Heinrich Hansjakob
Erzbauern
Heinrich Hansjakob

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2.

Schon am folgenden Tag erschien der Benedikt bei mir in meinem Häuschen an der Wolf. Die Sonne hatte draußen den gestrigen Maien-Schnee weggeleckt und schien kaltlächelnd in die kleine Stube, in der wir uns zusammensetzten. Im Ofen murmelte ein fröhlich Feuer, auf dem Tisch stand eine Flasche Wein für meinen Gast, und behaglich begann der Bergmann mir zu erzählen.

Sein Vater war Taglöhner, Waldarbeiter und Eigentümer der schon erwähnten malerischen Holzhütte bei der Grube Friedrich Christian am Zusammenfluß des Hirschbächles mit dem Wildschapbach. Sein Gütchen lag über den alten Erzgängen des Silberlochs. Er hieß Michael Lehmann, im Volksmund »der Lehmen-Michel«.

Oft erzählte der Vater an Winterabenden dem Benedikt und seinen Brüdern vom Erzreichtum, der unter seinem Gütle liege, und vom Leben und Treiben der Bergleute. Er hatte in der Grube Friedrich Christian, die 1823 ins Freie gefallen war, und später noch im Herrensegen als Knappe gearbeitet.

Der Lehmen-Michel erzählte aber seinen Buben auch vom »Grubengeist«, der die unterirdischen Schätze hüte und sich bisweilen den Bergleuten »erzeige«. Kämen diese in die Nähe von edlem Gestein, so poltere und tobe der Geist durch die Gänge, als ob er erzürnt sei, daß man ihm seine Schätze nehmen wolle.

Drum sind die Bergleute voller Freude, wenn sie den Grubengeist hören; denn sie wissen dann, daß sie bald auf edles Erz stoßen.

Des Knaben Benedikt blaue Augen leuchteten, so oft er vom Silber hörte, das unter des Vaters Feldern liegen sollte, und vom Grubengeist, und er wäre ums Leben gern ein Bergmann geworden, um mit beiden Bekanntschaft machen zu können.

Doch zur Zeit, da der Vater erzählte und der Benedikt noch in die Schule ging hinaus ins Wolftal, war keine Aussicht, daß die Gruben je wieder in Angriff genommen würden, und es schien den Söhnen des Lehmen-Michels nur das Los eines Holzmachers zu blühen. Und doch kam es anders. Der Benedikt war noch nicht viel über 16 Jahre alt, als sein Wunsch unerwartet sich erfüllen sollte.

Im Jahre 1847 nahm eine englische Gesellschaft, an deren Spitze der englische Gesandte in Frankfurt, Malet, stand, den Bergbau im oberen Kinzigtal wieder auf und pachtete von der Standesherrschaft Fürstenberg 70 alte Erzgruben, um sie in Betrieb zu nehmen.

Im Tal des Wildschapbachs wurde in den Gruben Erzengel Michael und Friedrich Christian gemutet, in der ersteren auf Kupfer, in der zweiten auf Silber.

Jetzt traten die alten Bergknappen wieder in Tätigkeit, und junge bildeten sich. Freudig griff auch der Lehmen-Michel aufs neue zum Schlegel und zum Eisen und nahm seine Buben mit unter die Erde.

Für die Einfahrt zum Friedrich Christian, die wieder freigelegt wurde, und für den Platz zur Wiedererrichtung der Scheidhütte, die beide auf seinem Grund und Boden waren, erhielt der Michel noch jährlich 34 Gulden als besondere Vergütung.

Wie staunte der Benedikt, als er das erstemal mit dem Vater in die Grube zog, durch den 460 Lachter langen Hauptstollen wanderte und in die vielen, tiefen Schachte hinabsah!

Er begann seine bergmännische Laufbahn als »Kübelfüller«, avancierte von da zum »Haspelzieher«, von diesem zum »Pumper« und dann zum »Hundeläufer«.

Zahllose »Bunde voll Berg« hat der Benedikt durch den großen Stollen des Friedrich Christian zu Tage gefördert.

Als er vom Hundeläufer zum »Lehrhäuer« vorrückte und bei 18 Kreuzer Lohn neben seinem Vater, der als »Vollhäuer« amtierte, mit Schlegel und Eisen hantieren durfte, da glaubte er, es fehle ihm nichts mehr zum Lebensglück.

