Heinrich Hansjakob
Erinnerungen einer alten Schwarzwälderin
Heinrich Hansjakob

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14

Fünfzig Jahre Gefangenschaft in einem Dachwinkel, wer mag sie schildern! Einsamkeit ist schön, einzig schön, wenn ringsum Gottes Berge und Gottes Täler, Gottes Wasser und Gottes Wald zu einem reden und nichts Lebendiges uns stört in diesem Alleinsein mit der Natur.

Aber die Einsamkeit der Gefangenschaft in engem, dunklem Raum ist Verzweiflung, ist der Märtyrertod, erlitten durch die Sekunden, Minuten und Stunden der Zeit, die allein noch mit einem umgeht, aber qualvoll umgeht.

Und das war mein, der Hausierkiste, der vieljährigen Wandererin über Berg und Tal traurig Los ein halbes Jahrhundert lang.

Was soll ich erzählen aus dieser langen, zum Verzweifeln öden Zeit? Ich will es dir, meinem Befreier und Freund, zu lieb versuchen, von meinem damaligen Leben und von meinen damaligen Erfahrungen etwas zusammenzubringen.

Zunächst begann ich mit meinen Leidensgefährten und dann mit den Nachbarn mich zu unterhalten. Zu den ersteren gehörte der Hausierstock, die alte Schildkappe deines Großvaters und die großen, schweren Schuhe, die er als Hausierer getragen; zu den letzteren der Schnitztrog der Großmutter, der ganz in meiner Nähe stand, und die Dachziegel über meinem Haupte.

Der Hausierstock, mein alter Gefährte auf den einstigen Wanderungen, war ein Phlegma ersten Ranges. Er war froh, nicht mehr wandern zu müssen, und schlief Tag und Nacht, an einen Dachbalken gelehnt. Und wenn ich ihn aufweckte, um mich mit ihm zu unterhalten, so sprach er matt und schläfrig: »Laß mir meine Ruh'! Du, Kiste, hast gut wachen, du wurdest stets getragen über Berg und Tal. Ich mußte zwanzig Jahre lang deinen Träger stützen und gar oft auch dich, wenn er stehen blieb und ausruhte. Ich bin drum froh, bleibend rasten zu können.«

Nach diesen Worten wandte er sich wieder um und schlief. Die wenigen Stunden im Jahre, die er wach war, wußte er auch nichts zu erzählen aus seinem Leben.

Er erinnerte sich nur, daß er als Weißdorn im »Jokeles-Wald« bei Rohrbach gestanden, dort eines Tages geschnitten und später dem angehenden Hausierer Xaveri übergeben worden sei.

Sonst war nichts aus ihm herauszubringen, und ich kam durch ihn auf den folgenden Gedanken: Wie es geistige Unterschiede bei den Menschen gibt, so auch bei den Pflanzen und den Bäumen des Waldes. Ich fand bei näherer Betrachtung, daß wir Tannenkinder und Tannenbäume zwar die geringsten unter den Großbäumen des deutschen Waldes, aber doch die reichbegabtesten sind.

Wir Tannen sind das gemeine Volk, die Bauern in den Forsten des Schwarzwalds; die Buchen repräsentieren die bessern Bürger, und die Eichen sind die Aristokraten.

Wie aber das gemeine Volk alle andern Stände übertrifft an Gemüt, Poesie, Arbeit und Gottesgnadentum, und wie alles wahrhaft Große und Schöne vom Volke ausgeht, so ist's auch mit uns Tannenbäumen. Wir allein unter den Bäumen des Waldes haben Gemüt und Poesie im Leib. Aus uns machen die Menschen die Resonanzböden, über denen sie den Saiten ihre gemütvollste Musik entlocken. Und beim Gottesdienst kommen die erhabenen Orgeltöne, die durch die Kirche hallen und die Herzen gen Himmel heben, aus unsern Hälsen.

An uns von all den genannten Bäumen lehnt sich das sinnige Efeu an, wie die Poesie an den Leib des Volkes.

Auf uns allein wächst und gedeiht im Walde jene geheimnisvolle, der Gottheit geweihte Mistelpflanze.

Unter unsern Zweigen allein wohnen die Vögel des Waldes und in unsern Wipfeln singen sie.

Wir allein sind ewig grün und ewig jung, wenn die ganze Natur tot ist, und gleichen dem Volke, dessen Jugendfrische und Jugendkraft nie erlischt, während die andern Stände dahinsiechen und degenerieren.

