ein scharf beobachtender Mensch seine Augen, aber er wurde nicht klug aus alledem. Der Fehler konnte noch immer in der Linse liegen. Er grübelte, zeichnete und quälte sich bis zum hellen Morgen, aber er fand sich weder am Himmel noch auf dem Papier zurecht. In der Nacht zum neunten legte sich dichter Nebel über Padua, seine Arbeit wurde unterbrochen. In der Nacht zum zehnten saß er wieder vor dem Fernrohr und schlug mit der Hand auf den Tisch. Was konnte das sein? Trieb denn ein Dämon sein teuflisches Spiel mit ihm? An Stelle der drei Sterne sah er jetzt klar und deutlich nur zwei, aber diese hatten ihren Standort abermals gewechselt. Immerhin konnte er nunmehr feststellen, daß die in der Zeichnung entstandenen Veränderungen nicht von dem Planeten verursacht wurden, sondern daß die um ihn herumstehenden kleinen Sterne ihren Standort gewechselt hatten. In der Nacht zum Vierzehnten waren wiederum nur zwei Sterne da, aber etwas ganz Sonderbares war geschehen: in der vorigen Nacht hatten sie ganz gleich ausgesehen, heute aber war der eine wesentlich größer als der andere.

Er sprang hoch und schlug sich vor die Stirn. Die Lösung ist da! Hier sind drei Sterne, die sich um den Jupiter bewegen. Ebenso wie die Venus und der Merkur um die Sonne. Einer von den dreien ist in seiner Bahn jetzt hinter den Jupiter geraten und deshalb nicht sichtbar. Der eine von den beiden anderen hingegen sieht deswegen größer aus, weil er auf seiner kreisenden Bahn weit nach vorn gekommen ist. Der Jupiter hat Monde, und zwar nicht nur einen! Der Jupiter ist demnach etwas Ähnliches wie die Erdkugel. Wenn also der Jupiter ein Planet sein kann, kann es die Erde auch sein. Die Erde ist nicht der Mittelpunkt des Universums. Kopernikus hat recht!

Jetzt wartete er auf das Wiederauftauchen des dritten Sterns. In der nächsten Nacht geschah das. Erst waren wieder nur zwei Sterne zu sehen, aber morgens gegen drei Uhr erschien auch der dritte. Und in der nächsten Nacht wurde ihm eine weitere Überraschung zuteil: ein bisher unsichtbar gewesener vierter Stern tauchte auf. Drei Sterne konnte man vom Jupiter nach Osten klar erkennen, einen nach Süden. Wieder eine Nacht später standen alle vier auf der Ostseite des Jupiters. Jetzt bestand kein Zweifel mehr: der Jupiter hatte vier Monde, vier Sterne, von denen die Astronomie bis heute nichts wußte! Das Totenglöcklein der Peripatetiker begann zu läuten. Auf ihrem unabänderlichen Sternenhimmel hatte Galileo Galilei vier neue Sterne entdeckt.

Schon steckte er aber tief in seiner Arbeit. Er feilte an den Aufzeichnungen herum, um seine welterschütternde Entdeckung veröffentlichen zu können. Er schrieb nachts, während der Arbeit sah er nur hin und wieder für eine Sekunde zu seinen vier Sternen hinauf, dann legte er das Fernrohr gleich wieder weg und arbeitete weiter. Pfeilschnell glitt sein Gänsekiel über das Papier, er wollte im Eiltempo fertig werden. Am Anfang seines Buches erklärte er, wie er sein neues Instrument erfunden habe; dann berichtete er der Reihe nach von seinen einzelnen Beobachtungen. Die Monde des Jupiter erwähnte er ganz zum Schluß, um mit ihnen, nachdem er Bestimmtes über sie ausgesagt hatte, auch das Werk schließen zu können. Er schlief kaum drei bis vier Stunden am Tag. Ganz benommen und schwindlig wie eine Fliege im Spätherbst taumelte er herum, wenn er sich aber vor einen unbeschriebenen Bogen Papier setzte, wurde sein Gehirn nach den ersten zwei bis drei ihm elend schwer fallenden Sätzen plötzlich fieberhaft lebendig. Er schrieb wie die von Schwefeldämpfen berauschte Pythia, er schrieb Stunden hindurch, und wenn er aufhören mußte, konnte er sich kaum vom Stuhl erheben, so sehr peinigte seine Hüfte ein fast unerträglich stechender Schmerz. Vor dem Schlafengehen legte er das Manuskript auf den gewohnten Platz; denn während er schlief, wurde es in drei Exemplaren kopiert.

