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XXVI

August sollte noch an diesem selben Sonntagabend abreisen, aber er hatte keine Eile damit, er schob es immer wieder hinaus.

Pauline trieb ihn an und bat ihn, sich zu beeilen, es könnte ihm sonst noch etwas widerfahren.

Er gab zur Antwort, daß er vorher noch verschiedenes zu erledigen habe.

Sie hatte ihn im Verdacht, daß er sich aufspielen und mutig zeigen wolle.

Er verteidigte sich mit folgenden Gründen: Zunächst einmal muß ich meine Tabakblätter, die jetzt noch in der Presse liegen, laugen, ferner möchte ich dir eine Glocke an deiner Ladentür befestigen, wie man es in den Städten hat –

Eine Glocke?

Du brauchst dann nicht immer mit dem Schlüssel herumzugehen und jedesmal abzusperren. Ich habe mir das schon lange ausgedacht.

Ja, du denkst dir was aus! Aber das ist nicht notwendig.

Und endlich sollte ich noch zu meiner Fabrik am Meer unten gehen und nachschauen, ob sie schön trocknet oder ob ich sie noch eine Zeitlang besprengen soll.

Das ist ja alles Unsinn, sagte Pauline.

Nein, das ist es nicht, erwiderte August. Übrigens noch etwas Wichtiges: Was für ein Datum haben wir heute abend?

Den Siebzehnten.

Richtig. Ich habe ja selber darauf aufgepaßt. Aber nun hast du doch nie gesehen, daß ich an einem Achtzehnten, und das wäre morgen, eine Reise angetreten hätte. Das mußte ich seinerzeit, als ich Missionar war, dem weißen Engel mit einem teueren Eid geloben. Ich versuchte es einmal, diesen Eid zu brechen, und fuhr am achtzehnten März mit einem Tankschiff aus, aber das werde ich kein zweites Mal mehr tun. Damals stach mich dann diese giftige Fliege und impfte mir diese mehrjährige Krankheit in den Körper ein.

Pauline fühlte sich in seinem Namen gequält und sagte: Daß du dich nicht schämst, so dumm daherzureden! Ich merke schon, du willst hierbleiben, bis der Lensmann kommt. Er ist ja dein guter Freund.

August: Übermorgen werde ich fort sein.

Es ist leicht möglich, daß dies um einen Tag zu spät ist, erwiderte Pauline ...

Im übrigen geschah nun verschiedenes, was Paulines Angst um August teilweise zerstreute und ihr anderes zu denken gab. Schon Montag morgen ging in der Gegend das Gerücht, daß die Frau des Schmiedes aus der Inneren Gemeinde gekommen war, ihre zwei Buben heimzuholen. Schau, schau, sie hatte wohl den Vorstellungen anderer Frauen nicht länger widerstehen können.

Es ging so, wie Ane Maria gesagt hatte: daß sich im Lauf eines Jahres vieles zutragen könne und daß sie sich beeilen müsse, die beiden Pflegekinder zu sich zu nehmen, solange sie noch hoffärtig sei und große Mittel habe. Jetzt war es vorbei, denn es war rückwärtsgegangen mit Karolus und Ane Maria. Oh, aber die Pflegekinder waren satt und zufrieden, sie hatten Kleider und Schuhe und saubere Hemden, sie hatten auch ein wenig gelernt, in einem funkelnagelneuen Abc zu lesen, und waren Prinzen im Vergleich zu früher.

Ane Maria war tief verwundet. Zwar war sie verständig genug und hatte diesen Augenblick schon längst erwartet. Sie hatte sich selber gesagt, daß sie sich so, wie die Zeiten geworden waren, nicht mehr imstand sehe, ihre Prinzen mit Kost und Verpflegung für immer zu behalten. Aber sie hatte sich nun eben einmal an diese kleinen Burschen gewöhnt, hatte ihnen Waffeln gebacken und Leckereien zugesteckt und hatte bei Pauline vom Kramladen Milch für sie geholt, und sie segnete jeden Tag, den sie sie noch behalten durfte. Jetzt war es vorbei.

Die Mutter war dem Umstand gegenüber, daß ihre Buben es daheim schlechter haben würden, nicht blind: Es sieht nicht so aus, als hätten sie Not bei Euch gelitten, du meine Güte! sagte sie und war dankbar. Aber Ihr habt ja jetzt selber nicht mehr als Ihr braucht, soviel ich höre.