Tag und Nacht unter der Erde arbeiten und das für ein Glück halten, ist eine Kunstleistung ersten Rangs, die noch vermehrt wird durch die Tatsache, daß die Knappen und ihre Lehrbuben, wenn sie nachts einfuhren zu zehnstündiger Arbeit, je nur ein Stück schwarzes Brot mit in die Grube nahmen.

Um Mitternacht ruhten die Bergleute eine Stunde aus, indem sie sich »auf den Stein legten«. Bei der Tagschicht fuhren sie um die Mittagsstunde aus zum Essen.

Fuhren die Knappen am Morgen aus der Grube, so konnten »die Ledigen« ins Bett und schlafen; die verheirateten Gütler aber gingen auf ihre Felder, um diese zu bestellen. So arbeiteten diese braven Menschen tags über und nachts unter der Erde. Der Lehmen-Michel gar zog außerdem, wenn sein Gütle bestellt war, mit seinen Buben noch in den Wald und machte Holz für die Schapbacher Buren, deren Wälder im Wildschapbach liegen.

Kein Wunder, wenn diese Erzknappen in der Nacht oft vom Schlaf überwältigt in ihren Schachten niedersanken.

Und bei ihrem kärglichen Lohn und ihrer schweren Arbeit war es ihnen auch nicht zu verübeln, wenn sie bisweilen, wie der Benedikt heute noch schmunzelnd erzählt, Karten mit hinabnahmen und bei ihren trüben Grubenlichtern ein Spielchen machten, oder Schlegel und Eisen niederlegten und ein Stündchen schliefen.

»Wer nicht eine oder zwei Stunden alle Glieder stillhalten kann, ist nicht als Bergmann zu gebrauchen,« so lautete nach Benedikt das in seiner Häuerzeit geltende Sprichwort.

Kam dann ein Steiger oder Obersteiger, um die Leute zu visitieren, so hatten diese ihre eigenen Signale.

Der erste Häuer, auf den der Beamte traf, rief: »D' Kapp' het a Loch!« Waren die andern tief unter ihm in den Schächten, so schüttelte der Kamerad am »Förderseil«. Bis der Aufseher hinunter kam, war dann alles in voller Tätigkeit.

Die obersten Beamten waren Engländer mit dem Namen Kapitäne, wie die Vorstände der Zechen in England heißen.

Die beiden Kapitäne im »Friedrich Christian« und den übrigen in Betrieb gesetzten Gruben hießen Luck und Lowell, wurden aber von den Bergleuten – der erstere Martin, der andere der langnasige Kapitän genannt. Sie waren Mitaktionäre der Gesellschaft, spielten die leicht- und wohllebigen Herren, wohnten draußen im Wolftal und kamen nicht allzuoft in die Gruben. Kapitän Martin ging den Wibervölkern und der langnasige Lowell den Fischen in der Wolf nach. Der letztere wohnte in der Stube, in welcher der Benedikt und ich beisammen saßen.

Es waren auch englische Vorarbeiter da, die aber im Spielen und Liegen den Erzknappen aus dem Kinziggebiet mit gutem Beispiel vorangingen.

Steiger und Obersteiger waren lauter ältere Bergleute aus der Gegend.

Zweihundert Mann muteten zu Benedikts Zeiten im Friedrich Christian und im Erzengel Michael. Sie bildeten einen eigenen Knappschaftsverein, der zu festlichen Zeiten in stolzer Uniform paradierte. Voll- und Lehrhäuern, Förderbuben und Steigern – jedem konnte man seine Würde an der Uniform absehen.

Kaum war nach einigen Jahren unser Benedikt Vollhäuer, als er mit seinem frischen Gesicht und seinen blauen Augen auch eine Braut fand, die ihn zum überglücklichen Besitzer eines Gütchens und so von einem Erzknappen auch zu einem Erzbauern machte.

Eine halbe Stunde von der Grube Friedrich Christian entfernt wohnte auf steilem Bühl im Hirschbach der alte Jakob Rosenfelder, wegen der Lage seines Gutes und seiner Hütte und wegen seiner kleinen Gestalt im Volksmund nur »der Bühler-Jaköbele« genannt.

Der Jaköbele war ein stiller, einfacher und schweigsamer Mann, der am liebsten allein lebte und allein ging. Er handelte streng nach der Vorschrift des Evangeliums; denn seine Rede war meist nur »ja, ja« oder »nein, nein«.

Seine Buben, der Hannes, der Dis (Mathias) und der Sepp, waren Erz- und Waldleute. Neben ihnen hatte er noch drei Meidle: Bärbele, Heli und Lis. Jedes seiner Kinder trug im Volksmund den Namen »Bühler«, und es gab also nicht bloß einen Bühler-Jaköbele, sondern auch einen Bühler-Hannes, eine Bühler-Heli u. s. w.

