Heinrich Hansjakob
Erinnerungen einer alten Schwarzwälderin
Heinrich Hansjakob

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13

Eines Tages war ein Handelsherr aus Frankfurt – sein Name ist mir entfallen – in Hasle angekommen. Er wollte, wie er sagte, seine Kunden einmal selber besuchen und hatte drum die Tour als sein eigener Musterreiter gemacht.

Der Krämer Kaltenbach bezahlte ihm die für Kolonialwaren fällige Rechnung. Der Handelsherr strich sein Geld ein, nahm eine neue Bestellung entgegen und empfahl sich.

Kaum war er fort, als der Xaveri einen Dukaten erblickte, der unter ein Papier gekommen und dem Frankfurter wohl beim Einstecken seines Guthabens entgangen war.

Er eilt dem Manne nach, trifft ihn noch im Kreuz, wo er Quartier genommen, und übergibt ihm seinen Dukaten.

Jetzt sprach der Handelsherr freudig: »Da hab' ich also wieder einmal einen ehrlichen Krämer gefunden, der die Probe bestanden hat.« Alsdann sagte er dem Xaveri, daß er absichtlich den Dukaten unter das Papier geschoben habe, um ihn auf die Probe zu stellen. So mache er's, wenn immer tunlich, auf seiner ganzen Reise, um die Leute zu prüfen, wie weit man ihnen trauen könne.

»Ihr seid,« so schloß er, »ein braver Mann, und fortan liefere ich Euch Waren, so viel Ihr wollt, und Zahlungsfrist habt Ihr bei mir, so lange es Euch beliebt.«

Das ließ sich unser Schwarzwälder nicht zweimal sagen, und er überlegte, welchen Vorteil er aus des Handelsherrn Vertrauen ziehen könnte.

In jenen Tagen waren in größeren Dörfern kleine Kramläden entstanden. Mit diesen Dorfkrämern nun setzte sich der Xaveri in Verbindung, und bald war er talauf und talab ihr Lieferant für alle Waren, weil er ihnen mit dem Zahlen beliebige Fristen stellen konnte.

Selbst in Hasle und in dem benachbarten Städtle Husen bezogen die Krämer vom Kaltenbach, der so zu einem Handelsherrn im Kleinen sich auswuchs.

Auch die Hausierer, welche nach ihm die Gebiete an der Kinzig und Wolf und am Harmersbach durchzogen, holten ihre Waren bei ihm. Denn wenn sie auf den Höfen sagten, die Sachen seien vom Wälder-Xaveri, so kauften die Leute um so lieber, weil er stets gute Ware geliefert hatte und als Erzähler noch im besten Andenken bei ihnen stand.

Die Niederlage für Kalender weithin war beim Kaltenbach in Hasle: denn der Hofbuchdrucker Sprinzing in Rastatt lieferte im Kinzigtal nur ihm.

Am meisten Absatz hatte der Kalender pro 1812. Damals stand darin das Kartoffellied, welches in jenen Tagen so berühmt war, wie heute die »Wacht am Rhein«.

Herbei, herbei zu meinem Sang,
Hans, Jörgel, Michel, Stoffel,
Und singt mit mir das Ehrenlied
Dem Stifter der Kartoffel.

Franz Drake hieß der brave Mann,
Der vor zweihundert Jahren
Von England nach Amerika
Als Kapitän gefahren.

Und der, als er zurückekam
Von seinen weiten Reisen,
Die guten Dinger mitgebracht.
Die wir Kartoffeln heißen.

Gott hat sie, wie das liebe Brot,
Zur Nahrung uns gegeben;
Viel' Millionen Menschen sind's,
Die von Kartoffeln leben.

Von Basel bis nach Amsterdam,
Von Stockholm bis nach Brüssel
Kommt Winters nach der Abendsupp'
Noch die Kartoffelschüssel.

Dank, edler Drake, habe Dank
Für deine rare Speise!
Sie nährt, sie labt, sie nützet uns
Auf hundertfache Weise.

Laßt dieser vielen Arten uns
Nur einige ermessen:
Erdäpfelschnitz und Fleisch dazu.
Das ist ein köstlich Essen.

