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Zehntes Kapitel

Livia kam zu Landuccis und auch um seine eigene Unterkunft brauchte er sich keine Sorgen zu machen, da sein früherer Schüler Filippo Salviati darauf bestand, daß er bei ihm wohnen müsse. Salviati besaß eine prunkvolle Villa inmitten eines Gartens am Hange des Monte Oliveto. Das Haus trug den Namen delle Salve, und im Morgengrauen des September, während der in der Nacht lebende Astronom seine Beobachtungen über den Saturn und den Mond niederschrieb, begannen im Garten die erwachenden Vögel zu zwitschern, wie sie einst in den Bäumen vor dem großen Hause in Padua zwitscherten. Aber hier hatte der Vogelgesang doch einen viel vertrauteren Klang …

Der Hofastronom hatte zunächst am Hofe nur sehr wenig zu tun. Er genügte den Förmlichkeiten seiner neuen Stellung durch pünktliches Erscheinen zu den unerläßlichen Audienzen, die aber wenig Gelegenheit zu einer Aussprache boten. Neue Mitteilungen hatten weder er noch die Mitglieder der großherzoglichen Familie zu machen. Cosimo teilte ihm freundlich mit, daß er solange keine höfischen Verpflichtungen habe, bis die ersten Aufregungen der Übersiedlung hinter ihm liegen würden. Im allgemeinen würde er wohl auch keinen streng umrissenen Wirkungskreis haben, Horoskope habe er nicht zu stellen, dafür sei jemand vorhanden, und um die Universität zu Pisa, deren Professor er dem Namen nach sei, brauche er sich erst recht nicht zu kümmern. Seine Pflicht würde unter anderem sein, den Hof mit seiner Gesellschaft und mit wissenschaftlichen Vorträgen zu gegebener Zeit zu unterhalten, ab und zu ein Gutachten abzugeben, wenn ein wissenschaftliches Problem auftauche; seine Hauptaufgabe sei aber, fleißig für sich selbst zu arbeiten, und zwar ganz nach eigenem Belieben, um weltbedeutende Werke zu schaffen, die den Überlieferungen der Medici und der Stadt Florenz würdig seien.

Dazu brauchte man ihm allerdings gar nicht erst zuzureden. Mit jeder Faser seines Herzens wollte er dies und nichts anderes. Von Tag zu Tag war er mehr überrascht, wieviel freie Zeit er jetzt hatte. Er brauchte keine Vorlesungen zu halten, er mußte keine aus fernen Ländern kommende junge Leute in der Befestigungslehre unterrichten und ihnen den Proportionalzirkel erklären. Seine ganze Zeit gehörte nur ihm allein. Nach nächtlicher Arbeit konnte er solange schlafen, wie er wollte, er war an keine Stunde gebunden. Salviati, ein Muster von Hauswirt, hielt sich nie ungebeten bei ihm auf, sondern fragte immer nur, ob er etwas benötige, und bloß wenn er dazu aufgefordert wurde, blieb er, um etwas zu plaudern. Auch seine Mahlzeiten konnte Galilei nach seinem Belieben einnehmen, man deckte für ihn gesondert in seinem eigenen Zimmer, und wenn er mit Salviati zu speisen wünschte, brauchte er es nur wissen zu lassen. Er ging frei ein und aus, unternahm weite Spaziergänge, besonders gern verweilte er auf den Hügeln, um von dort in das Tal des Arno hinabzuschauen und die Stadt zu betrachten. Das erfüllte ihn mit einer unstillbaren Freude, als wenn er mit Florenz seine Flitterwochen verbrachte. Sein florentinischer Patriotismus war nicht weniger stark als der venezianische des Fra Paolo. Und die Zärtlichkeit, mit der er die Stadt am Arnoufer von dem Hügelhang aus betrachtete, war nur zu vergleichen mit der Zärtlichkeit, die ein liebender Mann der Frau gegenüber empfindet.

