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21

In dem Polizeipräsidium herrschte rege Bewegung. In dem Gang, in dem Weigelts Zimmer lag, standen Wachmannschaften herum. Ein Beamter hielt Klaus an und fragte nach seinem Ziel. Weigelt hatte ein anderes Zimmer bezogen, das neben seinem bisherigen Büro lag. Klaus wurde hineingelassen.

Dieses Zimmer war größer und erinnerte fast an einen Gerichtssaal. Weigelt war nicht allein. Am Fenster saß ein Protokollführer an der Schreibmaschine, und dem Kommissar gegenüber hatte sich ein Herr mit schwarzem Vollbart und Brille niedergelassen. Er war in einige dicke Bücher vertieft, die aufgeschlagen vor ihm lagen. Neben diesem Herrn stand Elm.

»Ich bin umgezogen, wie Sie sehen«, rief Weigelt dem Eintretenden entgegen. »Das andre Zimmer war zu klein, und wir werden heute viel Besuch haben.«

Klaus schaute fragend zu dem Herrn mit dem Vollbart hinüber. »Darf ich die Herren miteinander bekannt machen? Das ist unser Buchprüfer, Herr Owelgaß.« Sie verbeugten sich. Klaus begrüßte Elm.

»Nehmen Sie, bitte, Platz, Herr Rambin.« Der Kommissar drehte seinen Schreibtischstuhl halb zu ihm hin. Man merkte, daß er sich auf eine lange Unterhaltung einrichtete. Der Protokollführer am Fenster hielt den Bleistift bereit. Plötzlich überkam Klaus ein unheimliches Gefühl. Hier war etwas geschehen. Aber Weigelt behielt den Ton der unverbindlichen Unterhaltung bei. »Ihnen ist von der pekuniären Lage Ihres Onkels nichts bekannt gewesen, Herr Rambin?« fragte er. »Es haben sich da leider merkwürdige Dinge herausgestellt. Alle Welt hielt den Toten für reich. Sie auch, nicht wahr?«

»Elm hat mir bereits beim Begräbnis erzählt, das Sägewerk stehe vor dem Zusammenbruch.«

»Aber bis dahin haben Sie Ihren Onkel für reich gehalten?«

Klaus nickte.

»Wir müssen zunächst einmal einen Überblick über die Vermögensverhältnisse des Ermordeten bekommen. Herr Elm war selbst einigermaßen überrascht, als jetzt am Quartalsersten den zahlreichen Forderungen kaum Aktiven gegenüberstanden und das Konto ungewöhnlich stark überzogen war.«

»Sind die Gehälter und Löhne noch gezahlt?«

Elm mischte sich ein. »Die Ultimozahlungen wurden durch die Bank erledigt. Das habe ich noch bewirkt. Sie wissen. Rambin, daß ich in diesen Tagen viel zu tun hatte. Als Sie mich neulich abends aufsuchten, dämmerte mir zum erstenmal etwas von der wirklichen Lage Stefan Rambins. Sie werden mir vielleicht damals sogar eine gewisse Aufgeregtheit angemerkt haben.«

»Kann man das Werk halten?« fragte Klaus.

Elm und der Kommissar warfen sich einen Blick zu. Der Buchsachverständige achtete nicht auf das Gespräch, sondern stellte ruhig Zahlenreihen zusammen. »Das wird sich herausstellen«, sagte Weigelt. »Jedenfalls wird es großer Mühe bedürfen.«

Klaus faßte einen Entschluß. »Wenn Sie gestatten, möchte ich mich an der Prüfung der Bücher beteiligen. Ich bin Kaufmann und juristischer Syndikus einer Exportfirma, wie Sie vielleicht wissen. Das Sägewerk muß gehalten werden, wenn es irgend möglich ist. Ich selbst würde mich zur Verfügung stellen und sogar meine bisherige Stellung aufgeben.«

Niemand antwortete. Elm hüstelte verlegen. Das klang wie ein heimliches Zeichen durch die Stille. »Ich weiß nicht, ob Sie dazu in der Lage sein werden«, sagte Weigelt nach einer Weile ernst. »Es liegt durchaus im Bereich der Möglichkeit, daß Sie in der nächsten Zeit mit andern Dingen beschäftigt sein werden, Herr Rambin.«

