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24

Dem Kommissar schien diesmal das geschäftliche Intermezzo willkommen zu sein. Er wußte offenbar im Augenblick nicht, wie er die Vernehmung weiterführen sollte. Die Männer, auf die er wartete, kamen immer noch nicht. Das waren, wie Klaus nun wußte, die Leute, die in seiner Wohnung nach irgend etwas suchen sollten. Er konnte sich denken, daß es ein Polizeibeamter und vielleicht der Gastwirt aus Waldberg waren, von denen Weigelt die Entscheidung erwartete.

»Nun?« fragte der Kommissar den Eintretenden.

Herr Owelgaß begab sich an seinen Platz zurück. »Auf dem Konto Rambin sind Unregelmäßigkeiten vorgekommen«, sagte er. »Die Commerz-Bank hat die Überweisung der sechzigtausend Mark von Frau von Tweel bestätigt. Bei der Gewerbe-Vereinsbank ist der Eingang nicht gebucht. Es sieht so aus, als ob man mit dem Geld frühere Unregelmäßigkeiten ausgeglichen hätte.«

Der Kommissar schaute fragend zu Elm hinüber. Der blickte erstaunt auf. »Ich halte das für unmöglich. Keinem unsrer Beamten würde ich so etwas zutrauen. Ich werde gleich hinübergehen, um die Angelegenheit zu prüfen.« Er erhob sich und machte wiederum einige Schritte zur Tür. Der Kommissar entsann sich, daß er ihn schon einmal an der gleichen Stelle zurückgehalten hatte.

»Die Sache ist geprüft«, sagte Herr Owelgaß mit entschiedener Betonung. »Die sechzigtausend Mark sind eingegangen, aber nicht gebucht worden.«

»Aber das Geld wurde dann doch am 24. Juni diesem falschen Inspektor Arndt ausgezahlt?« fragte der Kommissar.

»Das ist sehr die Frage«, entgegnete Herr Owelgaß. »Vielleicht ist das Geld gar nicht ausgezahlt worden. Ich habe den Eindruck, daß die Buchung dieser Auszahlung falsch ist. Die Überweisung der Summe ist nicht gebucht, die Auszahlung, die nicht geschehen ist, wurde gebucht. Ergebnis: Einsparung von einhundertzwanzigtausend Mark.«

Alle Anwesenden waren noch zu sehr von den Erschütterungen der letzten Minute erfüllt, als daß sie dieser geschäftlichen Auseinandersetzung zu folgen Lust hatten. Erst jetzt horchte Klaus auf und bemerkte im gleichen Augenblick, daß auch Graf Koska den Kopf hob und durch sein Monokel Herrn Owelgaß fixierte. Auch Ellen, die sich hingesetzt hatte, sah aufmerksam hinüber. Elm blätterte wie rasend in den Seiten des dicken Rechnungsbuches.

»Sie halten es für möglich, daß der Scheck dieses falschen Gutsinspektors gar nicht vorgelegt ist?« fragte der Kommissar.

»Ich habe jeden einzelnen Beamten auf Herz und Nieren geprüft. Kein einziger konnte sich auf diesen Scheck besinnen. Wenn Herr Elm nicht selbst den Scheck entgegengenommen hat, so ist er am Mittwoch, dem vierundzwanzigsten, oder an einem der darauffolgenden Tage nicht vorgekommen. Wie ist das, Herr Elm? Wissen Sie sich bestimmt darauf zu besinnen, daß Sie diesen Scheck nicht entgegengenommen haben?«

Elm schwieg eine Weile. Er schien angestrengt nachzudenken. »Ich überlege mir, welche Herren an diesem Tag Schalterdienst hatten«, fing er langsam an. »Ich will es aber nicht als ganz unmöglich hinstellen, daß ich den Scheck vielleicht selbst angenommen haben könnte.«

»Ich halte das für ausgeschlossen«, sagte der Kommissar. »Sie würden sich bei Ihren nahen Beziehungen zu Stefan Rambin doch bestimmt darauf besinnen. Stammte nicht auch die Beglaubigung auf diesem Scheck von Ihnen?«

