Heinrich Hansjakob
Erzbauern
Heinrich Hansjakob

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4.

Saß unter dem Wildsee auf dem Seebenhof eines Müllers Sohn, der Hansjörg, als größter Waldfürst im Wolftale, so residierte im Tälchen nebenan, im Dollenbach, ein ehemaliger Bäcker als Kollege im Bauernfürstenstand.

Sein Name war Athanasius oder, wie die Kinzig- und Wolftäler sagen, Athanazi und sein Waldhof, wenn auch nur halb so groß als der seines Nachbars, doch einer der schönsten und holzreichsten im Tale.

Der Athanazi war ein Glückskind. Lebte er da, ein Dreißiger, um das Jahr 1829 im Wildschapbach in einem kleinen Häuschen als Kleinbäcker und Witwer, als die einzige Erbin des »Ameisenhofs« im Dollenbach, kaum einige zwanzig Jahre alt, die Augen auf ihn warf und ihn zum Waldfürsten machte.

Es ist ein merkwürdig Ding mit der Liebe der Wibervölker. Sie mögen oft einen, der sonst niemanden gefällt und dem alle Zeichen fehlen, die einen Mann liebenswert machen. Aber es ist dies eine alte Geschichte; drum sagt ein sinniges Volkssprichwort: »Wo die Liebe eines Wibervolks hinfällt, da bleibt sie liegen, selbst wenn sie auf einen Misthaufen gefallen ist.« Item die Liebe der Waldprinzessin im Dollenbach fiel auf den Bäcker und Witwer Athanazi.

Das war aber zu viel Glück für einen Bäcker, und dies Glück kam mit solcher Macht über ihn, daß er später sich bisweilen als den Glücklichsten der Sterblichen pries.

Wenn er hinaufkam ins Wirtshaus »zum letzten G'stör« im Burgbach oder hinab in die Schenke »vor Seebach«, wo die Buren und die Taglöhner seiner Nachbarschaft saßen und eins tranken, da überkam den Athanazi oft das Delirium seiner Herrlichkeit und seines Glücks. Und in diesem Stadium pflegte er zu sagen: »I bin a riche Ma un a Waldfürst, mi sollt ma mit Gold ifasse.«

Und die Buren und noch mehr die Taglöhner glaubten es und gaben ihm, wenn der Kurfürst vom Seebenhof, der Hansjörg, vor dem auch der Athanazi geschwiegen hätte, nicht in der Stube saß, ihren Beifall. Der Athanazi aber lohnte diesen Beifall mit vollen Maßbotellen; denn die erste Eigenschaft eines Fürsten muß die Freigebigkeit sein.

Und der Waldfürst im Dollenbach sagte es so oft, was für ein Mann er sei, und so lange, bis alle Buren und alle Taglöhner vom Kniebis bis zum Dollenbach es glaubten und den »riche Ma« zu ihrem Vogt erkürten.

Der Hansjörg konnte ihm bei der Vogtswahl keine Konkurrenz machen; denn zwischen ihren beiden Fürstentümern lag die Gemarkungsgrenze, und des Athanazis Waldhof gehörte nach Rippoldsau, der Seebenhof aber in den Schappe.

Doch der Hansjörg hätte, als sein Nachbar Athanazi anfangs der vierziger Jahre zum Vogt gewählt ward, diesem auch nicht mehr schaden können in der gleichen Gemeinde; denn damals war der Seebenbur bereits depossedierter Fürst, hatte seinen Hof verkauft und damit sein voriges Ansehen eingebüßt.

Jetzt war der Athanazi, da auch der alte Schmidsberger das Zeitliche gesegnet hatte, der einzige Waldfürst im obern Wolftal und dazu noch Vogt von Rippoldsau, zu dem der Sauerbrunnen gehörte, wo die höchsten Herrschaften verkehrten.

Wäre zur Zeit der Mittagshöhe seines Glückes dem Athanazi im Bad Rippoldsau nicht noch der Fürst von Kaltbrunn in der Sonne gestanden, so wäre seine Freude vollkommen gewesen.

Doch eine der Fürstlichkeiten, die nach Rippoldsau kamen, gewann der Athanazi fast ausschließlich für sein Haus, die Großherzogin Witwe Stephanie, die Adoptivtochter des größten Mannes des Jahrhunderts, des Kaisers Napoleon I.