Karolus, schnell in seiner Eitelkeit getroffen: Wer sagt das?

Die Frau hatte es von verschiedenen Seiten gehört, und erst zuletzt wieder in der Kirche gestern.

Ja, das mag nun sein, wie es will! erklärte Ane Maria. Wir haben bis heute, und vor allem für die Buben, genug gehabt. Und dafür hätten wir auch weiterhin gesorgt, solange sie bei uns geblieben wären.

Die Frau wurde fast schwankend, sie ließ eine Bemerkung fallen, daß sie schließlich nicht gerade unerbittlich sein und die Buben mit sich nehmen würde –

Doch, sagte Ane Maria, nun bist du einmal gekommen, um sie zu holen, und einmal muß es ja auch sein! Wie ist es, hat dein Mann Arbeit?

Ach ja, dann und wann.

Wieviel Münder seid ihr jetzt?

Sieben, mit den Kindern. Aber wir bekommen ja auch eine kleine Unterstützung von unserer Heimatgemeinde.

Die Hilfe der Gemeinde ist eine magere Hilfe! murmelte Karolus und schüttelte gedankenvoll den Kopf. Da muß jeder Schilling zehnmal gezählt werden.

Ane Maria stand auf und brachte Milch herbei: Trinkt jetzt eure Milch, Buben, sagte sie, ihr habt einen weiten Weg vor euch.

Die Buben waren sehr aufgemuntert von der Aussicht, mit der Mutter gehen zu dürfen. Wie alle Buben, liebten sie die Veränderung, es war doch etwas Neues für sie, wieder heimzukommen und zu kosten, wie das schmeckte. Da aber Ane Maria so niedergedrückt war und weder lachte noch scherzte, legten sie sich doch eine gewisse Zurückhaltung auf.

Bedankt euch jetzt für die Milch und für alles Gute und nehmt Abschied, sagte die Mutter.

Diese kleinen Hände hatten Ane Maria so oft an der Nase gepackt und mit ihrem Haar gespielt und sie am Hals gekitzelt, – und ebenso mit Karolus: sie hatten ihn am Bart gezupft und ihn bei beiden Ohren gepackt und in seinen Taschen gekramt und nach einem Schilling gesucht, – jawohl, aber es war etwas anderes, als nun diese kleinen Hände zum Abschied hingehalten wurden.

Ihr müßt öfters wiederkommen, sagte Karolus, und euch nach uns umschauen, nicht wahr? Dann wollen wir auch wieder einmal miteinander spielen

Ane Maria machte es eilig ab: la ja, Kinder, ja ja, Kinder! Und da liegen also ihre Sachen, sagte sie zur Mutter und deutete auf ein Bündel.

Du meine Güte! sagte die Frau wieder.

Ach, es war wohl nicht so viel, daß man die Hände über dem Kopf zusammenschlagen konnte, aber es waren doch immerhin Kleider, Werktagskleider und ein Anzug zum Wechseln, dazu ein Abc mit einem Hahn und eine Schiefertafel mit einem Griffelstumpf an einer Schnur. Außer diesen Dingen Nägel und Steine und Knöpfe und Zündholzschachteln und Glasscherben, alles, was eben kleine Buben in ihren Taschen haben. Aber ihre kleinen Holzäxte mußten die Buben selber tragen.

Sie gingen alle miteinander hinaus, und Ane Maria führte die Buben an der Hand und wollte sie ein Stück weit begleiten. Das wollte auch Karolus, er war gekränkt und erklärte: Sollst denn nur du mit ihnen gehen dürfen, Ane Maria, darf ich sie nicht auch ein Stück weit führen ...?

Pauline vom Kramladen sah diese fünf Menschen fortgehen und nur zwei von ihnen wieder zurückkommen. Da begriff sie, was sich zugetragen hatte. Es war nicht nur August, dem man heute sein Interesse zuwenden mußte, es ereignete sich so viel ...

