Heinrich Hansjakob
Erzbauern
Heinrich Hansjakob

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

5.

In dem jetzt weithin bekannten Schwarzwaldbad Rippoldsau am Fuße des Kniebis ging es in früherer Zeit viel gemütlicher her als heute, wo die Goldkönige aus Amerika und aus Frankfurt sich's dort wohl sein lassen.

Unter dem Namen Sauerbrunnen wurde das Bad damals nur besucht von Leuten aus dem Elsaß, aus dem österreichischen Breisgau und aus der Herrschaft Fürstenberg.

Beamte, Geistliche, Kaufleute und Bauern lebten da wie in einer Familie. Und wer den heute noch bestehenden »Fürstenbau« ansieht, welchen die Fürsten von Fürstenberg als damalige Herren des »Surbrunnens« sich hatten bauen lassen, der kann sich ein Bild machen von der Einfachheit jener Tage.

Der Abbé aus Straßburg, der Kaufmann aus Hasle oder Wolfe, der österreichische Baron und Offizier aus Freiburg, die großen Buren aus dem Seebach und Kaltbrunn und die Hofräte von Donaueschingen verkehrten miteinander wie unter ihresgleichen.

Und wenn der Fürst von Fürstenberg kam, änderte dies nichts an der Gemütlichkeit und an dem freien Verkehr.

Im Donaueschinger Wochenblatt vom 14. Mai 1794 habe ich eine köstliche Einladung gefunden, verfaßt von dem damaligen »Beständer des Rippoldsauer Sauerbrunnens«, Xavier Göringer. Hier heißt es: »Etikettmäßiger Zwang und kleinstädtischer Ton sind bei mir nicht zu Hause; jeder Brunnengast sucht das Vergnügen des andern zu unterhalten, zu vergrößern und durch die ganze Gesellschaft zu verbreiten. Wer sich besser dünkt, als andere sind, wer an Leib und Seele so ganz Krüppel ist, daß er sich mit andern Menschen nicht vertragen kann, dieser Invalide in der Gesellschaft muß sich's selbst zuschreiben, wenn ihn bessere Menschen als einen Störer der Harmonie und Eintracht behandeln.«

Der brave Mann, Xavier Göringer, sagt aber noch mehr: »Jeder rechtschaffene Mann ist mir willkommen; jeder glaubt und handelt nach eigenem Belieben und Gutbefinden. Weder im gesellschaftlichen Umgang, noch bei andern Gelegenheiten hat man von jeher auf Religion Rücksicht genommen. Religionshaß und Intoleranz, diese zwo Furien haben noch nie die Zufriedenheit in diesem ruhigen Tale untergraben; deswegen sind Religionsstreite, die doch kein Sterblicher. entscheidet, in Rippoldsau eine unerhörte Sache.«

Viermal in der Woche, so verkündet er weiter, der wackere Xavier, läßt er in Hausach, fünf Stunden vom Sauerbrunnen entfernt, die Post holen für seine Gäste. »Wer Diener bringt und nicht im gleichen Zimmer mit diesen schlafen will, der kann für sie schickliche Zimmer und Betten haben.«

Zum Zeitvertreib können die Fremden Billard spielen, jagen und fischen und »in müßigen Stunden« zusehen, wie der Xavier aus dem Sauerwasser Glaubersalz »gradiert und siedet«.

Man glaubt, wenn man obige Worte des Beständers des Sauerbrunnens, eines einfachen Wirts, liest, die großen Worte der französischen Revolution – Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit – seien damals schon bis in den Sauerbrunnen von Rippoldsau gedrungen.

Sicher ist, daß, während der Xavier Göringer jene Einladung schrieb, die Revolutionsheere der Franzosen schon in der Pfalz stunden.

Sicher ist aber auch, daß heute, bei allem Respekt vor den Hoteliers unserer Tage, keiner von ihnen eine ebenso vernünftige als ehrlich gemeinte und ungeschminkte Einladung fertig brächte, wie sie dem Xavier Göringer sein gesunder Menschenverstand in die Feder diktierte.

Ich bin überzeugt, daß der Mann auch einen Wein schenkte, der so echt war wie seine offene Sprache. Nur daß er seinen Vornamen französisierte, will mir nicht gefallen.

Auch scheint seine »Gleichheit«, wenigstens nach außen, sich nicht auf die Bauern, die als Gäste kamen, erstreckt zu haben. In der ersten Kurliste, welche er im oben genannten Jahre veröffentlicht, beginnt er mit dem General d'Aspremont von Freiburg und endigt mit dem Lehrer von Friesenheim. Die Bauern nimmt er dann überhaupt mit der Bezeichnung »sechs Gemeine«.