Wer ein echter Florentiner ist, dachte der am Abhang träumende Astronom, dem ist auch die Medicischwärmerei zur zweiten Religion geworden. Unauslöschlich wohnte sie auch in ihm, obwohl er von Natur aus eine freiheitsliebende Seele war. In Venedig, in der freien Republik, hatte er sich doch irgendwie fremd gefühlt, hier aber, in einem Lande, wo man sich vor dem höfischen Glanze neigte, war er zu Hause. Warum war das so? Darauf gab es keine Antwort, vielleicht war es nur die jahrhundertalte Überlieferung des Blutes. Sein Herz durchströmte eine warme Flut, wenn er an den zwanzigjährigen Cosimo dachte. Er liebte ihn von ganzem Herzen und war glücklich, ihm dienen und seinen Ruhm mit seinem eigenen Ruhme vermehren zu können. Wie eine immer mehr sich ausbreitende Welle wuchs dieser Ruhm in der ganzen Welt. Kaiser Rudolph beklagte sich bitter, daß er nicht genug durch das Fernrohr Galileis sehen könne, da es ihm der Kardinal Borghese andauernd wegnähme. Die französische Königinwitwe Maria von Medici, deren Gemahl im Frühjahr ermordet worden war, hatte sich in ihrem Trauerkleid rücklings auf die Erde gelegt, um mit dem Galileischen Fernrohr den Mond noch besser sehen zu können. Aus ganz Europa trafen Nachrichten in Florenz ein, welch riesiges Aufsehen die Erfindung Galileis gemacht, und welche Bewegung die unglaublichen Wunder des » Sidereus Nuntius« in der gesamten wissenschaftlichen Welt heraufbeschworen hätten. In nah und fern. In unmittelbarer Nähe hatte Horky seine Schmähschrift verfaßt. Galilei hielt es seiner nicht würdig, darauf zu antworten, klärte jedoch durch einen ausführlichen Briefwechsel auf, daß Magini den Böhmen zu seinem Angriff verleitet hätte. Kepler selbst verurteilte den Ton seines Famulus. Magini konnte man aber nicht angreifen, mit unschuldigem Gesicht blieb er im Hintergrund. So fielen lediglich zwei Galileischüler über Horky her. Der eine war Rosseni aus Bologna, der andere der Schotte Wodderborn, die es ihm tüchtig besorgten. Der arme Böhme floh geradeswegs in seine Heimat. Von dort schrieb Keplers Sekretär Hasdale nach Florenz:

 

»Derselbe Martin Horky, der in Italien diese Schweinerei drucken ließ, kam neulich hier an und sprach mit Seiner Gnaden Kepler. Er war vollständig verstört, als Seine Gnaden Kepler ihm seine schweren Irrtümer vorhielt. Er behauptet jetzt, gerne zwei Pfund von seinem Blut herzugeben, wenn er dieses Buch gegen Euer Gnaden nicht geschrieben hätte.«

 

In der Nähe war aber auch noch ein anderer, den man nicht so ohne weiteres erledigen konnte, ein Florentiner Patrizier namens Francesco Sizzi. Der schrieb ebenfalls ein Buch gegen den » Sidereus Nuncius«. Warum er es schrieb, sah man bereits aus der Widmung des Buches an Giovanni Medici, denselben, der einst mit seiner für Livorno erfundenen Baggermaschine Schiffbruch erlitten hatte.

Bei Hofe verkehrte Giovanni nur selten und Galilei hatte seinen Weg seit damals nicht wieder gekreuzt. Jetzt tauchte er mit seinem alten Haß aus der Vergangenheit wieder auf und benutzte diesen Sizzi, der gar kein Astronom, eher ein politischer Abenteurer war, als Werkzeug für seine Rache. Und er machte das recht geschickt, denn obwohl seine Beweisführung recht kindisch anmutete, wußte er ihr zum Schluß eine um so unangenehmere Wendung zu geben.

