Heinrich Hansjakob
Erzbauern
Heinrich Hansjakob

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2.

Im oberen Quellengebiet der Kinzig liegt ein einsames, waldiges Hochtal, der Kaltbrunn genannt, so benamset von einem Bächlein gleichen Namens, das einem kühlen Brunnquell im Walde entspringt. Wenige und deshalb reiche Bauern bewohnten seit alten Zeiten dieses etwas über zwei Stunden lange Tal.

Die Tannenbäume, die sie in stattlichen Flößen durch das Laienbächle und den Kaltbrunnerbach der Kinzig zuführten, machten ihren Reichtum aus.

Der reichste von ihnen war zu Anfang des 19. Jahrhunderts der Bur auf dem Vogtshof, unter dem gewaltigen Rufenkopf gelegen. Weil die Besitzer dieses großen Waldhofes ihres Ansehens wegen meist Vögte im Tal waren, hatte der Hof den obigen Namen erhalten.

Anton Harter hieß der Vogtsbur und Vogt von Kaltbrunn, als das 19. Jahrhundert in die Welt trat, ein stattlicher und stolzer Bur, der nur Holländer-Stämme, d. h. Riesentannen in seinen Wäldern schlug und seine Flöße an die Schifferschaft in Wolfe verkaufte.

Mehr denn einmal im Jahr fuhr er von diesem Waldstädtchen heim, den Sitz in seinem Wägele voll von Kronentalern, jenem schönsten und währhaftesten Silbergeld der vergangenen besseren Zeiten.

Der Kronentaler wurden nach und nach so viele, daß die Vögtin, die Mariann', sie nimmer alle in ihrem großen, buntbemalten Trog neben ihren Staatskleidern aufheben konnte.

»Was meinsch, Toni,« sprach sie eines Tages, da der Bur wieder mit seiner großen »Ledergurt« voll der großen, silbernen Dinger heim kam, »i hon kei Platz mei im Trog, i moin, i well üser Geld in einer SchiedeWaschkorb. oufhebe un d'Schiede unter üsere Himmelbettlad stelle?«

»Mach, wia du witt, Alti,« gab der Vogt zurück, »aber derno muasch d'Stubekammer gut abschliaße.«

So geschah's, und fortan lagen die Kronentaler in einer großen, weißen Schiede unter dem riesigen Himmelbett der Vogtsleute; die Schiede aber war meist voll.

Nicht weniger als sechs Buben hatten der Vogtstoni und seine Mariann' und dazu noch drei Meidle – alle lustig und lebensfroh, wie es auf Bauernhöfen, wo die Kronentaler korbvollweise sich finden, der Fall ist.

Die Buben und die Meidle waren gesucht und darum nicht allzulange ledig. Denn weit und breit in den Tälern an der Kinzig ging die Kunde von der Schiede unter der Himmelbettlade im Vogtshof zu Kaltbrunn.

Und mit den Kronentalern in der Schiede wurde nicht geknausert. Namentlich war die Mutter damit freigebig gegen ihre Kinder. Wollte eines Geld, um zu einem Tanz oder auf den Jahrmarkt zu gehen nach Alpirsbach, Schiltach oder Wolfach, so pflegte sie zu sagen: »Gau in d'Stubekammer und hol in der Schiede, aber mach' ou 's Loch wieder ebe, wenn du g'nomme hosch!«

Einer von den Buben des Vogts, Toni, der jüngere, saß schon seit Jahren als Bur droben auf dem einsamen Roßberg, einem Riesen-Waldhof, einem kleinen Fürstentum für sich. Es ward ihm aber später zu einsam und zu weltfern in diesem Waldmeer, und er verkaufte den Roßberg an einen Schiffer in Alpirsbach, der ihm 100 000 Gulden bar und zwei Höfe drunten im Kaltbrunner Tal dafür gab.

Den Namen des Roßbergs nahm er aber mit hinab ins Tal, und derjenige von den zwei Höfen, auf dem er seine Residenz aufschlug, heißt bis zur Stunde der Roßbergerhof und der Bauer der Roßberger. Unter diesem Namen und als Besitzer des genannten Hofes saß in den achtziger Jahren ein Enkel dieses Bauernfürsten in der zweiten badischen Kammer.

Ich hab' ihn allzeit mögen, den heutigen Roßberger, und ihn auch schon aufgesucht auf seinem stattlichen Hof, weil er nie, selbst in der badischen Residenz nicht, seine schöne Volkstracht abgelegt und sich nie geschämt hat, ein Bauer zu sein.