Grundbirnen, frisch vom Sud hinweg.
Dazu ein Bällchen Butter,
Das ist – nicht wahr, ihr stimmt mit ein?
Ein delikates Futter.

Salat davon, gut angemacht,
Mit Feldsalat durchschossen.
Der wird mit größtem Appetit
Von jedermann genossen.

Gebrägelt schmecken sie auch gut,
In saurer Brüh' nicht minder;
Erdäpfelknödel essen gern
Die Eltern und die Kinder.

Erdäpfelbrot, Erdbirnen-Reis,
Auch Puder und Pomade
Sind, nebst Erdäpfelbranntewein,
Kartoffelfabrikate.

Hat jemand sich die Haut verbrannt.
Und hilft kein Feuersegen,
So darf er auf die Wunde nur
Kartoffelschabsig legen.

Und welche Wohltat sind sie uns,
Damit das Vieh zu mästen;
Und wieviel Sorten gibt's! – Jedoch
Die guten sind die besten.

Dies Lied, das ich, der Sekretär der Hausierkiste, noch in meiner Knabenzeit von älteren Leuten singen hörte, war in den Jahren, da Napoleons Faust auf Deutschlands Völkern lastete, in Süddeutschland die Marseillaise des deutschen Michels und beleuchtet seine Michelhaftigkeit besser als alles andere.

Und so lange der gleiche Michel Kartoffeln hat, wird er zufrieden und der getreue Diener seiner Herren sein, die ihm solche gern überlassen, während sie selbst nach Besserem verlangen.

So lange sie noch auch nur Kartoffeln zu essen und Fusel zu trinken haben, werden die braven Deutschen hoch rufen, sich die Haut über den Kopf ziehen lassen und ihren letzten Pfennig opfern für Fürst und Vaterland.

Drum lasse man in unsern Schulen das Kartoffellied wieder singen; es wirkt beruhigender und darum segenbringender als der Sang von der Wacht am Rhein und ärgert die Franzosen weniger. –

Der Dichter des Kartoffelliedes, das damals in allen badischen Gauen rezitiert wurde, war der Schullehrer Samuel Friedrich Sauter in Flehingen bei Bruchsal. Dieser, ein Flehinger Kind und Sohn eines Bäckers, ist der erste Dichter-Biedermaier auf deutschem Boden.

Er machte auch das berühmte Zwetschgenlied und sang nicht wenige vaterländische Lieder, mit Vorliebe solche auf den Großherzog Leopold. Eines derselben schließt also:

Baden ist ein schöner Garten,
Der die besten Früchte zieht;
Tausend sind, die seiner warten,
Die bewirken, daß er blüht.
Alle diese stehn und dürsten
Nach dem Beifall ihres Fürsten,
Und der milde Leopold
Spricht: Ich bin euch allen hold.

Der liebenswürdige Dichter lebte noch 1845, in welchem Jahre er einen ganzen Band seiner Biedermaiereien drucken ließ. –

Durch die Musterreiter, die von Mannheim her zum Wälder-Xaveri kamen, gelangte dieser auch zu einer täglich erscheinenden Zeitung, die er vom Jahre 1811 an hielt bis zu seinem Tod. Es war dies »Das Badische Magazin«, so in Mannheim erschien. Viele Jahrgänge dieser Zeitung lagen nach meines Großvaters Tod auf dem Speicher seines Hauses, und ich habe als Schulknabe und Studentlein oft darin geblättert und gelesen.

Anläßlich der Erinnerung meiner Freundin habe ich nun wieder einmal einige Bände jener Blätter zur Hand genommen, und ich glaub', wenn ich länger darin gelesen, hätte ich meinen demokratischen Zwangsvorstellungen gänzlich abgeschworen.

Mir war es, als ich diese Zeitblätter aus den Jahren 1811 und 1812 durchlas, wie einem, der aus einem Jahrmarkt, wo alles pfeift und johlt und musiziert und streitet und krakeelt – sich geflüchtet hat in das stille Kämmerlein eines einsamen Hauses inmitten des Kirchhofs.

Welche Ruhe, welcher Friede in diesem Magazin unter den Fittigen der Zensur!

