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7

Es war zwanzig Uhr, und eigentlich erwartete er nicht, Elm noch auf der Bank anzutreffen. Zu seinem Erstaunen bekam er die Verbindung, und Elm selbst war am Apparat. »Nanu?« fragte er, »Sie sind noch da?«

»Ach, ich habe eine Menge zu tun«, sagte Elm auf der andern Seite. »Der Quartalserste ist in drei Tagen. Ist sonst etwas Neues mit Rambin?«

»Allerhand! Wir waren in Lengenfeld und haben den Inspektor Arndt kennengelernt. Ich habe auch seine Handschrift mitgebracht, damit wir sie mit der Unterschrift auf dem Scheck vergleichen können.«

»Der Scheck ist bereits auf der Kriminalpolizei«, sagte Elm. »Ich selbst wollte in einer halben Stunde hingehen. Kommen Sie mich abholen, Rambin, dann gehen wir beide zusammen. Sie müssen zu dem Seitenportal herein und dann an der Tür klopfen, auf der das Schild ›Eingang verboten!‹ steht. Aber ordentlich klopfen. Ich mache Ihnen dann auf.«

»Wie kommt denn der Scheck schon auf die Kriminalpolizei?«

»Der Fall ist schon von Michaelsbrück aus gemeldet, und es war bereits ein Beamter hier. Kommissar Weigelt, kennen Sie den? Es soll einer der tüchtigsten Leute sein. Na, wir werden sehen. Kommen Sie nur schnell her.«

Klaus bestieg vor dem Bahnhof den Autobus und stand wenige Minuten später an der Tür, durch die der »Eintritt verboten« war. Die Tür war mit Stahlblech beschlagen. Er pochte mit der Faust dagegen. Sie öffnete sich lautlos und er sah Elm im Halbdunkel vor sich stehen. »Kommen Sie«, sagte der Abteilungsvorsteher und zog ihn an der Hand fort. »Hier stehen Kisten und allerhand Fallstricke und Gruben für Gerechte und Ungerechte.«

Der Raum sah phantastisch aus. Die Pulte und Schränke hoben sich wie Tiere in der Dunkelheit oder wie das Modell eines Gebirges. Nur zwei oder drei Lampen brannten unter grünen Schirmen. Jedes Geräusch hallte an der Deck wider. Die dunkle Halle vorn lag wie der verdunkelte Zuschauerraum eines Theaters. »Einen Augenblick noch«, sagte Elm und arbeitete an dem großen Buch weiter, das aufgeschlagen auf seinem Pult lag. Klaus zündete sich eine Zigarette an und wartete. Elms hohe Stirn war von dem Licht beschienen, die beiden Augen lagen im Schatten, und das Gesicht bekam dadurch einen unheimlichen Ausdruck. Die weiße schreibende Hand schien wie ein Tier ihr besonderes Leben zu führen. Eine nervöse Hand, dachte Klaus. Sonst war an Elm alles breit und ruhig. Man kannte sein rosiges Gesicht kaum anders als höflich lächelnd. Aber diese Hand war auf einmal wie ein Stück seines Innern, von dem die Hülle abgerissen war. Sie flog, zitternd wie ein Vogel mit ängstlichen Ruckbewegungen über das Papier. Die Beleuchtung ist unheimlich, dachte Klaus und sah ihm zu. Es dauerte nur wenige Minuten, bis Elm Bücher und Papiere wegpackte, den Schreibtisch zuschloß und aufstand. Klaus reichte ihm eine Zigarette. Sie saßen beide auf der Schreibtischplatte. »Der Raum ist gut eingerichtet«, sagte Klaus.

»Unsre Bank ist ja auch jung«, antwortete Elm. »Stefan Rambin ist unter den Gründern und im Aufsichtsrat. Er hat für einen anständigen Baumeister gesorgt.«

»Ja, Stefan Rambin!« sagte Klaus gedankenvoll. »Sie wissen, Elm, daß ich mit meinem Onkel nicht besonders gut stehe. Aber auf Dekoration und Komfort versteht er sich. Haben Sie übrigens herausbekommen, welcher von Ihren Beamten diesen Scheck in Empfang genommen hat?«

