Heinrich Hansjakob
Erinnerungen einer alten Schwarzwälderin
Heinrich Hansjakob

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

7

Es war ein duftiger, kalter Märzmorgen des Jahres 1794, als ich auf dem Rücken deines Großvaters die erste Hausier-Reise in die Welt machte.

Der Xaveri, eine mittelgroße, schmächtige Gestalt mit blassem, bartlosem Gesicht, dunklem Haar und blauen Augen, trug kurze Kniehosen, einen langen Rock seines Vaters und eine große Schildkappe, da ein Filzhut, wie ihn sonst die Mannsleute aufhatten, unbequem gewesen wäre für einen Kistenträger.

In der Rechten hielt er einen mächtigen Stock von Weißdorn, den ihm sein Vetter Philipp in Rohrbach zu diesem Zweck geschenkt hatte, und der heute noch existiert und in deinem Besitze ist.

Schon als wir durch die Fledermausgasse herunterzogen, rief bald aus diesem, bald aus jenem Haus eine Stimme: »Ja, wohin will denn der Xaveri mit der Kist' auf dem Buckel?« – »Ich will hausieren gehen,« antwortete der Angerufene. »Das ist ein hartes Brot,« entgegneten die Leute; worauf mein Träger, ein kluger, im Worte nicht verlegener, wenn auch schüchterner, junger Mensch, meinte: »hart oder nicht, ich muß es tun, um mich und meine Mutter ehrlich durch die Welt zu bringen. Arme Leute müssen sich ihr Brot suchen, wo sie es finden.«

Alle Leute, die uns in der Fledermausgasse und beim Gang durchs Städtle hinunter zuriefen oder begegneten, wünschten dem Xaveri Glück. Einzelne lobten auch mich und meinten, der junge Hausierer habe eine schöne, starke Kiste. Andere fragten nach dem Inhalt – und mein Träger war froh, als wir von bekannten Menschen weg und vor dem untern Tor draußen auf der Landstraße waren.

Es war zwischen ihm und seiner Mutter ausgemacht, daß er am ersten Hausiertage nach Nußbach gehe und von dort über den Berg nach Gremmelsbach. In dem einen Walddörfchen saß der Götte (Taufpate) des angehenden Hausierers und im andern der Bruder der Mutter auf des Großvaters, des Vogelhansen, Gut.

Der junge Hausierer hatte also für den ersten Gang zwei Punkte, an denen er seine Kiste niederstellen, ausruhen und unentgeltlich etwas zu essen bekommen konnte. Es war dies nötig, denn er hatte keinen Heller in der Tasche, weil der Inhalt seiner Hausierkiste jeden Kreuzer verschlungen und noch Schulden verursacht hatte.

Still wanderte der Xaveri seines Weges, kämpfend mit der Angst, abgewiesen zu werden im ersten Haus, in dem er anklopfen würde. Diese Angst wurde Meister in ihm, und drum beschloß er, erst im Hause des Götte Halt zu machen; dort werde man ihm wohl auch etwas abkaufen und ihm so Mut machen.

So kam er zu den ersten Häusern beim »Krähenloch«. Er wollte vorbei. Da rief aus einem sonnigen, mit Schindeln gedeckten Häusle eine Frau: »Guate Morge, Mesner, wona mit der Kist' uf'm Buckel?«

»Guate Morge ou,« antwortete der Hausierer, stehenbleibend und zu dem Weibe hinüberschauend. »Kennet Ihr mich?«

»Wer kennt den Mesner nit von der Wallfahrtskirch?« gab die Frau zurück. »Es kommt ja jede Samstig eins von uns in d' Kapelle.«

»Ich hab' jetzt den Dienst in der Kapell' aufgegeben,« erwidert der Hausierer. »Er hat zu wenig getragen, um mich und meine Mutter, die alt ist, durchzubringen. Die geistlichen Herren haben mir selbst geraten und geholfen, ein Hausierer zu werden, und heut bin ich auf der ersten Reis'. Aber ich bin ein schlechter Hausierer. Ich fürcht', d' Leut brauchen nichts von mir und schicken mich fort.«

»Ich schick' Euch nit fort,« meinte die Frau. »Mein Mann ist ou Husierer; er ist Knecht bei den ›Elsißträgern‹, drum schick' ich kein' Husierer fort, am wenigsten Euch, Xaveri. Denn bei der Osterbicht am Frauentag in der Fasten wär' ich nimme z'bichte komme, wenn Ihr nit den Pater Josef extra g'holt hättet. – Also kommet ri ins Hus und kromet us!«

Während der Hausierer ins Haus tritt und auspackt in der Stube des Weibes, will ich die Erzählung meiner Freundin unterbrechen und etwas von den Elsißträgern erzählen.

Die Aebte der Benediktiner-Stifte St. Blasien, St. Peter und St. Georgen-Villingen hatten schon im 17. Jahrhundert in ihren Gebieten, meist einsamen Waldgegenden, wo das Holz wertlos war, Glashütten angelegt.