Uns, die wir dem Feuer des Himmels, dem Geiste, näher verwandt sind als die übrigen Bäume, uns braucht man, wenn die andern Hölzer Feuer fangen und brennen sollen, gerade so wie das Volk wieder Geist und Leben in die andern Stände bringen muß, wenn sie an Körper und Geist abgehaust haben. Und wie das Volk für alle andern Stände blutet, so geben auch wir allein unser Blut der Menschheit. Sie braucht unser Herzblut, das Harz, zu tausend Dingen, selbst zum Weihrauch in ihren Tempeln.

Wir allein von den Bäumen sind endlich euch Menschen ganz nahe verwandt, weil euere Wiegen und eure Totenbäume aus unserm Holz gemacht werden.

Darum fühlte ich als Tannenkind in meinem reichen Tannengemüt auch die Qual der Gefangenschaft und ihrer Einsamkeit so sehr.

Und wenn die Winde stürmten, die Wetter ans Haus schlugen, da ächzte ich und ächzten die alten Tannenbalken des Daches allein, weil wir auch im Tode noch Nerven und Gefühl und Gemüt haben. –

Etwas mehr als am Hausierstock hatte ich an deines Großvaters großer Schildkappe, die auf mir lag. Wir sprachen oft von den Fahrten und Wanderungen, die wir gemacht und von den Mühsalen unseres toten Herrn, aber auch von den wohligen Bauernstuben, in denen wir übernachtet und den Erzählungen des Hausierers gelauscht hatten.

Aber sie schied bald von mir, die brave Kappe. Eines Tages, im Frühjahr nach des Großvaters Tod, kam der alte Schlosser Hauschel und machte einen Riegel an einen Bühneladen, der nächtlicherweile Lärm geschlagen hatte. Da erblickte der Mann die für die hinterlassenen Wibervölker wertlose Kopfbedeckung und bat deine Großmutter, sie ihm zu schenken. Froh, aus der Gefangenschaft erlöst zu sein, folgte meine Gefährtin gerne dem greisen Schlossermeister, auf dessen Haupt du sie sicher noch gesehen hast.

Ebenso prosaisch und gemütlos wie der Weißdorn-Stock waren auch die beiden ledernen Bundschuhe, die einst mein Herr auf seinen Wanderungen getragen hatte.

Sie schliefen oder starrten dumm in die Oede unter dem Dach hinein, und wenn ich sie zum Sprechen reizte, erfuhr ich nur von ihrer Zufriedenheit, nicht mehr über Stock und Stein, durch Staub und Kot wandern zu müssen.

Ob dieser Poesielosigkeit gönnte ich es den zwei Schuhen, daß sie eines Tages dem zweiten Schwager deiner Großmutter, dem alten Fuhrmann Philipp Pfundstein, den du sicher auch noch gekannt hast, geschenkt wurden.

Meine Freundin weckte mir da eine köstliche Erinnerung, die an den alten Philipp. Er hatte einst ein Fuhrgeschäft gehabt und den Haslachern ihre Aecker gepflügt und angesäet und ihre Garben und ihr Heu heimgeführt. Aber seine Pferde waren ihm ausgegangen und nur das kleine Häuschen geblieben in der »hinteren Gasse«, unweit vom Hause meiner Großmutter. Was dem Philipp, der jetzt taglöhnerte, nicht ausgegangen, das war sein guter Humor. Ich sah den alten Mann, der oft bei uns arbeitete, nie anders als lächelnd.

Auf seinem Haupte saß beständig eine schwarze Zipfelkappe, die wie eine steinerne Turmspitze keck in die Höhe stand. Eine große, gebogene Nase schaute aus einem bartlosen, roten Gesicht, in welchem zwei kleine, dunkle Augen eitel Zufriedenheit leuchteten.

Er war ein Liebhaber von Kartoffelschnaps, aber ein Feind der Erdäpfel, und wenn beim Nachtessen in meinem Elternhaus zur Suppe Kartoffeln kamen, sprach er jeweils zu meinem Vater, der sein Namensvetter war: »Philipp, hol' mir au a Schnäpsle, d' Erdäpfel kann i nit vertrage.«

Am ersten Mai, dem Feste der Apostel Philipp und Jakob, kam er regelmäßig, meinem Vater zu gratulieren und sich als Namens- und Verwandtschaftsvetter einen Schoppen Schnaps schenken zu lassen.