»Ja, ich selber habe den Scheck beglaubigt.«

»Dann würden Sie sich doch bestimmt erinnern, wenn Sie ihn zur Auszahlung angenommen hätten. Bei Ihren engen Beziehungen zu Herrn Rambin interessierten Sie sich doch wohl auch für den beabsichtigten Gutskauf. Sie hätten den Inspektor Arndt doch wahrscheinlich ausgefragt?«

»Falls ich nicht vielleicht sehr überlastet gewesen wäre.«

Herr Owelgaß hob die Hand. »Einen Augenblick, meine Herren. Wie konnte ein Scheck Stefan Rambins in dieser Höhe von der Bank beglaubigt werden? Auf dem Konto war nicht entfernt eine solche Summe vorhanden.«

Elm lächelte höflich und wandte sein rosiges Gesicht dem Fragenden zu. »Wenn ich den Scheck beglaubigt habe, so war auch das Geld vorhanden. Ich dachte wahrscheinlich an die sechzigtausend Mark. Ja, ich besinne mich jetzt genau darauf, daß ich diese Summe dem Konto Stefan Rambins zuzählte, obwohl der Eingang noch nicht eingetragen war. Jawohl, so war es. Ich sah zwar, daß Rambin sein Konto überzogen hatte, aber ich überlegte, daß da ja noch diese sechzigtausend Mark hinzukämen, und so beglaubigte ich den Scheck.«

»Sie wußten also von diesen sechzigtausend Mark?«

»Ja, das heißt nicht als Bankbeamter, sondern weil Stefan Rambin mir davon erzählt hatte.«

»Um so mehr hätte es Ihnen auffallen sollen, daß der Eingang dieser Summe, der doch schon im Mai geschehen sein mußte, nicht vermerkt war.«

»Ich hatte an dem Tage wenig Zeit. Jetzt fällt mir ein, daß ich Stefan Rambin auf die Überziehung seines Kontos aufmerksam machte, als er die Beglaubigung haben wollte. Jawohl, ich erinnere mich ganz genau. Darauf sagte er, es handle sich doch nur um die Summe, die neulich von der Commerz-Bank überwiesen wäre, und da gab ich die Beglaubigung. So war es. Ich habe dann nicht mehr nach der Buchung gesucht, sondern mich auf seine Angabe verlassen.«

Klaus mischte sich ein. »Dann ist also die katastrophale Lage des Sägewerks in erster Linie auf diese fehlenden sechzigtausend Mark zurückzuführen, die nicht auf seinem Konto gebucht sind?«

»Das glaube ich nicht«, sagte Herr Owelgaß gelassen. »Es sind Unterschlagungen begangen worden, die nur mit Einwilligung des Kontoinhabers möglich waren. Gehörte Stefan Rambin nicht auch dem Aufsichtsrat der Bank an? Nach meiner Erinnerung war er sogar einer der Prüfer.«

Elm starrte in das Buch. »Das muß sich alles aufklären. Es wäre ja schrecklich, auch für mich persönlich, wenn in meiner Abteilung solche Unregelmäßigkeiten vorgekommen wären. Sie behaupten, daß Stefan Rambin Gelder unterschlagen hätte?«

»Es sieht so aus«, sagte Herr Owelgaß bedächtig. »Aber vielleicht tat er es nicht allein. Ich halte es für möglich, daß dieser beglaubigte Scheck niemals in andere Hände gekommen ist. Die Auszahlung wurde lediglich in den Büchern fingiert.«

Klaus' Gedanken arbeiteten angestrengt. Stefan Rambin hatte Betrügereien und Fälschungen begangen! Ganz langsam begriff er. Der vergötterte Stefan Rambin war ein Betrüger?

Eigentlich mußte jetzt ein Triumphgefühl über den Feind seiner Jugend in ihm aufklingen. Aber es war merkwürdig, auf einmal spürte er ein Gefühl des Mitleids und der Teilnahme mit dem unglücklichen Mann, den er immer für so glücklich und erfolgreich gehalten hatte. Monika hatte ihn besser erkannt und tiefer durchschaut. Seine Gedanken liefen zu Monika. Ob sie noch immer ohnmächtig war? Aber er riß sich zurück. Von Monika war er jetzt auf ewig getrennt. Jetzt würde der große Mordprozeß gegen ihn und Ursula geführt werden. Wie er auch ausgehen mochte, auf seinem Namen blieb der Makel haften. Nie wieder würde er zu seinem jetziges Leben zurückfinden. Oder sollte dennoch überraschend eine Rettung kommen, vielleicht durch die merkwürdigen Entdeckungen, die dieser Buchsachverständige gemacht hatte?