Ein Gerücht tauchte auf über Heringsschwärme im Eidsfjord. Es war vielleicht nur Übertreibung, eine neue demütige Menschenhoffnung, aber Eidsfjord war eine alte Heringsbucht, ihr konnte man alles zutrauen; und was sollten nun die beiden Großnetzbesitzer Rolandsen und Gabrielsen tun, für den Fall, daß dieses Gerücht doch auf Wahrheit beruhte? Die Bucht wieder verlassen, ihre Prachthäuser verkaufen, – die keiner kaufen wollte? Zurückziehen in ihr altes Heim in Vesteraalen, – das jetzt anderen gehörte?

Es war vielleicht nicht sehr klug von ihnen gewesen, die Heringsbucht zu wechseln. Allerdings, die Heringe waren wie ein Routenschiff, sie kamen jahrelang, und zweimal im Jahr. Plötzlich aber kamen sie nicht, sie strichen die Haltestelle und zogen vorbei. Ließ sich dagegen etwas machen? Das war Schicksal. Es sank eine Finsternis über die Bucht herein, kein Leben, kein Spaß, Möwen und Seeschwalben fort, armseliger Rauch aus den Schornsteinen, die Buchtbewohner sahen zur Erde, und die Erde war zur Stadt verbaut.

Um Gabrielsen stand es noch nicht so schlimm. Er hatte sein großes Netzboot und konnte mit einem Mann als Hilfe mit Brennholz zu den waldlosen Lofotinseln fahren und sich auf diese Weise seinen Lebensunterhalt verdienen, außerdem war Gabrielsen jung und geschickt, ein kluger Kopf, – sogar abgesehen davon, daß er mit einer Gouvernante Deutsch gelernt hatte.

Schlimmer ging es dem früheren Bankchef Rolandsen. Man erzählte sich im Kramladen, daß der bereits vor mehreren Tagen von einer Reise nach dem Süden heimgekommen sei und sich seitdem versteckt halte und nicht ausgehe. Seine Verwandten hatten ihn wohl im Stich gelassen und ihn scheu gemacht. Aber noch vor diesem Montagmittag erfuhr man, daß Rolandsen seinen Werktagsanzug angezogen und den Südwester aufgesetzt habe und in die Nordgemeinde gegangen sei, um zu versuchen, sich zum Lofotfischfang anheuern zu lassen, – zum erstenmal.

Das ist doch nicht möglich! rief Pauline ungläubig.

Eine Frau bezeugte, daß sie ihm selber in dieser Montierung und mit diesem Vorhaben auf dem Weg zur Nordgemeinde begegnet sei.

Und er, der so fein war!

Bürgermeister Joakim, der mit der Zeit immer studierter geworden war, wiederholte getreu nach seiner Zeitung: Schwere Zeiten sind nicht immer die schlechteste Schule, es kommt vor, daß schlechte Zeiten aus Toren Männer machen ...

So kam eins zum andern, – die ganze Gegend brodelte an diesem Montag von Neuigkeiten und Ereignissen, und der Laden war voll von Menschen, die herbeigekommen waren, um darüber zu sprechen. Selbstverständlich lieferte das Aufgebot von der Kanzel am Tag vorher den Hauptgesprächsstoff: Teodors Ester sollte einen Doktor bekommen!

Viele gönnten ihr aus gutem Herzen dieses Glück, sie hatte die ganz besondere Art der Mutter geerbt und war beliebt, ein großartiges Mädchen, tüchtig in allem, was sie anpackte, das schönste Mädchen nördlich von Bodo –

Hoppla, hoppla! wendet jemand ein.

Doch, das wollten sie alle gern bestätigen.

Keiner von uns weiß, was nördlich von Bodo ist.

Nein. Aber das konnte doch jeder merken, der sie sah.

Eine Frau: Es heißt, sie soll Kohlen essen.

Das ist nicht recht glaubhaft.

Doch, sagt die Frau, leider ist es schon so.

Pauline mischt sich ein und fragt: Hast du es gesehen? Hat sie vielleicht deine Kohlen aufgegessen?

Die Frau wird von einer anderen unterstützt: Nur immer mit der Ruhe, Pauline! Diese Geschichte von Ester wissen noch mehr als nur wir.

Was wißt ihr schon! feixt Pauline. Und wenn man eines Tages von deiner Tochter etwas so Sündiges und Schweinisches sagen würde? Das ist ja alles nur der pure Neid. Das ist ja nur von ein paar Mädchen erfunden worden, weil die Ester schöner war als sie.