Die Fürsten schenkten ihre Gunst Andreas I., der auch fürstliche Manieren und fürstlichen Geist hatte, die Hofdamen dem Waldfürsten auf dem Seebenhof; die Großherzogin Stephanie aber weilte gerne und oft im Dollenbach, nicht ausschließlich des Athanazis wegen, sondern auch zu Ehren seiner Waldfürstin, der Katharine, die, wie wir sehen werden, echt fürstliche Allüren hatte.

Hatte sich der Athanazi früher stets gebeugt vor dem Hansjörg wegen des viel größeren Fürstentums, so ließ er jetzt dem Vogtsbur von Kaltbrunn nicht bloß aus einem ähnlichen Grund den Vorzug, sondern auch, weil er fühlte, daß Andreas I. ihn eine Haupteslänge überrage als Mann und Mensch, und weil dessen Ruhm schon strahlte, als der Athanazi noch Brot buk und Brezeln machte.

Aber kollegial verkehrte er doch mit ihm, und sein Leibspruch an den Würdenträger im Kaltbrunn war: »Wir Waldfürsten müssen zusammenhalten; denn von unserer Sort' gibt's nimme viel.«

Wenn es sich um irdische Größe handelt, sind die Weiber bekanntlich eifersüchtiger als die Männer. So war es auch bei den zwei benachbarten Waldfürstinnen auf dem Seebenhof und im Dollenbach.

Die Ameisenbüre wußte, daß im Seebenhof einst viele Gäste ein- und ausgingen; darum machte auch sie ein offenes Haus, und jeden Tag war bei ihr »jour fixe«, und Weiß- und Rotwein, Kaffee, Küchle und Schinken gab es für jedermann, der kommen wollte.

Es erschienen aber mit der Zeit nicht bloß Badgäste, sondern auch verdächtige Fremde, die Nachtquartier erbaten und erhielten und bald dieses, bald jenes mitgehen hießen bei ihrem Scheiden.

Auf dem Seebenhof machten, wir wissen es, die Hausierer gute Geschäfte, aber noch bessere auf dem Ameisenhof. Wenn sie jammerten über schlechten Geschäftsgang und mit beweglichen und zierlichen Reden der Waldfürstin zusetzten, so pflegte sie zu sagen: »Laßt alles da, was ihr habt, ich kann alles brauchen,«

Den Weibern, die mit Küchengeschirr, das sie auf der Steingutfabrik Kornberg geholt, hausieren gingen, nahm die Büre, wenn sie zu reden wußten, jeweils den ganzen Korb voll ab.

Der Hansjörg und die Apollonia fuhren nur in den Sauerbrunnen und tafelten da mit den fremden Herrschaften, Das genügte der Ameisenbüre nicht. Sie war, wie echte, fürstliche Wibervölker sein sollen, von schwächlicher Gesundheit und vertrug zur Stärkung derselben das Sauerwasser in Rippoldsau nicht gut.

Da hörte sie von Badgästen, daß Wildbad mit seinen warmen Quellen ein Kurort sei, wie sie ihn brauchen könnte. Flugs machte sie eine Badereise dahin. Es ist ja nicht so weit ab, in zwei Tagen fährt sie bequem hin mit ihren stolzen Braunen.

In Freudenstadt wird genächtigt, am andern Tage das Ziel erreicht und im ersten Hotel, »zum Bären«, abgestiegen. Es geht der Ameisenbüre eine neue Welt auf in dem schwäbischen Kurort an der Enz mit seinen vielen Fremden. Gegen Wildbad ist Rippoldsau klein und die Büre dort auch viel mehr ästimiert, weil kein Prophet was gilt in seinem Vaterland und keine Bauernfürstin verehrt ist unter dem Landvolk, wie sie es wünscht.

Was die Ameisenbüre in der Fremde allein genierte, war ihre Bauerntracht. Die fiel dummerweise auf an der Enz, wo noch nie eine Bäuerin aus dem Wolftal als Kurgast geweilt hatte.

Heimgekommen, erzählt sie dem Athanazi entzückt von dem neu entdeckten Bad. »Das nächste Jahr mußt du auch mit: aber wir beide kleiden uns dann nach der Mode« – so schließt die Katharine ihren Badbericht.