Da findet sich keine Silbe von Politik, kein Wort vom Krieg, trotzdem er ringsum tobt, kein Räsonnement über Einrichtungen in Staat und Kirche, kein Gezänk über Tagesfragen, keine Beleidigung des Nebenmenschen, kein Hader unter Parteien, kurz keine Lieblosigkeit und keine Feindschaft.

Da lesen wir Leitartikel über Sirupbereitung, über Kartoffelschnaps und über Schoßhunde, Heiratsanträge, Wetter-Diskurse, Betrachtungen über die Heuernte und die Veredlung der Baumwurzeln, Spitzbubengeschichten, Belehrungen über die Reinigung der Zimmerluft und über die Zucht von Kanarienvögeln.

Die einzige Beschwerde, die ich fand, war die eines Antiquars in Mannheim, der sich dagegen verwahrt, daß manche Leute meinten, mit alten Büchern handeln sei kein ehrbares Geschäft.

Heilige Censura, dachte ich, kehre wieder und bringe den Frieden unter die Menschen!

Ich wurde versucht, für den liberal angesäuselten Absolutismus jener Tage zu schwärmen – um der Zensur willen.

Meine Demokratie steht überhaupt, wie schon oft gesagt, nur auf dem Papiere, und ich möchte sie für die Menschen unserer Zeit auch gar nicht ins Leben umgesetzt sehen, weil die allermeisten einer wahren Volksherrschaft noch gar nicht wert sind, sie nicht kennen, nicht zu schätzen wissen und sie auch nicht wollen.

Die sogenannten gebildeten Menschen unserer Tage sind meistens Knechte und selige Knechte, und manche von ihnen würden Heu fressen, wenn es aus hohen obrigkeitlichen oder gar fürstlichen Händen käme. Und das »gemeine« Volk ist heute noch ein Kind, dem man seine politische Nahrung mit dem Messer der Zensur vorschneiden muß, wenn sie nicht seinem Magen schaden soll. –

Item, wer sich eine friedliche Stunde verschaffen will, der versenke sich einmal in die elysäischen Felder des »Badischen Magazins«, und es wird ihm sein wie einer Seele, die aus dem Getümmel des Weltlebens in das Reich seliger Schatten kommt, wo sie nichts hört als in der Ferne einen Engelschoral, der da lautet: »Schlumm're sanft, du gutes Kind!«

Er wird aber auch finden, daß die Menschen jener Tage trotz der Kriegsläufte weit glücklicher waren als wir.

Heiterkeit, Scherz und Minnelieder durchziehen nebenbei die Blätter jener Zeit, und eine Ruhe des Herzens atmet aus ihnen, die einem förmlich Heimweh macht nach den vergangenen bessern Tagen unter dem napoleonischen Despotismus!

Was war es, das die damaligen Menschen so zufrieden machte? War es der Hauch der Freiheit, den die französische Revolution gebracht und der die napoleonischen Staaten durchzog? War es die tiefere Religiosität? War es die größere Bedürfnislosigkeit? Ich vermag es nicht zu entscheiden. –

Die Hausierkiste weiß darüber nichts mehr zu berichten, sie hat auch keine Ahnung, was für eine Stellung der Wälder-Xaveri eingenommen, wenn er die Revolution von 1849 in Hasle noch erlebt hätte.

Ich bin aber überzeugt, daß er nicht mitgemacht haben würde; denn wer den Frieden des Badischen Magazins fast 25 Jahre lang genossen hat, der wird in Ewigkeit kein Revolutionsmann. –

Doch lassen wir die Kiste jetzt wieder zum Wort kommen:

Mein Leben in der kleinen Kemenate neben dem Laden deines Großvaters wurde immer öder. Nachts waren Mäuse, die an den Zucker gingen, meine einzige Unterhaltung. Da aber der Hausherr ihnen Fallen stellte, mußte ich zu meinem Leidwesen auch gar oft die letzten Seufzer eines sterbenden Mäuschens vernehmen, und ich war jedesmal wieder froh beim Gedanken, kein lebendes und Schmerz empfindendes Wesen zu sein.