Elm schüttelte den Kopf. »Es kann sich keiner darauf besinnen. Über unsre Bank läuft der ganze östliche Holzhandel, auch die Zahlungen der Siedlungsgesellschaften gehen zum Teil über uns. Schecks von dieser Höhe regen uns nicht weiter auf, und gerade in diesen Tagen hat mancher Beamte zwanzig Kunden in der Stunde abzufertigen. Aber kommen Sie, Kommissar Weigelt erwartet mich. Er wird froh sein, daß auch Sie da sind.« Elm prüfte sämtliche Schlösser, steckte die Schlüssel in die Tasche, und sie gingen hinaus. Draußen in dem Gang stand der Wächter. Elm sprach einige Worte mit ihm. Der Mann schloß die mit Stahlblech beschlagene Tür hinter ihnen zu. Sie traten auf die Straße. Elm blieb stehen und machte einige Atemzüge. »Den ganzen Tag habe ich heute da drin gesessen«, sagte er. »Wir nehmen uns eine Taxe.«

Sie fuhren durch das Gewühl und kamen nur langsam vorwärts. »Sagen Sie mal, Elm, was halten Sie eigentlich von dem Fall?« fragte Klaus. »Glauben Sie, daß Stefan Rambin wirklich ermordet worden ist?«

»Das scheint mir außer Zweifel zu stehen.«

»Aber in Lengenfeld oder in der Gegend dort? Denken Sie daran, daß dieser Eduard Frisch ihn doch offenbar nach dem Schlesischen Bahnhof bestellt hatte.«

»Darüber soll sich Weigelt den Kopf zerbrechen. Aber fast hätte ich vergessen, Ihnen etwas auszurichten. Fräulein Bandler hat angerufen.«

»Ellen Bandler?«

»Sie will Sie heute abend noch auf jeden Fall sprechen. Sie möchten nachher in Ihr altes Stammcafé gehen und sie von dort anrufen.«

»Meinetwegen. Haben Sie ihr alles erzählt»?

»Ja. Sie war ziemlich erregt über die Geschichte.«

Ellen Bandler und Elm kannten sich. Da Klaus in seiner Wohnung kein Telefon hatte, benutzte Ellen manchmal den Umweg über Elm, um Klaus zu erreichen. Die beiden trafen sich fast regelmäßig auf dem Sportplatz.

Sie kamen auf dem Alexanderplatz an und betraten durch einen Seiteneingang das Polizeigebäude. »Zu Kommissar Weigelt?« fragte Elm den Wächter. Der beschrieb ihnen den Weg. Weigelts Zimmer lag im dritten Stock. Auch dieses riesige Haus schien zu schlafen. Nur in einem Korridor stand eine Gruppe flüsternder Menschen. Einmal begegneten sie einem Gefesselten, der von zwei Polizisten die Treppe hinuntergeführt wurde. Oben mußten sie durch einen endlosen kahlen Gang. Endlich fanden sie die Tür mit dem Schild ›Kommissar Weigelt‹. Sie klopften und traten ein.

An dem Schreibtisch saß ein noch junger Mensch. Sein Gesicht leuchtete im Schein der Lampe bleich und narbig unter dem braunen krausen Haar. Ein herunterhängender Schnurrbart gab ihm einen ungarischen Zug. Der Kommissar hatte einige Bücher vor sich liegen. »Bitte?« fragte er und hob den Kopf. Elm machte bekannt. Über Weigelts Gesicht ging ein Lächeln, als er Klaus Rambins Namen hörte. »Da sind Sie ja!« rief er fast fröhlich aus. »Nach Ihnen habe ich mich geradezu gebangt. Aber bitte, nehmen Sie Platz, meine Herren!«

Klaus erzählte von dem Besuch in Lengenfeld. Weigelt machte sich Notizen. »Wie hieß das Dorf, zu dem dieser Inspektor Arndt hingeritten war? Waldberg?« Er sah auf der Karte nach und nickte.

»Nun zeigen Sie einmal die Handschrift her. Dies ist also die Unterschrift des wirklichen Inspektors Arndt. Sie ist nicht einmal nachgeahmt worden.«

Er zeigte Klaus den Scheck. Der hielt ihn in der Hand und betrachtete ihn aufmerksam von allen Seiten. Stefan Rambin hatte diesen Scheck geschrieben, daran konnte kein Zweifel sein. Er war ausgestellt auf den Agenten Eduard Frisch in Berlin SW 61. Auf der Rückseite fand sich auch der Girovermerk Eduard Frischs und darunter mit ungeschickten linkischen Buchstaben die Unterschrift des Abholers, des falschen Inspektors Arndt.