Der Athanazi ist mit allem einverstanden, was sein Weib beschließt: denn – und das war ein großer Zug von ihm – er blieb seiner Gattin unentwegt dankbar dafür, daß sie ihn von der Backstube weg zum Fürsten erhoben hatte. Und er bezeugte diesen Dank durch unbedingte Unterwerfung unter den Willen seines Weibes.

Friedrich der Große hat zwar den Ausspruch getan: »Wer sich dem Willen eines Weibes unterwirft, ist ein elender Wicht.« Es ist dies nicht durchweg richtig. Ich meine, ein Mann, der seinem Weibe sich unterwirft, ist nicht immer ein Pantoffelheld, sondern gar oft ein wirklicher Held.

Tapfer ist der Löwensieger,
Tapfer ist der Weltbezwinger,
Tapferer, wer sich selbst bezwingt –

sagt der Dichter. Mancher Mann, der ein böses Weib hat und um des lieben Friedens willen ihr nachgibt, während er sie lieber prügeln möchte, zeigt die Tapferkeit der Selbstbezwingung und verdient deshalb Bewunderung.

Ferner sind Pantoffelhelden vielfach die reinsten Märtyrer, und Märtyrer muß man achten und Mitleid haben mit ihren Peinen. –

»Aber wo rechte, schöne Modekleider bekommen?« so frägt die Waldfürstin im Dollenbach, als es Frühling geworden war und die Wildbad-Reisezeit sich näherte. »In Wolfe drunten,« so meint sie weiter, »oder in Freudenstadt drüben bekommt man nichts Rechts.«

Der Athanazi besinnt sich und hat bald eine Auskunft, welche der Katharine vollauf genügt. Er kennt alle Schifferherren in Wolfe; denn dorthin verkauft er seine Flöße, und die Schiffer kommen »in der Welt rum« und wissen, wo man die schönsten Modekleider macht.

Der Waldfürst fährt also hinab nach Wolfe zum »Schang« (Jean), dem Vater von Theodor, dem Seifensieder. Dieser und alle Schifferherren hatten immer eine Freude, wenn der Athanazi kam. Er hatte bei ihnen aber längst einen eigenen Namen, sie nannten ihn nur den Mantelnazi.

So oft nämlich der Bur vom Ameisenhof einen schönen, blauen Tuchmantel, wie die Bauernfürsten ihn damals trugen, nötig hatte, ging er nach Wolfe und verkaufte ein Floß, bedingte sich aber in den Kauf noch einen Mantel aus. Drum hieß er bei der Schifferschaft der Mantelnazi.

Der Schang wußte dem braven Manne, der auf Modekleider fahndete, alsbald den besten Rat und sprach: »Da ist gut helfen. Ihr und eure Frau reisen nach Straßburg. Die Straßburger bekommen die neueste Mode direkt von Paris, und diese macht von Straßburg aus den Weg ins deutsche Land.«

»Aber dort,« meinte der Athanazi, »bin ich wildfremd und mein Weib auch, und wenn so einfache Bauersleut' kommen, werden sie ausgelacht und über den Löffel barbiert und bekommen doch nichts Rechts.«

»Dann geht ihr mit mir,« beruhigte der Schang; »ich muß fast jede Woche einmal Geschäfte halber nach Straßburg. Es kommt jede Woche ein Floß von uns in Kehl an, und da muß ich dabei sein.«

»Kommt am nächsten Dienstag beizeiten hierher, und dann könnt ihr zwei mit mir fahren nach Straßburg. Bis Husen nehmen wir eure Fuhre, und dann geht's mit dem Eilwagen. In Straßburg will ich euch schon an den rechten Ort bringen. Nehmt nur einen Sack voll Fünflivres-Taler mit!«

Jetzt war dem Athanazi aufgeholfen. »Schang,« rief er, »des isch a Red', die isch zwei Botelle Zehner wert, und die zahl' i sofort drübe im Salmen!«

Die Schifferherren taten den Waldfürsten gern jeden Gefallen; drum ging auch der Schang gerne mit dem Mantelnazi in den Salmen hinüber, trank mit ihm die zwei Botellen und redete von Straßburg und seinen Modeläden.

