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20

Das Sägewerk war bankrott! Klaus und Ellen kamen von dem Gedanken nicht los. Es war wie ein Feuer, das zwischen ihnen brannte. Niemand von den andern ahnte etwas.

Die Bandlers gingen durch die großen und kostbar ausgestatteten Räume und bewunderten die Bilder, Bücher, Teppiche. Der Marmor der Goethebüste schimmerte ernst aus der dämmerigen Ecke des Herrenzimmers. Das war das Haus des reichen Stefan Rambin. Das alles hatte er zusammengetragen. Die kleinen kostbaren Bronzen, die hinter dem Glas der Vitrine standen, die Mappen voller Radierungen und Stiche, die schimmernden Porzellanfiguren. Herr Schulz und der Werkführer hielten sich abseits am Fenster. Sie waren auf Monikas Wunsch dageblieben. Ihre Anwesenheit sollte familiäre Erörterungen verhindern. Monika war zu Agathe hinaufgegangen. In dem Eßzimmer klapperte das Stubenmädchen mit Geschirr. Immer wieder suchten Klaus und Ellen sich mit den Augen. Elms Worte rumorten in ihnen. Das Haus Stefan Rambins sollte am Zusammenbrechen sein? Klaus dachte an Monikas Worte. Sie hatte doch recht gehabt: Stefan Rambin war nicht von Erfolg zu Erfolg geschritten, das Schicksal hetzte hinter ihm her. Er hatte halten wollen, was zu halten war., und nun nach seinem Tod stürzte doch alles zusammen.

»Wir müssen uns im Garten treffen«, flüsterte Ellen ihm zu. »Ich gehe voran, und du folgst mir.« Er nickte.

Der Geheimrat winkte Klaus heran. Er stand vor dem Sofa, auf dem seine Frau saß. Klaus wußte, es würde ein Gespräch über das nicht vorhandene Testament geben. Aber worüber hätte Stefan Rambin verfügen sollen? Er hatte seine Lage sicher klar gesehen. Der Geheimrat redete auf Klaus ein. Soll ich es ihm sagen? dachte Klaus, aber dann würden endlose Erörterungen folgen. Er mußte Ellen sprechen. Ellen war schon hinausgegangen.

Endlich konnte er sich frei machen. Er ging ins Eßzimmer. Dort war die lange Tafel gedeckt. In früheren Jahren war der Tisch fast täglich so groß gewesen. Jetzt begriff Klaus, weshalb in diesem Sommer keine Gäste eingeladen worden waren. Nicht einmal mehr dazu hatte Stefan Rambin Geld gehabt. An der Seite des getäfelten Zimmers führte eine Tür in den Garten. Klaus ging hinaus, den schmalen Weg zu dem Tennisplatz hinunter. Hinter dem Tennisplatz lief der Buchengang zum See. Er suchte nach Ellens schwarzem Kleid. Auf der Bank hinter der Hecke sah er sie sitzen. Sie hatten über Ursula sprechen wollen, aber jetzt hatte Elms Mitteilung alles umgeworfen. »Was sagst da?« rief sie ihm entgegen. »Ob das wahr ist, was Elm gesagt hat?«

»Das wäre furchtbar! Elm muß doch seine Lage kennen. Onkel Stefan hat seit Jahren seine Geschäfte mit ihm besprochen. Vielleicht ist das Werk noch zu retten.«

»Ich habe Onkel Stefan immer mißtraut. Wir haben uns ja oft darüber unterhalten, daß er im Grunde kein Geschäftsmann war.«

»Ja, aber es ist furchtbar!« Plötzlich fiel ihm auf, daß der Holzplatz tot und schweigend dalag. Keine von den großen Sägen ratterte. Es war Mittagspause, aber dieses Schweigen war von einer furchtbaren Eindringlichkeit. So war es gestern abend gewesen, als er am See herumstrich. Wie eine Vision war es, daß nun alles erstorben war. Und jetzt schlief vielleicht wirklich alles hier ein. Michaelsbrück war nicht mehr, das Sägewerk und der See.