Fünfzig Jahre später aber war die Gleichheit der Stände in Rippoldsau gänzlich durchgedrungen, trotzdem außer dem Fürsten Karl Egon von Fürstenberg als Badgast alljährlich auch der Großherzog Leopold von Baden erschien.

Beide Fürsten verkehrten mit den Bauern wie mit den sogenannten Herren, ja sie bevorzugten einzelne Großbauern und unter diesen vorab Andreas I. aus dem Kaltbrunn, der jeden Sommer einigemal ins Bad kam.

Nachdem er seine eigene Leibgarde eingerichtet, der Vogt von Kaltbrunn, führte er sie jeweils als Ehrenkompagnie hinab nach Wolfe, wenn er erfahren hatte, daß einer der genannten Fürsten dort durchpassiere auf dem Weg zum Sauerbrunnen.

So ward die Bekanntschaft, die in Rippoldsau gemacht worden, zur Freundschaft; denn »similis simili gaudet«, d. h. ein Fürst fand Gefallen am andern, und die Adelsfürsten luden den Bauernfürsten stets ausdrücklich ein, sie im Sauerbrunnen zu besuchen.

Das ließ sich Andreas I. nicht zweimal sagen, und in den vierziger Jahren bis zur Revolutionszeit ging er, sobald die zwei Fürsten in Rippoldsau waren, jeweils auch als ständiger Gast hinüber und ward ihr bevorzugter Begleiter. Er kegelte mit ihnen und begleitete sie auf die Jagden.

Aber sie kamen auch zu ihm, die zwei Fürsten von Geblüt, auf seine Jagden, und er hatte fürstliche Jagden, Andreas I. Nicht nur die eigenen Wälder waren sein Revier, ringsum im ganzen oberen Kinzigtal hatte er noch die Gemeindejagden gepachtet, um für seine fürstlichen Jagdgäste auch ein würdiges Jagdgebiet zu haben.

Die echten Fürsten aßen und tranken nach der Jagd beim Bauernfürsten auf dem Franzenhof, und der joviale, heitere, redegewandte Vogtsbur ward mehr und mehr der Liebling der beiden Kollegen.

Auch wenn die Sauerbrunnenzeit vorüber war, ging die Gnadensonne in Donaueschingen und in Karlsruhe nicht unter. Die Fürsten vergaßen Andreas I. auch in ihren Residenzen nicht, und öfters kamen Einladungen zu Hoffesten nach Kaltbrunn. Und der wackere Vogtsbur forcht sich nit und ging in seiner Bauerntracht herzhaft an die Höfe mitten hinein unter die Hofleute und die vornehmen Mitgäste. Und überall stellte er seinen Mann, in den Prunksälen der Fürsten so gut wie auf dem Rathaus zu Kaltbrunn, an dem Hofgericht zu Rastatt, wie in den Wirtshäusern des Kinzigtals und bei den Ausmärschen seiner Garde.

Als er einmal nach Karlsruhe zu Hof ging und wie gewöhnlich im »roten Haus« sein Absteigequartier nahm, saßen daselbst einige Karlsruher, die den Vogt in seiner Bauerntracht nicht kannten. Sie spöttelten und fragten, ob er ein Schwabe sei und von welcher Sorte, ob ein Knöpfle- oder ein Suppen-Schwab. Da meinte der Vogtsbur ruhig, es gehe scheint's den Karlsruher Herren mit den Schwaben wie ihm mit den Karlsruhern: man lerne die verschiedenen Sorten erst nach längerem Umgang kennen. Er gehöre jedenfalls zu den dummen Schwaben; denn er komme oft nach Karlsruhe und habe erst heute gemerkt, daß es unter den Karlsruher Herren auch Esel und einfältige Kerle gebe. –

Auf dem Heimweg von der badischen Residenz fuhr Andreas I. einmal im Postwagen in seinem langen, schwarzen Bauernrock, auf dessen Rückenseite, wie damals üblich, eine Stickerei angebracht war ähnlich einem Kirchturme.

Zwei Kinder Israels machten sich lustig über den Bauersmann und meinten, er müsse ein guter Christ sein, denn er trage die Kirche auf dem Rücken nach. »Ja, das ist,« gab der Vogtsbur zurück, »der Unterschied zwischen Juden und den christlichen Bauern: uns sieht man die Religion am Rock an und euch an der Nas.«

Sprach's, und die Spötter verstummten. –

Natürlich machte der bei den Fürsten so gern gesehene und so wohl gelittene Vogt von Kaltbrunn bei seinen Hofbesuchen auch neue Bekanntschaften. Alle waren entzückt von dem geistreichen und unterhaltenden Bauersmann in seiner schmucken Tracht, und alle wollten ihn einmal besuchen in seiner Waldeinsamkeit.

