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9

Als Klaus am nächsten Morgen aufwachte, hörte er die laute Stimme seiner Wirtin. Er übernachtete in seiner Wohnung in Eichkamp. Draußen schien jemand nach ihm zu fragen. Er sah nach der Uhr, es war halb zehn. Er hatte wie ein Toter geschlafen. Die Wirtin klopfte an der Tür. Auf seinen Zuruf trat sie herein, und hinter ihr stand Monika. »Wo kommst du her?« rief er überrascht und beruhigte die Wirtin. »Es ist meine Kusine aus Michaelsbrück, Frau Kramer. Sie können sie ruhig hereinlassen.« Monika trat ins Zimmer und schloß die Tür hinter sich. Er sah sie erstaunt an »Was hast du?« fragte er erschrocken, »ist etwas passiert?«

Sie reichte ihm einen Brief. »Da, sieh! Dieser Brief ist heute früh angekommen. Von dem Agenten Eduard Frisch! Wir haben ihn geöffnet, und ich setzte mich sofort auf die Bahn, um ihn dir herzubringen. Das ist doch wichtig, nicht wahr?«

»Ungeheuer wichtig!« rief er aus und besah den Brief von allen Seiten. Auch die Adresse war mit der Hand geschrieben, und die Handschrift hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem Girovermerk auf dem Scheck. Die Marke trug den Aufdruck ›Berlin SW 61‹. Der Brief war gestern nachmittag zwischen fünf und sechs Uhr zur Post gegeben worden. Der Bogen war ein Geschäftsbogen des Hotels Konkordia in der Belle-Alliance-Straße. Sein Inhalt lautete:

Sehr geehrter Herr Rambin! Zu meinem Bedauern sind Sie neulich nicht am Schlesischen Bahnhof gewesen. Ich habe anderthalb Stunden vergeblich auf Sie gewartet. Es ist sehr wichtig, daß Sie sich schnell entscheiden und die Zahlung schnellstens geleistet wird, da andere Reflektanten aufgetreten sind. Ich erwarte morgen, am Sonnabendvormittag, unbedingt Ihren Anruf in meinem Hotel. Sollte ich bis mittags nichts von Ihnen hören, stehe ich für nichts gut.

Hochachtungsvoll
Eduard Frisch.

Klaus las den Brief zweimal genau durch. »Was ist das?« sagte er verwundert. »Das macht den Eindruck, als wenn es sich um einen ganz richtigen Agenten und um einen richtigen Kauf handelte.« Er dachte daran, was Ellen über Eduard Frisch gesagt hatte, aber er wollte es vermeiden, zu Monika von Ellen zu sprechen.

»Bist du schon auf der Kriminalpolizei gewesen?« fragte Monika.

»Ja, ich war gestern abend mit Elm dort. Heute mittag wollte ich wieder hinauskommen, aber jetzt weiß ich nicht. Ich muß den Brief natürlich schnell zu dem Kommissar tragen, oder vielleicht suche ich auch vorher diesen Herrn Eduard Frisch in seinem Hotel auf.«

»Ich muß nämlich sofort zurückfahren. Mutti hat mich gebeten, mit dem Elfuhrzug wieder da zu sein. Ich bekomme ihn gerade noch, wenn ich eile.«

»Wie geht es der Tante?«

Monika zuckte die Achseln. »Schlecht! Dieser Brief hat sie natürlich wieder sehr aufgeregt. Wie findest du es, daß der Mann geschrieben hat?«

»Wenn ich ganz ehrlich sein soll, gefällt mir dieser Brief nicht. Es sieht doch nun in der Tat so aus, als ob Onkel Stefan wirklich etwas zugestoßen wäre, als er sich auf dem Wege zum Schlesischen Bahnhof befand. Nur ist dann nicht der Agent der Schuldige, sondern irgendwer anders. Jetzt verstehe ich nichts mehr.«

»Genau das denke ich auch. Aber es wird Zeit. Auf Wiedersehen, Klaus.«

»Auf Wiedersehen, Monika. Grüß die Tante. Wir sollten uns übrigens öfters so unterhalten, wie wir es gestern getan haben.«

»Ja«, nickte sie, »vielleicht wäre das gut. Aber wenn du dann mit Bandlers sprichst, ist ja doch wieder alles ganz anders.«

