Heinrich Hansjakob
Erinnerungen einer alten Schwarzwälderin
Heinrich Hansjakob

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In meinem Pfarrhause zu Freiburg befindet sich seit vielen Jahren eine alte, alte Schwarzwälderin. Sie ist, im Herzen des Schwarzwalds geboren, auf allen Bergen und in allen Tälern an der Gutach, Kinzig, Wolf, am Schapbach und Harmersbach hin in Diensten gestanden.

Seit Jahren dient sie bei mir, nachdem ich sie aus unwürdiger, einsamer Gefangenschaft erlöst, sie mit neuen Kleidern versehen und in meine nächste Nähe versetzt habe.

So wie in fürstlichen Schlössern Weißzeugbeschließerinnen fungieren, ähnlich amtiert die alte Wälderin bei mir als eine Art Beschließerin.

Ihr schönster Dienst aber ist: sie erzählt mir in Stunden, in denen wir allein sind, aus ihrem langen, langen Leben.

Oft, wenn ich lebensmüde und welk und krank in meiner Studierstube auf meinem Ruhebett liege, sie mir gegenüber steht und ich meine Augen auf sie richte, fängt sie an, mir zu erzählen. Sie will mich, die gute Alte, auf andere Gedanken bringen und zerstreuen. Sie weiß, daß mich allerlei trübe Gedanken plagen, wenn ich, unfähig zu geistiger Arbeit, so daliege. Sie hört mich seufzen: »'s ist ein Elend auf dieser Welt!« – und erzählt mir drum Geschichten, die mir neuen Mut machen sollen, des Lebens Last lautlos weiter zu tragen.

So ist sie mir in düstern Stunden eine liebe, treue Gefährtin, und wir lieben uns, so gut als alte Leute noch lieben können. Und obwohl sie viel, viel älter ist als ich, bin ich ihr doch von Herzen zugetan und würde sie um keinen Preis mit einer jungen vertauschen.

Ich habe aber meine gute, alte Trösterin und Erzählerin auch herausgeputzt, daß sie sich neben der schönsten Jungen sehen lassen kann.

Sie hat alle jene Tugenden, die sonst den meisten weiblichen Wesen fehlen: sie ist schweigsam und spricht nur, wenn sie merkt, daß es mir lieb ist; sie ist bescheiden, dankbar, unverdrossen und zufrieden, ob ich mit ihr rede oder, ohne Rücksicht auf sie, schimpfend und räsonierend vor ihr auf- und abgehe.

Ein katholischer Pfarrer soll bekanntlich keinen weiblichen Dienstboten halten, der unter vierzig Jahre alt ist. Meine Freundin hat mehr als das Doppelte des kanonischen Alters und enthebt mich so trotz unseres intimen Verkehrs jeder Verdächtigung.

Sie kam in früheren Diensten oft, sehr oft in Wirtshäuser und ist trotzdem das nüchternste weibliche Wesen, das es geben kann. So passen wir zwei auch in dieser Richtung zusammen. Auch ich kam in meinen jungen Jahren oft in Lokale, wo getrunken, viel getrunken wurde, und bin heute nüchtern wie eine alte Katze, die am Abend ihre Milch trinkt.

Alte Leute haben alte Bresten, und wenn es ander Wetter gibt, spüren sie diese Bresten und seufzen. Auch meine Freundin und ich teilen diese Beschwerden des Alters. Wenn draußen ein Sturm heult und der Regen an die Fenster schlägt oder wenn Nebel oder Schnee im Anzug sind und ich nachts schlaflos auf meinem Lager neben der Studierstube seufze, weil das Wetter durch meine Nervensaiten fährt wie durch eine verstimmte Aeolsharfe, – dann höre ich auch gar oft meine alte Freundin ächzen.

Ich denke dann lebhaft an ihre langen, schweren Dienste, und – so groß ist unsere geistige Sympathie – alsbald fängt sie wieder an, mir aus ihrem Leben zu erzählen, bis ich endlich einschlafe und träume von den Gestalten, die sie mir durch ihr Erzählen wachgerufen hat.

Neulich stellte ich neben sie ein anderes Wesen ihrer Art in meinen Dienst, ein junges, elegantes, reizendes Ding, das meine Korrespondenzen »führt«. Meine alte Freundin war keinen Augenblick eifersüchtig. Sie weiß, daß ich ihr treu bleibe, weil das junge Ding nichts zu erzählen weiß von guten, alten Zeiten und Menschen.

Es schaut zwar, stolz auf seine Schönheit und Jugend, verächtlich auf meine alte Freundin herab und kokettiert mit mir, so oft ich es ansehe; aber es rührt uns zwei Alte nichts – weder seine Verachtung, noch sein Liebeswerben. Wir bleiben uns treu bis in den Tod – in den Tod, den ich – so unglaublich es auch klingt bei ihrem hohen Alter – sicher vor ihr erleiden werde.

Sie wird's erleben, vielleicht bald, daß ich, ein toter Mann, im Sarg an ihr vorübergetragen werde; aber sie wird keine Träne weinen, weil sie längst weiß, daß ich gerne sterbe und froh bin, wenn's vorüber ist. Sie darf und soll in jener Stunde jauchzen für mich.

Sie weiß auch, daß ich für sie gesorgt habe, daß sie anständig zu leben hat, wenn ich nimmer bin. Ich hab' sie verpfründet nach Hasle, wo sie ihre zweite Heimat hat, wo sie längere Zeit lebte als ich, und wo sie, wie ich hoffe, in Ehren gehalten wird, so lange sie in der jetzigen Gestalt auf Erden weilt. Und sie wird noch lange hienieden weilen, ehe die Würmer und das Feuer auch sie verzehren und sie niederlegen in Staub und Asche.

Aber auch dann soll sie nicht vergessen sein. Drum will ich ihr hier ein Denkmal setzen, indem ich wiederhole, was sie mir in vielen Stunden erzählt hat. –

Meine Leserinnen werden längst ungeduldig sein und wissen wollen, was das für ein Wibervolk ist, von dem ich, der ungalante, grobe Hansjakob, nur Gutes rede und das ich lobe und liebe, aufrichtig und treu liebe, wie es sonst nicht Männerart ist.

»Endlich,« werden sie sagen, »einmal eine, die er lobt!«

Liebe Leserin! Dieses Muster und Ideal eines weiblichen Wesens, diese alte Dame, der mein Herz gehört und die ich wie ein Kleinod bewahre, ist niemand anders als – die Hausierkiste meines mütterlichen Großvaters, des Wälder-Xaveri, in der ich meine »eigenen Werke« aufbewahrt habe, und die junge Dame neben ihr ist ein reizendes Schränkchen, das ich mir nach einem alten Original im Museum zu Basel kopieren ließ und in welchem meine Korrespondenzen aufgehoben sind.

Meine alte Freundin will und soll uns nun ihre Erinnerungen erzählen, und sie wird, so hoffe ich, dadurch auch sich ein Denkmal setzen in den Herzen ihrer weiblichen Mitwesen und meiner getreuen Leserinnen.

Ich werde ihr bisweilen ins Wort fallen und meine »Schlenkerer« an ihre Erzählungen anknüpfen. Wenn ich mich dabei auch nicht immer ankündige, so wird der freundliche Leser doch gleich merken, ob ich rede oder die alte Holztante.

 


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