Klaus sah ihn erstaunt an. Der Kommissar erwiderte seinen Blick. »Wollen Sie mir zunächst, bitte, mitteilen, wohin Sie sich gestern begaben, nachdem Sie unser Auto verlassen hatten? Sie entsinnen sich: wir kamen von Lengensfeld und setzten Sie an der Invalidenstraße ab. Wir hatten verabredet, daß Sie nach Michaelsbrück hinausfahren würden. Taten Sie das?«

Klaus mußte sich zusammennehmen, um sein Erschrecken zu verbergen. Der Kommissar hatte ihn also schon gestern überwachen lassen. »Nein«, sagte er, »ich bin nicht sofort hinausgefahren. Ich habe meine Kusine Monika angerufen, und dann bin ich in einem Restaurant gewesen.«

»Und dann?«

»Dann habe ich einen Bekannten besucht.«

»Haben Sie nicht in dem Restaurant noch telefoniert?«

»Auch das. Ich habe mich bei dem Bekannten angemeldet.«

»Sie hatten aber zwei Gespräche.«

Er hat mich also wirklich beobachten lassen, stellte Klaus bei sich fest. »Ja, ich hatte zwei Gespräche, aber beidemal mit derselben Stelle. Ich bin dann zu meinem Bekannten hinausgefahren.«

»Ich will Ihnen Ihre Aussage erleichtern, Herr Rambin. Dieser Bekannte heißt Frau von Tweel und wohnt in Westend, nicht wahr?« Der Kommissar sah ihn mit ernstem Gesicht an. Sein herunterhängender Schnurrbart verdeckte vollkommen den Ausdruck seiner Züge.

»Ja«, sagte Klaus, »ich war bei Frau von Tweel.«

»Sie können sich wahrscheinlich denken, Herr Rambin, daß Ihre Beziehungen zu Frau von Tweel mich außerordentlich interessieren. Wir sprachen auf der Fahrt allerhand von dieser Dame. Wir hatten in dem Wald gehört, daß sie mit ihrem Mann, dem Herrenreiter, in Scheidung liegt. Wußten Sie etwas davon, daß der Ermordete in diesem Scheidungsprozeß als Zeuge benannt ist?«

»Ich hatte vor einigen Tagen davon gehört.«

»Das ist mir alles sehr interessant, Herr Rambin. Sie kannten diese Zusammenhänge schon, als ich die Spur der Reiterin dicht am Tatort feststellte, und trotzdem zogen Sie es vor, mir nichts von diesen Dingen mitzuteilen. Sie sind Kavalier. Sie haben die Schonung der Dame so weit getrieben, daß Sie sie schleunigst aufsuchten, um sie über die ihr drohende Gefahr aufzuklären. Denn das war doch wohl der Zweck Ihres Besuchs bei Frau von Tweel.«

»Ich kannte in der Tat diese Zusammenhänge und habe geschwiegen, um Frau von Tweel nicht in falschen Verdacht zu bringen.«

»Wieso in falschen Verdacht?«

»Weil Frau von Tweel an der Ermordung meines Onkels völlig unbeteiligt ist.«

»Wollen Sie das so bestimmt wissen?«

»Ich glaube, das bejahen zu dürfen.«

»Wie kam denn Ihr Onkel ausgerechnet in diesen Wald? Sie entsinnen sich, wir hatten bisher immer angenommen, daß Ihr Onkel durch einen Güteragenten unter dem Vorwande eines Gutskaufs dorthin gelockt worden ist. Aber Sie selbst, Herr Rambin, wissen seit längerer Zeit, daß diese Annahme falsch war. Ihr Onkel fuhr dorthin, weil er sich mit Frau von Tweel an jener Stelle verabredet hatte. War Ihnen diese Tatsache bekannt?«