»Wichtig ist natürlich nur die Handschrift von Eduard Frisch«, sagte Weigelt. »Übrigens habe ich mir die Frage vorgelegt, ob diese beiden Handschriften nicht eine und dieselbe sind. Der Unbekannte hat Herrn Rambin im Walde ermordet und den Scheck an sich genommen. Die Annahme liegt nahe, daß dieser Täter die beiden Unterschriften ausgeführt hat. Sie haben auf den ersten Blick keinerlei Ähnlichkeit. Die beiden Namen haben ja auch nur wenig gleiche Buchstaben. Nun vergleichen Sie aber einmal das kleine ›r‹ und das ›u‹ Eduard und in Kurt. Gibt es da nicht gewisse Ähnlichkeiten?« Er sah fragend zu Klaus auf.

Klaus zuckte die Achseln. »Ich würde eigentlich keine Ähnlichkeit erkennen können. Aber es ist ja wahrscheinlich, daß die beiden Handschriften von ein und derselben Person herrühren.«

Der Kommissar schob ihm einen Bogen Papier hin. »Schreiben Sie doch selbst einmal Ihren Namen, Herr Rambin. Und dann, bitte, darunter mit Ihrer gewöhnlichen Handschrift die Namen ›Eduard Frisch‹ und ›Kurt Arndt‹. Aber bitte nicht mit Ihrer gewohnten Füllfeder, sondern hier mit der gewöhnlichen Stahlfeder.«

Klaus tauchte ein und schrieb. »Übrigens sieht meine Unterschrift mit dieser Feder anders aus als gewöhnlich«, sagte er. Der Kommissar antwortete nicht gleich, sondern betrachtete sich eingehend die einzelnen Buchstaben. »Gewisse Ähnlichkeiten gibt es überall, aber lassen wir das. Erzählen Sie mir lieber, wie es vor sich ging, wenn Ihr Onkel so ein Waldgut kaufte.« Dabei faltete er wie in Gedanken die Schriftproben zusammen und legte auch das von Klaus beschriebene Blatt in die Akten. Klaus sah ihn erstaunt an. »Weshalb legen Sie meine Handschrift dorthin?«

»So, tat ich das?« fragte Herr Weigelt. »Es geschah ganz unwillkürlich und natürlich ohne jede Absicht. Wenn es Sie ärgert, kann ich das Blatt auch herausnehmen.« Er legte es zu andern Papieren auf den Tisch. »Bediente sich Ihr Herr Onkel zu seinen Käufen nicht eines ständigen Agenten?«

»Da müssen Sie Herrn Elm fragen«, antwortete Klaus. »Ich weiß von den geschäftlichen Gepflogenheiten meines Onkels wenig. Aber mit Herrn Elm pflegte er sich zu beraten.«

»Herr Rambin bediente sich fast jedesmal eines anderen Agenten, je nach der Gegend, in der er kaufen wollte«, sagte Elm.

»Aber diesmal hat er Ihnen den Namen Eduard Frisch nicht genannt?«

»Nein, ich kann mich jedenfalls nicht darauf besinnen. Herr Rambin hat mich übrigens auch nicht jedesmal zu Rate gezogen, und überhaupt hat er seit mindestens einem Jahr nichts mehr gekauft. Das letztemal lief der Kauf über die Kommerz-Bank.«

Der Kommissar wandte sich plötzlich an Klaus. »Der Kriminalist fragt bei einem Fall zuerst: cui bono? Wer kann von der Tat einen Vorteil haben? Sie dürfen mir nicht verargen, Herr Rambin, wenn ich zunächst einmal dieser Spur in Gedanken nachgegangen bin. Wie ich hörte, sind Sie der einzige nahe Verwandte und somit präsumtiver Erbe des Verschwundenen, nicht wahr?«

Klaus nickte.

»Nun hat Ihr Herr Onkel aber eine Nichte seiner Frau, Fräulein Monika Bandler, an Kindes Statt angenommen. Fräulein Bandler ist noch nicht adoptiert worden. Ist sie wenigstens in einem Testament des Verschwundenen hinreichend bedacht?«

»Ein solches Testament«, sagte Klaus, »sollte immer gemacht werden. Es ist aber fraglich, ob das wirklich geschehen ist. Ich vermute, daß mein Onkel den Gedanken an den Tod als unangenehm weit von sich wies. Wenn er das fünfzigste Lebensjahr erreicht hatte, sollte Monika Bandler adoptiert werden. Darüber ist oft in der Familie gesprochen worden.«