So erschienen außer den genannten Fürsten Minister und Geheimeräte, Offiziere und Diplomaten zur Sommerszeit auf dem Franzenhof zu Besuch oder zur Jagd. Auch aus dem Sauerbrunnen kamen viele Gäste herüber nach dem Kaltbrunn.

Alle wurden gastlich empfangen und manche so befreundet mit dem Bauernfürsten Andreas, daß sie in Geldverlegenheiten an ihn appellierten und bei dem reichen Manne stets williges Gehör fanden.

Wenn die Gertrud, ein gescheites und kluges Weib, bisweilen mahnte, nicht so splendid zu sein in der Bewirtung und nicht so leicht mit dem Geld umzugehen, da lachte der Fürst und meinte: »Die Herren, die ich jetzt gastiere und denen ich Geld leihe, werden mich auch nicht im Stiche lassen, wenn ich einmal in Not kommen sollte.« –

Wer in Fürstengunst steht, den werden alle Fürstendiener ästimieren. So geschah es auch bei Andreas I. Die fürstenbergischen und die großherzoglichen Beamten machten, wenn sie ins obere Kinzigtal versetzt wurden, dem Vogt von Kaltbrunn ihre Antrittsbesuche, sobald sie von ihm und seinem Ansehen bei ihren Fürsten gehört hatten.

Daß sein Ruf als Sachwalter aller Bedrängten erst recht durch alle Täler und über alle Berge an der Kinzig hin ging, als man hörte, der Vogt von Kaltbrunn sei gut Freund mit dem Großherzog und mit dem Fürsten von Fürstenberg, versteht sich von selbst.

Was Andreas I. fortan nicht vor Gericht durchsetzte für seine Klienten, das machte er im Wege der Gnade ab durch Audienzen beim Großherzog.

Und wie edelsinnig er war bei seinem Sachwalter- und Fürsprechertum, zeigt die folgende Tatsache: Den Adlerwirt in Schapbach, wohin der große Vogt oft kam und wohin er bisweilen vierspännig fuhr, hatte einer durch Urkundenfälschung um 5000 Gulden gebracht.

Der Adlerwirt ruft den Vogt an. Der führt ihm den Prozeß und gewinnt ihn; der Betrüger kommt ins Zuchthaus. Nachdem er einige Zeit da verbüßt, spannt Andreas I. seine Pferde ein, fährt nach Karlsruhe und erbittet und erhält beim Großherzog Begnadigung.

So half der brave Mann dem Sünder und dem Gerechten, dem Kleinen und dem Großen, und alles sprach von seiner Hochherzigkeit und seiner Menschenfreundlichkeit.

Selbst aus dem Munde der Kinder wurde ihm Lob bereitet. Wenn er auswärts war und die Kinder sich vor dem Wirtshaus versammelten, in dem er abgestiegen, so warf er oft Hände voll Kreuzer und Groschen unter die Kleinen, um auch diesen eine Freude zu machen. –

Seine eigene, größte Freude aber erlebte er, als der Fürst von Fürstenberg ihn einmal einlud, mit ihm nach Böhmen zu fahren und dort Jagden mitzumachen.

Die Fürsten von Fürstenberg haben bekanntlich große Besitzungen auch in Böhmen, und der Fürst Karl Egon in Donaueschingen vereinigte beide Herrschaften in seiner Hand.

Obwohl Gast des Fürsten, wollte Andreas I. sich nicht lumpen lassen bei dieser Fahrt, die natürlich mit Extrapost gemacht wurde.

Das ist echte Bauernart, daß der Bauer nichts umsonst will und gerne jede Gefälligkeit und Freude, die man ihm macht, dreifach vergütet. Darin ist er viel nobler als viele Herrenleute. Drum gibt der Bauer auch lieber Trinkgelder als andere Leute, trotzdem diese in der Regel mehr Geld und mehr Bildung haben.

So machte es auch der Vogtsbur aus dem Kaltbrunn, da er mit dem Fürsten von Fürstenberg nach Böhmen fuhr. Ließ der Fürst einem Postillon einen Kronentaler geben, so gab der Bur zwei, damit die Postknechte und ähnliche Leute nicht glauben möchten, der Mann in seiner Bauerntracht sei nur um Gottes willen und als Schmarotzer dabei.