Schmunzelnd nahm er seinen Lieblingstrank unter sein »Kamisol« und schlich davon, wie ein Mann, der glücklich ist. Er besaß »auf dem Schänzle« einen einzigen Acker mit herrlichen Kirschbäumen. Und in der Kirschenzeit nahm er mich jeweils mit zu diesen Bäumen, und ich durfte »Weißbäckler« essen, so viel ich wollte und konnte. Drum war und blieb ich das ganze Jahr hindurch ein warmer Freund des ewig lächelnden Mannes.

Als ich an Weihnachten 1852 das erstemal als Studentlein von Rastatt heimkam, begleitete ich den guten Philipp am Stefanstage zum Grabe. –

Ein Vater der Langeweile, also fährt die Kiste fort, war auch mein Nachbar, der Schnitztrog. Er gähnte laut, wenn die Großmutter was in ihn hineintat oder aus ihm herausholte. Er wußte nicht einmal, wo er als Tannenkind gestanden sei, ob im Urwald oder im Bächlewald. Er war stumm und poesielos wie ein rechter Schnitztrog. Ein »verg'ratenes« Tannenkind, ächzte er nicht einmal, wenn's ander Wetter gab.

Meine besten Freunde in der Verbannung waren die Dachziegel. Sie hatten für sich das Glück, mit der einen Seite ihres Daseins in die Welt schauen zu können, und für mich die Liebenswürdigkeit, mit der andern Seite mich zu unterhalten und mir zu erzählen, was sie mit ihrer Außenseite gesehen.

So erfuhr ich alles, was draußen vorging, vernahm von allen Leichenzügen, die den verstorbenen Nachbarn und ihren Frauen folgten, ließ mir an Jahrmärkten von den Bauern erzählen, die in der Straße auf- und abgingen, und täglich mir berichten, wie viele Lastwagen, Posten und Extrachaisen die Heerstraße passiert hatten.

Nachts hörte ich die Wächter rufen und wußte so immer, wie viel es an der Zeit war; auch lauschte ich dem Hämmern Valentins, des Naglers, der uns gegenüber nächtlicherweile seine Nägel machte.

Er, der Valentin, ist der einzige Mensch, der schon hämmerte, als ich meine Gefangenschaft antrat, und noch lebte, als sie ein halbes Jahrhundert später endigte.

Zwei Generationen wurden an unserem Hause vorbei zu Grabe getragen während dieser langen Zeit. Bald nachdem deine Mutter deinen Vater geheiratet hatte, stand ich schon unter den Ziegeln, und von dem Tage an, da man beide auf den Gottesacker trug, dauerte meine Gefangenschaft noch zwanzig Jahre lang.

Dich sah ich zum erstenmal um das Jahr 1841, als die Lenebas, der Großmutter ledige Schwester, dich, noch im Kinderröckchen, die Stiege heraufschleppte und dir Schnitze gab aus dem großen Trog, der unweit von mir stand.

Fortan konnte man dich oft da sehen, denn der Schnitztrog blieb dir ein Magnet in deinen Knabenjahren.

Vor diesem Trog hat die Großmutter dich, den Knaben, zum öftern auf mich hingewiesen, als die treue Gefährtin deines Großvaters, und dir gepredigt von der Mühe und Arbeit desselben als Hausierer und dich ermahnt, ein braver, fleißiger Mensch zu werden.

Aber ich sah es dir an, daß sie tauben Ohren predigte, und ärgerte mich, daß dir die lumpige Schnitzkiste stets lieber war, als ich, die alte Freundin deines braven Großvaters. Freilich hast du dich mir gegenüber später gebessert.

Oft schaute ich dir auch zu, wie du ohne Wissen der Großmutter aus dem Schnitzkasten gedörrtes Obst nahmst und deine Taschen fülltest, und ich hätte nie gedacht, daß aus dir einmal was Rechtes werden, und noch viel weniger, daß du dereinst mein Erlöser und Verehrer sein würdest.

Auch die Revolution hörte ich durch die Straßen von Hasle toben und sah, als die Preußen im Anzug waren, manchen Haslacher an meinem Verbannungsort seine Waffen, seinen Heckerhut und seine Freischärlers-Bluse verstecken, weil man im Hause einer Witwe sie am wenigsten suchen würde.