Arme Leute vom Wald trugen die Glaswaren, mit Stroh umhüllt, in ihren »Grätzen« ins nächstgelegene Land und zogen damit von Haus zu Haus. Sie hießen im Volke allgemein Glasträger.

Im Breisgau angekommen, waren sie am Rhein und sahen drüben das Elsaß. Bald trugen sie ihre Grätzen auch dorthin und in die benachbarte Schweiz. Jetzt bekamen sie die Namen Elsaßträger und Schweizerträger. Den ersteren Namen trugen sie selbst im ganzen Lande Baden noch vor wenig Jahren.

Schon zu Anfang des 18. Jahrhunderts bildeten sich aber Kompagnien oder, wie sie sich selbst nannten, Gemeinden, die als Handelsgesellschaften auftraten, in allen größeren Städten des Breisgaus, des Elsasses, der Pfalz, Württembergs und der Schweiz Niederlagen errichteten und von diesen aus ihre Hausier-Knechte »ins Land« gehen ließen. Die Kompagnien, unter sich geeinigt, teilten sich in die einzelnen Länder. Es gab eine Elsässer-, eine Schweizer-, eine Breisgauer-Kompagnie, bald auch Schwaben- und Pfälzer-Kompagnien, und damit Schwabenträger und Pfalzträger.

Ihre Gesetze waren ungeschrieben, die meisten von den »Gemeindern« des Lesens und Schreibens unkundig. Ihre Handelsnormen gingen von Mund zu Mund. Niemand lehrte sie eine Buchführung, noch die Gesetze des Handels, und doch haben sich ihre Kompagnien fast zwei Jahrhunderte lang erhalten und ihre Gemeinder zu vermöglichen Leuten gemacht.

Aber der einzelne gehörte ganz der Gesellschaft an. Weib und Kind mußte der Glastrager auf dem Schwarzwald lassen und durfte sie nur einmal im Jahr auf kurze Zeit sehen.

Alljährlich hielten sie Abrechnung, die im Tribergischen im Löwen zu Triberg, die in der Obervogtei Neustadt zu Saig im Ochsen.

Da ward gerechnet, gerügt, geteilt und spekuliert – aber auch gezecht und getrunken nach Herzenslust.

Was hat diese Glasträger, die daheim einst nichts besaßen als eine Hütte, eine Kuh, ein Haferfeld und eine Wiese – zu vermöglichen Handelsherren gemacht? Lediglich der gesunde Menschenverstand und ihre Arbeit, nicht die Schule und nicht die Bildung.

Und wer hat den jungen Schwarzwälder, der von der Viehweide weg ins »Uhrenland« zog, hinaus in alle Welt, dort zum gewandten Handelsmann gemacht? Das Leben, nicht die Kultur.

Und wo haben die Erfinder der verschiedenartigsten Uhren, die nie über ihr Kirchspiel hinauskamen, ferner die Schildmaler, die Löffelschmiede – ihre Kunst erlernt? Nirgends. Aus sich selbst, aus dem Gottesgnadentum des Volkes! –

Unser Hausierer Xaveri hat indes die Stube betreten, seine Kiste auf die Ofenbank gestellt und angefangen, den ersten Handel abzuschließen. Lassen wir wieder seiner Kiste das Wort.

»Was habt Ihr allerhand für Sachen?« fragte des Glasträgers Weib, während der Xaveri seine Kiste öffnete.

In der Stube saßen noch die Mutter der Glasträgerin und ihre zwei Meidle – alle vier mit Strohflechten beschäftigt. »Ich hab',« also begann der Hausierer, »Nadeln, Faden, guten, leinenen, Kämme, Knöpfe und Strähl (Kämme) von Bein, die mein Vater selig noch gemacht. Das Bein bekam er geschenkt von seinem Freund, dem Metzger Köbele; ich geb' sie drum billig. Ich hab' ferner Hosenträger, Bändel, Fingerhüte, Wachsstöcke, Rosenkränze, Wallfahrtsbilder und andere Helgen und ›Muttergottesle‹.Kleine Madonnafigürchen aus Ton. Auch eiserne Löffel, schön verzinnt, hab' ich ein Dutzend vom Quirin Haas und einige Betbücher von der Wallfahrt.«

»Ich kouf Euch Bändel und Faden ab,« meinte das Weib, »des bruch ich jeden Tag zum Einfassen der Strohhüte. Wir machen jede Woche ein halbes Dutzend ›Schîhüte‹Hüte gegen Sonnenschein, Scheinhüte. fertig. Die Elsißträger nehmen sie mit ins Land. Ein paar Wallfahrtsbilder will ich ou noch; ich hab' den Meidlen Helgen versprochen am letzten Samstig und es vergessen. Und für die Großmutter ein Muttergottesle; sie hat das in ihrer Kammer fallen lassen, und es ist ›verbrochen‹.«

»Dann zeiget mir ou die neumodischen Löffel. Ich hab' schon davon g'hört.«

Der Hausierer schnitt erst die Bändel herunter, zehn Ellen, und gab der Frau einige »Strängle« Faden, den Meidlen aber ein Päckchen Bilder zur Auswahl, und der Großmutter stellte er einige Tonfigürchen auf den Tisch. Alsdann langte er aus der Tiefe seiner Kiste die verzinnten Eisenblechlöffel.