Weigelt trommelte nervös mit den Fingern auf der Tischplatte. »Meine Herren«, sagte er, »diese Sache ist ein Fall für sich. Für etwaige Unregelmäßigkeiten in der Geschäftsführung des Ermordeten bin ich nicht zuständig. Ich habe es hier mit der Ermordung Stefan Rambins zu tun. Der Zustand seines Kontos steht meiner Meinung nach mit der Tat in keinem Zusammenhang. Die Geschichte mit diesem Scheck ist eine Sache für sich. Sie hat von Anfang an die Spuren verwirrt. Bei diesem Fall handelt es sich nicht um einen Raubmord, sondern um andere Motive.«

»Das weiß ich noch nicht«, sagte Herr Owelgaß.

In dem Augenblick traten hastig zwei Männer ein, die Klaus nicht kannte. Der eine hatte ein gerötetes Gesicht, war klein und dick und dennoch von lebhafter Beweglichkeit. Dem anderen merkte man den Kriminalbeamten an. Über Weigelts Gesicht ging ein Ausdruck der Erleichterung. Es ist die Entscheidung, fühlte Klaus. Das waren die Personen, auf die der Kommissar seit einer Stunde gewartet hatte. »Nun?« fragte Weigelt.

»Er ist es nicht!« rief der Dicke, in dem Klaus den Gastwirt aus Waldberg vermutete. »Der andere hat Haferlschuhe getragen. Wir fanden das weiße Sporthemd und die Kniehosen, aber in der ganzen Wohnung keine Haferlschuhe.«

»Und sonst?«

Der Kriminalbeamte, der mitgekommen war, blickte verwundert auf die vielen Menschen. »Es war nichts zu finden. Kein fremder Schlüssel, kein Schriftstück oder Testament, nichts. Herr Doktor Klaus Rambin war am Dienstag, wie immer in diesen Tagen, morgens fortgegangen und abends nach Hause gekommen.«

Der Kommissar wandte sich an den Gastwirt. »Sehen Sie sich um, Herr Krüger. Erkennen Sie den jungen Menschen wieder, der vor einer Woche in Ihrem Gasthaus war und nach dem Namen des Inspektors Arndt fragte?«

Herr Krüger ließ seine lebhaften braunen Augen umherwandern. Er betrachtete den Grafen Koska und Klaus und schüttelte des Kopf. »Von diesen beiden Herren war es keiner.«

»Sie können also mit Bestimmtheit angeben, daß Herr Klaus Rambin, der hier vor Ihnen steht, nicht die Person ist, die Sie gesehen haben?«

»Er war es nicht, Herr Kommissar.«

Weigelt preßte die Lippen zusammen. »Das macht die Sache schwieriger.« Er war ganz offenbar ratlos, da er sich in seiner Erwartung getäuscht sah. Er wandte sich an Klaus: »Wollen Sie, bitte, nun genau angeben, wo Sie sich am Dienstag der vergangenen Woche aufgehalten haben?«

»Ich war auf dem Sportplatz«, fing Klaus an.

»Das ist er!« schnitt plötzlich die Stimme Herrn Krügers durch den Raum. Seine Augen waren auf Elm gefallen, der sich über das Buch gebeugt hatte. »Das ist er!« schrie er nochmals. »Der Herr da hat am Dienstag in meinem Gasthaus gesessen und nach dem Inspektor Arndt gefragt.«

Elm suchte seinem Blick standzuhalten, aber die Farbe wich aus seinem Gesicht, das plötzlich grau wurde. »Ich ... ich ...« stammelte er.

