Heinrich Hansjakob
Erinnerungen einer alten Schwarzwälderin
Heinrich Hansjakob

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12

Als wir aus dem Kapuzinerkloster auszogen, war der Xaveri nach damaligen und in Hasle geltenden Begriffen bereits ein vermöglicher Mann.

Beim Großkaufmann Bilet hatte er sechstausend Gulden Kapital stehen, welche dieser ihm aus Wohlwollen bei sich verzinslich angelegt hatte. Die drei Warenlager in Hasle, Wolfe und Zell waren sein freies Eigentum und der Wälder-Xaveri so ein gemachter Mann.

Acht Monate im Jahr trieben wir uns in den Bergen und Tälern der Herrschaft Hasle herum, zwei Monate in den Reichstälern Harmersbach und Nordrach und ebensolang im obern Kinzig- und Wolftal.

Drum kamen wir oft ins Kreuz nach Hasle, fast jeden Samstag. Nur wenn der Handel ausnahmsweise schlecht ging, oder wir im Winter wegen des Schnees nur mühsam von einem Hof auf den andern kamen, blieben wir auch an Sonntagen in den Bergen. Dann zog mein Herr, wenn der Bahnschlitten den Kirchweg freigemacht hatte, mit den Buren und deren Völkern hinab in die Dorfkirche, so gut ihm auch völlige Ruhe am Sonntag getan hätte.

Waren wir aber an diesem Tag ganz eingeschneit, so las der Xaveri am Morgen etwas aus seinen Gebetbüchern, und am Nachmittag betete er mit den Leuten den Rosenkranz.

Auf jedem Hof, wo wir übernachteten, machten wir auch jederzeit am Abend die üblichen Gebete nach dem Essen mit. Da knieten die Mannsvölker auf die Bank, welche ringsum an den kleinen Fenstern hinlief, während die Wibervölker hinter ihnen standen, und alle beteten.

Zur Sommerszeit wurden die Schiebfensterchen geöffnet, und das Gebet tönte hinaus in Wald und Flur; aus den Tannen lispelte es Antwort, und die Halme neigten sich im milden Sommerwind.

Mich, die stumme Zuschauerin und Hausierkiste, überkam in solchen Stunden wieder einiger Neid über die Erhabenheit von euch Menschen, die ihr für euch und alle Kreatur zum Schöpfer beten könnt.

Ich staunte, wie das »gemeine Volk« auf den Höfen und in den Hütten, gebeugt unter der Last der täglichen Arbeit, ohne Bildung und Kultur, in grobe Leinwand gehüllt und von rauher Kost sich nährend, so zart und vornehm in seinem Gemüte war und an seinem Gebet die ganze Natur ringsum teilnehmen ließ.

Ja, dieses gemeine Volk war in jenen Tagen noch der Träger eines Idealismus, den die Welt- und Stadtmenschen und heute selbst viele Landleute nimmer kennen.

Das gemeine Volk war es, nicht die Priester der Kirche, welche diesem Verlangen des Volkes nur nachkamen, das die Weihen und Segnungen von allem dem, was mit seinem Leben zusammenhing, verlangte. Es ließ seine Wohnung segnen, seine Kleider, sein Haus, den Stall für die Tiere und diese selber.

Es bat um den Segen für seine Felder und Fluren, für Früchte und Blumen, für sein täglich Brot, für die wichtige Speise des Salzes, für Wein und Oel – und zeigte auch hierin wieder, daß es von Gottes Gnaden sei und dies in alleweg anerkenne.

Das ist Religion, wahre Religion, wenn der Mensch sich und alles, was um ihn ist und zu seines Lebens Not gehört, mit dem höchsten Wesen in Verbindung setzt und unter dessen Segen stellt. –

Du hast, so spricht zu mir die Hausierkiste weiter, schon in deiner Erzählung, »Der Eselsbeck von Hasle«, davon gesprochen, wie der Wälder-Xaveri mit seiner Kiste am Samstag abend müde nach Hasle gekommen und im Kreuz eingekehrt sei.

Bescheiden habe er hier seine Kiste auf dem hintersten Tisch abgestellt und neben ihr Platz genommen.