»Du verkennst Bandlers, Monika. Und besonders Ellen.«

Sie lachte hell auf. »Ellen verkenne ich nun bestimmt nicht, Klaus. Aber ich muß laufen. Auf Wiedersehen!«

Sie ging hinaus. Er hörte sie draußen die Korridortür zuschlagen. Dann klingelte er nach dem Kaffee, um während des Anziehens gleich zu frühstücken. Dazwischen las er den Brief des Agenten noch einmal und überlegte sich, ob er in das Hotel in der Belle-Alliance-Straße fahren oder den Brief gleich zu dem Kommissar bringen sollte. Als er sich angezogen hatte und die Treppe hinunterging, hatte er noch immer keinen Entschluß gefaßt. Aber am Zoo stieg er plötzlich aus der Stadtbahn und fuhr mit der Untergrund zum Belle-Alliance-Platz. Als er vor dem Haus stand, merkte er, daß das Hotel ein ziemlich finsteres und billiges Quartier sein mußte. Es nahm den dritten und vierten Stock des großen Geschäftshauses ein. Der Fahrstuhl war nicht in Betrieb. Zwei junge Männer und eine Dame kamen ihm entgegen. In dem Treppenhaus herrschte ein muffiger Geruch. So muß es sein! dachte er. Wenn man mit Mord und geraubten Schecks zu tun hat, dann wird man in eine solche Atmosphäre wie diese hineingestoßen. Er stieg langsam die beiden Treppen in die Höhe.

Von oben kam eine schimpfende Männerstimme, ein schnarrendes, unangenehmes Organ. Die Tür zu der Hoteletage stand offen. Der Hausflur wurde durch eine Gaslampe mäßig erleuchtet. In der Ecke war durch einen primitiven Verschlag eine Art Portierloge eingerichtet. Unter dem großen Telefonapparat saß ein Mann, der offenbar der Wirt war. Eine fette schwarzlockige Frau stand in einer halbgeöffneten Tür im Hintergrund und hörte zu. Vor dem Wirt ging der schimpfende Herr mit kurzen Schritten auf und ab. Er trug einen eleganten Sportmantel, war groß und hager und hatte ein knochiges, brutales Gesicht. Aus dem eingekniffenen Mund hing eine lange Zigarre, die trotz seiner Aufregung ihre Haltung nicht veränderte.

»Stehen Sie wenigstens auf, wenn ich mit Ihnen spreche«, schnauzte der Herr gerade. Der Wirt aber blieb mit behäbigem Lächeln sitzen. Klaus stand im Hausflur und sah sich die Szene an. Der Herr polterte weiter. »Sagen Sie diesem Halunken, daß es eine Unverschämtheit ist, mich herzubestellen und dann nicht da zu sein. Als ob es mir Spaß machte, in Ihre dreckige Spelunke zu kommen!« Auch jetzt lachte der dicke Wirt ihn freundlich an. Der Herr schnauzte fort: »Wo ist der Spitzbube denn? Sagen Sie, er solle sich zu mir scheren, sofort, heute noch. Zu Rittmeister von Tweel! Und daß er nicht etwa wieder die Frechheit hat, mich morgen in Karlshorst auf dem Rennplatz anzuquatschen!« Er drehte sich brüsk um und ging hinaus, mit Klaus Rambin fast zusammenstoßend. »Haben Sie auch mit diesem Schurken zu tun, diesem Eduard Frisch?« fragte er im Vorbeigehen, wartete aber keine Antwort ab, sondern eilte die Treppe hinunter.

Die Frau aus dem Hintergrund legte los und fing an, auf Menschen zu schimpfen, die gebildet sein wollen. »Aber auf dem seinen Gaul setze ich morgen nicht. Da kannste Gift nehmen.«

Klaus mußte sich zusammenreißen, um nicht erschrocken zurückzufahren. Herr von Tweel! dachte er und sah das lange knochige Gesicht vor sich. Das also war Ursulas Mann, mit dem sie in Scheidung lag. Mit diesem Menschen konnte sie allerdings nicht zusammenleben. Aber was suchte der Rittmeister hier bei diesem Agenten? Auch das mußte irgendwie mit Stefan Rambin zusammenhängen.