Was meine Oede in dem Magazinskämmerlein mit der Zeit aber vermehrte, war der Umstand, daß mein alter Herr, der bisher oft darin neben mir schrieb oder las, weniger mehr zu Hause war an Nachmittagen. Er hatte sich, weil seine Verhältnisse es erlaubten und er ein Freund von Ruhe und Einsamkeit geworden war, draußen vor dem Städtle einen großen Garten gekauft.

In diesem baute er ein kleines Häuschen, und da weilte er vom Frühjahr bis zum Spätherbst, wenn möglich die Hälfte eines jeden Tages – bald im Garten promenierend, bald im Häuschen lesend oder schreibend.

Ich, seine Kiste, war auch einmal draußen; er trug in mir seine Bücher hinaus, und ich sah das kleine, helle Stübchen und den schönen, lustigen Garten, in den der Urwald so ernst herabgrüßte.

Weil der Herr Kaltenbach so oft in seinem Garten weilte, meinten die Haslacher, er treibe Schatzgräberei, und sein vieles Geld grabe er aus dem kleinen Keller unterhalb seines Häuschens.

Die guten Haslacher mochten eine Ahnung davon haben, daß in der Einsamkeit leben Schatzgräberei sei und daß jeder Mensch, der die Einsamkeit liebt und sie auszunützen versteht, Schätze finde, Gold und Silber, welche die Welt- und Gesellschaftsmenschen nicht kennen und nicht zu suchen wissen.

Du, des Einsiedlers Enkel, wirst den Garten und das Häuschen besser kennen als ich.

Ja, ich kenne beide, alte Tante, und so oft ich in meinen alten Tagen an ihnen vorbeigehe, wecken sie mir wehmütige Erinnerungen an die goldene Knabenzeit.

Wie oft leistete ich der Großmutter und der Lenebas Gesellschaft, wenn sie im Garten arbeiteten; wie oft schwang ich mich aber auch in ihrer Abwesenheit über den niedern Hag und ging an die Zwetschgen und Pflaumen!

In dem Häuschen saßen in meinen Knabenjahren zur Sommerszeit oft die zwei jüngeren Schwestern meiner Mutter und spielten die Damen.

Mein Großvater hatte nur drei Kinder, lauter Maidle, die zwei jüngern aber, nachdem er ein »Handelsherr« geworden war, im Kloster Villingen »ausbilden« lassen.

Worin diese Bildung mir gegenüber bestand, das zeigte sich in einer Art, die allein mich zum Gegner der sogenannten bessern Bildung hätte machen können.

Das erste, was die zwei Gänse mir, dem fünfjährigen Buben, anbefahlen, als sie in meiner Erkenntnis aufstiegen, war, daß ich sie »per Sie« und als »Tanten« anreden mußte.

Das schöne, alte Wort »Base« und die Anrede »Ihr« waren ihnen zu ordinär für ihre Bildung. Wie sehr diese Bildung in den 55 Jahren, die verflossen sind, seitdem ich das Wort Tante zum erstenmal hörte, zugenommen hat, zeigt heute eine interessante Tatsache.

Kein Dienstmädchen, das vom Land in die Stadt kommt, hat daheim mehr Basen und Vettern, sondern nur noch Onkel und Tanten. Und die Tante Stallmagd und der Onkel Scherenschleifer oder Maurersgeselle sind ganz stolz, wenn sie diese Früchte der Bildung an sich selbst wachsen sehen.

Ich aber sage immer und immer wieder: »Es ist halt doch was Schön's um die Bildung. Sie macht aus Kellnerinnen Damen, aus Stallmägden Tanten und aus Hausknechten Onkel!«

Das Wort »Vetter« brauchen bald nur noch die Fürsten, die mehr und mehr und in alleweg meinen untertänigsten Respekt gewinnen, weil sie in vielen Dingen weit über ihren Untertanen stehen und vortrefflich wissen, wie man mit der Sorte von Leuten umzugehen hat. –

Ich erinnere mich noch wohl, daß zehn Jahre nach dem Tode meines Großvaters meine zwei Tanten mit andern bessern Töchtern von Hasle in dem Gartenhäuschen »Kränzle« abhielten.