Das Buch führte sieben Gründe an, warum die vier Monde des Jupiter nicht existieren könnten. Erstens: sämtliche Astronomen der Welt haben stets behauptet, daß es nur sieben Planeten gibt und nicht mehr. Zweitens: die Sieben ist eine vollkommene Zahl und die von Gott befohlene Woche hat gleichfalls nur sieben Tage. Drittens: die Körper haben vier physikalische Eigenschaften. Die Kälte stammt vom Saturn, die Trockenheit vom Mars, die Wärme vom Jupiter, die Feuchtigkeit von der Venus; die noch übrigbleibenden drei Planeten beeinflussen je nach ihren Horoskopen diese Eigenschaften, woraus klar hervorgeht, daß mehr als sieben Planeten überflüssig sind. Viertens: das Vorhandensein neuer Planeten widerspricht der astrologischen Lehre von den Häusern der Planeten. Fünftens: es gibt sieben Metalle, diese entsprechen den sieben Planeten, mehr können es nicht sein. Sechstens: die Schriftkundigen des Alten Testaments wissen nur von sieben Planeten, deren Beweis die sieben Arme der jüdischen Altarleuchter sind. Und siebentes: Giovanni Pico della Mirandola hat in seinem Werk » Heptaplo« nachgewiesen, daß die Heilige Schrift nur sieben Planeten kennt; Galileis Behauptung also, daß er vier neue Planeten gefunden habe, widerspricht der Heiligen Schrift.

Diesem » Dianoia« betitelten Buche billigte Galilei keinerlei Bedeutung zu, als er es las. Höchstens soviel, daß er auf Giovanni Medici achtgeben müsse; denn dessen Haß schien noch immer wach zu sein, und schließlich war er auch ein Verwandter des regierenden Großherzogs. Zu dieser Zeit beschäftigte ihn jedoch etwas ganz anderes. Kepler hatte in seinem neuesten Buche sein, Galileis, unlösbares Buchstabenrätsel veröffentlicht. Da beschloß er, die Lösung des Rätsels bekanntzugeben. Er teilte also allen denjenigen, denen er seinerzeit das Rätsel gesandt hatte, mit, daß die Lösung die folgende wäre:

Altissimum Planetam tergeminum observavi.

Das heißt: »Ich habe entdeckt, daß der am höchsten stehende Planet ein Drilling ist.« Darauf kam sogleich Antwort von Kepler, der, nachdem er die Lösung erhalten, den Saturn gleichfalls untersucht und auch gesehen hatte, daß der Planet zu beiden Seiten eine Beule aufweise, die sich zunächst nicht erklären lasse. Er gab Galilei in allem recht, nur in einem nicht: die Achse der »Drillinge« lief seinen Beobachtungen nach nicht mit dem Tierkreise, sondern mit dem Äquator parallel. Auch alle anderen antworteten und feierten allesamt erregt das neue Wunder. Selbst Pater Clavius bestätigte das Beobachtete.

Galilei war stolz und glücklich. Er arbeitete weiter mit seinem Fernrohr und fand ein neues Wunder, aber diesmal eins, nach dem er sich schon seit langer Zeit gesehnt hatte: er fand einen Beweis.

Diesen Beweis lieferte ihm die Venus, der schöne Abendstern. Eines Nachts bemerkte er, daß der Rand des Venuskreises sich verdunkelt hatte. Die Verdunkelung nahm bis zum anderen Tage zu. In wenigen Tagen wurde sie so groß, daß die Venus genau die Sichelform annahm, die die ganze Welt mit bloßem Auge auch am Mond wahrnehmen kann. Galilei schrieb sich seine Beobachtungen auf und grübelte aufgeregt. Eines Nachts schlug er vor lauter Seligkeit mit der Faust auf den Tisch und sprang ungestüm hoch, so daß er den Stuhl mit großem Getöse umwarf. Aber darum kümmerte er sich nicht. Er nahm die Lampe in die Hand und weckte den in tiefem Schlaf liegenden Salviati.

»Diebe?« fragte der erschrocken und rieb sich die schlaftrunkenen Augen.