Er trat näher und lüftete den Hut. »Herr Eduard Frisch ist nicht da?« fragte er. »Wann kommt er denn wieder?«

»Ich werde Ihnen was sagen«, sagte der Mann vertraulich, »es ist jemand von der Polizei dagewesen, und Herr Frisch ist mit ihm mitgegangen. Da weiß man nie, wann man wiederkommt. Manchmal dauert es ein paar Monate, manchmal ein paar Jahre.«

»So, von der Polizei«, sagte Klaus. »Wohnt Herr Frisch hier immer bei Ihnen?«

»Er wohnt manchmal hier, manchmal dort. Gewöhnlich wohnt er in Schlochau, aber er kommt viel umher. Haben Sie Geschäfte mit Herrn Frisch?«

Klaus nickte. »Ich habe manchmal mit ihm zu tun«, sagte er, »Gütersachen.« Er grüßte kurz und ging fort.

»Na, dann beeilen Sie sich nur«, rief die Frau hinter ihm her.

Klaus ging langsam die Treppe hinunter. Was war das alles? Da hatte die Polizei den Agenten Frisch gefaßt, der gar kein Geheimnis aus seiner Existenz machte. Aber wie kam der Rittmeister von Tweel hierher? Das war die Frage, die ihn nicht losließ. Das Rittergut Bräsikow, Ellen Bandler, Ursula von Tweel, der Rittmeister, Eduard Frisch, das Verschwinden Stefan Rambins – hing denn das alles zusammen? Er blieb unten auf der Straße stehen und schaute in das Gewühl. Einen Augenblick kam ihm der Gedanke, einfach zu Ursula von Tweel zu fahren. Er sah sie vor sich, wie sie gestern auf dem Stettiner Bahnhof mit sich kämpfte, um ihn anzusprechen, und wie sie dann doch nichts zu sagen wagte. Er ging langsam weiter. Plötzlich bemerkte er eine elektrische Bahn, die zum Alexanderplatz fuhr. Kurz entschlossen sprang er an der Ecke auf und ließ sich mitnehmen. Alle Plätze waren besetzt, im Innern und auf der Plattform drängten sich die Stehenden. Noch immer kann ich abspringen, überlegte er sich, etwa an der Leipziger Straße. Aber dann blieb er doch stehen und fuhr weiter. Von Zeit zu Zeit griff er nach dem Brief in seiner Tasche. Noch immer kämpfte er mit sich, als er schon die Treppe im Polizeipräsidium hinaufstieg. Die Gänge waren um diese Zeit voller Menschen, Beamte eilten mit Aktenmappen vorbei. Endlich hatte er den dritten Stock erreicht. Auch auf diesem Gang drängten sich die Gruppen. Er fand die Tür des Kommissars, klopfte kurz und trat ein.

Genau wie gestern saß Herr Weigelt an seinem Schreibtisch, Akten und Bücher vor sich. Heute aber war schon jemand bei ihm. Mitten in dem Zimmer stand dick und stämmig mit aufgetriebenem rotem Gesicht und kurzgeschorenem Haar ein Mann, der etwa Viehhändler oder etwas Ähnliches sein mochte. Als Klaus eintrat, drehte der Mann sich um und richtete aus kleinen Augen blinzelnde Blicke auf ihn. Das also war Herr Eduard Frisch!

Der Kommissar nickte Klaus zu. »Ich habe Sie seit einer Stunde erwartet.«

Klaus zog den Brief aus der Tasche. »Meine ›feindliche‹ Kusine hat ihn mir morgens in meine Wohnung gebracht«, sagte er lächelnd und reichte dem Kommissar das Schreiben.