Vorn in der großen Stube krakeelten die Bürger von Hasle und beachteten den Hausierer nicht. Denn ein solcher gilt in der Welt als ein armer Mann, sagt das Sprichwort, ist ein toter Mann, d. h. er muß schweigen.

Unbeachtet und still saß der Xaveri, welcher übrigens mehr sein eigen nannte, als mancher Haslacher, der stolz dort vornen hinter seinem Schoppen das große Wort führte, – in der Stubenecke.

Gesellschaft leistete ihm nur, soweit ihr Amt es erlaubte, die junge Kellnerin, die ihm an Markttagen seine Suppe gebracht, ehe er im Kreuz logierte.

Was alles hat dir deine Großmutter selber erzählt; aber kleinen Buben erzählen alte Leute nicht alles. Ich, des Wälder-Xaveris Kiste, weiß noch mehr.

Nicht bloß wegen seines stillen, braven Wesens gewann er das Herz der jungen, schönen Luitgard, eines armen Schlossers Tochter; er machte, nachdem er einmal ein Auge auf sie geworfen hatte, ihr auch Geschenke aus seiner Hausierkiste, kleinere und größere.

Geschenke unterhalten aber nicht bloß die Freundschaft, sie sind auch die besten Boten Amors, des Gottes alles Unheils, und schon manch Gänslein hat sein Herz auf diese Art verloren und vielfach auch den Verstand.

Einmal war der Xaveri drüben in Elze gewesen beim Savoyarden Castelli, um seidene Halstücher für die Wibervölker auf dem Land zu kaufen, und hatte der Kellnerin im Kreuz auch eins mitgebracht. Das war dreimal größer als ein Burenhalstuch und gelb und rot gefärbt. Nur die besten Bürgersfrauen trugen solche. Die Luitgard kam vor Freude ganz in Schrecken und meinte: »Des isch zua schö für mich, des getrau i mir nit amol anz'lege. Des isch kei Halstuch für a arme Kellnere.«

»Nehmet's,« meinte der Xaveri, »Ihr werdet doch noch eine rechte Frau, und dann brauchet Ihr Euch nit zu geniere.«

Es wurde später ihr Feiertagstuch und blieb es, und als sie 25 Jahre später sich vom närrischen Maler porträtieren ließ, trug sie es noch.

Wo sind heutzutag nach 25 Jahren die ersten Liebes-Pfänder und die Liebe selbst? –

Zwei Jahre hatten sie »Bekanntschaft«, der Wälder-Xaveri von Triberg und des armen Schlossers »Gärde« von Hasle, ohne ein Wort von Liebe oder vom Heiraten zu reden.

Der Xaveri kam und ging und ging und kam. Sie brachte ihm sein einfaches Essen und Trinken und redete mit ihm über Woher und Wohin und wie der Handel gehe, und er zeigte sich erkenntlich durch kleine Geschenke. Und dabei blieb's.

Eines Samstag abends – wir waren von einem Hausiergang heimgekehrt – kamen die Haslacher Bürger, die im Kreuz beim Schoppen saßen, auf den Xaveri zu. Sie hatten gehört, daß er dem verarmten Baron von Gebele einen Teil seines alten Palastes abgekauft, bar bezahlt und auf dem Rathaus bei der Anmeldung zum Bürger viel Vermögen nachgewiesen habe. Jetzt kamen sie und gratulierten dem Hausierer, den sie bisher nicht beachtet.

Auch die Garde sprach, blaß und rot werdend, ihren Glückwunsch aus. Der Xaveri dankte den Bürgern und empfahl sich für gute Aufnahme in ihrem Kreise. Der Garde aber sagte er, als sie allein am Hinteren Tische saßen, er werde morgen zu ihrem Vater gehen, dem Schlosser Heim, und um sie anhalten; er hoffe von ihm und dann auch von ihr das Jawort zu bekommen.

Sie wäre ihm allezeit gut gewesen, da er noch als armer Hausierer vor dem Hause feil gehabt habe und müde von seinen Hausier-Gängen ins Haus gekommen sei. Auch habe noch kein Weibsbild auf ihn solchen Eindruck gemacht, wie sie, die Garde.