»Keine Diebe, Filippo, eine große Freude! Ich habe eine große Sache entdeckt. Aber werde erst ganz munter.«

Es war schon Dezember und die Nacht war frostig. Salviati wurde von der Kälte bald lebhaft und setzte sich in seinem Bett auf. Galilei ließ sich auf dem Rand des Bettes nieder und hielt ihm einen astronomischen Vortrag. Wenn ich auf einer Kugel einen sichelförmigen Schatten sehe, was für ein Körper kann dann diesen Schatten nur verursachen? Nur eine Kugel. Neben Salviatis Bett lagen auf einem Teller Winteräpfel. Galilei nahm zwei davon und zeigte auf der Decke, in welcher Weise die eine Kugel ihren Schatten auf die andere wirft, wenn sich die eine Kugel bewegt. Dann erklärte er lang und breit das eigene Licht der Himmelskörper und das Licht, das sie von der Sonne erhalten. Die Venus erhält nach diesen Beobachtungen ihr Licht von der Sonne, während die Fixsterne eigenes Licht haben. Es ist also offensichtlich, daß die Venus sich nicht um die Erde, sondern um die Sonne dreht. Die Venus ist also ein Mond der Sonne. Ebenso ist aber auch die Erde ein Mond der Sonne. Wer das nicht einsteht, ist entweder strohdumm, oder will es nicht einsehen. Die kopernikanische Hypothese ist dadurch Tatsache geworden, weil man sie beweisen kann. Das System der neuen Welt ist in Florenz in einem Zimmer der Villa delle Salve an einem frostigen Dezembermorgen geboren.

»Ja«, murmelte halb besinnungslos Salviati, den inzwischen der Schlaf wieder übermannt hatte.

Galilei kümmerte sich nicht um ihn. Er ließ ihn sitzen und eilte zurück zu seiner Venus. Am anderen Tage schrieb er einen umfangreichen Brief an Clavius in das römische Ordenshaus der Jesuiten. Außerdem beschloß er, nachdem man ihn zum Mittagessen am Hofe eingeladen hatte, über seine Venusbeobachtungen auch dort zu berichten.

Das Mittagessen am Hofe verlief sehr angenehm. Außer den Mitgliedern der Dynastie war nur noch Vinta anwesend. Galilei schilderte seine Beobachtungen.

»Euer Gnaden reisen am Sternenhimmel umher«, sagte die Großherzogin-Mutter Christina, »wie ein neuer Columbus.«

»Ich habe auch genau soviel Scherereien mit den Ungläubigen, wie er sie gehabt hat. Es gibt wenige so fesselnde Geschichten wie die des Columbus. Er beschloß, da seiner Meinung nach die Erde rund war, was damals noch niemand glaubte, nicht ostwärts, sondern westwärts nach Indien zu reisen. Er fand auch eine erlauchte Gönnerin für diesen Plan in der Person der spanischen Königin Isabella …«

Da unterbrach ihn der Großherzog fröhlich:

»Gebt acht, Messer Galilei, sagt nichts Nachteiliges über die Frau Königin, da ein Nachkomme von ihr hier am Tische sitzt. Macht kein so verblüfftes Gesicht, es ist so. Der Vater meiner Frau ist Erzherzog Karl. Dessen Vater war Kaiser Ferdinand I. und dessen Mutter die Frau Philipps des Schönen, die spanische Herzogin Johanna. Ihre Eltern waren Ferdinand der Katholische und Isabella. Kurzum: der Großvater des Großvaters meiner Frau hat Columbus auf die Seereise geschickt.«