»Du hast mir Vorwürfe gemacht«, fing Ellen an. »Hat sich Ursula beklagt, daß ich sie verraten habe?«

»Nein, sie hat diesen Gedanken sogar zurückgewiesen. Sie sagte, du wärest ihre Freundin.«

»Ja, ich bin ihre Freundin gewesen. Ich habe sie wirklich gern gehabt. Aber in diesen Tagen ist es mir klar geworden, was für ein Mensch sie ist: kalt und berechnend. Oh, wie Stefan Rambin sie geliebt hat!« rief sie plötzlich lebhaft. »Er war ein ganz anderer Mensch geworden. Du hättest ihn in diesen Wochen sehen müssen. Die beiden haben sich ja durch mich kennengelernt. Alles, was an ihm früher Pose war, das wurde auf einmal echt und wahr.«

»Hast du es denn gewußt, wie es mit den beiden stand? Frau von Tweel sagte mir, du hättest es nur für eine konventionelle Bekanntschaft genommen.«

»Das mußte man sehen! Du hast die beiden doch auch einmal beobachtet, wie sie zusammen waren.«

»Ich habe sie in einer Weinstube sitzen sehen, aber ich hatte eher den Eindruck, als ob Ursula von Tweel gefangen wäre und sich aus diesem Gefängnis heraussehnte.«

»Das ist Ursula!« rief Ellen. »Ein Mann kam an den Tisch, und schon machte sie verängstigte Augen. Ursula im Gefängnis! Jetzt aber wird sie wirklich ins Gefängnis kommen.«

»Ins Gefängnis? Glaubst du ...«

Ellen sah ihm scharf in die Augen. »Ja, ich glaube, daß sie Stefan Rambin erschossen hat!«

Klaus fühlte selbst, wie er erblaßte. »Aber wie denn? Und der Scheck?«

»Sie muß einen Vertrauten gehabt haben. Sicher hat sie sogar noch das Geld zurückbekommen und den Scheck dazu benutzt, um den Verdacht auf diesen armen Inspektor Arndt zu lenken.«

»Das ist alles nicht möglich«, stammelte er und wußte doch, daß es möglich war und daß auch der Kommissar schon diesen Gedanken gehabt hatte.

»Aber sie hat ihn doch geliebt!« rief er.

»Ursula weiß nicht, was Liebe ist«, sagte Ellen scharf. »Ich habe auch das jetzt erst verstehen gelernt. Es ist ihr ein Bedürfnis, mit Männern zu spielen. Erst hat sie mit ihrem Mann gespielt. Tweel ist kein Musterbild, wahrhaftig nicht. Aber wie er geworden ist, das hat sie auf dem Gewissen. Dann kam Stefan Rambin, und er mußte fort, weil der reiche Graf Koska auftauchte. Das und nichts anderes ist der Grund, weshalb sie sich von Onkel Stefan lösen wollte.«

»Das ist doch alles ganz anders gewesen, Ellen. Ich habe mit ihr lange über Onkel Stefan gesprochen.«

»Ich aber weiß es aus tausend Anzeichen. Man vernimmt ein Wort und hört darüber hinweg. Und dann sieht man nach Wochen etwas und dann wieder etwas, und auf einmal ist einem alles klar. Ach Klaus, ich habe Ursula noch gern gehabt, als sie vor einigen Tagen zu mir gestürzt kam, um mich zu bitten, sie mit dir zusammenzubringen. Damals habe ich ihr noch alles geglaubt. Was wollte sie denn von dir?«

»Das kann ich dir nicht sagen.«

»Dann werde ich es dir sagen: sie brauchte dich, um irgend etwas zu vertuschen. Das ist mir nachher alles klargeworden. Sie wollte dich über die Tätigkeit der Polizei oder über Einzelheiten aus Stefan Rambins Leben aushorchen. Sie hatte Angst. Sie zitterte ja fast vor Angst, als sie damals zu mir kam.«

»Das ist ja alles Wahnsinn, Ellen! Sie bat mich um etwas ganz Bestimmtes, um eine Auskunft über Stefan Rambin, die ihr wertvoll war. Das und nichts anderes wollte sie von mir. Es ist nicht möglich, daß sie ihn ermordet hat. Nein, das ist nicht möglich!«