Diese war rot und immer röter geworden bei dieser Rede. Daß sie, eine arme Kellnerin, eines vermöglichen Mannes und Hausbesitzers Frau werden sollte, konnte sie nicht gleich fassen. Sie fing an zu weinen und ging hinaus in die Küche, wo ihre ältere Schwester, die Lene, deiner Knabenzeit Schutzengel – Köchin war, und erzählte ihr unter Freudentränen, was der Wälder-Xaveri ihr eben gesagt, und bat die Lene, ihm die Antwort zu geben, sie wisse nicht, was sie sagen wolle und sagen solle.

Die Lene, die den Xaveri gar wohl kannte und ihm schon manche gute Fleischsuppe gekocht und gebracht, ging in die Stube zum Xaveri und sagte ihm, er solle morgen zum Vater gehen, es werde wohl alles recht werden, die Garde habe jetzt das Herz zu voll, um sich aussprechen zu können.

Der Xaveri wußte nun schon, daß er keinen Korb bekomme von der Tochter. Am andern Morgen ging er zum Vater, dem Schlosser-Jörg, und hielt um sein jüngstes Maidle an.

Kein Haslacher Bürger hätte damals einem armen Hausierer seine Tochter gegeben; aber der Wälder-Xaveri hatte sich auf einmal als ein reicher Hausierer entpuppt, der ein Haus kaufen und bar bezahlen konnte. Drum waren die Luitgard und ihr Vater bald entschlossen.

Sie war neunzehn und der Xaveri 34 Jahre alt; aber bekanntlich schauen die Wibervölker nicht aufs Alter, sondern auf den Mann. Und dafür verdienen sie ausnahmsweise einmal Lob und Anerkennung.

Die Männer, weil von Natur aus viel verliebter als die Wibervölker, legen den meisten Wert auf Gestalt und Figur, aufs Alter und aufs Gesicht. Und wenn aus einem schönen Lärvle, was in der Regel der Fall ist, auch ein großes Schäfle schaut, die Mannsleute fallen doch, blind vor Liebe, d'rauf 'rein.

Die Wibervölker dagegen schauen auf den Mann, auf seinen Charakter, allerdings auch, und das ist nicht unvernünftig, auf seine Stellung und sein Einkommen. Wenn diese Punkte stimmen, so kommt's nicht drauf an, ob der Angebetete jung oder alt, klein oder groß, g'rad oder bucklig ist.

Sie sind dann aber bisweilen so wenig wählerisch, daß es ans Unbegreifliche und Unwürdige streift. –

Der Xaveri hatte den östlichen Seitenflügel des großen Hauses der letzten Patrizier von Hasle, der Gebele von Waldstein, gekauft.

Er ließ ihn größtenteils niederlegen und baute an seiner Stelle ein neues Haus.

Während des Baues, nach dessen Vollendung erst Hochzeit gehalten werden sollte, hatte ich, seine Kiste, viel unfreiwillige Muße. Ich stand tagsüber einsam und verlassen in der Stube, die mein Herr im Kreuz bewohnte, und sah ihn nur am Abend, wenn er sich zur Ruhe legte.

Die Hähne ins Kreuzwirts Hof und in den Nachbarhäusern krähen, bisweilen eine Kuh brüllen und die Knechte fluchen hören, das waren die einzigen Stimmen, so in meine düstere Kemenate drangen, die unmittelbar über dem Hof lag.

Ich hatte Langeweile, aber keine Ahnung, daß es später noch schlimmer werden sollte.

Wie froh war ich, wenn der Xaveri mich bisweilen wieder auf den Rücken nahm und hinaustrug in Gottes schöne Welt, vorbei an rauschenden Wäldern, an springenden Bächen, an weidenden Herden, hinauf auf die Höhen, wo die Hirten jauchzten und gottfrohe Menschen wohnten und arbeiteten.

Stadt- und Städtleleben macht alles krank und siech und müd' und matt; das sollte auch ich nur allzusehr erfahren, trotzdem ich nur eine Holzkiste bin. –

Als das Haus fertig war, nahm mich der Xaveri als erstes mit in seinen Laden und trug in mir die Waren vom Kreuz herab in sein neues Heim.