»Aber die sind schön!« rief die Glasträgerin aus. »Schouet Muatter, die neumodischen Löffel, die man jetzt im Städtle droben macht. Die funkeln wie Silber. Was kostet einer, Xaveri?«

»Sechs Kreuzer das Stück,« antwortet der Hausierer.

»Muatter,« sprach das Weib, »wollen wir zwei kaufen, einen für Euch und einen für mich?«

»Behüt uns Gott vor solchem Ueberfluß,« eiferte die Großmutter. »So lang' ich leb', haben wir hölzerne Teller und hölzerne Löffel im Haus gehabt, die dein Vater immer selbst gemacht, und das Essen hat uns geschmeckt. Zu was das Geld zum Fenster hinauswerfen für neumodische Löffel? Mariann', gib deinen Kindern kein so schlechtes Beispiel und mach' nicht, daß sie sich ihrer hölzernen Löffel schämen!«

»Ihr habt recht, Muatter,« sprach die Mariann', »so schöne Löffel sind nur für Herrenleut'. Mesner, packt sie wieder ein!«

Der Xaveri war kein Hausierer, der den Leuten etwas aufschwätzen konnte oder wollte. Er verbarg die glänzenden Blechlöffel wieder in seiner Kiste.

Das Weib langte aus dem Wandkästle das Geld und bezahlte den Xaveri. Die Rechnung machte 18 Kreuzer. Der Hausierer sagte »vielmal vergelt's Gott«, nahm seine Kiste und seinen Stock, gab allen in der Stube die Hand und schied. Die Glasträgerin rief ihm zum Abschied noch nach, er solle auch wieder ankehren, wenn er vorbeikomme. Eine Kleinigkeit brauche sie immer.

Mein Träger war glücklich wie ein König, daß er etwas verkauft und schon bares Geld in der Tasche hatte.

»Gottlob, der Anfang ist gut ausgefallen,« sprach er vor sich hin und schritt vergnügt weiter, dem Dorfe Nußbach zu.

Er war noch nicht bis zur Kirche gekommen, als ihm bei einem Häuschen wieder eine Stimme aus dem geöffneten Fenster zulief: »Wohin, Xaveri, mit der Kiste auf dem Buckel?«

Es war ein alter Holzuhrenmacher, der am Fenster bei der Arbeit saß und im Aufschauen den Mesner der Wallfahrtskirche gesehen hatte.

Der Xaveri gab ihm Aufschluß, worauf der Uhrenmacher sprach: »Nix wie ri, Xaveri, i kouf ou ebbis!«

Und der brave Mann kaufte ein Paar Hosenträger und lud den Hausierer ebenfalls zum Wiederkommen ein, indem er hinzufügte: »Dein Vater, Xaveri, hat mir manche Uhr abgekauft und gut bezahlt, als er noch Packer war. Drum will ich auch dir gern' immer etwas abkaufen.«

Die Freude wuchs im Herzen des jungen Händlers. Als er den Uhrenmacher verlassen hatte und bei der Dorfkirche angekommen war, beschloß er, einzutreten und ein andächtig Vaterunser zu beten zum Dank für den guten Anfang seines harten Geschäftes.

Da er nach kurzem Gebet die Kirche verließ, sah ihn die alte Pfarrersköchin, die Apollonia, und beschrie ihn. Sie kannte den Xaveri besser als andere Leute in Nußbach, denn sie kam gar oft im Auftrag ihres Herrn zu den Wallfahrtspriestern, deren Diener der Xaveri gewesen war.

Sie rief – nachdem der Hausierer auch ihre Neugierde befriedigt – denselben hinauf und kaufte ihm zwei neumodische Löffel ab, da ihre zinnernen nicht so stark seien.

Während er wieder einpackte, kam der Pfarrer Lorenz Dorer, ein geborener Furtwanger und ein alter Herr, an der Küche vorbei, sah und erkannte alsbald den Xaveri. Er kaufte ihm ein Päckchen Helgen ab, um brave Kinder damit zu beschenken, und befahl der Apollonia, dem Hausierer auch ein Glas Wein zu geben.