Seelenvergnügt fuhr der Bur vom Dollenbach am Nachmittag das Wolftal hinauf, so schnell seine Braunen laufen konnten: denn es drängte ihn, seiner Käther die frohe Botschaft zu bringen.

Diese strahlte, als er heimgekommen, ihr von Strasburg und Paris erzählte und die Begleitung des Schiffers Schang in Aussicht stellte.

»Des isch a ang'sehener Ma, der Schang, in Stroßburg und überall, wohin er kommt, und ist bekannt, so wit das Wasser im Rhi louft. Do were die Stroßburger Respekt ha, wenn wir mit dem Schang komme,« also schloß der Athanazi seinen Bericht.

Und Beifall nickte die Büre, die den großen Floßkapitän von Wolfe wohl kannte und von seinen Rheinfahrten nach Holland schon viel gehört hatte.

Kaum war es recht Tag am folgenden Dienstag, so fuhr der Athanazi schon beim Schang vor. Es war ein duftiger Frühlingsmorgen. Leichter Nebel lag über dem Tal; aber die Sonne schaute schon über den »Siechenwald« her durch den Nebel ins Städtle.

Der Schang war gleich reisefertig, und fort ging's Husen und der Poststation zu. Am Nachmittag schon rollte er mit seinen zwei Wolftälern über die Kehler Brücke gen Strasburg.

Während der Hansjörg und die Apollonia, so auf dem Seebenhof residierten, in Straßburg wie daheim waren, kam der Athanazi mit seiner Waldfürstin zum erstenmal in die »wunderschöne Stadt«. Denn als armer Bäcker war er nie so weit gekommen: er hatte seine Wanderjahre in Schilte, Schramberg und Rottweil zugebracht, und seiner Käther erste größere Reise war die Tour nach Wildbad gewesen.

Beide kamen auch erst recht in Flor, nachdem das Fürstenpaar auf dem Seebenhof abgeblüht hatte.

Wildbad und Straßburg, welch ein Unterschied! Jetzt gingen der Ameisenbüre erst die Augen auf, und immer und immer wieder begleitete sie ihr Staunen mit der Wehklage: »Zua was sind ou wir Leut im Dollenbach ouf der Welt!«

Der Schang, der mit ihnen im »roten Haus« am Kleberplatz abgestiegen war, zeigte ihnen alle Sehenswürdigkeiten, führte sie in alle berühmten Cafés und Restaurants und vorab in die Läden mit Modewaren, zu den Herren- und Damenschneidern und zu den Modistinnen.

Die Büre konnte sich nicht satt sehen und nicht satt kaufen. Am Mittag des andern Tages schon waren dem Athanazi die Fünflivres-Taler ausgegangen; aber der Schang half aus, denn er hatte Geld und Kredit im Ueberfluß zur Verfügung bei den Straßburgern.

Die Kleider wurden angemessen und nachgeschickt, für den Athanazi einen Herren- und für die Käther drei Damenanzüge nach der neuesten Pariser Mode.

Was man gleich mitnehmen konnte, Hüte, gewirkte Schalen, Schürzen und was sonst das Herz begehrte, wurde alsbald verpackt.

In der Nacht des dritten Tages kamen der Bur und die Büre auf den Ameisenhof zurück mit ganz neuen Ideen und mit dem süßen Gefühle, bald als Pariser auftreten zu können.

Das geschah um das Jahr 1840.

Die Büre konnte es, wie alle Wibervölker, nicht erwarten, bis sie sich in den Modekleidern zeigen konnte. Der Bur genierte sich daheim noch vor seinen Standesgenossen; auch paßte die Pariser Herrenkleidung nicht zu seinem Leibspruch: »Bin i nit a riche Bur un a Waldfürst?« Denn echte Buren und Waldfürsten laufen nicht in der Welt rum wie Pariser Bummler.

Aber in Wildbad, wohin er fortan alljährlich mit der Gattin reiste, trug er stets nur Modekleider.

Die Büre hatte sich bei ihrer ersten Badreise den »Comment« badender Herrschaften wohl gemerkt, und fortan zeigte sie, was ich anderwärts schon gesagt, daß jedes Weib von Natur aus befähigt ist, sich in jede Rolle zu finden und dieselbe mit Takt und Anstand zu spielen.