Ein anderer Sohn der Vogtsleute im Kaltbrunn,Die Schwarzwälder sagen bei Ortsnamen, die mit bach, brunnen, wald, tal endigen, stets im, nicht in. der Franz, heiratete auf einen Hof im mittleren Kinzigtal, »im Reichstal«, unweit Hasle. Sein Hof bekam alsbald von ihm den Namen »der Kaltbrunner Hof« und trägt ihn bis auf diesen Tag. Der Franz hatte aber kein Glück und mußte den Hof verkaufen; seine Söhne wurden Maurer und Zimmerleute. Sie machten die Pläne zum großartigen Rautschhof im Nordracher Tal, von dem ich anderwärts erzählt, und führten sie auch aus. Eines seiner Meidle aber heiratete den Sohn des meinen Lesern längst bekannten Bauernkönigs Breig, dessen Urenkel heute als Dienstmann an der Ecke der Bertold- und Kaiserstraße zu Freiburg steht.

Ein dritter vom Stamme auf dem Vogtshof, der Hans, hatte hinüber geheiratet in den »Heuwich«, den wir vom »Fürsten vom Teufelstein« her kennen. Sein Enkel ist der heutige Bürsten-Marx von Hasle, der dickste Mann im Städtle und von bewährter Biederkeit im Handel mit Bürsten und Glaswaren.

Ein anderer Enkel sitzt gar in Freiburg als wohlhäbiger »Feilträger« und ist wohl der erste seines Standes in der Dreisamstadt.

Weder der Bürsten-Marx, noch sein Bruder, der Romanus, weiß wohl mehr, daß sie fürstlichem Bauernstamme entsprossen und daß ihre Urgroßmutter eine Schiede voll Kronentaler unter dem Himmelbett stehen hatte. –

Der Lorenz und der Philipp, zwei weitere Söhne, waren Buren im Schappe, der eine auf dem Kupferberg, der andere im Gaisloch.

Und die Meidle vom Vogtshof waren noch gesuchter als die Buben. Die Monika und die Luitgard wurden junge, schöne Bürinnen, die eine auf dem Meierhof im Schappe, die andere auf dem stolzen Martinshof oberhalb Hasle, wohin ich schon als Knabe kam.

Die dritte aber, das »Tonile« (Antonie) führte gar der Revierjäger von Wittichen heim, und sie wurde die Mutter eines großen, braven Mannes, des – Fürsten vom Teufelstein.

Der jüngste Sprößling und deshalb, wie üblich bei Müttern, der Liebling der Vögtin, war der Andreas, ein frischer, bildschöner Bub, den seine ledernen Kniehosen und der kurze schwarze Kittel noch frischer und lebendiger machten. Auch geistig war er, wie die Kinzigtäler sagen, nicht auf den Kopf gefallen, und der damalige Präzeptor von Kaltbrunn, ein Natur-Schulmeister, lehrte, was heutzutage nimmer geübt wird, die Kinder denken, d. h. den gesunden Menschenverstand anwenden. Drum wurde der Andreas lediglich auf sein Studium bei diesem Lehrer-Original hin ein Mann, der auf allen Sätteln reiten und den man überall hinstellen und überall brauchen konnte.

Dieses Original alten Schulmeisterschlages war Balthasar Mäntele, ein Gütler oder Taglöhner aus dem Hirschgrund im Heuwich. Ihn hatten die Buren von Kaltbrunn, weil er gut lesen und rechnen konnte, zum Lehrer erkürt, und fast vierzig Jahre lang hat der »Schul-Balzer«, wie er im Volksmunde hieß, die Kinder von Wittichen und Kaltbrunn unterrichtet. Seine berühmtesten Schüler waren der Fürst vom Teufelstein und Andreas I., der Bauernfürst von Kaltbrunn.

Des Vogts Andres hatte er, weil es noch mehrere Buben in der Schule gab, die Andreas Harter hießen, als Andreas I. bezeichnet.

Und unter welchen Mühsalen hat der brave Balthasar seines Amtes gewaltet! Er mußte in seine Schule täglich zwei Stunden marschieren auf beschwerlichen Wegen über den Kuhberg, und zwar zur Winterszeit, weil im Sommer keine Schule gehalten wurde.