Des Jaköbeles Buben und Meidle waren lustige, »singerige« Leutchen, und an Sonntagen kamen drum die ledigen Hirsch- und Wildschapbacher, die Erzknappen und die Holzmacher, auf den Bühl zum Singen.

Der Vater Jaköbele flüchtete, wenn er diese Sänger kommen sah, in den Wald oder, wenn er sie nicht bemerkte, bis sie im Haus waren, in oder unter sein Bett, damit er nicht mit ihnen reden mußte.

Seine Buben und zwei der Meidle verheirateten sich auswärts oder starben, so daß bei seinem Tode nur noch die Lis daheim war, und diese war vielumworben.

Die Bergknappen hielten an Sonntagen in Berg und Tal ihre Liebe feil bei den Meidlen, vorab bei der »reichen« Erbin, der Bühler-Lis. Aber alle fuhren bei dieser ab bis auf den kaum 23jährigen Lehmen-Benedikt, wie er in jenen Tagen genannt wurde.

»Heute,« so sprach er zu mir am 13. Mai 1897 im sonnigen Häusle am Wolfbach, »heute sind es gerade einundvierzig Jahre, daß ich mit meiner ersten Frau Hochzeit gehalten habe.« Und er wischte sich eine Träne der Erinnerung aus den Augen, denn der Erzbauer Benedikt liebte seine Lis aufrichtig.

Sonst ist die Liebe der Mannsleute bekanntlich nicht weit her und hält auch nicht lange an. Der Benedikt aber war ein musterhafter Ehemann, der in treuer Liebe an seinem Weib hing und es bedauerte, so wenig um es sein zu können. Denn er blieb, trotzdem er jetzt ein Gütchen von 36 Morgen sein eigen nannte, nach wie vor Bergmann um 48 Kreuzer Taglohn. Weil er nun gar oft nachts in der Grube und tags auf seinen Feldern hantieren mußte, so blieb ihm nicht viele Zeit, um mit seinem jungen Weib sich zu unterhalten.

Dafür benützte er dann den Sonntag um so eifriger. Während die Bewohner des Hirschbachtälchens an Sonn- und Feiertagen in einer geschlossenen Truppe den Wildschapbach hinaus gingen der Kirche zu und ebenso wieder heim, wandelte der »junge Bühler«, wie der Benedikt jetzt hieß, allezeit allein mit seiner Lis – hin und her. Und warum? »Um nicht durch andere gestört zu werden im Gespräch mit ihr.«

Ich hoffe, daß alle meine Leserinnen die zärtliche Sinnigkeit des einfachen Bergmanns anerkennen werden!

Je größer das Glück, um so schneller zerbricht es.

Nur kurze Zeit, nicht viel mehr als ein Jahr, lebte der Benedikt im Besitze seiner braven Lis. Sie starb und ließ ihn in Verzweiflung zurück. Er meinte, es sei nicht möglich, daß sie seine Lis tot hinabgetragen hätten ins Tal, und konnte sich kaum fassen.

Manchmal, wenn er tagsüber in der Nähe seiner Hütte Gras mähte, übermannte ihn der Schmerz und die Erinnerung an sein verlorenes Weib. Er warf die Sense weg, setzte sich auf das grüne Gras und weinte sich aus.

Selten kommt aber bekanntlich ein Unglück allein, und so traf auch den Bühler bald darauf ein zweites. Die Gruben der englischen Gesellschaft wurden ins Freie fallen gelassen, und die Bergleute mußten »das Gezäh austragen«.

Der Betrieb hatte sich nicht rentiert, während neue, große Anlagen notwendig geworden waren, um das Wasser zu bewältigen. Der Kapitän Martin war wegen seines Lebenswandels aus dem Gebiet des Wolf- und Wildschapbachtales verwiesen worden und hatte, nach England heimgekehrt, daselbst Stimmung gegen den Weiterbetrieb gemacht.

Ein neues Aktienunternehmen, das der langnasige Kapitän anregte, wurde, weil auf unsolidem Boden stehend, von der badischen Regierung nicht genehmigt.

Die Bergleute wurden wieder Waldleute und machten Holz; der Benedikt aber kehrte auf seinen Bühl zurück, bearbeitete sein Gütle und gedachte in Weh seines toten Weibes und in Betrübnis der eingegangenen Grube Friedrich Christian.

 


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