»Auch mich läßt ein großer Herrscher zum Mond und zum Saturn reisen, Eure Hoheit. Also, wenn ich fortfahren darf, Seine Majestät der spanische König beschloß auf Zureden Ihrer Majestät der Königin, durch Sachverständige den Plan des Columbus untersuchen zu lassen. Als Sachverständige bestimmte er das Professorenkollegium der Universität von Salamanca. Columbus stellte sich diesen Herren. Vom ersten bis zum letzten waren diese Professoren Kleriker. Der eine fragte Columbus: wenn die Erde rund sei, ob es dann auf der Salamanca entgegensetzten Seite der Erdkugel von unten nach oben regne? Der andere meinte, daß Columbus ohne Zweifel mit einem Segelschiff auf dieser Kugel abwärts segeln könne, aber was für ein Wind müsse dazu notwendig sein, um ihn von der unteren Hälfte der Erdkugel wieder zurückzublasen auf die obere Hälfte. Der dritte fragte ihn, ob dort, wohin er zu kommen gedenke, schon ein Mensch vor ihm gewesen wäre. Columbus erwiderte: nein. Da fragte der Geistliche, ob er dort Menschen anzutreffen glaube. Columbus antwortete: ja. Da erhob sich der Professor und klagte Columbus donnernd der Ketzerei an; denn die Menschen stammten nach der Heiligen Schrift von Adam und Eva ab, Columbus aber setze auf diesen noch zu entdeckenden Gebieten Menschen voraus, die nicht von den ersten Menschen abstammten. Endlich beschloß das Kollegium von Salamanca, Columbus durch die Inquisition ermahnen zu lassen, wenn er von seiner verruchten Lehre nicht abginge. Später hat ihn dann der König doch noch auf die Reise geschickt. Kurz und gut, mir geht es nicht viel anders. Ich habe die Medici-Sterne entdeckt, und da klagt mich dieser Sizzi an, ich widerspräche der Heiligen Schrift.«

»Wollt Ihr denn diesem Sizzi antworten?« erkundigte sich die Herzogin.

»Ich habe bereits geantwortet, Eure Hoheit. Als ich das Buch las, schrieb ich auf das Titelblatt vier Zeilen von meinem Lieblingsdichter Ariosto:

»Der Ritter sprach: Dein Wahn, mir Furcht zu wecken
Durch Schrein und Drohn, ist eitler Selbstbetrug.
So magst du Weiber oder Kinder schrecken
Und andres Volk, das niemals Waffen trug.«

Dieses Zitat hatte großen Erfolg, alle lachten. Dann aber sagte der alte Vinta:

»Schon recht, das Buch ist lächerlich. Aber wer sich auf die Heilige Schrift bezieht, verfehlt nie seine Wirkung. Ich höre, und es schadet nichts, wenn auch du das weißt, daß der Bischof Marcimedici dich bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit beschimpft.«

Galilei geriet in Feuer. Einst war der Bischof sein Schüler in Padua gewesen. Er kannte ihn also, konnte ihn aber nicht ausstehen. Ein dummer, aufgeblasener Mensch, das war seine Meinung von ihm. Er wandte sich an den Großherzog.

»Eure Hoheit, mein Zitat von vorhin hat den Beifall der erlauchten Gesellschaft gefunden. Wir sind unter uns: ist es mir gestattet, das Gedicht vom Bischof von Florenz vorzutragen, das mein anderer Lieblingsdichter Berni gedichtet hat?«

»Natürlich, nur zu«, nickte der Großherzog vergnügt und nahm einen kräftigen Schluck von dem gezuckerten und gewürzten Wein, der das Ende des Mittagessens bedeutete, »es ist sicherlich sehr unterhaltsam.«

Galilei räusperte sich. Er konnte eine ganze Menge von Gedichten auswendig und trug sie gern vor:

»Ach, unser heiliger Bischof kam zu Schaden!
Denkt: seine liebsten Schuhe sind verschwunden!
Er trug sie stets in gut und bösen Stunden,
Zu Festen, Prozessionen und Paraden.

In Pisa kauft' er sie im Trödelladen,
Das morsche Leder zeigte viele Wunden,
Doch eh' zum Flicker sie den Weg gefunden,
Verschwanden sie. Drum helft des Bischofs Gnaden,

Sucht das Verlorne, liefert's ab beim Küster,
Vergebung sollt ihr dann für alle Sünden
Durch unsern frommen, sanften Bischof finden!«

So von der Kanzel predigte der Priester.
Inzwischen ward des Bischofs Knecht verprügelt,
Weil er des Herren Hose nicht gebügelt.«

Über dieses Sonett lachten sie noch mehr. In fröhlicher Stimmung ging das Mittagessen zu Ende. Der Großherzog winkte Galilei aber dazubleiben und setzte sich mit ihm abseits.