Neu gestärkt und noch freudiger bewegt, zog der Xaveri weiter, dem »Schelmenloch« zu, wo das Haus des alten Götte stand und wo er als Knabe schon oft gewesen war, die Ostereier und den »Santi-Klaus« zu holen. Der eigentliche Götte war längst tot, erfroren auf einem Gang nach Triberg in harter Winterszeit. Aber sein Sohn, der ihn bei der Taufe des Jüngsten des verarmten Löwenwirts vertreten hatte, lebte, noch im Schelmenloch. Er hieß Xaveri, und ihm zu Ehren trug der junge Hausierer den gleichen Namen.

Der Xaveri im Schelmenloch war viele Jahre als Uhrenhändler im Welschland gewesen und hatte sich Geld gemacht, mit dem er des Vaters Gütle vermehrte. Er hatte einen Wald gekauft im anstoßenden »Pfaffenlöchle« und so viele Matten, daß er vier Kühe halten konnte. Auch an Bargeld hatte er keinen Mangel. Trotzdem machte er, wenn Schnee auf den Bergen und Matten lag, noch Holzuhren und ging im Frühjahr damit ins Land – aber nicht weit, nur hinab ins Kinzigtal oder in den Breisgau.

Er staunte, da er sein Triberger Patenkind als Hausierer daherkommen sah, lobte aber alsbald dessen wackern Entschluß, auf diese ehrliche Art Brot für sich und die kranke Mutter verdienen zu wollen.

Die Leute im Schelmenloch wollten sich eben an den Tisch setzen zum Mittagessen, als der Xaveri ankam. Er erhielt sofort einen Platz und einen Holzlöffel, auf daß er mitesse von dem einzigen Tafelgericht, einem »geschmelzten« Habermus.

Der Uhrenmacher, Götte und Vetter fragte während des Essens den Ankömmling über den Erfolg des ersten Ausmarsches. Der Xaveri erzählte, wie es ihm gut ergangen, wie er aber nicht so keck gewesen wäre, in ein Haus zu treten, wenn das Weib des Glas-Sepple im Krähenloch und die andern Abnehmer ihm nicht gerufen hätten.

Da lachte der alte Hausierer im Welschland und meinte, es wäre ihm schlecht gegangen im Land draußen und unter ganz fremden Leuten, deren Sprache er nicht einmal gekannt, wenn er so schüchtern gewesen wäre wie sein Namensvetter. Dann gab er diesem bewährte Regeln für das Auftreten und Verhalten eines rechten Hausierers.

»Ein solcher,« meinte Xaveri, der ältere, »darf kein ›verschrockener‹, aber auch kein frecher Mensch, er muß ein höflicher, aber kein kriechender Mann sein. Er muß seine Sachen bescheiden antragen, sich den Leuten nicht aufdrängen und stets bedenken, daß in den meisten Häusern die Weiber das Regiment führen, und deshalb diesen ein wenig schmeicheln. Er darf nicht ungehalten werden, wenn er nichts verkauft, und muß in diesen Fällen stets von dannen gehen mit den Worten: ›Behüt euch Gott! Bleibt gesund beisammen, bis ich wieder komme. Vielleicht kauft ihr mir dann was ab.‹«

»Wo der Hausierer auf einsamen Gehöften übernachtet um Gottes willen, da muß er etwas zu erzählen wissen, wenn der Abend kommt und die Leute auf der Ofenbank oder um den Tisch sitzen.«

»Und du, Xaveri,« schloß der Mann im Schelmenloch seine Belehrung, »bist ja ein halber Student, dir kann es nicht schwer fallen, von Dingen zu erzählen, die den Menschen auf dem Land was Neues sind.«

Nach diesen Worten hob er die Tafel auf, die große Schüssel mit Habermus war leer. Das Tischgebet wurde verrichtet. Aber ehe die Familie auseinander ging, befahl der Uhrenmacher dem Hausierer, seine Kiste aufzumachen und seinen »Kram« zu zeigen. Er wolle ihm auch noch was zu verdienen geben.

Jedes im Haus bekam was aus der Hausierkiste, und als der Hausherr den Xaveri bezahlte, legte er noch einen Kronentaler dazu mit den Worten: »Das ist ein Beitrag von mir in dein Geschäft. Möge Gott ihn segnen, auf daß du nicht nötig hast, deiner Lebtag unter fremden Leuten dein Brot suchen zu müssen.«

Dem Xaveri liefen die hellen Freuden- und Dankestränen über seine bleichen Wangen, und er fand kaum die Worte, mit denen er dem Götte dankte. Gerührt sprach er, Gott möge ihm in Zeit und Ewigkeit vergelten, was er ihm allezeit und jetzt wieder getan habe.

Er weinte noch, als er die Hütte im Schelmenloch schon verlassen, weinte und dankte Gott, daß er ihn heute schon so viele gute Menschen habe finden lassen. Und dann zog er immer und immer wieder den Kronentaler aus der Tasche und betrachtete ihn; denn solch ein Stück Geld hatte er nie sein eigen genannt und auch bei seinen armen Eltern nie gesehen.