Oft kam der Brave mit der Schneeschaufel auf dem Rücken in die Schule, da er sich den Weg erst hatte bahnen müssen durch die Schneemassen.

Im Sommer war er Holzhauer und Taglöhner und im Winter Volkslehrer. In der letztern Eigenschaft trug er stets einen langen, leinenen Rock, der bis auf die Knöchel reichte, und sah darin so feierlich aus, daß die Kinder, welche ihn zum erstenmal sahen, sich vor ihm fürchteten und vielfach wieder davonliefen.

In der Nähe der Schule, auf dem Roßbergerhof, war eine Wirtschaft, wo der Balzer speiste. Traf er hier über Mittag Bauern, die ihm einen oder den andern Schoppen zahlten, so kam er am Nachmittag etwas hitzig in die Schule. Die Kinder ersahen dies an einer großen Warze, die der Balzer hinter dem linken Ohr trug. War diese gerötet, wenn er vom Essen kam, so hieß es aufgepaßt, da er dann mit dem Stock weit gröber dreinfuhr als sonst.

Er lehrte seine Kinder außer dem Denken auch das Beten. So oft die Stunde schlug auf der Schwarzwälder Holzuhr in der Schulstube, mußten die Kinder ein kurzes »Stundengebet« sprechen. Trotzdem ihm der »aufgeklärte« Pfarrer das viele Betenlassen untersagte, unterließ es der brave Mann doch nicht.

Es ist die einzige nicht edle Tat des späteren Vogts und Bauernfürsten Andreas I., daß er seinen eigenen, alten Lehrer absetzte, als dieser einmal seinem Sohne Johann Nepomuk mit einem Buch gehörig den Kopf »verschlagen« hatte.

Der Vogt pensionierte ihn daraufhin und sorgte für einen »studierten« Lehrer. Der brave Balzer aber kehrte wieder in den Heuwich zurück und blieb Taglöhner und Holzmacher bis an sein Ende.

Doch jeden Sonntag kam er, obwohl in die ihm näher gelegene Pfarrei St. Roman gehörig, über den Berg in das undankbare Kaltbrunn-Wittichen zur Kirche, wo dankbare Schüler ihm einen Schoppen bezahlten und von wo er eine jährliche Pension von 10 Gulden bezog. Er starb hochbetagt erst in den fünfziger Jahren. –

Aus der Schule entlassen und herangewachsen, wurde des alten Vogts Andres auch der Liebling anderer weiblicher Wesen als seiner Mutter.

Alle jungen Wibervölker, so weit die Kirchspiele von Wittichen, Schenkenzell, Schapbach, Wolfach und St. Roman reichten, hatten ein Aug' auf des Vogts Andres, wo immer er sich blicken ließ.

Wo eine Hochzeit in diesen Gebieten war, kam des Vogts Jüngster meist angeritten oder angefahren, seltener zu Fuß, und aller Augen richteten sich auf ihn: die der Meidle wegen des schönen, flotten Tänzers, der zudem seine Tänzerinnen fürstlich regalierte, die der Burschen aus Neid und Eifersucht und die der Buren und Bürinnen, weil der Andres immer lustig war und manche Extramaß auf den Tisch stellen ließ und ihnen »zubrachte«.

Ehe er daheim fortging, unterließ er nicht, die Schiede unter dem Himmelbett in Anspruch zu nehmen und zwar jeweils auf originelle Art.

Verließ er den Vogtshof zu Pferd, so sagte er zur Mutter, ehe er aufstieg: »Muatter, i hou no keine Spore;« fuhr er vom Hof weg mit dem Wägele, so hieß es: »Muatter, i hou no keine Rädle;« ging er, weil steile und schlechte Gebirgswege es verlangten, zu Fuß, so sprach er: »Muatter, i hou no keine Steigeise an de Stiefel!«

Die Antwort der Mutter kennen wir: »Hol' in der Schiede, aber mach ou 's Loch wieder ebe!«

Die Burschen ringsum sahen ihn ungern beim Tanz erscheinen, weil er ihnen die schönsten Tänzerinnen wegspannte und mit Vorliebe die Eifersucht wachrief; denn die Meidle ließen die Buben, mit denen sie Bekanntschaft hatten, im Stich, wenn Andreas I. auf einen Tanzboden trat und sie »engagierte«.

Die Wibervölker sind ja, wie ich schon oft gesagt, in ihren Schwächen überall gleich, in Stadt und Land.