»Messer Galilei«, sagte er ernst, »ich habe mich über das Gedicht sehr amüsiert, aber es ist nicht ratsam, mit der Geistlichkeit zu spaßen. Ihr seid doch jetzt offiziell unser Hofmathematiker. Was Ihr in Euren Werken behauptet, dafür muß mehr oder weniger der Hof die Verantwortung tragen. Und wenn man zu schüren anfängt, daß sie der Heiligen Schrift widersprechen, so ist das dem Hofe nicht angenehm. Ich empfehle Euch, unternehmt doch etwas mit den Geistlichen. Der Bischof ist tatsächlich Euer Feind.«

»Eure Hoheit, der Bischof ist jedermanns Feind. Er ist ein unausstehlicher Mensch.«

»Auch ich kann ihn nicht leiden. Aber er ist Bischof. Ich lasse mich mit der Geistlichkeit nicht ein, ich spiele nicht Venedig, aus hunderterlei Gründen unterhalte ich zum Heiligen Stuhl ausgezeichnete diplomatische Beziehungen.«

»Bitte über mich zu verfügen, Hoheit«, erklärte Galilei erstarrt, »was soll ich tun?«

»Habt Ihr kirchliche Verbindungen in Rom?«

»Natürlich, Hoheit. Der Kardinal del Monte tut alles für mich, schon aus pietätvoller Erinnerung an den seligen Marchese. Aber ich habe außerdem dort einen großen Freund und Gönner, den berühmten Jesuitenpater Clavius.«

»Ausgezeichnet! Ich empfehle Euch, geht nach Rom und klärt die Angelegenheit dort. Es gibt auch dort kluge Leute. Wenn es Euch gelingt, dem Vatikan den » Sidereus Nuntius« plausibel zu machen, dann können die Pfaffen hier zu Hause reden, was sie wollen. Wenn Eure Lehre aber dem Vatikan nicht gefällt, dann ist es bester, damit aufzuhören, ehe die Inquisition Euch Unannehmlichkeiten macht. Geht schön nach Rom. Ich gebe Euch eine Sänfte und Diener, in Rom könnt Ihr im Gesandtschaftsgebäude wohnen. Geld sollt Ihr auch haben. Aber bringt mir diese Sache in Ordnung. Ihr wißt doch, die Medici-Sterne … Für mich persönlich wäre es unangenehm, wenn die Kirche diese Sterne auf den Index setzte. Ganz abgesehen von dem, was sie sonst noch unternehmen könnte.«

»Eure Hoheit sind so weise, daß ich mein Haupt vor Euch beuge. Eure Hoheit haben vollkommen recht. Wann soll ich fahren?«

»Es ist nicht dringend. Zu Ostern geht der Hof sowieso nach Pisa. Geht Ihr dann nach Rom. Und richtet es so ein, daß Ihr mir mit einem großen Erfolg heimkehrt!«

Galilei wurde plötzlich ebenso glücklich, wie er zuvor erstarrt gewesen war. Er dachte, was doch dieser häßliche, aber außerordentlich liebe junge Mann mit der großen Nase für einen klaren Kopf hatte. In Florenz pflegte man zu sagen, daß jeder Medici kurzsichtig, gichtisch und gescheit sei.

Er setzte seine Arbeit fort und begann, sich langsam auf die Reise vorzubereiten. Er verschaffte sich Empfehlungsschreiben, unter anderem von Michelagnolo Buonarroti, dem Vetter des großen Meisters, den er schon seit seiner Kindheit kannte und der jetzt sehr einflußreiche Freunde in Rom hatte. Außerdem meldete er seine Ankunft Clavius im voraus an und erwähnte besonders den kürzlich so berühmt gewordenen deutschen Pfarrer Grienberger, der zur Zeit als Claviusschüler in Rom lebte.