Die Ameisenbüre nahm drum, so oft sie ins Bad reiste, außer ihrem Pariser Anzug und ihrem modernisierten Athanazi noch eine Kammerjungfer mit. Diese hieß Regine und war ein nettes, zimpferliches Meidle, das vor wenig Jahren noch lebte und von den schönen Tagen im Wildbad erzählte.

In das Fremdenbuch mußte der Athanazi schreiben: »Athanasius Armbruster, Gutsbesitzer aus dem Dollenbach, mit Frau und Bedienung.«

Auch das hatte sich die Büre bei ihrer ersten Badekur gemerkt, daß bessere und feinere Herrschaften nicht immer an der großen Tafel essen, sondern sich bisweilen auf dem Zimmer servieren lassen. Demgemäß taten auch der Athanazi und sein Weib. Sie erschienen nur zwei oder dreimal die Woche an der Tafel und nahmen dann an diese jeweils auch ihre Zofe mit.

Am Nachmittag fuhr das Waldfürstenpaar regelmäßig in Wildbad und in der Umgebung spazieren. Blieb aber der Waldfürst einmal im Hotel zurück, so mußte die Regine mit der Ameisenbüre; denn auch das hatte diese abgeguckt, daß vornehme Damen stets eine Gesellschafterin bei sich haben, wenn sie ausfahren.

Und als sie gemerkt hatte, daß die hohe Saison in Wildbad im August sei, so wurde später regelmäßig dieser Monat zur Badreise bestimmt und der Aufenthalt jeweils auf 4–6 Wochen festgesetzt.

Was sie aber den andern Herrschaften nicht abgelernt hatte, die »reiche Bäuerin«, wie sie in Wildbad allgemein hieß, das war die Noblesse, mit der sie Trinkgelder gab. Sie war durch diese bald so beliebt, daß sich alles, was auf Trinkgelder rechnet, freute, wenn die Waldbüre kam.

Waren Tag und Stunde ihrer Ankunft bekannt, so empfing sie die Kurmusik beim Eingang ins Städtle und geleitete sie bis zum Bären. Kinder und Bettler, angelockt durch die Musik, kamen in Scharen, und nun warf die reiche Bäuerin Hände voll Sechser, Groschen und Kreuzer, die sie schon parat gehalten, unter die fröhliche Menge.

Hatte das Kurorchester die Einfahrt verpaßt, oder dieselbe zu spät erfahren, so erschien es alsbald, nachdem die Herrschaften abgestiegen waren, vor dem Hotel und brachte ein Ständchen.

Für diese Huldigung, die auch bei der Abreise stattfand, bezahlte die Ameisenbüre jeweils 100 Gulden.

Daß Kellner und Zimmermädchen von ihr nicht übersehen wurden, versteht sich von selbst. Sogar die Frau des Hotelbesitzers bekam ihr Präsent, indem die Büre ihr jeweils einige Häfen voll »Anken« (Schmalz) mitbrachte.

Vor der Heimreise wurden große Einkäufe gemacht, um würdige Badgeschenke mitzubringen für Kinder, Freundinnen und Dienstboten. Bis zu tausend Gulden gingen manchmal drauf für diese Kleinigkeiten.

Drum war bei der Ankunft auf dem einsamen Hof immer großer Empfang, weil alles wußte, daß keine Person, welche die Herrschaften zur glücklichen Heimkehr begrüßte, leer ausging.

Natürlich ward für jede neue Badreise auch die Garderobe, welche nur aus Seiden- und den feinsten Wollkleidern bestand, erneuert. Ein Kaufmann in Wolfe hatte so einmal den Auftrag erhalten, der Ameisenbüre einige »gewirkte Schalen« zur Auswahl zu senden. Er schickte ein ganzes Dutzend und noch eine dazu, also dreizehn Stück.

Die Fürstin mustert und »verliest« sie, und siehe da, es hat jede in ihrer Art den Beifall der Ameisenbüre, Drum behielt sie einfach alle dreizehn.

Woher aber das Geld zu den vielen, vielen Ausgaben und dem geradezu fürstlichen Gebaren eines Buren und einer Büre?

Zunächst aus dem Wald, und drum nannte sich der Athanazi mit Recht einen Waldfürsten.