Andreas I. wollte, und da hatte er recht, nicht auf dem Armenweg nach Böhmen kommen und wieder heraus. Dem Fürsten Karl Egon machte es Spaß, den tschechischen Magnaten einmal zu zeigen, was für reiche und intelligente Bauern es in seiner Herrschaft auf dem Schwarzwald gebe.

Der Vogt aber sah in Böhmen nur große, reiche Herren und kleine, arme Bauern und Taglöhner, und das gefiel ihm nicht. Drum ward er auch aus diesem Grunde versucht, den Böhmen zu beweisen, daß es im Schwarzwald Fürstenbauern gebe, die Kronentaler im Ueberfluß hätten.

Es kostete diese Reise den Erzbauer aus dem Kinzigtale viel, viel Geld, und er kam mit leerem Beutel heim, aber stolz über die vielen adeligen Bekanntschaften, welche er gemacht, und befriedigt, weil er gesehen hatte, daß es die Bauern nirgends so gut hätten als im Schwarzwald und besonders im Kaltbrunn.

Die Aexte klangen wieder in seinen Wäldern, die Riesentannen stürzten, und auf dem Kaltbrunner Bach schwammen neue Flöße des Vogts, die das Loch bald wieder ausfüllten, welches die Reise nach Böhmen in seine Kasse gegraben hatte.

Bei all seinen Fahrten ins Land, an die Fürstenhöfe und in die weite Welt vergaß er zwar seine eigenen Interessen, nie aber die seiner Gemeinde. Ja, er vertrat deren Wohl kühn gegen seine hochgestelltesten Freunde und schonte selbst den Fürsten von Fürstenberg nicht.

Bald nach der Rückkehr aus Böhmen kündigte er der fürstenbergischen Standesherrschaft einen Krieg an.

Dieser Prozeß macht dem gesunden Menschenverstand des Vogts von Kaltbrunn alle Ehre und stellt ihn als Charakter himmelhoch über jene Legionen von servilen Leuten, die es nie wagen würden, einem Fürsten, der ihr Gönner ist, Trotz zu bieten im Interesse Dritter.

Das tat aber Andreas I., dem das Wohl seiner Gemeinde und der Armen seiner Vogtei höher stand als Fürstengunst. Und er tat es, weil im echten Bauersmann das Rechtsgefühl viel stärker ist, als bei vielen hohen und niederen Herren. Drum sagt schon ein mittelalterliches Sprichwort: »Versprechen ist edelmännisch, und halten ist bäuerisch.«

Das Kloster Wittichen, zur Vogtei Andreas I. gehörig, hatte im Jahre 1358 von dem freien Herrn Walter von Geroldseck in der Nähe des Gotteshauses einen großen Wald erhalten »zur Unterstützung der Armen«. Aus alten Briefen ersah dies unser Vogt, und nun zog er daraus den ganz richtigen Schluß: das Kloster ist aufgehoben und die Armen sind unserer Gemeinde zugefallen; der Fürst von Fürstenberg aber hat als Landesherr den Klosterwald »annektiert«, ohne aus seinen Erträgnissen unsere Armen zu unterstützen – folglich soll er zu diesem Zweck den Wald uns und damit seiner ursprünglichen Bestimmung wieder zurückgeben.

Drei Jahre führte der Bauernfürst den Prozeß gegen den Herrn Fürsten, verlor ihn aber in allen Instanzen, den einzigen, den er bisher für andere geführt und der verloren ging.

Der brave, unerschrockene Mann hatte in ein großes Wespennest gelangt: aber seine Faust war nicht groß genug, um fest zu greifen.

Er mußte seinen Prozeß verlieren aus »Staatsraison«; denn wenn alle den Klöstern genommenen Güter ihrer stiftungsgemäßen Bestimmung zurückgegeben werden müßten, so gäbe es ja gar keine »Staatsdomänen« mehr.

Die armen Leute im Kaltbrunn und anderswo müssen sich deshalb noch einige Zeit gedulden, bis sie die ihnen bestimmten Wälder wieder bekommen können. Ich meine nämlich, es komme einmal die Zeit, wo der Vers aus Schillers Räuberlied sich ganz erfüllt: »Heut' kehren wir bei Pfaffen ein – bei reichen Pächtern morgen.« Bei den »Pfaffen« ist die Säkularisation bereits eingekehrt: das nächstemal kommt's an die – Pächter.

So verlangt es nicht bloß Schillers Räuberlied, sondern die ausgleichende Gerechtigkeit. –

Aber auch in anderer Art zeigte sich der Vogt als Freund seiner Gemeinde. Vom Bühlbur, der einst drei Höfe gehabt, hatte Andreas I. zwei bereits gekauft. Er kaufte ihm Ende der dreißiger Jahre auch den dritten ab, den Rußhof, so daß er jetzt fünf Höfe vereinigte und sein Fürstentum abermals mehrte.