»Sie sind am Dienstag in Waldberg gewesen?« fragte der Kommissar. Er brachte kaum die Worte heraus, denn auch ihn hatte die Überraschung überwältigt. Einige Sekunden herrschte völlige Stille. Auch Elm rührte sich nicht. Es war nur, als ob er langsam in sich zusammensänke und sein Gesicht immer mehr an Farbe verlöre.

Noch immer fand der Kommissar keine Worte. Seine Augen schienen sich in Elm hineinzubohren. Herr Owelgaß räusperte sich. Es war wie ein Signal, das dem Kommissar die Fassung wiedergab. »Sie haben Stefan Rambin ermordet!« sagte Weigelt mühsam. »Sie haben Stefan Rambin ermordet, um Ihre Unterschlagungen zu decken!«

Elm konnte nicht antworten. Sein Gesicht juckte vor Aufregung. Seine Hände klammerten sich an der Kante des Tisches fest. Endlich brachte er stockend Sätze hervor. »Ich habe nicht für mich unterschlagen. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihn zu erschießen. Er hätte sich selbst erschießen müssen.«

»Und da haben Sie es getan?«

»Ja, da habe ich es getan.«

»Sie kannten die Lage des Toten?«

Elm nickte. »Ich wußte alles von ihm. Seit zwei Jahren befand sich Stefan Rambin in geschäftlichen Schwierigkeiten. Er suchte darüber hinwegzukommen. Ich ließ es zu, daß er sein Konto überzog. Aber es wurde immer schlimmer!«

»Weshalb haben Sie sich als Bankbeamter nicht korrekt verhalten?«

»Sie kennen Stefan Rambin nicht. Er hat eine furchtbare Macht über Menschen. Ich stand völlig in seinem Bann. Das war allmählich so gekommen. Er zog mich zu sich heran. Es gab nichts Schöneres für mich, als mit ihm zusammenzusitzen und seinen Reden zuzuhören. Ich war stolz darauf, daß dieser Mann mich auszeichnete. Einmal – es war in diesem Winter, ich glaube im Dezember – setzte er mir seine ganze Lage auseinander. Damals mußte ich ihm zum erstenmal helfen. Wir haben zusammen falsche Buchungen gemacht. Er war furchtbar geschickt darin. Bei der Jahresprüfung, bei der er selbst einer der Prüfer war, verstand er es, alles zu vertuschen. Aber es wurde schlimmer und schlimmer. Und dann kam Sie Sache mit Frau von Tweel.«

Ursula hatte noch immer die Hände vor das Gesicht geschlagen. Jetzt nahm sie sie langsam herunter und sah Elm an.

»Wie war das mit Frau von Tweel?« fragte der Kommissar.

»Stefan Rambin hatte Frau von Tweel kennengelernt und merkte, daß sie sich für ihn interessierte. An einem Abend, im März, sagte er mir alles. Frau von Tweel sollte sehr reich sein. Darauf baute er seinen Plan. Er wollte diese Frau gewinnen, sich scheiden lassen und sie heiraten. Dann konnte alles gut werden. Jede Woche kamen wir zusammen, und er berichtete mir von den Fortschritten, die er bei ihr machte. Nach einigen Wochen war er so weit, daß sie bereit war, ihn zu heiraten. Als er es mir erzählte, war er in ganz seltsamer Stimmung. Halb freute er sich über den großen Erfolg, der ihn in der Tat retten konnte, halb war er von seiner Lage niedergedrückt.«

»Liebte er Frau von Tweel?« fragte der Kommissar.

»Daraus bin ich nie klug geworden. Vielleicht hat er sie geliebt oder es sich wenigstens eingeredet. Hauptsächlich aber wollte er ihr Geld. Die Heirat mit ihr beherrschte alle seine Gedanken. Inzwischen wurde unsre Lage immer kritischer. Wir wußten keinen Ausweg mehr, als er auf den Gedanken verfiel, Frau von Tweel zu überreden, sich eine Besitzung zu kaufen und alles Geschäftliche ihm zu überlassen. Das Geld kam an, und ich benutzte es dazu, unterschlagene Gelder zu ersetzen. Deshalb wurden diese sechzigtausend Mark nicht gebucht. Ich konnte nicht ahnen, daß gerade diese Sache zur Sprache kommen würde.« Elm sprach leise und mit monotoner Stimme. Jedes Wort schien er sich einzeln herauszuquälen.