Seine Vorgänger auf dem Ameisenhof, der Vater und der Großvater der Bure, die Fürsten Anton und Simon, waren einfache, sparsame Buren gewesen. Sie hatten hausgehalten auch mit ihren Wäldern, und drum standen, als den Athanazi sein Glücksstern aus der Backstube auf den stattlichen Hof versetzte, Holländer-Tannen in ungezählter Menge das ganze Dollenbachtälchen hinauf.

So konnten jedes Jahr 10–12 000 Gulden aus den Wäldern eingenommen werden. Später, als die Ausgaben sich steigerten, mußte der Wald für 30 und 40 000 Gulden bluten.

Und doch kamen zu diesen Einnahmen noch alljährlich Schulden, besonders als die fünf Buben herangewachsen waren und ihren redlichen Anteil am Fürstenleben auf dem Ameisenhof in Anspruch nahmen.

Den ältesten, den Xaveri, gab der Athanazi ins »Studi« an das Gymnasium in Offenburg, wo er einige Schulen »genoß«. Wenn dann ein oder der andere Bur im Wirtshaus vor Seebach den Ameisenbur fragte, was sein Student werden sollte, meinte der Athanazi: »Mi Xaveri soll a g'studierter Herr were, mehr broucht er vorläufig nit. Später kann er dann immer noch were, was er will. Isch si Vater nit a riche Bur un a Waldfürst?«

Aber selbst dem Xaveri leuchtete es ein, daß er doch vorläufig was anderes werden sollte als lediglich ein g'studierter Herr. Und da er einsah, daß er zu einem solchen das Zeug überhaupt nicht habe, so ging er zu einem Kaufmann in Zell am Harmersbach in die Lehre, bis er zu Höherem berufen ward.

Seine Brüder, der Toweis, der Karle, der Konstant und der Engelbert trieben sich im Waldfürstentum herum und übernahmen die Regierung in Wald und Feld, in Haus und Hof.

Am liebsten waren sie aber in den Wirtshäusern, wo sie zechten und spielten mit ihren Freunden, deren sie gar viele hatten, besonders beim Trinken.

Manchmal fuhr einer oder der andere mit Sägwaren ins Renchtal und hatte, wenn er heimkam, den ganzen Erlös »vertrunken« und verspielt.

Für solche und ähnliche Streiche hatte der Waldfürst Athanazi nur die Worte: »Es isch doch merkwürdig, was ich für Buawe ha.«

Diese Buben waren aber auch dankbar für die Milde ihres Vaters; denn als dieser 1863 aus dem Leben schied, da setzten sie ihm einen Grabstein und auf diesen die Worte:

Friede sei um diesen Grabstein her,
Sanfter Friede Gottes.
Ach, sie haben einen guten Mann begraben,
Und uns war er mehr.

Sicher ist diese bekannte Inschrift, welche man heute noch auf dem Kirchhof ob dem Dollenbach lesen kann, der Erinnerung des g'studierten Herrn Xaveri entsprungen, und sie macht seinem Studi alle Ehre.

Wie es oft zu gehen pflegt bei wirklichen Fürstentümern, daß die Zustände dem alten Fürsten noch nicht schaden, den jungen aber stürzen, so ging's auf dem Ameisenhof.

Als der Athanazi sich zum Sterben niederlegte, war das Waldfürstentum dem Abgrunde nahe. Wer sollte und wollte es übernehmen?

Der Jüngste, der Engelbert, hatte längst geheiratet und ein Gütchen, das zum Hof gehörte, im Dollenbach erhalten. Der Toweis war ledig gestorben, der Konstant ein Lump, der bald auch hinsiechte, und der Karle schon Bur auf einem andern Hof. So übergab die Fürstin den Ameisenhof dem g'studierten Xaveri, sprach für sich aber ein Leibgeding an, als ob die Herrschaft noch im alten Flor wäre.

Sie bedingte für sich die drei besten, tapezierten Zimmer, Holz, Butter, Milch, Equipage und alljährlich tausend Gulden in Geld.

Der Xaveri wehrte sich, so gut er konnte, diese Last und die Zinsen der Schulden, so Papa Athanazi ihm hinterlassen, zu tragen und aufzubringen. Er holte die letzten Reste des mächtigen Waldbestandes aus den Bergen und schlug sich noch vier Jahre durch mit Hilfe der Juden Isaak und Heinrich von Schmieheim.