»Aber sie hat ihn erschossen! Aus Angst vor dem Skandal hat sie ihn erschossen. In dem Augenblick, als sie erfuhr, daß ihre Beziehungen zu Stefan Rambin bekannt geworden waren, faßte sie den Plan, ihn umzubringen. Das konnte sie ja auch ganz gefahrlos. Niemand würde vermuten, daß sie sich mit ihrem Liebhaber in jenem Walde traf. Dort hat sie ihn hinbestellt, und dann geschah es.«

»Nein, nein!« rief er nochmals. »Es ist nicht möglich!«

»Vielleicht kommt es nicht heraus«, sagte sie. »Nur wir und Steinhammer ahnen, daß es so gewesen ist. Weiß dieser Kommissar schon etwas von Ursula?«

Er zuckte die Achseln. »Wer es Tweel und deinem Herrn von Steinhammer mitgeteilt hat, wird es wohl auch der Kriminalpolizei mitteilen.«

Sie überhörte seine Worte. »Man hat doch die Spuren ihres Pferdes an der Mordstelle entdeckt. Als der Kommissar sie zeigte, wußte Steinhammer sofort, daß Ursula dort geritten war. Er wußte doch auch von den Beziehungen zwischen ihr und Onkel Stefan.«

»Wer hat ihm etwas davon gesagt? Wer hat Herrn von Tweel Stefan Rambins Namen genannt? Das bist du gewesen! Und du wirst es jetzt wohl auch der Polizei anzeigen!«

»Nein, Klaus, ich schwöre dir, daß ich es nicht gewesen bin. Ich weiß, du hältst auch mich für kalt und berechnend, und ich bin es auch. Aber auf eine gewisse Anständigkeit meines Verhaltens lege ich Wert. Ich habe weder zu Herrn von Tweel noch zu Steinhammer auch nur einmal den Namen Stefan Rambins genannt, und ich war selbst ganz erstaunt darüber, daß Tweel etwas von der Geschichte wußte.«

»Auch zu Herrn von Steinhammer hast du nicht gesprochen? Wenn du ihn heiraten willst, dann muß er dir doch nahestehen. Es ist doch nur natürlich, daß du mit ihm über Ursula gesprochen hast.«

»Ich habe mit ihm selbstverständlich auch über Ursula gesprochen, aber niemals über ihre Beziehungen zu Onkel Stefan.«

»Frau von Tweel sagte mir einmal, ihr Vater würde sie verstoßen, wenn sie nicht völlig makellos aus dem Scheidungsprozeß hervorginge.«

»Welch eine Lüge!« rief Ellen entrüstet. »Steinhammer ist viel zu großzügig. Wenn Ursula eine große Leidenschaft gehabt hätte, so würde er das verstehen. Nur dieses halbe Spielen haßte er an ihr. Aber es war nicht die Angst vor ihrem Vater. Sie fürchtete den Skandal wegen des Grafen Koska. Denn ihn will sie nach ihrer Scheidung heiraten. Er ist reich und gutmütig. Vielleicht hätte sie auch Stefan Rambin geheiratet, wenn Koska nicht aufgetaucht wäre. Da aber mußte Onkel Stefan fort.«

Er wehrte entrüstet ab. »So ist Ursula von Tweel nicht. Ich glaube nicht, daß sie in kalter Berechnung Männer an sich herangezogen hat, um sie wieder fallen zu lassen.«

»Aber es ist doch so gewesen!«

»Es ist anders gewesen. Sie ist zu schön. Glaubst du, daß es einen Mann geben kann, der sich nicht in sie verliebt?«

»Ah, also auch du!« sagte sie spöttisch.

»Ja, sie ist schön. Sie hat ein Gesicht, das einen im Traum nicht losläßt. Es ist nicht so gewesen, daß sie die Männer heranlockte, sondern die Männer kamen, und sie erwehrte sich ihrer. Aber durch wen hat Herr von Steinhammer den Namen Stefan Rambin erfahren?«

»Ich weiß auch das nicht. Auf einmal wußte Steinhammer alles. Der Brief des Rechtsanwalts kam, in dem Ursula des Ehebruchs mit Stefan Rambin beschuldigt wurde, und am selben Tag wußte es auch Steinhammer. Aber er sagte mir nicht, woher er es wußte.«