»Sie sind also an den Unterschlagungen mitschuldig, die der Tote begangen hat?«

»Ich bin nicht nur mitschuldig, sondern ich habe sie für ihn begangen. Stefan Rambin hat mich dabei nur unterstützt und beraten und mir bei plötzlichen Kassenrevisionen geholfen. Einmal brachte er sogar achttausend Mark an, die er sich für eine Revision geliehen hatte. Nach einigen Tagen mußte ich sie ihm zurückgeben.«

»Das Geld stammte von mir«, warf Ursula ein. »Er lieh es sich aus und gab es mir nach einigen Tagen zurück.«

»Die sechzigtausend Mark aber retteten uns nicht. Einmal mußte die Katastrophe kommen. Auf seine Beziehungen zu Frau von Tweel richtete sich unsere ganze Hoffnung. Ich hatte in der letzten Zeit den Eindruck, daß Frau von Tweel sich von ihm zurückzog. Stefan Rambin wollte es nicht glauben. Wenn wir zusammensaßen, sprachen wir jedes einzelne Wort der Frau von Tweel durch und wogen es daraufhin ab, ob er seinem Ziel näherkam oder nicht.«

»O Gott!« stöhnte Ursula. Sie schlug von neuem die Hände vors Gesicht und saß zusammengebrochen auf ihrem Stuhl.

»Es war uns beiden klar, daß etwas geschehen mußte«, fuhr Elm fort. »Die Besitzung am Scharmützelsee, für die Frau von Tweel bereits vor Wochen das Geld gezahlt hatte, mußte endlich gekauft werden. Der Agent wartete auf den Abschluß. Stefan Rambin schrieb den Scheck aus, und ich beglaubigte ihn. Als der Scheck vor mir lag, stieg zum erstenmal der Plan in mir auf. Ich überlegte, daß man alle Unregelmäßigkeiten zudecken könnte, wenn die Auszahlung nur fingiert würde. Ich wäre dann wieder sicher gewesen. Seit diese Verbindung mit Stefan Rambin bestand, hatte ich keine ruhige Minute mehr gehabt. Ach, es war ja alles so furchtbar!«

Er holte tief Atem und sprach weiter. »Inzwischen ging die Beziehung zu Frau von Tweel weiter. Mir schien die Sache immer hoffnungsloser zu werden. Stefan Rambin tröstete mich. Er pochte auf den Einfluß, den er auf alle Menschen ausübe, wenn er nur wolle. Am vorigen Mittwoch mußte der Scheck dem Agenten Eduard Frisch übergeben werden. Am Dienstag sollte eine entscheidende Besprechung zwischen Frau von Tweel und Stefan Rambin stattfinden.«

»Damals wußte Herr von Tweel aber bereits von der Freundschaft seiner Gattin mit Stefan Rambin?«

Elm nickte. »Ich war es, der ihn durch einen anonymen Brief benachrichtigte. Ich habe auf demselben Wege auch Herrn von Steinhammer von den Abwegen seiner Tochter verständigt.«

Ellen und Klaus sahen sich an. Elm also war es gewesen, der Stefan Rambin und Ursula verraten hatte.

»Weshalb taten Sie das?« fragte der Kommissar.

»Ich wollte den Scheidungsprozeß beschleunigen, denn ich hatte den Eindruck, daß Frau von Tweel ihn nur lässig betrieb. Wenn Tweel in der Lage war, die Gegenklage zu erheben, konnte der Prozeß in zwei Terminen zu Ende gehen.«

Der Kommissar wandte sich an Ursula. »Von allen diesen Dingen hatten Sie keine Ahnung, gnädige Frau?«

»O Gott, nein! Wenn Stefan Rambin doch nur mit mir wegen des Geldes gesprochen hätte! Ich hätte alles in Bewegung gesetzt, um ihm zu helfen.«