»Es ist richtig. Wer einen Menschen adoptieren will, muß mindestens fünfzig Jahre alt sein. Der Verschwundene war erst neunundvierzig Jahre alt, in einem Vierteljahr hätte er das fünfzigste Lebensjahr erreicht. Bis dahin sind Sie, Herr Rambin, also neben Ihrer Tante der in Frage kommende Erbe. Ihr Herr Onkel ist sehr reich, wie ich gehört habe. Sie hatten also an seinem Verschwinden einiges Interesse.«

»Ich wundere mich, wie gut Sie in der kurzen Zeit bereits orientiert sind. In der Tat ist alles richtig, was Sie sagen. Wenn meinem Onkel wirklich etwas zugestoßen sein sollte, würde ich jetzt nächst meiner Tante sein Erbe sein, und Monika Bandler würde leer ausgehen, abgesehen von dem Vermögensteil, den ihr meine Tante vielleicht einmal vermachen würde.«

»Sie standen mit Ihrem Herrn Onkel nicht besonders gut?« fragte der Kommissar. Klaus gab nicht sogleich Antwort. Er dachte darüber nach, wer Herrn Weigelt so genau informiert haben konnte. »Wissen Sie das von Herrn Elm?« fragte er mit einiger Schärfe im Ton.

Elm mischte sich ein. »In der Tat habe ich das gesagt, denn ich habe es für richtig befunden, in diesem Falle alles zu sagen, was ich weiß, und ich möchte gleich hinzufügen, daß ich auch davon berichtet habe, daß Sie und Ihre Kusine Monika ziemlich schlecht miteinander stehen.«

Klaus lachte auf. »Dann haben Sie also den Verdacht mit leiser Hand auf mich zu lenken verstanden?«

»Um Gottes willen, nein!« rief Elm aus. »Ich wollte Herrn Weigelt nur ein genaues Bild der ganzen äußeren und inneren Umstände geben, denn der Täter kann ja von allen diesen Dingen gewußt und darauf seinen Plan aufgebaut haben.«

»Herr Rambin wird wohl kaum annehmen, daß sich ein Verdacht ernsthaft gegen ihn richten könnte«, sagte der Kommissar ruhig. »Außerdem wird Herr Rambin wohl in der Lage sein, jederzeit ein einwandfreies Alibi nachzuweisen.«

»Das mit dem Alibi«, sagte Klaus langsam, »ist übrigens so eine Sache. Ich bin am Dienstag und Mittwoch auf dem Sportplatz gewesen, aber gerade an den Vormittagen völlig allein. Wenn Sie den Nachweis eines Alibis von mir verlangten, würden Sie mich in der Tat zunächst ein wenig in Verlegenheit setzen.«

»Nun, es wird sich schon jemand finden, der Sie gesehen hat. Der Wächter Ihres Sportplatzes oder irgendwer. Viel interessanter ist die Frage nach Eduard Frisch. Ein Mann solchen Namens ist wenigstens seit einem Jahr in Berlin nicht gemeldet worden. Es gibt allerdings Gaststätten, die es mit der Meldung bevorzugter Gäste nicht so genau nehmen. Trotzdem möchte ich jede Wette eingehen, daß wir diesen Eduard Frisch in spätestens einer Woche haben werden. Da der Mann nicht gemeldet ist, wird er seine Post postlagernd und wahrscheinlich auf dem Amt SW 61 in Empfang nehmen. Ich habe Vorkehrungen getroffen, daß dieses Postamt überwacht wird. Aber es gibt auch noch andere Wege.« Er hob einen Haufen Zeitungen in die Höhe. »Güteragenten müssen inserieren. Ich habe die in Frage kommenden Inserate der letzten Monate durch einen Sachverständigen durchsehen lassen. Inserate sprechen manchmal eine beredte Sprache. Vielleicht finden wir auf diesem Wege sogar das Gut, das der Verschwundene kaufen wollte.«

»Das leuchtet mir ein«, sagte Klaus, »denn ein Grundstücksagent kann schließlich ohne Namen und Adresse nicht arbeiten. Aber vielleicht handelt es sich um gar keinen Grundstücksagenten.«

»Das werden wir sehen«, sagte Herr Weigelt und schlug den Aktendeckel zu. »Was wir bis jetzt tun konnten, haben wir getan. Sie werden von mir hören. Falls Ihnen irgend etwas einfallen oder auffallen sollte, bitte ich Sie, mich zu benachrichtigen.«

Er stand auf und reichte ihnen die Hand. Sie gingen hinaus.


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