Dem Bühlbur war's zu wohl geworden; er wollte im Städtle eine Rolle spielen, zog hinab nach Wolfe mit seinem Geld, baute, spekulierte und – verarmte.

Da aber der Vogt von Kaltbrunn sein Besitztum also wieder gemehrt hatte, murrten einzelne Bauern, daß ihr Vogt alles kaufe. Was tut Andreas I.? Er bietet der Gemeinde den Hof an um den gleichen Preis, wie er ihn gekauft hat.

Die Buren gingen freudig darauf ein, und sinnig, wie das Landvolk ist, ließen sie einen silbernen Ehrenbecher machen und überreichten ihn dem braven, uneigennützigen Vogt als ein Zeichen ihres Dankes.

Ein andermal riet er seiner Gemeinde, ein Angebot zu machen auf einen Wald, der im nahen Württemberg im Submissionsweg verkauft wurde. Am Eröffnungstag bemerkte er, daß sein im Namen der Gemeinde schriftlich eingereichtes und gesiegeltes Angebot vorher von Konkurrenten erbrochen worden war. Er trat nun so energisch auf und drohte mit gerichtlicher Verfolgung, daß die Attentäter, den Kaltbrunner Vogt und seinen Einfluß kennend, ihn baten, die Sache beruhen zu lassen. Andreas I. verstand sich dazu nur, nachdem man ihm tausend Gulden eingehändigt hatte, die er heimtrug und – in die Gemeindekasse legte.

So war der Vogt von Kaltbrunn ein gerechter Mann, ein Ehrenmann, der nicht unverdient Fürstengunst genoß und aus einem Ehrenbecher trank, den ihm seine Mitburen gestiftet hatten.

Daß ihn diese immer und immer wieder zu ihrem Vogt erwählten, verstand sich von selbst.

Schon 1837, als er sein zwanzigstes Dienstjahr feierte, hatte ihm der Großherzog die Zivil-Verdienstmedaille als Anerkennung seiner getreuen Vogtsdienste zugesandt.

Ein Ehrentag für Andreas I. war auch der 25. April 1843, der Tag der Einweihung der Kirche im Städtle Schilte.

Hier war 1833 die alte Kirche abgebrannt, und es ging genau zehn Jahre, bis eine neue gebaut war. Und was für eine! In meiner Knabenzeit redeten die Leute im Kinzigtal, wenn sie auf Kirchen zu sprechen kamen, nur von den neuen Kirchen in Schilte und in Oberharmersbach im Reichstal. Beide, fast zu gleicher Zeit erbaut, wurden als Wunderwerke geschildert, neben denen das Münster von Freiburg nicht mehr genannt ward.

Und so oft ich in meinen alten Tagen beide Kirchen sehe, denke ich an jene Lobeshymnen der Bürger und Bauern vor fünfzig Jahren und schaue dann mitleidsvoll an den langweiligen Steinhaufen hinauf, die alles eher sind als Kunstbauten.

Aber beide stammen noch aus jenen Zeiten der Baukunst, in denen man trotz der herrlichsten alten Vorbilder die Kirchen im Scheuernstil baute.

Doch es darf keine Zeit der andern einen Vorwurf machen wegen Geschmacksverirrungen, weil jede die ihrigen hat und weil der Begriff »schön« wechselt wie die Mode. –

Die Schiltacher und die mit ihnen zu einem Kirchspiel vereinigten wackeren Buren von Lehengericht sind protestantisch, weil sie zur Zeit der Reformation herzoglich württembergischer, ihre Nachbarn unten und oben im Kinzigtal aber gräflich fürstenbergischer Untertanenschaft waren.

Die Herzoge von Württemberg wurden protestantisch, die Fürstenberger blieben – den Grafen Wilhelm, einen geborenen Haslacher, abgerechnet – katholisch, und die armen Buren mußten, ob sie wollten oder nicht, werden oder bleiben, was ihre Herren wurden oder waren.

Unter einem schändlicheren Grundsatz ist die Welt nie gestanden und hat die Menschheit nie geseufzt, als unter dem, daß der, dem das Land gehört, auch über die Religion der Untertanen zu befinden habe.

Um dieses einzigen Gewaltsatzes und seiner Ausübung willen sollte jeder denkende Mensch eigentlich Demokrat sein.