Nun, wir haben das jetzt doch schon seit vielen Jahren gehört, sagen die Frauen.

Nun und? fragt Pauline grell und aufgeregt. Zuerst war sie doch bei Hosea, oder nicht? Hosea aber kann nur Gutes über sie sagen, und ebenso Ezra. Sie sagen, daß sie ihnen nicht die Kohlen aufgegessen hätte.

Ja, was die Unterirdischen sagen –! flüstert die eine Frau der andern zu, und beide lächeln schlau mit niedergeschlagenen Augen ...

Es entstand ein Wortwechsel über Kristofer wegen der Stichwunde, die er bekommen hatte. Der Stich wurde hart beurteilt. Mag sein, daß auch Kristofer sich gemein und schändlich betragen hatte, da er einen Kartoffelacker zerwühlte, der so schön herangewachsen war, aber einen Mann mit einem langen Messer in die Brust stechen, das brachte doch nur ein Ausschuß und ein Mörder zuwege. Man hätte den August augenblicklich verhaften sollen.

Wißt ihr, was in dem Kartoffelacker angepflanzt war? fragte Pauline.

Waren es nicht Kartoffeln, eine merkwürdige Art von Kartoffeln?

Tabak.

Da sperrten sie die Mäuler auf: Tabak – wieso? Aber als sie erfuhren, daß es richtiger Tabak gewesen war, Menschentabak, schlug ihre Stimmung rasch um, und sie fanden, daß Kristofer wie das schlimmste Untier gehaust habe. Aber er hatte es wohl nicht besser gewußt, als daß Kartoffeln in dem Acker waren. Nein, so etwas, Tabak! Dieser August, konnte er denn so einfach Tabak anpflanzen? Eine merkwürdige Person war er doch die ganze Zeit in der Bucht gewesen –

August kam und wollte eine Glocke über der Ladentür befestigen. Pauline meinte zwar, er hätte an diesem Abend wichtigere Dinge zu erledigen, als er aber ohne weiteres von den Ziegenglocken, die an der Wand hingen, eine aussuchte und außerdem den Bügel bereits fertig hatte, in dem sie schwingen sollte, wollte sie ihn an diesem letzten dummen Streich nicht hindern.

Die Arbeit war sehr bald getan, die Glocke wurde ausprobiert und schallte laut und warnend durch das ganze Haus. Was sagst du jetzt? fragte August. Genau wie in anderen Städten!

Er erntete keinen Dank. Es scheint, daß du dich nicht fertigmachen willst, um heute abend mit dem Postboot fortzufahren? fragte Pauline.

Heute abend? Nein. Wir haben den Achtzehnten.

Ich glaube, du bist verrückt geworden! rief sie. Wie willst du denn das Schiff erreichen?

Ich werde schon das richtige Schiff erreichen, antwortete er, mach dir keine Sorgen um mich! So, Pauline, nun sei so gut und gib mir einige Gewürze.

Meinetwegen kannst du tun, was du willst, ich mache mir nichts daraus, sagte sie. Aber morgen früh um sieben Uhr ist der Lensmann wahrscheinlich schon da und fragt nach dir.

Morgen früh um sieben Uhr bin ich weit weg, erwidert er. Heute nacht, eine Minute über zwölf Uhr, gebe ich. Da ist der Neunzehnte.

Mystisches Geschwätz, geheimnisvoller Unsinn. Er war nicht zahm zu kriegen.

Kann ich einige Gewürze von dir haben?

Gewürze? Was willst du denn damit?

Für meine Tabaksblätter. Ich koche eine Lauge in der Küche. – Er bekam Salz, Sirup, Salpeter, Essig und andere Dinge, ganz wenig von jedem, und mischte das Ganze zusammen. Jetzt darf eine Zeitlang niemand zu mir kommen und mich stören! sagte er und ging.

Er schloß sich in sein Zimmer ein und nahm die Mütze ab. Trieb er denn diese Gaukelei und Windmacherei zu seinem eigenen Vergnügen? Er nahm die Mütze ab, tauchte sorgfältig jedes Blatt ein, benahm sich ehrerbietig und fromm und schwieg die ganze Zeit. Das letzte Blatt zündete er an und machte Rauch im Raum.