»Frau von Tweel hat mir das selbst einige Tage nach der Tat mitgeteilt.«

»Was hat sie Ihnen denn mitgeteilt?«

»Daß sie meinen Onkel gebeten habe, eine Besitzung für sie zu kaufen. Stefan Rambin sollte sich verschiedene Besitzungen ansehen. Die eine am Scharmützelsee hat ja, wie Sie wissen, der Agent Eduard Frisch vermitteln wollen. Über diese Dinge wollte sich Frau von Tweel mit meinem Onkel unterhalten. Da sie bei ihrem Vater in Bräsikow zu Besuch war, hatte sie sich mit ihm im Walde verabredet. Wie wir ja jetzt wissen, war dieser Waldweg die kürzeste Verbindung zwischen der Station Lindenderg und Bräsikow. Er sollte von der Station her kommen, und sie wollte ihm entgegenreiten.«

»Und dann?«

»Die beiden hatten sich an der großen Linde verabredet. Dort, wo die Schneise von dem Jagen abbiegt. Sie haben ja auch die Pferdespuren dort bemerkt.«

»Es war also Vormittag und hellichter Tag. Was geschah nun an jener Stelle im Walde?«

»Frau von Tweel stieg ab und wartete, und als mein Onkel nicht kam, ritt sie wieder zurück.«

»Merkwürdig!« Der Kommissar vertiefte sich in die Karte, die vor ihm auf dem Tisch lag. »Stefan Rambin mußte doch durch diesen Jagen kommen. Weshalb ist ihm Frau von Tweel nicht noch ein wenig weiter entgegengeritten? Dann hätte sie die Leiche auf dem Wege finden müssen. Ja, sie mußte die Leiche sogar schon von der Ecke aus bemerken, an der sie hielt. Es sind knapp hundertfünfzig Meter von dort bis zu der Mordstelle. Haben Sie sich das alles nicht selber gesagt?«

»Ich habe mir das nicht so genau überlegt«, sagte Klaus zögernd.

»Haben Sie mit Frau von Tweel nicht vielleicht auch über die beiden Glockenblumen gesprochen, die auf der Brust des Toten lagen?«

Klaus brauste auf: »Wollen Sie mich etwa hier verhören?«

»In der Tat«, sagte der Kommissar ruhig. »Nichts anderes habe ich vor.«

Klaus biß die Lippen aufeinander. Die Situation war ihm deutlich. Die nächsten Stunden mußten die Entscheidung bringen.

Weigelt fuhr in seinen Fragen fort, als wenn nichts geschehen wäre. »Lassen wir also die Blumen aus dem Spiel. Wollte Frau von Tweel mit Ihrem Onkel sich wirklich nur über Grundstücksgeschäfte unterhalten? Frau von Tweel wußte doch, daß sie der ehelichen Untreue, begangen mit Stefan Rambin, bezichtigt war.«

»Das stimmt. Sie hatte von dem Rechtsanwalt ihres Mannes einen diesbezüglichen Brief erhalten und war aus allen Wolken gefallen. Sie konnte es sich auch heute noch nicht vorstellen, wie es zu dieser Anschuldigung kam. Natürlich wollte sie auch darüber mit meinem Onkel sprechen.«

»Und das alles wußten Sie bereits, als Sie gestern vormittag mit mir hinausfuhren, Herr Rambin, und hielten es trotzdem nicht für nötig, mir irgend etwas von diesen Dingen zu sagen? Sie werden zugeben, daß dieses Verhalten Sie in den dringenden Verdacht zum mindesten der Mitschuld bringen muß.«

Klaus zuckte die Achseln. »Ich sehe das vollkommen ein. Aber wie anders hätte ich handeln sollen? Die Verdachtsmomente gegen Frau von Tweel waren naheliegend. Wenn Sie, Herr Kommissar, von der Verbindung zwischen meinem Onkel und Frau von Tweel erfuhren, dann mußte sich Ihr Verdacht notwendig gegen Frau von Tweel richten. Das wollte ich vermeiden, denn ich wußte doch, daß Frau von Tweel nur infolge einer unheilvollen Verkettung von Umständen sich in der Nähe des Tatorts aufgehalten hatte, kurz nachdem der Mord passiert war. Ich habe mit mir gekämpft, ob ich Ihnen nicht einfach die Wahrheit sagen sollte, und wahrscheinlich hätte ich das heute ohnehin getan. Mir tat Frau von Tweel leid. Schon daß sie die Ehe mit Stefan Rambin gebrochen haben sollte, war eine gänzlich sinnlose Anschuldigung. Frau von Tweel hatte keine Ahnung, wie ihr Mann auf diesen Gedanken verfallen konnte. Ihre Beziehungen zu meinem Onkel waren durchaus konventioneller Art.«