Nur die Leibeigenschaft, diese Nachgeburt der heidnischen Sklaverei, konnte möglich machen, daß die Menschen jener Tage sich so was gefallen ließen.

Auch die heutigen katholischen Nachbarn der Schiltacher waren jenem Gewissenszwang zufolge einige Zeit protestantisch.

Graf Wilhelm von Fürstenberg, 1492 in Hasle geboren, ein schöner, geistreicher, tapferer Mann mit einem bösen »Haslacher Maul«, ein intimer Freund Sickingens und Feind der hohen Geistlichkeit, führte 1525 die Reformation in der Herrschaft Kinzigtal ein.

Bis 1549 blieb das Tal protestantisch, und die Bürger von Hasle, Wolfe und Husen und die Buren ringsum waren in den zwanzig Jahren, da sie dem »reinen Evangelium« dienen mußten, so antikatholisch geworden, daß sie nicht mehr zur alten Lehre zurückkehren und ihre Prädikanten nicht entlassen wollten.

Am 15. Mai 1549 schrieb Wilhelms Bruder und Nachfolger, der katholische Graf Friedrich, »dieweil die Leut' im Kinzigtal gar so verstockt seien und, wie er alle Tage hören müßte, die Messe lesenden Priester so hoch verachten und vernichtigen, daß auf ihn und auf das Land nur große kaiserliche Ungnade, auf ihn selbsten aber noch der Verdacht falle, als sähe er solche Dinge gern, so müsse er sich der Prädikanten gänzlich entschlagen. Schon habe er sich um katholische Priester umgesehen, aber leider weder böse noch gute bekommen können, da keiner, wenn man ihm auch noch so viel verspreche, zum Bekehrungsgeschäft in das Kinzigtal ziehen wolle.«

Noch fast dreißig Jahre nach dieser Aeußerung blieb der Protestantismus mehr oder weniger in Uebung, bis endlich 1575 den Prädikanten der Aufenthalt in der Herrschaft strenge untersagt wurde.

Und als um das eben genannte Jahr der Weihbischof von Konstanz, Balthasar Wurer, Bischof von Askalon, in den Pfarreien Wittichen und Schenkenzell Kirchenvisitation hielt, klagte er in seinem Bericht an die Herrschaft, daß er keine Meßbücher und nur hölzerne Monstranzen gefunden habe und daß das Sakrament der letzten Oelung fast ganz in Abgang gekommen sei. –

In jener Zeit aber, da die Kirche von Schilte eingeweiht wurde, herrschte Friede und Freundschaft unter den beiden christlichen Konfessionen. Die Gläubigen jeder Konfession hielten fest an ihrem Bekenntnis, ohne einander wegen der Verschiedenheit desselben gram zu sein.

Drum war der Tag der Kirchweihe in Schiltach auch ein Festtag für die Katholiken ringsum. Das katholische Städtchen Schramberg sandte seinen Sängerbund, die von Wolfe ihr Bürgermilitär, und die Buren von Schenkenzell vereinigten ihre Zivilgarde mit der Leibgarde Andreas I. und rückten am Morgen des 25. April im festlich geschmückten Städtchen ein.

Auch die katholischen Pfarrherren von St. Roman, Schenkenzell, Oberwolfach, Wolfach, Tennenbronn, ebenso ihre Amtsbrüder aus den benachbarten katholischen Orten Württembergs nahmen teil an der Feier.

Die katholischen Bergknappen aus dem Heuwich, welche das Silber zu einem Abendmahlskelch geschenkt hatten, erschienen ebenfalls in ihrer malerischen Tracht.

Beim Rathaus ordnete sich der Festzug und bewegte sich von da aus der Kirche zu. An der Straße hin bildeten die Bergknappen und die Militärkorps Spalier, und die letzteren begrüßten unter dem Kommando des Vogts von Kaltbrunn den Zug mit militärischen Ehren.

Andreas I. war an diesem Tage Brigade-Kommandeur und sprengte auf einem feurigen Braunen laut kommandierend an den Fronten auf und ab, so daß ein Weiblein von Schiltach meinte: »Der ouf dem Roß dowe, der hot älleweil 's größt' Moul.«

Aber, von diesem Weiblein abgesehen, schauten alle Völker des Kinzigtales an jenem Tage bewunderungsvoll an dem Vogt von Kaltbrunn hinauf, der mit seinem Ruhm als Millionär, als Anwalt aller Bedrängten, als Vater seiner Gemeinde und als Freund von Fürsten und »Potentaten« am Tage der Kirchweihe von Schilte noch die Ehre eines Höchstkommandierenden vereinigte.