Die Warenlager in Zell und Wolfe wurden beibehalten, da mein Herr als seßhafter Krämer im Gebiet von Hasle nicht mehr zu hausieren gedachte, wohl aber noch in den Reichstälern und an der oberen Kinzig und Wolf, weil von dort die Leute selten nach Hasle kamen.

Wie staunte die Garde, als er ihr zum erstenmal das Haus und seine Einrichtung zeigte, und wie dankbar war sie dem Xaveri, daß er sie von allen Evastöchtern in und um Hasle erkoren, mit ihm dies schöne Anwesen zu bewohnen.

Am 11. Juni 1811 hielten sie Hochzeit. Brautführer und Zeugen waren der alte Schlosser Heim und der Buchbinder Gottfried Hinterskirch, Stadtrat und Bürgermeisteramts-Adjunkt, derselbe, der mir 37 Jahre später die erste Papier-Krone machte zum Dreikönigstag und zur Sternenfahrt. Als Priester fungierte der alte Pfarrer Schuhmacher.

Im Kreuz wurde das Mahl gehalten, dem auch der greise Bruder Sebald beiwohnte. Der Xaveri hatte ihn, den Begründer seines Glücks, extra mit einem Wagen holen lassen. Und vom Zimmerwald in Althornberg war der Vetter da, der Sohn des Vogelhansen. Der Reibschbur Philipp konnte altershalber nicht kommen. Er sandte seinen Sohn Thomas mit einem Ballen »risti Tuach« für den neuen Hausstand.

Auch der Bruder Valentin war erschienen und hatte als seine Gabe eine Holzuhr in der Stube des jungen Paares aufgehängt. –

Kaum waren acht Tage nach der Hochzeit vorüber und die Luitgard imstande, die Waren zu verkaufen, so nahm der Xaveri wieder den Hausierhandel auf.

Wir zogen an fünf Wochentagen hinaus zu den Bauern und blieben nur am Sonntag und Montag daheim. Am Montag war Wochenmarkt in Hasle, und da kamen die Landleute der Umgegend von selbst zum Xaveri und »kromten«.

Wir hatten jetzt weitere Wege, und todmüde kam der Krämer an Samstag-Abenden heim. Oft sagte ihm dann sein junges Weib: »Xaveri, du könntest auch daheim bleiben, brauchst dich nimmer so zu plagen, es langt uns doch zum Leben.« Dann legte sie ihm, um ihn zu überzeugen, die Einnahme der Woche vor.

Der Xaveri aber meinte: »Man muß arbeiten, so lange man jung ist. Es wär' eine Schande, wenn wir beide zusammensäßen und daheimblieben wegen des kleinen Kramladens.« Dann zog er seinen großen Lederbeutel heraus und zählte seinem Weib das Geld auf den Tisch, das er eingenommen, und es war weit mehr, als sie selbst ihm vorgezählt hatte.

An Sonn- und Montag-Nachmittagen trank er seinen Schoppen in einem der Haslacher Wirtshäuser; denn seine »Gärde« berichtete ihm getreulich, wer von den Wirten im Städtle unter der Woche was hatte holen lassen.

Bei den Haslacher Städtlebürgern war er bald, nachdem er Hausbesitzer und Bürger geworden, nicht mehr der hausierende, nicht ästimierte und nicht beachtete Wälder-Xaveri, sondern der »Herr Kaltenbach«.

Diesen stolzen Titel hatte er sich errungen durch sein Geld und durch sein gemessenes, vornehmes Reden und Auftreten, wenn er zu den Bürgern von Alt-Hasle ins Wirtshaus kam.

Er hatte mehr Geld als die meisten von ihnen und wußte in allen Dingen Bescheid wie ein Advokat; denn er war belesen wie keiner im Städtle, den Pfarrer nicht ausgenommen.

Was einem richtigen Haslacher, und ein solcher ist bekanntlich auch der Schreiber dieser Zeilen, am meisten imponiert, ist Geld.

Geldmangel war das einzige, über das ich in meiner Knabenzeit die Bürger von Hasle klagen hörte. Sie huldigten dem Grundsatz des alten Horazius: »Es möge Zeus, der Allmächtige, Leben und BimsGeld. verleihen, für den Humor wollen wir dann schon selbst sorgen.«

Geld ist dem echten Haslacher der Sorgenbrecher und der Befreier von aller Abhängigkeit und Knechtschaft. Wer Geld hat, braucht nach keinem Teufel was zu fragen, kann räsonieren, wie er will, und braucht sich nicht zu ducken und nicht zu »bucken«.