Dann aber war's fertig und aus mit dem Waldfürstentum im Dollenbach. Die alte Fürstin kränkte sich, wie einst die Apollonia auf dem Seebenhof, zu Tode, und am 10. Juli 1867 haben sie »die reiche Bäuerin von Wildbad« als arme Frau begraben.

Wenige Monate später mußte der Xaveri froh sein, daß die Fürstenberger ihm den Ameisenhof abnahmen um den Betrag der Schuldenlast. Er mußte froh sein, weil ihm ansonst alles infolge richterlichen Spruches genommen worden wäre.

Der neue, echte Waldfürst von Fürstenberg ließ alsbald den Ameisenhof niederreißen. Unter den Arbeitern, die dies besorgten, befand sich auch der Jüngste des Athanazi, der Engelbert.

Als der Giebel sank und das Gebäude in sich zusammenstürzte, stießen die Burschen ein Freudengeschrei aus. Wer am meisten johlte, das war der Engelbert, der bald nachher als abgehauster Gutler nach Amerika zog.

Der Karle verkaufte seinen Hof auch, kaufte eine Mühle droben im Klettgau, und da es ihm schlecht ging, erhängte er sich.

Der Xaveri fing in der Nähe vom Dollenbach einen Kramladen und eine Wirtschaft an; er kam aber nicht fort. Drum schied er aus der Heimat und erwarb sich weit drunten im Kinzigtal sein Brot als Schreiber.

Er starb vor wenig Jahren; sein Studium hatte ihm noch zur letzten Existenz verholfen.

Aus den Glanztagen am Dollenbach lebte 1897 nur noch die Zofe der alten Fürstin, die Regine. Sie amtete später noch einige Jahre als Zimmermädchen oder, wie man sie von der Hauptbeschäftigung, dem Bettmachen, nannte, »Bettmeidle« im Bad Griesbach im benachbarten Renchtal.

Dann heiratete sie einen armen, aber fleißigen Mann auf ein Gütle im Reichenbach, südlich vom Dollenbach. Beide haben in langer, emsiger Arbeit sich freigemacht von Schulden und sehen jetzt im Kreise braver Kinder sorgenlos dem Tod entgegen.

In ihrer malerischen Waldhütte haben der Großherzog Friedrich und die Großherzogin Luise von Baden vom Bad Rippoldsau aus die Regine früher oft besucht und bei ihr »kuhwarme« Milch getrunken, worauf die schneidige Alte besonders stolz war.

Als einstige Zofe und nachheriges Bettmeidle konnte sie mit den hohen Herrschaften aufs beste verkehren.

Vom Ameisenhof ist wie vom Seebenhof kein Stein mehr auf dem andern. Aber die Waldfürsten und Erzbauern am Wildsee leben noch im Volksmund, aus dem auch ich ihre Geschichte gehört habe. Und ich habe sie hier wiedergegeben, weil alle Fürsten, die Kronen- und die Waldfürsten, es sich gefallen lassen müssen, daß man ihr Leben und ihre Taten beschreibt. –

Im Mai 1897 habe ich die Regine aufgesucht, bin durch das einstige Gebiet der Erzbauern unter dem Wildsee gefahren und habe die prachtvollen Waldbestände bewundert, die auf dem Boden der beim Untergang jener Fürsten ausgeschundenen Waldungen sich wieder erhoben haben.

Das ist, wie schon einmal gesagt, der Segen der toten Hand und ein Beweis dafür, daß die echten Fürsten, in der Regel durch ihre Beamten besser hausen als die allein regierenden Bauernfürsten.

Freilich genießen die Fürsten und die übrigen Herren vom Adel das Privilegium der Fideikommisse, und man darf ihnen ihre Stammgüter nicht verkaufen, auch wenn sie noch so viele Schulden haben.

Solchen Privilegs erfreut sich leider der Bauer nicht, und wenn er üppig lebt, kostet's ihm und seinen Nachkommen Haus und Hof.

Drum ist's nicht gut, wenn die Bauern so große Höfe haben, daß sie die Fürsten spielen können. Denn wir haben gesehen, daß alle Erz- und Fürstenbauern an ihrer eigenen Größe zugrunde gingen.

Man lebt eben in alleweg sicherer, ruhiger und zufriedener in der Mitte oder in der Tiefe als auf der Höhe der Menschheit.

 


 


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