Wenn auf einem »Bürgerball« ein Prinz erscheint und eine »Dame« zum Tanzen auffordert, so wird die Gans nicht bloß alsbald Vater und Mutter, sondern auch ihren Verlobten vergessen, und wenn der Prinz gar den ganzen Abend sich ihr widmet und sie zu einer Flasche Sekt und Eis einlädt, dann kommt sie vor lauter Pläsier in Gefahr, ihr bißchen Verstand zu verlieren und »überzuschnappen«.

Aehnlich ging es den Meidlen in den obengenannten Kirchspielen, wenn Andreas I., der Bauernprinz aus dem Kaltbrunn, kam.

Die Bauernburschen aber, denen er so mitspielte, verstunden manchmal keinen Spaß. Ein bürgerlicher und halbkultivierter Bräutigam und selbst ein ganz kultivierter, akademischer wird sich geschmeichelt fühlen, wenn ein Prinz mit seiner Dame tanzt und sie bevorzugt. Bildung und Halbbildung machen ja nicht, wie so viele meinen, frei, sondern servil und knechtselig.

Die unkultivierten, dummen Bauern aber lassen sich in der Regel nicht foppen, und ob der Tänzer, der ihre Eifersucht wachruft, ein Bauernprinz oder ein Herr ist, sie zeigen ihm ihre Fäuste und bringen ihre Meidle wieder zur Vernunft durch einige Rippenstöße.

Andreas I. war mehr als einmal in Gefahr, auf dem Heimweg, vorab wenn er zu Fuß und durch den Wald ging, geprügelt zu werden. Aber schlau, wie er war, wußte er sich seiner Gegner, die meist zu zweit waren, der Eifersüchtige und sein Helfer, nicht bloß zu erwehren, sondern verstand es auch, sie selber noch seine Kraft fühlen zu lassen.

Der Don Juan ließ sich, ehe er abzog vom Schauplatz und wenn er eine Ahnung oder Warnung hatte, daß man ihm aufpasse, beim Dorfkrämer ein Pfund Schnupftabak, aber keinen groben, sondern seinen »Lotzbeck« geben, und den verteilte er in die Taschen seines schwarzen Tuchkittels.

An gefährlichen Stellen, wo er seine Feinde im Hinterhalt vermutete, hielt er beide Hände über seinen Schnupftabak. Stürzten dann jene auf ihn los, so salbte er ihnen mit Teufelsgeschwindigkeit die Augen mit dem Tabak ein; während sie sich denselben ausrieben, klopfte er sie und beschleunigte dann seinen Heimweg.

Im Torwald, der das Wolf- vom Kaltbrunnertal trennt, paßten ihm Schapbacher Burschen mehr denn einmal auf, um ihre Eifersucht an ihm zu kühlen, wurden aber statt dessen mit Schnupftabak gesalbt und mit Schlägen traktiert.

Doch edelsinnig, wie er war und blieb, hat Andreas I. sich immer wieder mit seinen größten Gegnern versöhnt und ist gut Freund mit ihnen geworden. –

Aehnlich wie Prinzen, die auch nicht lange ledig bleiben dürfen, beugte sich der tanzlustige Don Juan von Kaltbrunn bald unter das Joch der Ehe. Sein Vater, der alte Vogtsbur, ging aufs Leibgeding, blieb aber noch einige Jahre Vogt und starb erst 1823.

Im September des Jahres 1811, in dem der beste Wein wuchs im neunzehnten Jahrhundert, hielt Andreas I. Hochzeit.

War er da einmal beim Tanz gewesen drüben in St. Roman und hatte manch waldigen Hang und manch tiefes Tal überschritten, um dahin zu kommen.

Im Adler zu St. Roman ging's immer lustig her, wenn Tanz war; denn es kamen dorthin die Meidle von all den vielen umliegenden Höhen und Tälern, schmucke, frische Dirnen und Töchter reicher Waldbauern; drum war dem Don Juan aus dem Kaltbrunn der Weg dahin nie zu weit.

Südlich von St. Roman öffnet sich das kleine, enge Tal von Ippichen, durch das in eiligem Lauf das Ippichenbächle der Kinzig zuspringt.

Einst stund hier eine Burg der Edelknechte von Gippichen, welche außer ihrem Burgstall, den sie teils von den Grafen von Fürstenberg, teils von den Herren von Geroldseck zu Lehen hatten, nichts besaßen. Die sieben Bauernhöfe im Tal hatten Buren zu Lehen, aber nicht von ihnen.