»Vielleicht hat Tweel es ihm mitgeteilt. Aber woher wußte der es?«

»Das weiß ich doch nicht, Klaus. Von mir jedenfalls nicht. Da muß jemand gewesen sein, der Ursulas Leben überwacht hat.«

»Vielleicht hat Tweel sie durch Detektive beobachten lassen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Auch Detektive hätten nichts herausbekommen. Ursula ist viel zu schlau. Sie hatte sogar eine Deckadresse, unter der sie telefonierte. Alle Gespräche, die nicht gemerkt werden sollten, gingen über eine alte Kinderfrau, und auch dort fiel nie ihr Name, sondern sie nannte sich irgendwie anders.«

›Frau Schindler‹, fiel ihm ein. »Woher weißt du das alles?«

»Du hast also auch über diese Deckadresse mit ihr telefoniert? Das konnte ich mir denken. Aber komm, wir müssen ins Haus zurück.«

Sie standen auf und gingen den Gang entlang an dem Tennisplatz vorbei. »Hältst du mich noch immer für eine Intrigantin?« fragte sie. »Ich bin es wirklich nicht, Klaus. Ich will mein Leben aufbauen und will hochkommen, aber ich werde keinem Menschen dabei schaden. Ich werde immer fair play beobachten.«

Er antwortete nicht. Zuviel stürmte auf ihn ein. War das die Wahrheit über Ursula von Tweel? Nein, schrie es in ihm. Ursula ist anders, ganz anders.

Aus dem Fenster des Eßzimmers rief Monika nach ihm. Sie sah die beiden aus dem Garten kommen. »Komm schnellt« rief sie. »Der Kommissar hat angerufen und will dich sprechen.«

Er lief Ellen voran ins Haus. Vielleicht kam jetzt die Entscheidung. Noch immer standen und saßen die schwarzen Gestalten in den Zimmern. Der Hörer lag neben dem Apparat auf dem Schreibtisch. Herr Schulz und der Werkführer standen wie vorher in der Fensternische.

Klaus ergriff den Hörer und meldete sich. Kommissar Weigelt war auf der anderen Seite. »Es sind da einige Sachen zu besprechen«, sagte der Kommissar. »Ich hätte gern, daß Sie so schnell wie möglich zu mir kämen. Sie können den Vierzehnuhrzug erreichen. Kann ich damit rechnen, daß Sie um fünfzehn Uhr bei mir sind?«

»Ich werde kommen«, sagte Klaus und sah nach der Uhr. Alle blickten fragend auf ihn. »Ich muß in die Stadt«, erklärte er. »Der Kommissar will mich sprechen.« Er fühlte Monikas erschrockenen Blick auf sich ruhen.

Als er in der Diele stand, kam Agathe die Treppe herunter.

»Klaus!« rief sie ihn an. Die Tränen erstickten gleich wieder ihre Stimme. Sie hielt sich am Treppengeländer fest. Er stürzte zu ihr und stützte sie. »Ich kann doch nicht hinunter«, stammelte sie mühsam. Er hielt den geschüttelten Körper in seinen Armen. Ein unendliches Mitleid mit ihr packte ihn. Du weinst um Stefan Rambin, dachte er, aber du weißt noch nicht, daß nun alles hier zusammenbrechen wird. Er streichelte ihr leise die eingefallenen Wangen. »Tante Agathe, Tante Agathe!« Wie oft hatte er hier mit ihr gestanden, und sie hatte den Knaben getröstet, weil es einen Zusammenstoß mit dem Onkel gegeben hatte.

Als er die Bahnhofstraße entlangeilte, mußte er daran denken, daß Stefan Rambin viele hundertmal den gleichen Weg gemacht hatte, und nun lief er selber hier und drängte sich im letzten Augenblick durch die Sperre. Ein leichtes Schwindelgefühl ergriff ihn wie damals, als er die Ähnlichkeit ihrer Handschrift festgestellt hatte. Wieder spürte er den Toten in seinem eigenen Blut. Der andere war fortgegangen, als Michaelsbrück zusammenbrach. Er aber blieb zurück und trug an dem zerflatternden Erbe: Michaelsbrück und der Frau, an der Stefan Rambin zerschellt war.

Der Zug lief ein, die Lokomotive prustete.


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