Er schritt wieder durchs Dorf hindurch und gen Norden am Sommerberg hinauf, dem Graisbach zu. Die Mittagssonne lag warm über den Bergen und Tälern, als er auf der Höhe angekommen war, von der es hinabging nach Gremmelsbach.

An der Grenze der Gemarkungen Nußbach und Gremmelsbach stand am Weg ein verwittertes, hölzernes Feldkreuz. Hier traf der Xaveri das Wallfahrts-Bärbele, eine gute, alte Bekannte des Mesners.

Das Bärbele, eines armen Taglöhners Kind vom Schafberg bei Gremmelsbach, war einst eine gefeierte Schönheit gewesen. Der Sohn des reichen Bauern »in der Stube« warb um seine Gunst, während Bärbeles Herz einem armen Burschen gehörte, der im Brunnenmättle wohnte.

Die Eifersucht hetzte die beiden Burschen aneinander bei einem Tanz im Rößle zu Gremmelsbach. Der Marte vom Brunnenmättle blieb Sieger und verletzte den Nebenbuhler derart, daß er monatelang daran zu kurieren hatte.

Die Sache wurde ruchbar bei der Obervogtei in Triberg und der Marte zur Strafe unter die österreichischen Soldaten gesteckt. Man führte dazumal den siebenjährigen Krieg, aus dem der arme Bursche nimmer heimkehrte.

Das Bärbele legte lebenslängliche Trauer um ihn an, blieb ledig und wurde so nach und nach alt und arm. Als es sein Brot mit Arbeit nimmer verdienen konnte, ward es Leichensagerin und bettelte, wenn dies Amt nicht ging, von Hof zu Hof.

Am Samstag erschien es regelmäßig in der Wallfahrtskirche zu Triberg, betete für seine Wohltäter, für alle Bürinnen, so ihm die Woche über Speise, Trank und ein Quartier gegeben, und besonders auch für den braven Marte, der um seinetwillen im Kriege sein jung Leben hatte lassen müssen.

Der Xaveri und das Bärbele kannten sich darum gar wohl, denn dieses war immer die erst' und die letzt' in der Kirche, und oft hatte der junge Mesner am Abend, wenn er schließen wollte, die Beterin wecken müssen, weil sie eingeschlafen war. Dann war das Bärbele jeweils waldauf davongeeilt, um in der nächsten Hütte zu übernachten.

Als der junge Hausierer ihm am Feldkreuz begegnete, schaute es so andächtig, die Hände gefaltet, an dem Kreuze hinauf, daß es den auf weichem Rasen hinter ihm herkommenden Xaveri nicht bemerkte, bis er, die Beterin erkennend, ausrief: »Andächtig, Bärbele, andächtig?«

»Jesus Maria!« fuhr das Bärbele jetzt auf und schaute rasch um. »Ihr habt mich ›verschreckt‹! Ich meinte, es sei kein Mensch um und um, als ich eben ans Kreuz trat und ein Vaterunser betete für den Marte selig.«

»Ihr seid jo der Mesner von der Kapell'. Vor dem hätt' ich nit so erschrecken sollen.«

»Ja betet's Bärbele immer noch für den Marte?« fragte jetzt lächelnd der Mann mit der Kiste.

»Jo frili,« war die Antwort, »'s Bärbele betet für den Marte, so lang es lebt. Man hört nie auf, zu unserm Herrgott am Kreuz zu beten, weil er für uns gestorben ist, und ich bet' bis in Tod für den armen Marte, weil er wegen mir hat sterben müssen. Jetzt werden es 35 Jahre, daß sie ihn fortgeschleppt haben zu den Soldaten.«

Das Bärbele wischte eine Träne aus seinen alten Augen, und den jungen Hausierer ergriff Mitleid mit dem Weibe, das er eben gerne verlacht hätte.

»Aber was tut Ihr da oben, Xaveri, mit der Kiste?« fragte jetzt das Bärbele. Und als es gehört, der Xaveri sei Hausierer geworden und habe auch Wachsstöcke in der Kiste, fuhr es zu reden fort: »Ich weiß Euch a G'schäft. Drüben im Obertal beim Grundbur ist d' Großmutter g'storben. Ich komm' von dort her und will jetzt zur Leich' sagen im Nußbacher Kirchspiel. D' Grundbüre brucht Wachsstöck und ist froh, wenn Ihr kommt; es ist ein kleiner Umweg, den ich Euch von da aus zeigen kann.«

Der Xaveri willigte ein, denn der Vetter im Schelmenloch hatte ihm Mut gemacht. Das Bärbele zeigte ihm vom Kreuz aus den Weg, und dann schieden sie, er bergab, das alte Weible bergauf.

Beim Grundbur angelangt, mußte der Hausierer sich von neuem Mut zusprechen, denn seine Schüchternheit plagte ihn wieder.

Er trat in die Stube, wo weinend die Büre mit den Kindern saß; der Bur war ins Dorf hinabgegangen zum Pfarrer, um die Leiche anzumelden.