In ihrem Wappen trugen die Edelknechte im obern Feld eine Mondsichel, wohl weil sie aus dem engen Tälchen den Mond nie voll sahen. Ihr Lieblingsname war Aulber (Albrecht) und ihre Hauptbeschäftigung Raub. Sie waren treue Diener des »steinernen Mannes« zu Hasle.

Noch 1399 am Magdalenentag versicherte ein Aulber von Gippichen das Heiratsgut »seines lieben, ehlichen Weibes«, Klara von Schnellingen, so in 400 Gulden bestund, mit Zustimmung seiner Lehensherren auf seine Burg.

Heute ist jedes Andenken an die Edelknechte von Gippichen und jede Spur von ihrem Burgstall im Tälchen verschwunden, und der Volksmund weiß weder mehr was von den Aulbern, noch von ihrer Burg. –

Aus diesem Tälchen stieg im Sommer 1811 die jüngste Tochter des zweitobersten Buren, des Schillingers, zum ersten Male zum Erntetanz nach St. Roman.

Das Kätherle war noch nicht 18 Jahre alt, und der Pfarrer von Wolfe, wohin die Ippicher kirchlich gehörten, hatte schon oft in der Christenlehre den Meidlen, die noch nicht 18 Sommer zählten, verboten, zum Tanz zu gehen. Drum wanderte das Kätherle nach St. Roman, bei dessen Pfarrer es ja nicht in die Christenlehre ging.

Es hatte schon drei Winter lang von den Mägden ihrer Mutter das Tanzen gelernt und wollte es auch einmal auf dem Paradeplatz probieren.

Hier sah es Andreas I.; er tanzte mit dem netten, lustigen Meidle, und zwei Monate später war das Kätherle Vogtsbüre im Kaltbrunn.

Die Trauung aber war gegen alles Herkommen statt im Kaltbrunn in Wolfe gehalten worden. Das Kätherle, dem der Pfarrer das Tanzen verboten, wollte diesem zeigen, daß es wenigstens alt genug sei zum Heiraten: zugleich schmeichelte es ihm, im »Staedtle« als Hochzeiterin paradieren zu können.

Getraut hat sie mein Großonkel Josef Hansjakob, der Bruder meines Großvaters, des Eselsbecken von Hasle, damals und lange nachher noch Pfarrherr von Wolfe.

Tanz und Festessen waren »im Engel bei der Halbmeil«, an einsamer Talstraße, wo die Buren von Ippichen alle ihre »Hosigen« hielten und noch halten.

Neunzehn Jahre alt war Andreas I., als er Bur ward auf dem Vogtshof.

Gern hätten die Männer von Kaltbrunn den blutjungen Bauernfürsten auch gleich zum Vogt erklärt, nicht bloß, weil diese Würde von altersher auf seinem Hof von Bur zu Bur ging, sondern auch, weil Andreas I. trotz seiner Jugend einen »hellen Kopf« hatte und lesen und schreiben konnte so gut wie ein Studierter.

Vermochte er wegen seines jugendlichen Alters noch nicht Vogt zu werden und damit Hirte der Völker im Kaltbrunn, so blühte ihm doch in jenen Tagen eine andere Würde, die er lediglich seiner Jugend und seinem knabenhaften Aussehen verdankte.

Kommt er da im Spätherbst des Jahres 1811 auf den »Kuchenmärkt« hinab ins Waldstädtle Wolfe. An diesem Markt pflegen die Buren des oberen Kinzigtals ihre Völker, die Knechte, Mägde und Hirtenbuben, zu dingen fürs kommende Jahr.

Er hat seine Völker eben gedungen, der jugendliche Vogtsbur, und will den Markt verlassen, um einen Schoppen zu trinken. Da begegnet ihm der Disemichel, ein Bur aus dem Rankach, einem einsamen Seitentale der Wolf, weit, weit ab von Kaltbrunn, und fragt ihn: »Bist du schau dunge?« »Nei,« entgegnet rasch entschlossen der Junge.

»Du tätst mir g'falle als Hirtebua,« meint weiter der Bur. »I bin der Disemichel ous'm Ranke un gib dir zwanzig Gulde Lohn un 's doppelt Häs.«

»Wieviel Vieh muaß i hüte?« fragte Andreas I.