Am neunundzwanzigsten Januar war das Werk fertig. Das ursprüngliche Titelblatt vernichtete er, weil ihm der Titel nicht mehr gefiel. Er hatte einen besseren dafür gefunden. Auf der ersten Seite des Manuskriptes stand: » Sidereus Nuncius.« »Der Sternenbote, der von großen, höchst wunderbaren Erscheinungen berichtet und sie einem jeden zur Erwägung vorlegt, hauptsächlich aber den Philosophen und Astronomen, nach Beobachtungen von Galileo Galilei, Florentiner Patrizier, Mathematiker an der öffentlichen Universität zu Padua, mit Hilfe des jüngst von ihm erfundenen Fernrohrs an der Mondscheibe, an unzähligen Fixsternen, an der Milchstraße, den Nebelsternen, vor allem aber an vier Planeten, die den Stern des Jupiter in ungleichen Abständen mit erstaunlicher Geschwindigkeit umkreisen.«

Am dreißigsten Januar sechzehnhundertzehn fuhr er nach Venedig und gab der Druckerei Baglioni sein Buch in Auftrag. Er machte zur Bedingung, daß Tag und Nacht gesetzt werden solle, weil er die Abzüge mit dem Gesuch um Genehmigung den Riformatori vorlegen mußte. Und dann setzte er sich noch in der Druckerei hin und schrieb an Belisario Vinta, den Kanzler von Florenz, einen Brief.

 

»Ich halte mich im Augenblick in Venedig auf, um einen Bericht über meine Beobachtungen drucken zu lassen, die ich mit Hilfe meiner Erfindung an den Himmelskörpern anstellte. Aus meiner grenzenlosen Bestürzung bin ich selbst noch nicht wieder zu mir gekommen, aber schon jetzt danke ich dem Allmächtigen, daß er mich zum ersten Beobachter solch staunenswerter und bisher jahrhundertelang verborgen gebliebener Dinge werden ließ.«

 

Dann bat er den Kanzler, das beigelegte Manuskript seines Werkes dem Großherzog Cosimo zu überreichen, damit Seine Hoheit am Sternenhimmel alles das verfolgen könne, was das Werk beschriebe. Wenn es erforderlich sei, würde er auch gern ein sehr gutes Fernrohr schicken. Mit dem Brief und dem Manuskript ging er zur toskanischen Gesandtschaft und ließ beides mit einem Eilkurier nach Florenz schicken. Mit dem nächsten Kurier war auch schon die Antwort da.

 

»Den Auftrag, den Du mir in Verbindung mit Deinen verblüffenden Beobachtungen erteiltest, fand ich der Beachtung Seiner Hoheit in so hohem Maße würdig, daß ich ihm Deinen Brief sogleich vorlas. Dieser neue Beweis Deiner, man darf wohl sagen, übermenschlichen Begabung hat Seine Hoheit vollkommen verblüfft, und er hat den lebhaftesten Wunsch, mit dem erwähnten Fernrohr Deine Beobachtungen verfolgen zu können.«

 