Warum das alles? Vielleicht hatte ein Höhlenvolk in der Heimat des Tabaks ihn die Heiligkeit der Pflanzen gelehrt, vielleicht hatte ein Zusammenhang mit dem Teufel und dem Achtzehnten eines Monats ihn zu einer Art Andacht bezwungen. August hatte vielerlei im Kopf ...

Er kam zu Pauline und brachte ein Dokument mit, das von ihm selber und zwei Zeugen unterschrieben war. Er bat Joakim und Edevart, während der Verlesung anwesend zu sein und zuzuhören: es handelte sich um eine Vollmacht für Pauline, die sie berechtigte, alle Briefschaften und alle Gelder, die gegebenenfalls aus dem Ausland für ihn einliefen, in Empfang zu nehmen, zu besitzen und darüber zu verfügen. Er überreichte ihr ferner einen versiegelten Briefumschlag. Pauline war beinahe verzweifelt darüber, daß er bis zum letzten Augenblick solche dummen Streiche machen konnte, sie nahm die Vollmacht und den Briefumschlag ohne Dank an und legte alles weg. Ach, diese Geschäfte im Ausland, sie hatte seit seinem ersten Tag in der Bucht davon gehört und sollte auch jetzt noch, wenn er fort war, von ihnen verfolgt werden! Joakim verhielt sich ernsthaft und sah zu Boden.

August ging hinaus, als habe er voll und ganz abgerechnet und bis auf den letzten Öre bezahlt. Die drei Geschwister blieben zurück. Joakim wollte wohl nicht geradezu lachen, aber er streckte doch Pauline die Hand hin und sagte: Ich gratuliere, Pauline! Da hat er dich nun zur Haupterbin über das ganze Ausland eingesetzt.

Pauline stieß seine Hand zornig zurück und antwortete: Dieser Hanswurst! Und jetzt ist das Postboot abgefahren, ohne ihn. Was wird er jetzt tun?

Er wird wohl ein eigenes Dampfschiff haben.

Laßt ihn doch in Ruhe, mischte sich Edevart drein. Er wird schon wissen, was er tut!

Dieser Ausdruck des Vertrauens hätte August vielleicht wohlgetan, aber er hörte ihn nicht mehr, er war gegangen. Er war gegangen und blieb fort. Das Abendessen war fertig, aber er kam nicht zu Tisch. Sie redeten darüber und wunderten sich, sie fragten Leute, die vorbeikamen, – ja, ein Junge hatte ihn mit einem Eimer in der Hand am Ufer entlanggehen sehen, es war nun schon ziemlich lange her. Na, da war er wohl fortgegangen, nach seiner Fabrik zu sehen, wie er gesagt hatte. Sie warteten, setzten sich zum Essen hin, redeten darüber, wie lange er ausblieb. Pauline war unruhig.

Joakim sagte im Spaß: Ihr werdet sehen, er ist ins Wasser gegangen!

Pauline stand vom Tisch auf und rannte hinaus. Man sah sie noch wie einen Schatten an den Fenstern vorüberhuschen, dann tauchte sie unten am Ufer auf, sie lief. Was ging denn mit Pauline vom Kramladen vor, saß ihr eine Wespe im Ohr? Dieses steife, knochige Menschenkind rannte wie ums Leben, spaltete die Luft, warf die Beine bei jedem Satz bis an den Rücken hinauf. Wie sie rennen konnte! Joakim war doch reichlich mehr als dreißig Jahre ihr Bruder gewesen und hatte sie noch nie in solcher Fahrt gesehen.

Als sie ans Meer hinunterkam, rief sie. Bei der Fabrik schrie sie seinen Namen mit aller Kraft. Oh, sie schrie viel zu laut, – er tauchte dicht vor ihr auf, kam hinter der Ecke hervor und sah sie verstört an.

So, schluchzte sie, bist du da?

Was gibt es? fragte er.

Was es gibt! Wo hast du denn gesteckt?

Ich habe die Böden hier in dem Gebäude besprengt. Eigentlich war es nicht mehr notwendig, aber ich habe es mir auferlegt, weil der Achtzehnte ist. Bin soeben fertig geworden.