Dich bekam ich, nachdem du ein Studentlein geworden, nur noch wenige Male zu Gesicht. Der Schnitztrog zog dich nimmer an, nachdem du so frühzeitig zum Bierglas gegriffen.

Du kamst in deiner ersten Studienzeit das eine oder das andere Mal, die alten Bücher und Kalender deines Großvaters durchzustöbern, weil sie mit der Zeit auch einen Platz in meiner Nähe gefunden hatten. Es mag das um das Jahr 1854 gewesen sein. Von da an sah ich dich dreißig Jahr lang nimmer und hörte nur von den Dachziegeln, daß du als Student in den Ferien am Abend öfters krakeelend durch die Straßen gezogen seist.

Deine Großmutter starb 1872 hochbetagt in der Stube unter mir. Wenn sie, was nicht oft geschah, in späteren Jahren zu mir heraufstieg, sah ich die Spuren des Alters und des Kummers in den Zügen der einst so schönen und lebensfrohen Frau. Ihre jüngste Tochter hatte lange vor der Mutter Tod einen Kaufmann geheiratet, und eine junge Familie wohnte unten im Hause.

Zu mir kam selten nur eine Magd, die Holz herauf- oder hinabtrug und Wäsche aufhing. Meine Einsamkeit wurde immer größer.

Bisweilen, weil einiges Licht vom »Tagloch« her auf mich fiel, zog ein Spinnlein seine Fäden zwischen mir und dem nächsten Dachbalken. Es spannte sein Netz aus und wartete in Hunger und Geduld, bis eine Mücke sich darin verfing. Aber es geschah dies selten, und das Spinnlein mußte bald wieder von dannen ziehen, wenn es nicht vor Hunger sterben wollte.

Eine alte Spinne, die auch einmal einige Wochen bei mir Quartier nahm, erzählte mir so Trauriges aus dem Spinnenleben, daß ich wieder froh war, kein lebendes Wesen, sondern ein Stück Holz zu sein.

Ehe es Spinnen gab auf Erden, so erzählte sie, lebte in Griechenland die Tochter eines Purpurfärbers und war berühmt als Spinnerin und Weberin. Damals spann und wob man aber nicht bloß auf Erden, sondern auch im Himmel. Die Göttinnen saßen im Elysium an den Spinnrädern und an den Webstühlen. Und als die stolzeste unter ihnen, Pallas, hörte, daß in Griechenland eine Bürgerstochter so schön spinnen und weben könne, wurde sie, wie alle Wibervölker in ähnlichen Fällen, eifersüchtig auf den Ruhm der sterblichen Maid. Sie forderte diese zu einem Wettkampf im Spinnen und Weben heraus, in welchem die Göttin unterlag. Erzürnt darüber, mißhandelte sie die arme Färberstochter mit dem Weberschifflein und verwandelte sie zur Strafe dafür, daß sie eine Göttin besiegt, in eine Spinne, die ihre Fäden aus dem eigenen Leibe ziehen und ein elendes Leben führen mußte.

So sei die unglückliche junge Griechin die Stammmutter aller Spinnen geworden und zugleich ein schlagendes Beispiel für die Rachsucht beleidigter, mächtiger Wibervölker.

Ich hatte, seitdem jene alte Spinne mir dies erzählt, inniges Mitleid mit allen Spinnlein, die zeitweilig neben mir ihr trauriges Dasein fristeten.

Auch Mäuse kamen zu mir. Sie bohrten selbst ein Loch in meinen Leib und richteten sich häuslich in mir ein.

Erst war ich empört über die Frechheit; als ich aber sah, ein wie bescheidenes Leben die Familie führte, gönnte ich ihr den Schutz. Und da ich bald auch erkannte, wie viele Feinde die Tierchen hatten, bekam ich Mitleid auch mit ihnen.

Sie klagten mir oft über ihr elendes Leben, wenn sie auf der Flucht vor der Hauskatze zitternd bei mir Schutz suchten oder hungern und dürsten mußten, weil diesen in der Nähe und ohne Gefahr nirgends etwas zu finden war für jung und alt.

Doch das eine hatten diese armseligen Geschöpfe mir voraus; sie konnten weiter wandern, während ich in meiner Lage verharren mußte – längst hoffnungslos. Wer einmal jahrzehntelang vergeblich gehofft hat, der gibt die Hoffnung schließlich auf. Und so ging es mir.