»Grüaß Gott!« sprach der Xaveri, seine Kappe vom Kopf nehmend. »Ich hausiere mit Nadeln, Faden, Knöpfen und Wachsstöcken. Braucht Ihr vielleicht ou was?«

»Wachsstöck' könnt' ich brauchen,« meinte die Frau, ihre Tränen trocknend und von der Bank aufstehend. »Wir sind ins Leid kommen. D' Großmutter ist g'storben.«

»Gott geb ihr die ewige Ruh,« sprach der Xaveri. »Und das ewige Licht leuchte ihr,« antwortete die Büre.

»Wie alt ist sie geworden?« fragte der Hausierer.

»78 Jahr war sie an Maria Lichtmeß, ein schönes Alter, aber ich kann's doch nit fassen, daß sie jetzt tot ist. Es tut immer weh', wenn die Mutter stirbt und erst so eine brave Mutter, wie ich sie gehabt. Sie hat gebetet fürs ganze Haus. In den letzten Jahren, wo sie nichts mehr hat schaffen können, ist sie den ganzen Tag auf der Ofenbank gesessen und hat den Rosenkranz gebetet für die Lebendigen und für die Toten. Und wenn ich ihr nur in die Augen schaute, war ich glücklich, und die Kinder hingen mehr an der Großmutter als an mir.«

Die Büre fing wieder zu weinen an, und die Kinder machten mit.

Der Xaveri nahm indes seine Kiste ab und legte alle seine Wachsstöcke auf den Tisch. Die Büre trat herzu und kaufte seinen ganzen Vorrat.

Nachdem sie ihm das Geld in die Hand gezählt, schaute sie an ihm hinauf und sprach: »Ihr kommt mir so bekannt vor. Ich mein', ich sollt' Euch kennen!«

»Ich bin der Kapelle-Mesner von Triberg, aber jetzt geh' ich hausieren, um für meine Mutter zu sorgen.«

»'s ist mir do gsi,« sprach die Büre. »Aber jetzt könnt Ihr mir noch gleich einen G'fallen tun und dem Pater Hippolyt sagen, daß d' Mutter g'storben ist, und er möge auch gleich drei heilige Messen für sie lesen. Er hat sie wohl gekannt und sie hat ihn immer besucht, so oft sie wallfahrten ging. Er ist noch ein wenig in der Verwandtschaft mit uns. Aber jetzt muaß i Euch noch amol frage. In der Kapell' hab' ich Euch schon vielmol g'sehne. Seid Ihr von Triberg?«

»Jo frili,« antwortete der Hausierer, »bin i von Triberg; i bin's alte Löwenwirts Xaveri; der Vater ist um sein Sach' komme durch Unglück und dann später Dreher gsi. Vor zwölf Johr ist er g'storbe und jetzt ist ou d' Mutter kränklich, und i hab' drum 's Husiere ang'fange.«

»So, so,« sprach nun laut die Grundbüre. »Jetzt weiß i, woran i bi. Jetzt sind wir zwei noch verwandt. D' Muatter von Eurer Muatter, d' Vogelhänse im Gremmelsbach, ist G'schwisterkind gsi zu miner Muatter. Eure Großmuatter ist uf 's Griesbachers Hof im Nußbe daheim gsi, und doher stammt ou mi Muatter.«

»Eure Muatter ist früher viel zu uns komme und het g'husiert mit Pfife und Spule. Sie het mir ou vielmol Butter abg'kouft.«

»Kommet nur zu uns, wenn Ihr in der Gegend husieret; Esse und Triftke und Schlofa kostet Euch nichts, und krome will i au jedesmol bi Euch, denn d' Vettere und d' Base dürfen einander nit im Stich lasse, besonders wenn's ei'm Teil schlecht geht.«

Dem Xaveri kamen wieder die Tränen, da die Grundbüre so wohlwollend mit ihm redete. Er gab ihr die Hand und sprach nichts als ein »Vergelt's Gott!« – Mehr konnte er im Augenblick nicht sagen.

Die Büre wollte ihm noch etwas zu essen holen oder einen Schnaps geben. Er lehnte es ab, weil er eben gegessen habe beim Götte, bat aber um ein Glas Wasser, versprach der Büre, beim Pater Hippolyt ihren Auftrag zu besorgen und schied mit dem freudigen Versprechen, bald wieder zu kommen. –

Es ging schon gegen vier Uhr des Nachmittags, als wir den Hof verließen. Der Xaveri beschleunigte seine Schritte dem Dorfe Gremmelsbach zu, denn von da hatte er noch ziemlich weit bis zum Petter im Zimmerwald.

Im Dorfe angelangt, kommt ihm der Gedanke, im einzigen Wirtshaus, im Rößle – anzukehren. Er hat großen Durst. Die Frühlingssonne wärmt, trotzdem in vielen Mulden noch Schnee liegt. Die Geschäfte, so er heute gemacht, erlauben ihm einen Schoppen, und vielleicht braucht der Rößlewirt auch was.