Weigelt nahm es an sich. »Ich möchte nur feststellen, daß Sie mir diesen Brief vor mindestens einer Stunde hätten bringen können. Sie haben es aber vorgezogen, zuerst auf eigene Faust Herrn Eduard Frisch zu besuchen.«

»Ja und?« fragte Klaus scharf. »Haben Sie etwas dagegen, daß ich mir diesen Herrn Eduard Frisch zuerst einmal ansehen wollte?«

»Sie können sich ihn hier genügend ansehen. Da steht er!«

»Das weiß ich!«

Der Kommissar lächelte und fuhr fort, den Agenten auszufragen. »Also Sie können mir nicht sagen, wie Sie zu Herrn Rambin gekommen sind?«

»Wie soll ich zu einem Kunden kommen, Herr Kommissar? Kunden hören von mir, rufen mich an, oder ich werde ihnen empfohlen, was weiß ich! Ich hatte gehört, daß Herr Rambin gern kauft, und so schrieb ich an ihn.«

»Hatten Sie ein besonderes Objekt, das Sie Herrn Rambin anzubieten dachten?«

Der Agent nickte. »Eine großartige Sache, etwas ganz Wundervolles und wie geeignet für Herrn Rambin.«

»Woher wußten Sie das?« fragte der Kommissar.

»Nun, man hört sich so herum. Da erzählt der eine dies, der andere das, und dann weiß man.«

»Wo liegt das Gut!«

»Gut? Was für ein Gut?«

»Das Sie Herrn Rambin angeboten haben.«

Eduard Frisch lachte auf. »Ich habe Herrn Rambin doch kein Gut angeboten!«

»Ich glaube, es handelt sich um ein Waldgut.«

»Keine Spur! Herr Rambin wollte doch kein Waldgut kaufen, sondern eine Besitzung in schöner romantischer Lage, ein kleines wunderbares Schloß, und gerade so etwas hatte ich für ihn. Eine herrliche Besitzung am Scharmützelsee. Drei Morgen Garten, was sage ich, Park mit Bootshaus und Badesteg. Ein Liebesnest!« Der Agent griff in die Tasche und holte Fotografien heraus. »Hier sehen Sie selbst, Herr Kommissar. Ist das nicht etwas Wundervolles! Hier das Schlafzimmer, mahagonigetäfelt, und ein breiter Balkon davor mit Aussicht auf den See und Südostlage. Und hier das Eßzimmer, ganz in Eiche.«

Auch Klaus trat hinzu und betrachtete die Bilder, von denen Eduard Frisch eins nach dem andern auf den Tisch legte. Eduard Frisch hatte recht. Das war kein Gut, das war ein »Liebesnest«, das Stefan Rambin nach seiner Angabe hatte kaufen wollen.

»Hat Herr Rambin diese Besitzung schon gesehen?« fragte der Kommissar.

»Natürlich hat er sie gesehen. Er war ja mit der Dame dagewesen.«

»Mit welcher Dame?«

»Mit einer sehr schönen Dame. Wie sie zu Herrn Rambin paßt.«

»Und wer war das?«

Der Agent lächelte schlau. »Das weiß ich doch nicht. Aber für die Dame wollte Herr Rambin die Besitzung haben.«

»Sie hatten sich also mit Herrn Rambin am Schlesischen Bahnhof verabredet, um mit ihm zum Scharmützelsee hinauszufahren. Wie war denn das nun? Erzählen Sie!«

Eduard Frisch besann sich angestrengt. »Herr Rambin kam nicht«, sagte er. »Ich wartete einen Zug, ich wartete den nächsten Zug ab, und dann gab ich es schließlich auf. Ich dachte, wenn du nicht willst, dann nicht.«

»Und was machten Sie dann? Hören Sie einmal gut zu, Herr Frisch. Herr Rambin ist offenbar ermordet worden. Sie müssen über jede Minute des Tages Rechenschaft ablegen, denn gegen Sie richtet sich der Verdacht in erster Linie. Sie haben sich mit Herrn Rambin verabredet, um mit ihm in eine entlegene Gegend zu fahren. Sie wußten, daß Herr Rambin wahrscheinlich auch Geld mit sich haben würde, viel Geld.«

»Ja, er wollte einen beglaubigten Scheck über sechzigtausend Mark mitbringen.«

»Ich will Ihnen gleich sagen, daß dieser Scheck eingelöst worden ist. Wer kann das Geld abgeholt haben?«

»Das weiß ich doch nicht«, fuhr der Agent auf. »Ich habe weder den Scheck noch Herrn Rambin gesehen.«