Da, eines Tages, ich war nahezu ein halbes Jahrhundert in der Gefangenschaft, kam eine Anzahl Menschen die Stiege herauf und füllte die Räume der Bühne. Es waren Männer und Frauen, Buben und Maidle.

Ich merkte erst, was los sei, als der »Stadtbot« anfing, den Schnitztrog einer Versteigerung auszusetzen.

Unter mir im Haus war alles gestorben und verdorben. Deine Tante und ihr Mann waren um Hab und Gut gekommen, und was dein Großvater so mühevoll errungen, Haus und Garten und Gartenhäusle, kam in fremde Hände. Auch ich sollte nun, wie alles Gerümpel auf der Bühne, versteigert werden.

Unter den Steigerern befand sich auch der alte Kanonenwirt Rudolf Thoma, ein Raritätensammler, und als der mich erblickte und den Hausierstock nebenan, sprach er: »Das ist ja die Hausierkiste vom alten Kaltenbach und sein Stock dabei; die muß ich haben.« Und er steigerte uns, weil keine Konkurrenz auf so unbrauchbare Dinge da war, für wenige Pfennig.

Ich war erlöst und voll Hoffnung auf eine Besserung meiner Verhältnisse.

Aber, o weh! Ich kam von einem Gefängnis in das andere. Den Stock schenkte der Kanonenwirt deinem Bruder, dem Sonnenwirt: mich aber stellte er auf die Bühne über seiner Malerwerkstätte, und ich ward aufs neue dem stillen Tode der Einsamkeit überliefert.

Ich verwünschte mein Dasein und verlangte den Feuertod zu sterben, erbittert über euch Menschen, die ihr alles, was euch einst gedient hat, wegwerft und verachtet.

Hoffnungslos versank ich in ein dumpfes Hinbrüten und verkehrte mit niemanden mehr, auch nicht mit den Dachziegeln und Spinnen und Mäusen. In meinem Innern begannen bereits die Holzwürmer zu nagen, und ich hielt gerne still und war froh ihrer Todesarbeit.

Indes ich so überall nur Nacht und Untergang sah, dämmerte die Morgenröte meiner Erlösung auf in deiner Seele.

Du hattest erfahren, daß ich versteigert worden und an den Kanonenwirt gekommen sei. Die Erinnerung an deinen Großvater bewog dich, alsbald Schritte zu tun, um in meinen Besitz zu gelangen.

Ich wußte nicht, wie mir geschah und was man mit mir vorhatte, als man mich von der Bühne beim Kanonenwirt herabholte, in Sackleinwand einnähte und neben mich den Hausierstock legte.

Mir verging anfangs das Sehen und das Hören; aber zum Glück war die Leinwand so dünn, daß ich noch etwas vernehmen und auch noch durch die Löcher sehen konnte. So hörte ich denn, daß ich auf der Eisenbahn nach Freiburg transportiert werden sollte, und ich sah, wie man mich durch die Straßen von Alt-Hasle führte.

Als ich im Jahre 1835 meine Verbannung antrat, gab es noch keine Eisenbahnen, und ich staunte nicht wenig, da ich zum erstenmal auf einer solchen fuhr und zwar als Eilgut; denn so war es von dir befohlen.

Ehedem hatte uns, deinen Großvater und mich, bisweilen ein Frachtfuhrmann, der mit leerem Wagen auf dem Heimweg war, mitfahren lassen: allein das war eine elende Fahrerei gegen die Eisenbahn, die mich nach Freiburg brachte.

Im Gepäckwagen aber hörte ich zwei Schaffner jammern und klagen über den harten Dienst. Sie hatten an diesem Tage schon 14 Stunden mitgemacht und noch nicht einmal Zeit gehabt, was Warmes zu essen.

Mir scheint, daß früher beim alten Fuhrwerk die Pferde geschunden waren; aber jetzt werden bei dem neumodischen Blitzverkehrsmittel die Menschen geschunden.

Als es hieß: »Station Freiburg!« – wurde ich unsanft aus dem Wagen geworfen und dann von kräftigen Fäusten in die Güterhalle befördert.