»Mich leitete aber noch eine andre Absicht«, fuhr Elm fort. »Stefan Rambin erwartete alles von der Unterredung mit Frau von Tweel. Ich hingegen glaubte, daß diese Unterredung mit einem völligen Bruch enden würde. Was sollte dann kommen? Immer stand der Gedanke vor mir, die Auszahlung des Schecks nur zu fingieren. Aber ich wußte noch nicht, wie ich es machen sollte! Ganz dunkel und unbewußt lag in mir die Vorstellung, daß Stefan Rambin von der Erde verschwinden müßte, damit ich mich wieder sicher fühlen könnte. Ich hatte das alles noch nicht in klare Gedanken gefaßt, es war nur ein dunkler Drang, der mich beherrschte. Ich wollte die Qual der letzten Jahre abschütteln. Ich dachte sogar an die Möglichkeit, daß Herr von Tweel Stefan Rambin niederknallte. Das war vielleicht der eigentliche Grund gewesen, weshalb ich ihm den anonymen Brief schrieb. Aber wenn Stefan Rambin auf andre Weise verschwände – ich überlegte mir nicht, wie das geschehen sollte –, dann müßte jemand da sein, auf den der Verdacht gelenkt werden konnte. Es war doch natürlich, daß man Tweel verdächtigen würde. Selbst Herr von Steinhammer würde annehmen, Tweel wäre der Täter. Ich hatte sogar einen Tag lang den Plan, Tweel von der Zusammenkunft der beiden bei der Linde zu unterrichten. Dann wäre er hinausgefahren und hätte Stefan Rambin vielleicht wirklich erschossen. Ich tat das dann doch nicht.«

»Als Sie soweit waren, hatten Sie noch immer nicht den klaren Entschluß gefaßt, Stefan Rambin zu erschießen?« fragte der Kommissar.

»Nein, so weit war ich in meinen Gedanken nie gegangen. Es stand bei mir nur unumstößlich fest, daß dieser Scheck nie ausgezahlt werden dürfe. Am Dienstag vormittag sollte die Unterredung mit Frau von Tweel stattfinden. Stefan Rambin hatte mir das gesagt. Ganz plötzlich kam mir der Gedanke, ebenfalls dorthin zu fahren, denn ich wußte, daß alles verloren wäre, wenn ich nicht aufpaßte und eingriffe. Ich benutzte einen früheren Zug, stieg aber nicht in Lindenderg aus, sondern fuhr bis Bergfriede weiter. Ich hatte mir die Gegend auf der Karte genau angesehen, wanderte über Waldberg und Bräsikow und bog dann in die Schneise ein. Eigentlich hatte ich die Absicht, mich irgendwo versteckt zu halten und die Unterredung der beiden abzuwarten. Aber es trieb mich vorwärts. In dem langen Jagen sah ich Stefan Rambin von weitem kommen und ging ihm entgegen. Ich wußte nicht, wie ich meine Anwesenheit erklären sollte, und sagte ihm schließlich, es wäre eine plötzliche Bankrevision angesagt.«

»Merkte man auf der Bank nicht Ihre Abwesenheit?« fragte der Kommissar. »Bis jetzt ist noch niemand auf den Gedanken gekommen, daß Sie an dem Tag nicht auf der Bank gewesen sein könnten.«

»Ich bin einfach fortgeblieben. Meine Stellung ist ja einigermaßen selbständig. Zufällig fragte an dem Tag niemand nach mir, und in unsrer Abteilung drücken wir untereinander manchmal die Augen zu, wenn der eine oder der andre aus einem wichtigen Grunde fernbleibt. Ich sagte Stefan Rambin also, eine Revision stünde bevor und die Unregelmäßigkeiten müßten jetzt endgültig beseitigt werden. Ich riet ihm, völlig auf die Verbindung mit Frau von Tweel zu verzichten, weil daraus doch niemals etwas werden würde, und sie um eine größere Summe zu bitten. Wir gingen den Jagen einige Male auf und ab. Ich merkte, daß Stefan Rambin nicht mehr imstande war, einen Entschluß zu fassen. Nach außen hin war er unverändert, niemand hätte ihm etwas anmerken können. Aber innerlich war er durch die Spannung der letzten Monate völlig zerbrochen. Sicher hat ihn auch das merkwürdige Verhältnis zu Frau von Tweel sehr mitgenommen. Wir sprachen noch einmal unsre Lage genau durch.«