An den Wänden hingen die Porträts der zwei Tanten im Flügelkleide weiblicher Jugend, gemalt vom närrischen Maler Sandhaas. Ich würde diese Bilder heute teuer bezahlen um des Malers willen und um mir meine Fräulein Tanten in ihrer Blütezeit wieder zu vergegenwärtigen; aber die beiden Porträts sind spurlos verschwunden wie die Originale.

Wenn Kränzle gehalten wurde, mußte ich allerlei beischleppen oder holen, was vergessen war. Hatte der kleine Mohr seine Dienste getan, so konnte er gehen, abgespeist mit einem Stück Brot und Käs. Die jungen Damen hatten natürlich Dinge zu besprechen, die ein Bub von sieben Jahren nicht zu hören brauchte.

Unterlehrer, Aktuare, Geschäftsreisende, Assessoren, die im Städtle erschienen waren, bildeten den Gegenstand der holden Weiblichkeit in diesem kleinen Musentempel, den sich der einsame Wälder-Xaveri für seine Einsamkeit und für die Lektüre des Badischen Magazins einst geschaffen hatte. –

Auch meine Freundin, die Hausierkiste, hatte sich über die zwei Pensionats-Grillen zu beklagen. Sie erzählt: Kaum waren die Heinrike und die Auguste das erstemal von Villingen in die Ferien gekommen und hatten mich, immer noch in dem kleinen Magazin stehend, erblickt, als sie zur Mutter – der Vater war in seinem Häuschen – sagten: »Aber diese wüste, alte Kiste gehört jetzt einmal auf die Bühne!«

Die Kiste erinnerte ja an die Zeit, da der Vater ein armer Hausierer war, und Hausiererstöchter wollten die zwei Dämchen beileibe nimmer sein; sie schämten sich, wie so viele männliche und weibliche Schafe aller Zeiten, des ehemaligen Standes ihres Vaters. –

Die Mutter mahnte aber alsbald ab von meiner Verbannung auf die Bühne und meinte: »Sagt nur dem Vater nichts derart, denn so lange er lebt, duldet er nicht, daß die Kiste aus seinen Augen kommt!«

Jahre kamen und Jahre gingen. Mit Schrecken bemerkte ich, daß mein alter Hausierer immer grauer wurde und immer müder daherschritt. Oft hörte ich ihn auch seufzen und vor sich hin sagen: »Mit mir geht's dem End' zu.«

Als er aber fühlte, daß ihm kein langes Leben mehr beschert sei, ließ er sich anno 1833 noch, zu gleicher Zeit mit seiner Frau, vom Maler Sandhaas porträtieren.

Das Jahr darauf begann es rasch mit seiner Gesundheit bergab zu gehen. Vergeblich suchte er seine abzehrenden Kräfte zu heben durch Ruhe und Bäder im Sauerbrunnen zu Nippoldsau.

Es war ein heißer Sommer, der von 1834; an den Halden längs der Kinzig glühte ein vortrefflicher Wein, und alles freute sich des gesegneten Herbstes. In diesen Tagen legte sich der Wälder-Xaveri zum Sterben nieder, wie es der große Sympathie-Mann und Volksarzt, der »Gutacher Jokele«, den die Großmutter befragt, prophezeit hatte. Am 4. Oktober abends 9 Uhr endigte sein irdisches Leben »an Entkräftung«, wie es im Totenbuch von Hasle heißt.

Ich, seine alte Gefährtin, hörte spät abends jammern und weheklagen; alles rannte bestürzt im Haus umher. Die Töchter weinten und riefen nach dem toten Vater.

Mir ging sein Tod so nahe als seinem Weib und seinen Kindern. Ich war seine Gefährtin gewesen, ehe er Weib und Kind besaß, und hatte seines Lebens Mühe und Arbeit gesehen und geteilt.

Er war gerade über mir im zweiten Stockwerk gestorben. Als Leichenwächter fungierten sein Schwager, der Fuhrmann Xaver Wölfle, und der Fuhrmann Krämer, nach seinem Wohnsitz am Stadtbach der Bachsepp genannt.