Das Fernrohr ging nach Florenz ab. Die Universitätsbehörde in Venedig genehmigte die Veröffentlichung des Manuskriptes sofort. Die Herren in Venedig beeilten sich, an Hand des Manuskriptes und der ersten Abzüge den Himmel zu betrachten; ein Fernrohr war in Venedig bereits vorhanden, mit dem sie die Monde des Jupiter suchen konnten. Baglionis Setzer arbeiteten unermüdlich. Galilei ging tagsüber mehrmals in die Druckerei, um Korrekturen vorzunehmen, und schlief zwischendurch eine oder zwei Stunden, je nachdem, wie er es gerade einteilen konnte. Denn während sein Werk gesetzt wurde, beobachtete er ununterbrochen die Monde des Jupiter, um gegebenenfalls an die letzten Seiten noch weitere neue, wichtige Beobachtungen anfügen zu können. Um Vorlesungen zu halten, eilte er nach Padua, kam aber in größter Hast wieder zurück zur Druckerei. Und abermals schrieb er einen Brief an Vinta.

 

»Meine Beobachtungen will ich zur Beherzigung an die Philosophen und Mathematiker richten, jedoch unter den Auspizien unseres durchlauchtigsten Herrn. Denn wenn mir der Allmächtige schon erlaubt, daß ich meine Huldigungen dem Herrscher auf eine so ungewöhnliche Art darbringen darf, so ist es um so mehr mein Wunsch, daß sein ruhmvoller Name auch gleich den Sternen erhalten bleibe. Und da das Recht, diese Sterne zu benennen, nach dem Beispiel der antiken Gelehrten, die den Sternen die berühmtesten Namen ihrer Zeit gaben, mir als Entdecker zusteht, möchte ich diesen den Namen unseres erlauchtigsten Herrn geben. Ich weiß nur nicht, ob ich alle vier dem Großherzog schenken soll, indem ich sie alle die ›Cosmischen Planeten‹ nenne, oder ob ich sie, da es ja vier Sterne sind, im Gedenken an die großherzoglichen Geschwister, nicht bester die ›Mediceischen Sterne‹ nenne. Von vielen kann ich und von manchen will ich mir in dieser Angelegenheit keinen Rat holen. Deshalb bitte ich Eure Exzellenz um Eure Meinung und Euren Rat, da Eure Exzellenz als der weiseste und gescheiteste Kenner des höfischen Lebens mir sicherlich das Geziemendste werden anempfehlen können. Ich habe diesbezüglich zwei Bitten: erstens um Geheimhaltung, was Eure Exzellenz aber sowieso in ernsthaften Angelegenheiten zu tun pflegen; zweitens um sofortige Antwort; denn die Druckerei ist nunmehr nur dadurch aufgehalten; ich muß mich über Titelseite und Widmung entscheiden.«

 

Vinta antwortete umgehend. Den Namen ›Cosmisch‹ finde er nicht gut, da er der Meinung sei, daß bei diesem Namen jeder an das griechische Wort ›Kosmos‹ denken werde. Und niemand würde dann wissen, daß der Name dieser Sterne eigentlich den Ruhm des Hauses Medici von Florenz verkünde. Als die Antwort kam, war das Buch aber schon gedruckt. Der Druck wurde sofort unterbrochen, in den fertigen Exemplaren das Wort ›Cosmisch‹ überklebt und das Titelblatt neu gedruckt. Der Autor fügte zu dem langen Titel noch hinzu: »Da diese Sterne, die bislang noch niemand kannte, von dem Autor zuerst entdeckt wurden, beschließt dieser, sie die ›Mediceischen Sterne‹ zu nennen. Gedruckt zu Venedig, in der Offizin des Tommaso Baglioni, MDCX, mit Genehmigung und Billigung der Hohen Behörden.«

Als er das erste fertige Exemplar, noch feucht von der Druckerschwärze, in die Hand nahm, mußte er denken, daß er, wenn er jetzt nicht nach Florenz käme, wohl nie mehr in die Heimat kommen würde. Er hätte es aber wirklich verdient; denn was andere in ihrer Begeisterung nur bildlich versprachen, das setzte er in die Tat um: er holte Cosimo II. die Sterne vom Himmel herunter.


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