Dies ist auch zweifellos bei mir der Grund, warum ich es so oft beklage, ein armer Mann zu sein. Wär' ich ein reicher und damit gänzlich unabhängiger Mensch, ich würde das, was ich denke, noch viel lauter sagen und der Wahrheit noch viel besser dienen.

Es ist ein schönes, ein ideales Wort der heiligen Schrift, das da heißt: »Die Wahrheit wird euch frei machen.« Aber ich meine, die Wahrheit macht auf dieser lumpigen Erde Märtyrer, Gefangene und arme Teufel, die Lüge aber und das Geld, die machen freie, angesehene, mächtige Menschen. –

Wem der Wälder-Xaveri, richtiger der Herr Kaltenbach, nicht imponierte trotz seines Wissens, seiner Ruhe und vornehmen Bescheidenheit, das war, wie wir aus den »Schneeballen« und aus dem Leben des Eselsbecks von Hasle wissen, der Becke-Peter oder der Eselsbeck und sein Anhang.

Das Wort »Herr« konnte der Eselsbeck an sich nicht leiden; es ging ihm aber die Galle über, wenn er von einem Herrn hörte, der noch zu gleicher Zeit ein Hausierer war.

Wie er den neuen Herrn verfolgte und wie dieser ihm aus dem Wege ging, habe ich im »Eselsbeck« erzählt. –

Seitdem der Hausierer ein seßhafter Krämer mit einem schönen Haus geworden, kamen auch die Musterreiter zu ihm, und er bezog bald seine Waren, denen er jetzt noch allerlei Kolonial-Produkte beilegte, direkt von den Frankfurter und Mannheimer Groß-Handelsherrn.

Seinen Rauchtabak lieferte ihm die Fabrik von Thorbecke in Mannheim, und ich, der Schreiber dieser Erinnerungen, habe zehn Jahre nach des Großvaters Tod noch manch Päckle von dieser Firma verkauft.

Die beliebtesten Marken waren damals der »rote Reiter« und der »schwarze Reiter«, die im Bilde auf den Päckchen prangten.

Die Großmutter bezog später ihren Tabak auch von Wechsler u. Bürgle in Ulm, von denen der »rote Löwe« und der »blaue Löwe« und »der Schwarzwälder« beliebt waren.

Heutzutag wird selbst auf den Tabakspäckchen Patriotismus getrieben und werden Könige, Kaiser und Kronprinzen darauf abgebildet, die roten und schwarzen Reiter aber sind verschwunden.

Als der Wälder-Xaveri noch hausierte mit dem roten und dem schwarzen Reiter, waren auch große Fürsten, Feldherren und Gewaltmenschen in der Welt, aber nicht imstande, den roten und schwarzen Reiter von den Tabakspäckchen zu verdrängen.

Unsere Zeit raucht eben am liebsten byzantinischen und türkischen Tabak, und dem richtigen Patrioten schmeckt ein Päckle mit einem Prinzen viel besser, als wenn ein Schwarzwälder Bauer drauf wäre.

Und wenn unsere Krämer und Weinhändler ihre Waren mundgerechter machen wollen, so taufen sie dieselben mit »Kaisersekt, Kaiseröl, Kaisermehl«, und die Patrioten und Patriotinnen unserer Tage meinen, es gäb' nichts Besseres.

Selbst Servietten, Tisch- und Taschentücher sind heutzutag nimmer sicher vor den Ueberschwenglichkeiten des Patriotismus, und die Fürsten müssen es sich gefallen lassen, daß ihr Bild auf diesen zeitweilig so unsauberen Dingen prangt. –

Noch über vier Jahre nach der Hochzeit, so erzählt die Holztante weiter, zogen wir hausierend oder richtiger hofierend – denn wir gingen von Hof zu Hof – in den Tälern zwei Stunden unter- und zwei Stunden oberhalb Hasle umher.