Er kehrt also an. In der Wirtsstube ist niemand als die ziemlich bejahrte Wirtin, die spinnt. Die andern sind drunten im Tal und »räumen« die Matten, so weit sie schneefrei sind.

Der Xaveri bestellt einen Schoppen Sechser und setzt sich bescheiden in die Ecke beim Ofen. Da die Wirtin ihm den Trunk hinstellt, meint sie: »Woher des Wegs? Ich glaub', den jungen Mann hab' ich auch schon g'sehen.«

»Ich komm' von Nußbach her über den Berg, und g'sehen habt Ihr mich sicher schon in der Wallfahrtskirch' in Triberg,« gab der Hausierer zurück.

»Seid Ihr net des alten Löwenwirts Sohn, der Mesner ist in der Kapell'?« fragte jetzt die Wirtin.

»Der bin ich,« antwortete der Xaveri und erzählte, was er heute schon oft hatte sagen müssen. Zum Schluß trug er der Fragerin seine Waren an und nicht vergeblich, denn die Rößlewirtin kaufte ihm alle seine Löffel ab.

Sie erzählte ihm, wie sie seinen Großvater noch gekannt, den Vogelhans, und wie der jeden Sonntag »nach der Kirch« bei ihr eingekehrt sei und einen Schoppen getrunken habe. Sie erkundigte sich auch nach der Mutter, die sie noch »lediger Weis'« gekannt und die in ihren jungen Jahren oft im Rößle getanzt habe, da sie, die Wirtin, noch ein »Schulermeidle« gewesen sei.

»Aber,« fügte sie hinzu, »so wird man alt. Ich geh' jetzt auch schon ins sechzigst' – und mein' oft, man hab' mir die Jahre gestohlen, so schnell sind sie vorübergegangen.«

»Und was hat Eure Mutter mitgemacht!« fuhr die Wirtin fort. »Sie war so ein lustig Meidle in ihrer Jugend, und das spätere Leben hat ihr nichts gebracht als Kummer und Sorge.«

»Und mir selbst ist es auch nicht viel besser gegangen. Ich hab' allen meinen Kindern ins Grab schauen müssen. Und jetzt sind mein Mann und ich alt und bresthaft und sehen nicht, für wen wir gearbeitet haben im Leben.«

Der Xaveri nickte der Sprecherin zu und meinte, der Pater Hippolyt sage oft: »So ist es auf der Welt, und so wird's bleiben – Kummer, Sorge, Not und Tod.«

»Ja, so ist's,« schloß die Wirtin, dieweil der Hausierer einen Sechser auf den Tisch legte und aufstand, um seinen Weg fortzusetzen nach Althornberg.

Sie schob ihm das Geld wieder zu und sagte, den Schoppen schenke sie ihm, seiner Mutter zu lieb, die er von ihr grüßen solle. Und wenn er wieder vorbeikomme, möge er ankehren; sie werde ihm jedesmal was abkaufen.

Der Xaveri dankte gerührt, nahm seine Kiste auf den Rücken und wanderte über die »Kienhalde« Althornberg und dem Zimmerwald zu.

Die Sonne stand schon über der Hornberger Höhe und war im Begriff, ins Kinzigtal hinabzusinken, als der junge Wanderer sich der einsamen Hütte des Vetters näherte.

Dieser und sein Weib wußten schon von dem Vorhaben des Xaveri, ein Hausierer zu werden; denn sie kehrten jedesmal bei seiner Mutter an, wenn sie ins Städtle kamen, was nicht selten der Fall war. Sie staunten jetzt nur, daß er so fröhlich daher kam mit seiner Kiste, und meinten: »Du mußt gute Geschäfte gemacht haben, daß du so lustig dreinschaust.«

»Gottlob, Vetter und Bas,« sprach der Xaveri, ihnen die Hand reichend, »es ist gut gegangen heute. Wenn's so fortgeht, ist für mich und die Mutter gesorgt.« Und nun erzählte er ihnen seine Wanderfahrt, und der Vetter und die Bas freuten sich mit dem braven jungen Mann.

»Willst übernachten, Xaveri?« fragte die Bas. »Ich will dir gleich ein Bett richten in der Kammer droben.«

»Nein, nein!« entgegnete der Hausierer. »Ich muß heim, die Mutter wird's ›blangern‹, bis ich komm'. Sie tät kein Aug' zu, wenn ich nit heimkäm'. Ich wollt' nur ankehren und Grüßgott sagen, weil ich der Mutter versprochen habe, nach ›Althormet‹ zu gehen.«

»'s isch besser, du gehst heim, der Mutter wegen,« meinte der Vetter, »aber abkaufen muß ich dir noch was, wenn du das erstemal als Hausierer zu uns kommst.«

»Wege dem komm' ich nit, Vetter. Ihr braucht mir nichts abzukaufen,« wehrte der Xaveri.