»Zwei Roß, zehn Stier un zwölf Küh' – fürs Kleinvieh hou i a Meidle,« antwortet der Disemichel und fährt fort: »Un wenn i z' Acker fahr un hinterm Pflug stand, muaßt du 's Vieh treibe.«

»Eiverstande!« ruft der Junge, »aber i will a Kronetaler Haft!«Haft nennt man im Kinzigtal das Stück Geld, welches der Bauer dem Dienstboten gibt, um ihn an seine Zusage, bei ihm zu dienen, zu binden. Kommt der oder die Gedungene nicht, weil es sie reut, so müssen sie den Haft verdoppelt zurückgeben.

»A Kronetaler hou i no keim Knecht gä (gegeben), no viel weniger emme Hirtebua,« meint verwundert der Disemichel.

»Ihr hont ou no niamals so a Bua fürs Vieh dinget, Bur,« erwidert der Hirtenknabe. »A Kronetaler isch bei mir 's kleinst Geld. Mei Muatter hot als Büre immer a Schiede voll Kronetaler unterm Himmelbett stau g'ha.«

»I hou schau davon g'höret, daß im Kaltbrunn a Hof sei, wo d' Kronetaler schiedevollweis dohoim seie. Bisch du ouf dem Hof dohoim?« fragte der Disemichel.

»Do bin i dohoim,« antwortete der Junge, »aber i möcht ou amol sehe, wie's ouf ame andere Hof isch, un a Jährle diene.«

Jetzt langt der Disemichel in seine Lederhosen, zieht den Beutel heraus und gibt dem frischen, netten Knechtlein einen Kronentaler mit den Worten: »Do hosch a Kronetaler. I will ou amol a Hirtebua hou vom a rechte Hof. Sonst stammet d' Hirtebube meist von ledige Meidle un sin bettelarm.«

Der so Angeworbene nimmt seinen Haft, frägt den Bur noch, wohin der Weg gehe in den Ranke und verspricht, an St. Johannstag z' Wînächten mit seinem Bündel einzutreffen.

Sie reichen sich die Hand und scheiden. Der Disemichel freut sich im stillen über seinen netten, reichen Hirtenbuben. Dieser schreitet fröhlich hinter dem Bur drein und sieht, wie er in die Sonne geht, um eins zu trinken.

Beim Sonnenwirt hat auch der junge Vogtsbur seine Pferde eingestellt, und da es ihm ebenfalls um einen Schoppen zu tun ist, betritt er unmittelbar hinter dem Disemichel die Wirtsstube und setzt sich neben ihn an den gleichen Tisch.

»So,« meint der Bur aus dem Ranke, »soll i dir ou no a Schoppe zahle, daß du mir nokummst?«

»Sell nit,« gibt der Gedungene zurück, »aber i hou ou mei Eikehr beim Sonnewirt.«

Dieser kommt eben bei dem Tisch an, erblickt den Vogtsbur, lüpft sein Hauskäppchen und grüßt: »A guten Morgen, Herr Harter, ou z' Märkt?« Und zum Bur aus dem Ranke sich wendend, spricht er: »Ou hiesig heut', Disemichel?«

Der Disemichel macht große Augen, schaut den Sonnenwirt an und fragt: »Seit wenn sin d'Hirtebuabe Herre, Sonnewirt? Den do hou i jo ebe dinget für mei Vieh, und Ihr nennt ihn Herr!«

»Das kann Euch nit ernst sei, Disemichel,« entgegnet der Sonnewirt. »Der jung' Herr do isch un bleibt der Vogtsbur ous'm Kaltbrunn!«

Dieser hatte indes seinen Beutel aus der Tasche gezogen und zwei Kronentaler daraus entnommen. Er schob sie lachend dem Disemichel zu und sprach: »Der Sonnewirt hot recht; i bin der Vogtsbur, aber noch so jung, daß i a Hirtebua mache könnt. Drum hou i zum Spaß mich Euch verdinget, als Ihr mich g'fragt. Den Haft will und muaß i aber verdopple, weil i den Dienst nit antreten ka am St. Johannstag z' Wînächten, denn i hou a Hof un a Weib dohoim.«

Jetzt ging dem Disemichel ein Licht auf. Er schlug auf den Tisch und rief: »Aber die zwei Kronetaler müsse heut noch versoffe werde. I gang nur schnell nochmols ouf de Markt und ding a andere Hirtebua, aber dann bleibet mir zwei sitze und esset und trinket, bis die Kronetaler alle sin.«

Der Vogtsbur war deß zufrieden, und der Disemichel und sein vermeintlicher Hirtenbub saßen bis in die tiefe Nacht hinein in der Sonne z' Wolfe und vertaten das Haftgeld.