Seine Musik spielte und konzertierte an jenem Feste in Schilte ebenfalls mit Ruhm und vermehrte durch die Macht ihrer Töne noch weiter das Ansehen Andreas I.

Drum redeten die Buren und die Völker des oberen Kinzigtales, welche das Fest nach Schilte gelockt hatte, nach der kirchlichen Feier in den Wirtshäusern nur vom Vogt im Kaltbrunn, von seiner Leutseligkeit, seiner allzeit hilfsbereiten Hand, von seinem Reichtum, seinen hohen Freundschaften, von dem schönen Braunen, den er heute geritten, von seinen schönen Soldaten und von seinen guten Musikanten.

Seine Garde aber und deren musikalische Begleiter tranken stolz das Doppelte von sonst auf Rechnung ihres Kommandanten.

Noch einmal machte dieser von sich und seiner Garde reden. Es war dies im folgenden Jahre 1844 und zwar in Hasle. Als der damalige Erbprinz Egon von Fürstenberg, jetzt seit Jahren ein toter Mann, seine junge Frau, eine Prinzessin von Reuß, heimführte, ward Hasle, die alte, fürstenbergische Residenz, auserkoren, der Ort zu sein, an dem die ehemaligen Kinzigtäler Untertanen des Hauses Fürstenberg dem neuvermählten Paare ihre Huldigung darbringen wollten.

Schon mehr denn vierzig Jahre waren die Kinzigtäler nimmer fürstenbergisch; aber kindlich, wie das Volk ist, hatten sie ihre alte Untertanentreue noch nicht vergessen.

Sie durften zwar, die Bürger und Buren des oberen Kinzigtales, fast sechs Jahrhunderte lang für das Haus Fürstenberg arbeiten, zahlen und bluten, ohne daß ihnen in den letzten zwei Jahrhunderten irgend ein freiheitlicher oder wahrhaft volkstümlicher Dank geworden wäre. Im Gegenteil, sie hatten in den letztvergangenen zwei Jahrhunderten all das verloren, was ihre Ahnen, besonders die in den Städtchen, sich in den vorhergehenden vier Jahrhunderten an Freiheiten und Privilegien errungen.

Und trotzdem hatte dies Volk seine alte Herrschaft noch nicht vergessen und ihr Liebe und Treue bewahrt noch viele Jahrzehnte lang, nachdem das Kinzigtal durch Napoleons Gnaden badisch geworden war.

Wahrlich, wenn am jüngsten Tag der Allmächtige sein Weltgericht hält, so müssen die Völker gnädig behandelt werden schon um der unermeßlichen Geduld, Liebe und Treue willen, die sie ihren irdischen Herren gegenüber gezeigt, weil sie dieselben als von Gott gegeben angesehen haben. Und die Sünden der Fürsten gegen ihre braven und gutmütigen Völker werden am lautesten um Rache schreien zum Weltrichter. –

Also anno 1844, in den ersten Tagen des November, war in Hasle ein großer Festtag. Die ehemaligen fürstenbergischen Untertanen vom ganzen Tale versammelten sich im Städtle, um dem Erbprinzen und seiner Gemahlin auf ihrer Durchreise »ehrerbietigst und untertänigst« zu huldigen.

Ich war erst sieben Jahre alt, sehe aber jetzt noch vor meinem Geiste die riesige Triumph-Pforte aus Buchsbaum- und Tannenreis, welche die Haslacher vor dem unteren Tor aufgerichtet hatten, sehe um dieses Siegeszeichen die Bürgergarden von Hasle, Wolfe und Kaltbrunn aufgestellt; ebenso die Bergknappen aus den Silbergruben des oberen Tales; ich sehe die Festjungfrauen und Festordner, die Buren und Bürinnen in ihren malerischen Trachten und von Hasle alles, was laufen konnte.

Natürlich waren auch wir Schulkinder offiziell ausgerückt und hatten als Lohn für das Paradestehen pro Männlein und Weiblein eine Brezel erhalten, aber nicht etwa vom Fürstenpaar, sondern auf – Gemeindekosten.

Dieser Mißbrauch, die Kinder zu politischen Schaustellungen zu benützen, hat seitdem nicht nur nicht aufgehört, sondern er wurde infolge des Jahres 1870 noch gesteigert. Wir haben seither bei jeder Gelegenheit und fast alljährlich patriotische Schulfeiern, bei denen aber die Jugend nichts hört von den Großtaten und den Freiheiten des Volkes, sondern nur vom Ruhme der Fürsten und vom Danke des ihnen untertänigen Volkes und Vaterlandes. Die armen Kleinen werden dabei nur mit servilen Reden und Liedern gefüttert, die ihnen höchst gleichgültig sind, statt, wie wir, mit Brezeln, für die allein wir Verständnis hatten.