»Ich weiß nicht, ob es konventionelle Sitte ist, sich mit einem Bekannten zu einer Unterredung mitten in einem tiefen Wald zu treffen.«

»Dieses Zusammentreffen mußte unter allen Umständen unbemerkt bleiben, um Herrn von Tweel nicht noch weiteren Grund zu sinnlosen Verdächtigungen zu geben.«

»Von diesem so sorgfältig verheimlichten Zusammentreffen haben aber noch andere Menschen gewußt, mindestens einer, Herr Rambin.«

»Wahrscheinlich Herr von Tweel. Er war ja über alle Schritte seiner Frau so ausgezeichnet informiert.«

»Auch über diesen Punkt unterhielten wir uns bereits gestern auf jener Autofahrt. Jetzt verstehe ich erst, weshalb Sie die Reiterin in Schutz nahmen und die Schuld an dem Mord auf ihren Mann oder Liebhaber abwälzen wollten. Aber ich setzte Ihnen bereits gestern auseinander, weshalb ich es für unmöglich halte, daß Ihr Onkel von Herrn von Tweel hinterrücks erschossen wurde. Die Art der Wunde spricht dagegen. Wir haben uns darüber geeinigt, daß Stefan Rambin nur von einem Menschen niedergeschossen sein kann, mit dem er in friedlichem Gespräch zusammenging. Sie werden mir zugeben, daß es von vornherein eine etwas lebhafte Diskussion ergeben hätte, wenn Stefan Rambin und Herr von Tweel sich an dieser Stelle im Wald begegnet wären. Hingegen läßt sich denken, daß Stefan Rambin etwa mit Frau voll Tweel oder vielleicht auch mit Ihnen dort in friedlicher Unterhaltung auf und nieder gegangen wäre.«

»Wieso mit mir?« fragte Klaus erregt. Ich war an jenem Tag auf dem Sportplatz in Eichkamp.«

»Sie selbst haben mir aber gesagt, daß Ihr Alibi für die in Betracht kommenden Tage schwer nachzuweisen wäre. Wissen Sie, daß Ihre Bemerkung mich schon damals aufhorchen ließ? Seit wann kennen Sie übrigens Frau von Tweel?«

In dem Augenblick tat sich die Tür auf. Ursula von Tweel und Graf Koska traten ein. Hinter ihnen ging ein Beamter in Zivil. Klaus wandte erschrocken seinen Kopf den Eintretenden entgegen. Eigentlich hatte er damit gerechnet, daß auch Ursula vernommen werden würde, aber ihr Erscheinen an dieser Stelle entsetzte ihn dennoch.

»Hier ist Frau von Tweel«, meldete der Beamte. »Dieser Herr, Graf Koska, war gerade in der Wohnung und legte Wert darauf, mitzukommen.«

Weigelt sah erstaunt auf die Eintretenden. »Sie sind Frau von Tweel, gnädige Frau?« fragte er, offensichtlich verblüfft.

Klaus staunte Ursula an, die in ruhiger Haltung dastand. Auch jetzt war ihrem Gesicht keine Erregung anzumerken, nur furchtbar bleich war sie. Der Graf stand groß und massig neben ihr und sah ärgerlich auf den Kommissar. »Ich dachte mir, meine Aussage würde Ihnen angenehm sein, Herr Kommissar. Ich bin über alle hier in Frage kommenden Vorgänge genau unterrichtet.«

Der Kommissar konnte den Blick nicht von Ursula abwenden. »Merkwürdig!« sagte er. »Haben Sie eine Legitimation bei sich, gnädige Frau?«

»Meinen Paß!« Ursula öffnete ihre Tasche und reichte ihm den Paß hinüber, den er sorgfältig prüfte. »Rufen Sie Herrn Eduard Frisch«, befahl er dem Beamten.

Der öffnete die Tür ins Nebenzimmer, und der Güteragent trat ein. »Das ist nicht die Dame vom Scharmützelsee!« rief er sofort. »Diese Dame kenne ich überhaupt nicht!«


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