Während seiner Reisevorbereitungen erhielt er einen Brief von Sagredo, der aus Asien nach Venedig zurückgekehrt war und dort erfuhr, daß Galilei Padua endgültig verlassen habe. Er schrieb ihm darüber einen langen, ernsten Brief. Nachdem er von dem Schmerz gesprochen hatte, den er durch den Weggang eines so treuen Freundes erlitten, fuhr er wie folgt fort:

 

»Was hingegen Euer Interesse anbelangt, so möge eher Eure Beurteilung denn mein Gefühl entscheiden. Aber Euer Gehalt und Eure sonstigen Einnahmen waren hier nicht gerade verachtenswert und die materiellen Fragen konnten im übrigen nicht so wichtig sein und Euch nicht so bedrücken, daß Ihr Euch deswegen in unsichere Abenteuer hättet einlassen müssen. Wo könnt Ihr diese Freiheit und diese persönliche Unabhängigkeit noch finden, als hier in Venedig? Ihr hattet hier Stützen, die jeden Tag mit dem Alter und der Autorität ihrer Freunde wuchsen. Ihr seid jetzt in Eurer schönen Heimat, aber Ihr seid nicht mehr dort, wo es Euch gut ging. Vorerst dient Ihr jenem, der Euer natürlicher Herr ist, ein großzügiger, an Tugenden reicher und außerordentlich junger Mann. Hier aber habt Ihr über die verfügen können, die den anderen befahlen und mußtet nur Euch selbst bedienen als den größten Herrn der Welt. Die Großherzigkeit und die hervorragende Persönlichkeit des Großherzogs läßt hoffen, daß Eure Leistungen nach Verdienst geschätzt werden, aber wer kann voraussagen, ob nicht auf dem stürmischen Meer des höfischen Lebens böse Winde der Rivalität und des beides Euch – ich will nicht sagen, untergehen lassen –, aber quälen und beunruhigen werden? Von dem Alter des Großherzogs will ich nicht sprechen, aber es ist sicher, daß die Jahre naturgemäß sein Temperament, seine Neigungen und andere Eigenschaften verändern werden. Ich höre zwar, daß sein Charakter gute Fundamente habe und daß man immer Schöneres und Besseres von ihm erwarten könne, aber wer kann sagen, wessen die unberechenbaren und unverständlichen Wendungen der Welt fähig sind, die Tücken der schlechten und neidischen Menschen, die, in die Seele des Großherzogs lügnerische und trügerische Gedanken verstreuend, ebenso stark sein können wie seine Gerechtigkeit, um einen Menschen zugrunde zu richten? Alle Herrscher sind im allgemeinen auf alles und jedes ein wenig neugierig, aber wenn wichtige Dinge sie rufen, gehen sie kurz entschlossen neue Wege. Der Großherzog betrachtet zweifellos entzückt durch Eure Erfindung Florenz und die Ortschaften der Umgebung; wenn es aber darauf ankommt, zu sehen, was in ganz Italien, Deutschland, Frankreich, Spanien und im Osten vorgeht, legt er Euer Fernrohr sofort aus der Hand. Ihr könnt sicherlich auch noch etwas anderes erfinden, aber wer könnte das Rohr erfinden, das den Klugen vom Dummen, den guten Rat vom schlechten Rat, den befähigten Baumeister vom Stümper und unwissenden Polier unterscheidet? Alles das entscheiden Millionen, bei denen nicht das Gewicht, sondern die Zahl ausschlaggebend ist. Aber ich will mich nicht weiter über Eure Angelegenheiten auslassen, ich habe von vornherein beschlossen, mich Eurem Entschluß zu fügen. Eure anderen Freunde reden anders. Es gibt einen, der ein sehr guter Freund von Euch war und jetzt erklärt, auf meine Freundschaft verzichten zu müssen, wenn ich auf der Eurigen bestünde. Mir tut es aus ganzem Herzen um das leid, was Ihr verloren habt, aber ich sage mir auch, daß Ihr das werdet halten können, was Ihr als Ersatz erhieltet. Daß Ihr aber an einem Ort lebt, wo die Jesuiten die Herren sind, das bereitet mir sehr, sehr große Sorgen.«

 

Mit alter, freundschaftlicher Liebe las Galilei den Brief, schleuderte ihn aber dann zornig beiseite.

»Ich weiß, daß er mich sehr lieb hat«, sagte er zu sich selbst, »aber warum verdirbt er mir die Freude, wenn ich nun schon einmal hier bin?«

Und den ganzen Tag über war er sehr schlechter Laune.


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