Der Kuchenmärkt wird am Montag vor Weihnachten gehalten, und es war eine kalte Nacht, als die zwei Buren über die Kinzigbrücke fuhren, der eine rechts, der andere links ab.

Beim Abschied meinte der Disemichel, die kalte Nachtluft tät einem gut nach so vielen Botellen Zwölfer.

Beide aber konnten nüchtern werden, bis sie heimkamen, denn jeder hatte einen weiten Weg, der Vogtsbur den weitesten.

Der Sonnenwirt erzählte aber allen Buren, die bei ihm einkehrten, daß der Disemichel den Vogtsbur von Kaltbrunn als Hirtenbuben hätte dingen wollen, und der Disemichel ward noch lange gefoppt, weil er so stolz sei, daß der reichste Bur ihm sein Vieh hätte hüten sollen. –

Konnten die Buren im Kaltbrunn Andreas I. noch nicht zum Vogt wählen, so übertrugen sie ihm bald eine andere wichtige Vertretung. Er sollte in den Kriegsjahren 1813–1815 die Lieferungen von Heu, Hafer, Stroh und Brot begleiten, welche die Gemeinde den Oesterreichern und Russen talabwärts bis Offenburg zuzuführen gezwungen wurde.

Es war dies eine schwierige Aufgabe, da es nicht immer gelang, die Fuhren an den rechten Ort zu bringen, weil Marodeure oder andere Truppenteile, die den Buren begegneten, denselben ihre Ware abnahmen, ehe sie damit ans Ziel kamen.

Und selbst wenn sie im Abliefern Glück gehabt, wurden sie oft auf dem Rückweg genötigt, ihre leeren Wagen den Soldaten, die des Wegs daherzogen, zur Verfügung zu stellen und wieder umzukehren.

Andreas I. wußte für solche Fälle, nachdem er sie einigemal miterlebt, bald Rat. Er verschaffte sich einen russischen und einen österreichischen Offiziersmantel und die entsprechenden Mützen, und je nachdem die eine oder die andere Nation um den Weg war, zog er den einen oder den andern Mantel an, tat sich einen falschen Schnurrbart in sein glattrasiertes Gesicht und setzte sich mit der entsprechenden Mütze auf den Wagen. Sein Freund, der Gallenbacher, ein älterer, mutvoller Bur, machte den Kutscher. Und so fuhr Andreas I., wenn Gefahr war, im scharfen Trab und einige Worte murmelnd durch die bauernfeindlichen, militärischen Kolonnen, die ihn für einen Offizier hielten, der die Wagen schon dienstlich mit Beschlag belegt habe.

Während alle Buren, die Kriegsfuhren tun mußten, über Drangsale klagten, kamen der Vogtsbur und der Gallenbacher stets ungeschoren davon, und Andreas I. erlangte dazu noch durch den häufigen Umgang mit fremden Menschen jene Gewandtheit, die ihn später befähigte, selbst mit Fürsten freundschaftlich zu verkehren.

Oft und gern aber hat er in seinen späteren Lebensjahren erzählt von seinen und des Gallenbachers glücklich bestandenen Abenteuern während jener Kriegsjahre, in denen er alle Potentaten und alle berühmten Generale und Staatsmänner jener Tage gesehen haben wollte.

Die Buren von Kaltbrunn bewunderten aber so sehr seine Leistungen während des Krieges und die dabei bewiesene Gewandtheit, daß sie schon im Jahre 1815 Andreas I. trotz seiner Jugend an Stelle seines Vaters zu ihrem Vogt wählten.

Die Bestätigung ward aber versagt, und die Wahl wegen mangelnden Alters des Erwählten als ungesetzlich vom Obervogt in Wolfe verworfen.

Mit Schmerzen warteten die Buren, bis ihr Liebling das gesetzliche Alter von 25 Jahren erreicht hatte und sie ihn 1817 zu ihrem Oberhaupt wählen durften.

Draußen in der Linde im Vortal gastierte am Wahltag der Neugewählte seine Buren, und zwischen dem »Burgfelsen« und dem »Gallusberg« rauschte der Jubel bis nach Mitternacht.

 


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