Dabei muß ich noch erwähnen, daß dein Großvater, was du wohl von ihm ererbt, ein großer Feind der Hunde war.

Dies kam daher, daß sie, sobald wir einem Gehöfte uns näherten, mit wütendem Gekläff auf uns losstürzten.

Erst wehrte sich mein Herr lange mit dem großen Dornstock, und als das nicht half, kam er auf ein Mittel, das uns die Hunde vom Leibe hielt, aber für immer zu Feinden schuf, wenn sie auch dieser Feindschaft fortan nur in einem ausweichenden Knurren Luft machten.

Das Radikalmittel aber bestand darin, daß er den wütenden Kläffern aus seiner großen Schnupftabaksdose den Tabak mit vieler Gewandtheit in die Augen warf, worauf die Bestien heulend und winselnd davonliefen.

Fortan, wenn sie uns nur von ferne sahen, verkrochen sie sich in stillem Ingrimm. –

Im Dezember des Jahres 1813 waren wir eben in den Tälern am Fuße des Kniebis auf dem Handel, als die Russen über den Berg her einbrachen auf ihrem Wege nach Frankreich.

Beim »Seebenbur« unter dem Wildsee saß der Xaveri mit den Leuten zu Tisch beim Mittagessen, da die ersten hungrigen Russen in die einsame Mulde eindrangen, in welcher der Hof lag.

Die Wibervölker flohen entsetzt dem Glaswald zu. Der Xaveri, der Bur und die Knechte blieben. Der erstere kannte die Sprache, die alle Soldaten verstehen, und mahnte den Bur, das Essen auf dem Tische stehen zu lassen und es noch durch neue Quantitäten Speck, Brot und Schnaps zu vermehren.

Und als die Russen ins Haus einfielen, führte sie der Xaveri in die Stube, zeigte ihnen den gedeckten Tisch und – der Bruder Russ' war gezähmt. Freudig und friedlich ließ er sich nieder und aß und trank nach Herzenslust.

Als sie gesättigt waren, nahm der Xaveri aus seiner Kiste die vorrätigen Tabakspäckle und schenkte sie den wildfremden Soldaten, deren Freude jetzt vollkommen war.

Der Bur bat den Hausierer, zu bleiben bis zum folgenden Morgen, wo die Soldaten wieder weiter ziehen mußten talabwärts. Und mit ihnen zogen der Xaveri und seine Kiste.

So marschierten wir mit den ersten Russen in Hasle ein, und der »Russenrumpel«, wie die Buren im Kinzigtal sagen, war dem Krämer Kaltenbach eine Quelle reichlicher Einnahmen.

Er war als seßhafter Bürger auch Lichterzieher geworden, und wir hausierten nun auch mit Unschlittkerzen bei den Wirten. Die Russen begehrten diese Lichter sehr, und Tag und Nacht waren der Xaveri und seine Luitgard in jener Zeit beschäftigt, Lichter zu ziehen.

Ich, die Hausierkiste, blieb stehen; denn Russen waren im Quartier und füllten außerdem den ganzen Tag den Kramladen.

Einmal wollte ein russischer Offizier, der in seinem Hause lag, den Xaveri bestimmen, eine Rechnung auszustellen für Waren, die er nicht geliefert hatte. Er weigerte sich standhaft, einen Betrug zu begehen, was den Russen so empörte, daß er ihm mit dem Säbel drohte. Er mußte flüchten und hielt sich drei Tage verborgen, bis der Offizier weiter gezogen war.

Deine Mutter, damals zwei Jahre alt, war aber der Liebling des ehrlichen Russen, der dem Kind zum Abschied einen Silberrubel schenkte, den sie, wie du weißt, ihr ganzes Leben hindurch aufbewahrt hat.

Noch ein Jahr lang nach dem Russenrumpel hausierten wir: dann legte der Xaveri mich, seine alte Begleiterin, ab für immer.

Zwanzig Jahre hindurch hatte er mich auf seinem Rücken getragen über Berge und Schluchten, durch Täler und über Bäche, bei Wind und Wetter, bei Regen und Schnee. Und er war, wie wir wissen, kein Riese, und doch erheischte es eine Riesenkraft, eine Kiste, die gefüllt mehr denn 50 Pfund wog, auf mühsamen Schwarzwaldwegen zu tragen.