»Also, was taten Sie dann, als Herr Rambin nicht kam?«

Eduard Frisch dachte nach. »Ich bin zu meinem Geschäftsfreund Klein in die Rosengasse gegangen, unmittelbar vom Bahnhof aus. Bei ihm habe ich zu Mittag gegessen und am Nachmittag ...«

»Es lag aber doch nahe, daß Sie Herrn Rambin telefonisch anfragten, weshalb er nicht gekommen war.«

»Das habe ich doch auch getan. Ich rief in Michaelsbrück an und fragte.«

»Aber, erst einen Tag später«, sagte der Kommissar. »Herr Rambin ist am Dienstag früh von Haus abgefahren, Sie aber riefen erst am Mittwoch an.«

Der Agent sah nachdenklich zu Boden. »Am Dienstag?« fragte er erstaunt. »Das alles, was ich erzählt habe, war am Mittwoch. Am Mittwoch kam Herr Rambin nicht, und am Mittwoch habe ich auch angerufen.«

Der Kommissar nahm den Scheck aus den Akten. »Der Scheck ist am Montag beglaubigt worden«, sagte er. »Am Dienstag, als er abfuhr, hat Herr Rambin also den Scheck bei sich gehabt. Wo sind Sie am Dienstag gewesen, Herr Frisch?«

»Was geht mich der Dienstag an?« brauste der Agent auf. »Ich habe mich am Mittwoch verabredet, und vom Dienstag weiß ich überhaupt nichts. Vom Mittwoch kann ich über jede Minute Rechenschaft ablegen. Der Dienstag ist mir gleichgültig.«

Der Kommissar und Klaus warfen einander einen Blick zu. »Sie werden aber über den Dienstag Rechenschaft ablegen müssen«, sagte Weigelt. »Was haben Sie am Dienstag gemacht?«

»Am Dienstag bin ich in Züllichau gewesen«, fing der Agent langsam an. »Dort wollte ich einen Geschäftsfreund aufsuchen. Aber er war nicht zu Hause, und so setzte ich mich in ein Gasthaus und habe mich dann betrunken. Ich weiß nicht mehr, wie alles gewesen ist. Später sollen auch Weiber dazugekommen sein. Der Abend hat mich über zweihundert Mark gekostet. Morgens früh wachte ich im Hotel auf und fuhr nach Berlin zurück, um Herrn Rambin zu treffen.«

Der Kommissar nickte. »Das Lokal, in dem Sie in Züllichau gewirkt haben, wird ja herauszufinden sein.« Er sah Eduard Frisch noch einmal scharf an: »Sind Sie jemals bei Herrn Rambin in Michaelsbrück gewesen?«

»Nein, Herr Rambin kam einmal zu mir ins Hotel, und ein anderes Mal trafen wir uns in einem Café.«

Der Kommissar nickte mit dem Kopf. »Dann können Sie gehen, Herr Frisch.«

Der Agent stand auf, machte eine Verbeugung, die zu seinem robusten Äußeren in einem komischen Widerspruch stand, und verließ das Zimmer. Klaus und der Kommissar blieben allein zurück.

»Was sagen Sie nun, Herr Rambin?« sagte Weigelt. »Das sind interessante Neuigkeiten, nicht wahr? Ihr Herr Onkel hat mit einer Dame eine Besitzung am Scharmützelsee besichtigt. Wer war diese Dame?«

Klaus sah nachdenklich vor sich hin. Sollte er dem Kommissar sagen, daß Stefan Rambin Ellen Bandler zum Scharmützelsee mitgenommen hatte? Aber für Ellen war diese Besitzung nicht bestimmt gewesen. Für wen anders konnte sie bestimmt sein als für Ursula von Tweel! Während des ganzen Verhörs hatte er daran denken müssen. Ursula von Tweel und Stefan Rambin hatten sich am Scharmützelsee ein »Liebesnest« einrichten wollen. Es war alles so einfach. Eduard Frisch war der Agent des Herrn von Tweel. Durch Frau von Tweel war Stefan Rambin zu diesem Mann gekommen. Sollte er dem Kommissar diese Zusammenhänge angeben? Aber dann wurde Ursula von Tweel in den Fall hineingezogen. Das durfte nicht sein. »Ja, wer war diese Dame?« wiederholte er laut. »Mein Onkel hat allerhand Damenbekanntschaften gehabt. Aber weshalb ließen Sie Eduard Frisch laufen?«