Es sind die heutigen Feiern vielfach nichts anderes als Anleitung und Heranbildung zum Servilismus, statt zum Patriotismus. –

Andreas I. hatte an jenem Tage seine Garde samt ihrer Musik auf Wagen nach Hasle spedieren lassen, damit sie nicht beschmutzt und übermüdet auf dem Paradeplatz ankäme.

Auch sein Reitpferd ward am Abend zuvor dahin gesandt, und er bestieg es erst, als auch seine Garde daselbst einrückte.

Hatte er schon zwei Jahre zuvor in Hasle Aufsehen gemacht, als er sein Kätherle dem Kastenvogt gebracht, so staunten die Leute erst recht, da sie ihn in Uniform und zu Pferd vor seinem Bataillon einreiten sahen und seine Türken Musik machen hörten.

Und nachdem das junge Fürstenpaar an jenem kalten Novembertag unter dem Triumphbogen begrüßt worden war, die präsentierenden Soldaten von Hasle, Wolfe und Kaltbrunn passiert und das Städtle verlassen hatte, war der Burenfürst der Gegenstand der Unterhaltung und der Ovationen bei den durstigen Haslachern.

Es war der letzte große Tag, den er mit seiner Garde auswärts feierte. Bald hernach kamen das Hungerjahr 1847 und die zwei Revolutionsjahre.

Im Jahre 1848, an jenem geheimnisvollen Frühjahrsmorgen, da es im ganzen Lande Baden hieß: »Die Franzosen kommen!« war auch ein Stafettenreiter von Wolfe ins einsame Tal von Kaltbrunn gestürmt mit seiner Botschaft, um alles aufzutreiben talab und dem Rheine zu. Da wehrte Andreas, der Talfürst, und sprach: »Ich habe die Zeitungen der letzten Tage fleißig gelesen, und es stand nichts darin, daß das französische Parlament Geld für einen Krieg gegen Deutschland bewilligt habe. Es wird, wenn etwas an der Botschaft ist, nur Gesindel sein, das über den Rhein kommt, und dieses ist nicht zu fürchten. Ich rücke deshalb nicht aus mit meinem Militär, und alle meine Leute können ruhig daheim bleiben.«

So kam es, daß von allen Buren und Völkern im Kinzigtal die Kaltbrunner allein nicht talabwärts rückten an jenem Märzmorgen.

In den kommenden Aufständen blieb Andreas I. seinem Gönner, dem Großherzog Leopold von Baden, treu, konnte aber nicht verhindern, daß in Kaltbrunn und Wittichen manche Freunde der Republik auftauchten, vorab die Brüder des Fürsten vom Teufelstein, des Vogtsburen Schwester-Söhne, und der damalige Kapellmeister seiner Musik, der Lehrer Martin.

Selbst unter seiner eigenen Garde gab es Anhänger der jungen Freiheit. Drum mußte auch, nachdem die Preußen gesiegt hatten, das Leibkorps Andreas I. seine Waffen abliefern, und alle Mühe seines Chefs, diese Waffen wieder zu bekommen und die Garde wieder herzustellen, waren vergeblich.

Sein Stern war im Sinken.

So ging die schöne Truppe des großen Burenfürsten samt ihrer türkischen Musik unter. Aber Veteranen davon leben heute noch und erzählen ihren Enkeln von der schönen Uniform, die sie in der Jugend getragen, von den Instrumenten, die sie geblasen, und besonders von dem fürnehmen und freigebigen Major, der sie kommandiert habe.

Von seinen Soldaten waren zu Ende des 19. Jahrhunderts noch am Leben ein Gemeiner, der Jörgleandres, und dessen Bruder, der Jörglehans, welcher Trommler war bei der Truppe.

Die Musikanten waren vielfach kaum der Schule entlassene Knaben, und doch sind auch ihrer nur noch vier: der Rußdeis, welcher die Klarinette blies, 's Andrese Hans, der das Waldhorn, 's Andrese Toni, der die Trompete, und 's Hanse Konstant, der das Piccolo bediente. Diese sechs alten Männer sind die letzten Reste vom stolzen Korps Andreas I. und die einzigen noch im Leben stehenden Säulen seiner einstigen Größe und Herrlichkeit. –

Aber der Vogtsbur hatte auch einen echten Soldaten und Offizier in seiner Familie, und das war sein eigener Sohn, von dem wir jetzt reden wollen.

 


 << zurück weiter >>