Der Vetter war aber schon an die Kiste getreten Und hatte sie geöffnet. Er zog die Waren selbst heraus und legte sie seinem Weib auf den Tisch. Die Base nahm einen Strähl, der Vetter einen Hosenträger, und beide zahlten ohne zu markten.

In die Kiste bekam der Xaveri dann obendrauf von der Bas noch einen Laib Brot und ein Stück Speck für die Mutter. Dann eilte er das Tal hinaus und Triberg zu.

Eben wollte der Schwersepp, der alte Nachtwächter, das untere Tor schließen – denn tiefe Nacht lag schon über dem Städtle – als der Hausierer gerade rechtzeitig anlangte. Er sah noch Licht beim Metzger Köbele innen am Tor und holte ein Pfund Fleisch. Im Löwen nahm er eine Botell' Wein mit für die Mutter und schritt dann der Fledermausgasse zu.

»Wie ist dir's gegangen, Xaveri?« war die erste Frage der alten Frau.

»Gut, Mutter,« antwortete der Sohn und stellte die Botell' Wein auf den Tisch und das Fleisch dazu. »Das ist von meinem Profit heute für dich, damit du wieder was Kräftiges zu essen und zu trinken hast, Mutter!«

»Ich hab' meine Waren,« fuhr er, die Kiste abstellend, fort, »fast alle verkauft und viel Geld im Beutel, der diesen Morgen ganz leer war. Vom Götte im Schelmenloch hab' ich einen ganzen Kronentaler geschenkt bekommen. Und in der Kist' ist noch ein großer Laib Brot und ein Stück Speck vom Vetter und von der Bas in Althormet.«

»So hab' ich also doch was erbetet,« rief die alte Mutter freudig aus. »Ich hab' aber auch den ganzen Tag den Rosenkranz nicht aus der Hand gelegt und gebetet, du mögest doch einen guten Anfang haben mit deinem Hausierhandel, auf daß deine Mutter nicht darben und nicht betteln muß in ihren alten, kranken Tagen.«

»Das hat auch viel gemacht, Mutter,« nahm der Xaveri wieder das Wort, »daß die Leute alle mich gekannt haben von der Kapelle her.«

Und nun berichtete er über den Verlauf des ganzen Tages; dann legte er der Mutter sein Geld auf den Tisch und auch den Kronentaler vom jungen Götte im Schelmenloch. Er bestellte die Grüße von der Grundbüre und von der Rößlewirtin und erzählte, was die mit ihm geredet.

»Gott und seine heilige Mutter seien gelobt und gebenedeit,« sprach die Mutter, »daß sie dich so gesegnet haben heute.«

»Welchen Kummer hatte ich, als ich dich, das jüngste Kind, in meinen alten Tagen noch aufziehen mußte, und wie oft wünschte ich, unser Herrgott möchte dich holen. Und jetzt bist du meine einzige Stütze und mein einziger Trost im Alter, Xaveri. Aber so geht es im Leben: der Mensch denkt und Gott lenkt!«

Sie holte dem Xaveri eine Mehlsuppe, die sie für ihn gekocht hatte, und betete mit ihm, als er sie gegessen, laut zu Nacht und noch fünf Vaterunser und den Glauben extra zum Dank für den heutigen Tag.

Der Xaveri war müde. Froh legte er sich in der Kammer nebenan zu Bett, während die Mutter in der Stube ihr Lager hatte. Sie spülte noch des Xaveris Suppenschüssel und trank ein Gläschen von seinem Wein, ehe auch sie sich zur Ruhe begab.

Ich, die Hausierkiste, stand in einer Ecke der Stubenkammer und hörte die Mutter noch lange im Bett beten, nachdem sie die Oellampe gelöscht hatte.

Sie betete für den Xaveri und dankte Gott, daß er ihr einen so braven Sohn gegeben.

Endlich schlief auch die alte Frau. Ein Engel des Friedens schwebte durch Stube und Kammer, und ich beneidete die Menschen um ihren süßen Schlaf nach vollbrachtem Tagewerk.

Ich allein wachte in der dunklen, totenstillen Stube.

Um Mitternacht fiel noch ein Lichtstrahl durch die kleinen Fenster. Der Schwersepp ging als Nachtwächter mit seiner Laterne vorbei und rief unfern vom Häuschen die zwölfte Stunde an.

Höret, was ich euch will sagen:
Die Glock' hat zwölfe g'schlagen;
Zwölfe ist die Geisterstund,
Lobet Gott mit Herz und Mund.
            Ave Maria!

Ich lauschte und freute mich, daß, während alle anderen schliefen, ein Mensch für die Schlafenden Gott lobte, der ewig wachend über die Welt geht.

Als die schweren Schritte des Wächters und Rufers verhallt waren, hüllte auch ich mich, so gut es ging, in Ruhe und Finsternis.

 


 << zurück weiter >>