»Dieser Agent ist harmlos, er hat mit der ganzen Geschichte nichts zu tun. Er erwartete Stefan Rambin brav am Mittwoch mit seinem Scheck. Aber da hatte sich jemand anders dazwischengedrängt, vielleicht ein Konkurrent von Eduard Frisch. Der wird zu Herrn Rambin gesagt haben: ›Bleiben Sie mit Ihrem Liebesnest lieber auf einer Strecke, die auch vom Stettiner Bahnhof abgeht. Es ist bequemer für Sie. Und kaufen Sie nicht nur eine Villa, sondern ein richtiges Gut, etwa Lengenfeld. Für sechzigtausend Mark Anzahlung bekommen Sie auch ein Gut.‹ Herr Rambin wollte also am Dienstag zuerst Lengenfeld besehen und vielleicht sofort kaufen. Deshalb nahm er auch dorthin den beglaubigten Scheck mit. Dieser Scheck war nun allerdings bereits auf den Empfänger Eduard Frisch ausgeschrieben. Aber das machte ja nichts. So wurde Herr Rambin mit seinem Scheck nach Lengenfeld bestellt.«

»Sie glauben also, daß der Täter wirklich, wie wir zuerst annahmen, meinen Onkel unter der Maske eines Güteragenten an eine einsame Stelle gelockt hat?«

»Genau so. Nur war Eduard Frisch nicht dieser fingierte Agent, sondern jemand anders.«

»Aber mein Onkel stieg doch allein bei der Station Lindenberg aus?«

»Sehr richtig. Dieser falsche Agent hütete sich, sich mit seinem Opfer blicken zu lassen. Er hatte vorgeschützt, in dieser Gegend noch sonst etwas zu tun zu haben. Wahrscheinlich hat er versprochen, ihren Onkel von der Station Lindenberg abzuholen. ›Sollte ich nicht da sein‹, wird er ihm gesagt haben, ›so komme ich Ihnen auf diesem Waldweg entgegen.‹ Verstehen Sie? Bei dieser Unterredung wurde auch der Waldweg auf dem Meßtischblatt angestrichen. Die Sache lief dann programmäßig ab. Herr Rambin stieg in Lindenberg aus, ging die Chaussee entlang und bog in den Waldweg ein. Wie es weiter gekommen ist, kann ich Ihnen erst sagen, wenn ich die Gegend besichtigt habe. An jenem Waldweg liegt jedenfalls Stefan Rambins Leiche.«

Herr Weigelt sah hinter halbgeschlossenen Lidern zu Klaus hinüber. »Oder haben Sie an meiner Theorie etwas auszusetzen?« fragte er.

»Es ist alles sehr einleuchtend. Und die Dame?«

»Die Dame ist wahrscheinlich sogar unerheblich. Dabei will ich noch nicht sagen, daß der Mörder der eigentlich Schuldige ist. Sechzigtausend Mark sind eine schöne Beute, die allein schon einen unternehmungslustigen Menschen anlocken kann. Es ist aber auch möglich, daß die Geschichte ganz andere Hintergründe hat und daß dieses Geld nur die Belohnung für einen gedungenen Mörder ausmachte.«

Klaus sah den Kommissar überrascht an.

Der fuhr fort: »Wir haben in unserer Praxis merkwürdige Fälle. Aber über die Möglichkeit, die ich hier angedeutet habe, fehlt mir noch jede Theorie, und überhaupt möchte ich mich nicht voreilig festlegen. Wie denken Sie zum Beispiel darüber, daß Stefan Rambin sich selbst das Leben genommen hat?«

»Daran habe ich auch schon gedacht«, sagte Klaus. »Es kann aber auch ganz anders sein, nämlich daß Stefan Rambin geflohen ist. Vielleicht hat er das Geld durch eine Mittelsperson abheben lassen und ist längst auf dem Wege nach Amerika.«

Der Kommissar lächelte. »Es ist mir sehr interessant, daß Sie das sagen. Sonst noch etwas, Herr Rambin?«

Sie reichten sich die Hände, und Klaus ging fort. Wieder hatte er das deutliche Gefühl, daß der Kommissar ihm nicht vollständig traute.


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