Beide hatten dem Xaveri seine Waren geholt und verführt, aber beide saßen tränenlos, wie es wetterharten Fuhrleuten geziemt, in der untern Stube in meiner Nähe und rauchten und tranken.

Von Zeit zu Zeit nahm einer ein Licht und ging hinauf zu dem Toten. Dann rauchten und tranken und redeten sie weiter mit einander. Sie lobten den Hingeschiedenen und seine Werke und bedauerten, daß er so früh habe sterben müssen.

»Er hat zuviel geschafft und sich verdorben mit dem hausieren und zu wenig Schoppen getrunken,« meinte der Bachsepp, der von Hasle nach Konstanz fuhr, und fügte bei: »Ich wär' auch schon lang nimmer da bei dem Leben auf der Landstraß' in Wetter und Wind, wenn ich nicht in jedem Wirtshaus einen Schoppen nähme.«

Und Beifall gab ihm der Wölfle.

Ueber Tod und Vergänglichkeit redeten sie nichts und auch nicht von ihrem eigenen Sterben.

Am 6. Oktober begrub man den braven Mann. In langer Reihe folgten seinem Sarge die Bürger von Hasle und vorab die Buren und die Bürinnen der Umgegend; denn den Wälder-Xaveri hatten sie gekannt von ihrer Kindheit an. Es war ja kein Hof und keine Hütte auf den Bergen und in den Tälern, wo er nicht oft gewesen wäre.

Als der Leichenzug vom Hause wegging und die Volksmenge mit dumpfen Stimmen betete: »Herr, gib ihm die ewige Ruhe« – und dieses Gebet zu mir drang in mein Kämmerlein, da wäre auch ich gerne dem Toten nachgefolgt und hätte mich mit ihm ins Grab gelegt.

Das ist, wie ich schon einmal angedeutet, einer der Vorzüge, die ihr Menschen vor uns Holzkisten habt, euch holt der Tod sicherer und bälder als uns. Wenn ein Zufall oder unsere Brauchbarkeit unser Dasein wünschenswert macht, so müssen wir ganze Generationen überleben, ehe uns das Feuer, diese himmelanstrebende und vom Himmel gekommene Kraft, verzehrt. Drum hab' auch ich den Tod deiner Urgroßeltern, Großeltern und Eltern erlebt und werde selbst dich überleben. –

Mir ging es nach dem Heimgang meines alten Herrn und Freundes schlimmer als jeder andern meines Geschlechtes.

Im Hause kommandierten bald nach des Vaters Hinscheiden und nachdem deine Mutter verheiratet war, die zwei Tanten. Sie kehrten alles zu unterst und zu oberst. Und der Mutter, sonst eine schneidige und resolute Frau, fehlten diese Eigenschaften ihren »gebildeten« Töchtern gegenüber, die mit ihren aus der Pension heimgebrachten Redensarten der ehemaligen Schlosserstochter und Kellnerin imponierten.

Mich hatten die zwei jungen Wibervölker zum Tode verurteilt, wofür ich ihnen dankbar gewesen wäre. »Die alte Kist',« sprachen sie, »sollte man zusammenschlagen und verbrennen.«

Doch die Frau Luitgard fand dies unpassend; sie bekam einmal Mut und sprach: »Da wird nichts daraus! Schämt euch, die Kiste zu verachten, welche euer Vater so viele Jahre über Berg und Tal getragen und mit deren Hilfe er den Grund gelegt hat zu seinem Vermögen.«

»Aber dann wollen wir sie auf die Bühne stellen. Hier versperrt sie nur den Platz,« erwiderten etwas angeschämt die Maidle.

Das gab die Mutter zu, und die zwei Kultur-Furien schleppten mich eigenhändig unter das Dach. Die Mutter aber nahm aus einer Ecke des Kämmerleins, in dem ich gestanden, den Hausierstock des Vaters, trug ihn hinter ihren Töchtern drein und stellte ihn neben mich unter das Dach. Zu meinem Gefolge kamen außerdem noch des Hausierers Bergschuhe und seine alte Kappe.

Von dem Tage an, es war am 15. Jänner 1835, begann meine und des Stockes fünfzigjährige Gefangenschaft unter dem Ziegeldach im Hause deiner Großmutter.

 


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