Ein junger Schreiber verlas die angekommenen Gegenstände nach den Begleitbriefen. Als er an mich kam, rief er: »Eine Hausierkiste für Pfarrer Hansjakob!«

Er und die Transportknechte lachten; aber einer der letzteren meinte: »Dem bring ich's gern; da gibt's jedesmal ein Glas Wein. Er bekommt viel so altes Lumpenzeug.«

Als ich deinen Namen hörte, ging mir ein Licht auf. Ich hatte in meiner Verbannung erfahren, du seist ein Geistlicher geworden: die Ziegel erzählten mir von dem vielen Volk in den Straßen an deiner »Primizfeier«.

Jetzt war mir klar, daß du mich nach Freiburg habest kommen lassen.

Eine Stunde später war ich in deinem Hause, von dir mit Freuden empfangen. Als ich, aus meiner Hülle herausgeschält, vor dir stand, hätt' ich dich nicht mehr erkannt, ein so langer, schwarzer Mensch war aus dem kleinen, blondhaarigen Schnitzdieb geworden.

Ich fand Aufstellung in deiner Bibliothek, und täglich kamst du zu mir mit Freunden und Bekannten, um ihnen die Hausierkiste deines Großvaters zu zeigen. Ich ward stolz und stolzer, endlich einmal wieder eine Anerkennung zu finden.

Deine vielen Fehler kannte ich damals noch nicht; aber ich war in jener ersten Zeit entzückt von dir, weil du dich deines Großvaters als eines Hausierers nicht nur nicht schämtest, sondern mit Freuden auf seine Kiste und seinen Stand hinwiesest.

Es sollte mit mir aber noch besser kommen. Eines Tages brachtest du einen jüngeren, eleganten Herrn zu mir und sagtest ihm: »Hier, Freund, diese Kiste sollten Sie mir so dekorieren, daß ich sie in mein Studierzimmer stellen kann.«

Der Herr – es war der kunstsinnige, geistreiche Bauinspektor Bär – meinte: »Mit der alten Kiste ist nicht mehr viel anzufangen; aber was ich machen kann, soll geschehen.«

Dann maß er mich in allen Teilen und schied.

Es vergingen Wochen und Monate, ehe ich ihn wieder sah. Da kam er eines Tages mit einem Schlosser und einem Bildhauer. Der erstere hatte reiches, silberglänzendes Beschläg in den Händen, der andere einen hölzernen Untersatz mit Löwenfüßen.

Der Schlosser begann, mich mit dem silberschimmernden Beschlag zu umkleiden und mir ein zierliches Schloß anzulegen. Dann verklebte der Bildhauer die Wunden, welche die Holzwürmer in meinen Leib gemacht, salbte denselben mit Wachs und bürstete ihn hell.

Nachdem dies geschehen, hob er mich auf das Piedestal mit den Löwenfüßen, und jetzt trugen mich beide Handwerker in dein Studierzimmer und stellten mich an einem Pfeiler nieder. Keine Königin, wenn sie auf ihrem Thronsessel sich niedergelassen, kann stolzer und glücklicher sein als ich, und die ganze Eitelkeit meines Geschlechtes ergriff mich, da ich mich in solchem Paradeanzug glänzen und auf Löwenfüßen ruhen sah.

Alle Leute, die kamen und mich auf den ersten Blick bewunderten, meinten, ich sei dein Silberschrank. Du sagtest aber jeweils, ich sei eine in Ehren gehaltene Hausierkiste und deine Weißzeugbeschließerin, weil deine literarische Wäsche darin aufbewahrt sei.

Als während meiner Anwesenheit in deinem Hause einmal der Stadtrat von Hasle deine »Werke« sich erbat, sagtest du sie erst nach deinem Tode zu samt der Hausierkiste deines Großvaters.

So hast du mir auch für eine ehrliche Zukunft gesorgt, und ich werde wohl nie mehr so elende Tage sehen, wie auf der Bühne deiner Großmutter. Dankbar will ich drum deiner gedenken, wenn du einst nicht mehr bist, und deine Schriften bewahren für die zukünftigen Geschlechter von Hasle, auf daß sie daraus erfahren, was für Leute die Haslacher ehedem gewesen sind und was für ein sonderbarer Kauz du selber warst.

Zum Schlusse aber, nachdem ich meine Erinnerungen erzählt, will ich deinen Leserinnen jetzt schon sagen, wer du bist; denn ich kenne dich durch und durch aus dem vieljährigen Umgang mit dir und werde dich nicht schonen, weil du uns Wibervöller auch nicht schonst.

 


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