Seine dadurch erschütterte Gesundheit verlangte schließlich mit Macht ihr Recht auf Schonung. Erschöpft kam er nach jeder Tageswanderung im Nachtquartier an, und wenn wir am Ende der Woche heimkehrten, war das erste Wort an sein Weib die Klage über die entsetzliche Müdigkeit.

Dann predigte die Luitgard – das konnte sie meisterhaft – und sprach: »Es geschieht dir recht, schon lang hab' ich dir zugesprochen, daheim zu bleiben, aber vergeblich. Du ruhst nicht, bis sie dich hinaustragen auf den Gottesacker und ich allein bin mit den Kindern!«

Endlich folgte er der Predigerin und den Mahnungen seiner schwächlichen Natur. Für ihn begann die Zeit der Erholung, für mich die der absoluten Ruhe und Langweile.

Die Frau Luitgard hätte mich gerne am ersten Tag, da der Hausierhandel ein Ende hatte, auf die Bühne und unter die Dachziegel spediert; aber der Xaveri ließ seine treue Gefährtin, die Miterwerberin seiner Habe, nicht so schnöde behandeln.

»So lang ich leb',« sprach er ernst, »darf meine Kiste mir nicht aus den Augen. Sie hat alle Wetter mit mir durchgemacht, drum soll sie in Ehren gehalten werden von mir und meinen Kindern und Kindeskindern.«

Und er stellte mich in das kleine Magazin, das neben dem Kramladen lag und mit diesem durch eine kleine Holztreppe verbunden war.

Hier stand ich nun unter Zuckerhüten, Tabakspäckchen und Kaffeesäcken und hörte alles, was draußen im Laden vorging. Das gewährte mir noch einige Unterhaltung für den Verlust der Wanderungen in Gottes freier Natur.

Ich hörte die Leute im Laden draußen reden und kannte sie an der Stimme, besonders die Nachbarn: den Buchbinder und Rat Gottfried Hinterskirch, den Nagler-Franz, den Schreiner Hauschel, den Schmied-Hans und den Orgelmacher und Bildhauer Glücker. Der letztere war ein starker Raucher, die andern Schnupfer. Fast täglich kamen sie ins Haus, und an Sommer-Abenden saßen sie mit ihren Weibern auf der langen Bank vor dem Haus und auf der steinernen Treppe und hörten dem Xaveri zu, wie er erzählte und erklärte.

Jetzt hatte er viel mehr Zeit zum Lesen und wußte drum immer was Neues, wenn die Nachbarn am Abend anrückten. Da wurde dann geschnupft und geraucht und diskurriert bis in die Nacht hinein.

Wer von den Bürgern in Geldsachen, in Schreibereien, in Angelegenheiten des Handels und Wandels ein Anliegen hatte, ging zum »Herrn Kaltenbach« und holte sich Rat.

In Hasle ging er nur in die Wirtshäuser, weil er geschäftshalber mußte, nicht aus Vergnügen; denn die Haslacher waren ihm zu lebhaft, zu lärmend und zu krakeelend. Auch wich er gerne seinem Feinde, dem Eselsbeck, aus, der täglich in dem oder jenem Wirtshaus saß.

Dagegen – und das hast du wohl von ihm auch ererbt – hielt er sich gerne im Dörfchen Hofstetten auf. Dorthin wanderte er jede Woche wenigstens einmal und machte ein Spiel mit dem alten Schneeballenwirt, dem Jörg. Dessen Sohn, der Xaveri, der 87 Jahre alt geworden ist, hat dir ja oft von deinem Großvater, den er noch wohl gekannt, erzählt.

Ueberhaupt ging der Herr Kaltenbach gerne aufs Land und besuchte da die Dorfwirte, seine alten Kunden. Sie alle kamen auch zu ihm, und die Buren und Bürinnen und ihre Völker kromten, wenn sie nach Hasle wanderten, nur beim Wälder-Xaveri.

Sein kleiner Laden wurde eine kleine Goldgrube, und die Frau Luitgard ging an Sonntagen nur in Seide gekleidet in die Kirche und trug eine goldene Spitzkappe, die heute noch in deinem Besitze ist.

 


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