»Hatten Sie während dieser Unterredung nicht die klare Absicht, Stefan Rambin zu erschießen?«

»Nein, eigentlich nicht. Einen Revolver hatte ich in jener Zeit immer bei mir, aber ich dachte eher daran, mich eines Tages selbst zu erschießen. Während wir in dem Jagen auf und ab gingen, hatte ich einen ganz anderen Gedanken. Ich wollte die Unterredung in die Länge ziehen, bis Frau von Tweel kam. Dann wollte ich ihr alles sagen. Aber es war schon eine Viertelstunde über die verabredete Zeit hinaus, und ich hatte den Eindruck, sie würde überhaupt nicht kommen, sondern bereits innerlich mit Stefan Rambin abgeschlossen haben. Dabei mußte ich immer an den Scheck denken, der in seiner Brieftasche lag. Der Gedanke, diesen Scheck an mich zu bringen, nahm immer mehr von mir Besitz. Meine Hand umklammerte in der Tasche die Waffe. Einen Schuß, dachte ich, und ich kann den Scheck nehmen und bin wieder sicher. Ich überlegte, daß Stefan Rambins Leben sowieso verspielt war. Nie würde Frau von Tweel ihn heiraten, und dann würde ihm doch nichts andres übrigbleiben, als sich zu erschießen, ich aber würde in seinen Fall mit hineingerissen werden. Erst während ich neben ihm ging, stieg der Gedanke in mir auf, ihn zu töten. Fünfmal war ich im Begriff, die Waffe herauszuziehen, aber ich fürchtete, er würde sie mir entwinden. Schließlich tat ich so, als ob ich über eine Baumwurzel stolperte. Dabei konnte ich den Revolver spannen, ohne daß er es bemerkte. Ich richtete mich wieder auf. Wir gingen weiter. Wenn ich es jetzt nicht tue, dachte ich, dann werde ich es nie tun. Ich blieb einen Schritt zurück, nahm die Waffe heraus und schoß ihn nieder. Das ging alles ganz rasch. Ich nahm die Brieftasche an mich, sah, daß der Scheck drinnen war, und lief fort. Einige Sekunden später bog Frau von Tweel zu Pferde um die Eck. Es war genau so, wie sie hier ausgesagt hat. Ich sprang durch das Dickicht davon, sie jagte einen Schuß hinter mir her, aber die Kugel blieb in einem Baum stecken.«

Elm machte eine Pause. »Das übrige wissen Sie alles. Ich trieb mich stundenlang im Wald umher, ich sah, wie Frau von Tweel aus dem Wald zurückgeritten kam, und ging dann selbst auf Umwegen nach Waldberg. Dort aß ich etwas. Der Inspektor Arndt kam angeritten und trank vor dem Haus ein Glas Bier. Ich fragte nach seinem Namen und beschloß, diesen Namen als Empfänger auf den Scheck zu schreiben. Auch den Girovermerk Eduard Frischs setzte ich darauf. Den Scheck buchte ich dann und heftete ihn ein. Die eingesparten sechzigtausend Mark reichten gerade hin, um die Unregelmäßigkeiten auf dem Konto Stefan Rambin zu decken.«

»Sie haben also diese Unterschriften selbst gefälscht«, sagte der Kommissar und dachte an den Abend, an dem er hier zum erstenmal mit Klaus Rambin und Elm zusammengesessen und Klaus' Handschrift mit den beiden Unterschriften auf dem Scheck verglichen hatte.

Elm nickte. »Hätten Sie sich damals auch von mir eine Schriftprobe geben lassen, wie von Klaus Rambin, dann hätte ein Schriftsachverständiger in wenigen Minuten alles herausgefunden. Denn die Unterschriften waren sehr schlecht gefälscht.«

Der Kommissar erhob sich und winkte den beiden Beamten. »Führen Sie Herrn Elm ab. Das Protokoll werden wir nachher aufsetzen.« Die Beamten nahmen Elm in ihre Mitte und führten ihn hinaus. Er ging mit unsicheren Schritten zwischen ihnen.


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