Pauline ließ sich auf die kahle Klippe sinken: Ich hatte Angst, – ich fürchtete – daß du dir etwas antun könntest, Gott verzeih mir meine Sünden!

August starrte sie wie vom Himmel gefallen an: Mir etwas antun, – ich!

Du hast heute so merkwürdiges Zeug geredet – vom Achtzehnten und Neunzehnten –, und du hast mir diese Vollmacht gebracht –

Diese Vollmacht, sagte August würdig, es war meine Pflicht und Schuldigkeit, sie dir vom Fallreep aus zu überreichen. Du mußtest doch etwas haben, an das du dich in Zukunft halten kannst.

Pauline: Ja, du bist eine schöne Nummer! Zukunft? Du hättest dich doch jetzt in der Bucht niederlassen und dir dein Lebensbrot verdienen und einmal ein anständiger Mensch werden können. Ist es nicht unerhört, daß du geradezu Reißaus nehmen mußt von uns!

Was macht mir das aus! erklärte August abweisend. Was aber dieses Verdienen meines Lebensbrotes betrifft, so habe ich doch ganz große Arbeit hier geleistet und euch viele Dinge gelehrt, aber ich habe keinen Dank geerntet, und ihr habt, mir nichts nachmachen wollen. Es hat den Anschein, als wäre die Bucht noch nicht die Gegend für einen Mann wie mich. Aber du kannst sicher sein, Pauline, daß ich zum Schluß doch noch recht bekommen werde, denn die ganze Welt geht den Weg, den ich euch gezeigt habe. Diese Fabrik, die hier steht, ist leer, und niemand will etwas von ihr wissen, aber in der nächsten Heringszeit wirst du zu hören bekommen, daß sie in Betrieb genommen ist. Das wird wieder ein donnerndes Leben mit Erfolg und Tätigkeit auf allen Gebieten werden, mehrere Fabriken, große Geschäfte, Webereien, Stampfwerke, Werkstätten, Flugmaschinen, Geld und wieder Geld, Millionen, und die kleinen Häuser am Ufer entlang werden auf den zehnfachen Wert steigen –

Ja ja, ja ja, unterbrach Pauline ihn, davon rede ich ja gar nicht.

Aber das ist der Weg, den die ganze Welt geht –

Ich rede davon, daß du dich hättest niederlassen und ein ordentliches Leben führen sollen wie wir anderen auch, und daß du nicht so verschwenderisch hättest umgehen sollen mit dem, was du verdient hast.

August schüttelte den Kopf.

Ich habe doch auch eine Kleinigkeit, sagte Pauline, wir hätten einander aushelfen können.

Wir? Keiner ist doch schlimmer gegen mich gewesen als du.

Sag das nicht, August!

Hätte ich die Fünftausend für die Fabrik bekommen, dann stünde sie jetzt fertig da ...

Es half ihr nichts, sie redete von der einen Sache und er von einer anderen. Sie stand rasch von der Klippe auf und sagte: Komm heim und laß dir etwas zu essen geben! Nein, dieser lose Vogel wollte sich nicht niederlassen, er wurde von seiner Unstetigkeit verzehrt und mußte wieder in die Welt hinausziehen. Hatte er nicht einmal gewissermaßen um sie angehalten? Doch, aber zweifellos nur, um eine Stütze für seine Projekte zu bekommen.

Als sie an Kristofers Haus vorbeikamen, war das Fenster voll von neugierigen Köpfen.

Was werden sie da drinnen wohl über dich sagen? fragte sie.

Und was kümmere ich mich wohl schon um den Staub auf meinen Schuhen! entgegnete er. Aber was ich sagen wollte, ich habe heute abend noch verschiedenes zu tun, ich muß mich rasieren und schön machen.

Komm nur erst herein zum Essen.

Nein, erklärte er. Laß das Essen stehen, bis ich heute nacht fortgehe.

 

Er kam gegen halb zwölf Uhr von seinem Zimmer herunter mit Stock und Meerschaumpfeife und sonst nichts, außer den Kleidern am Leib. Edevart begleitete ihn.

Es war ihm keinerlei Elend anzumerken, er tat, als sei er ungeheuer guter Dinge. Allerdings hatte er in der Bucht auf jeder Linie verloren, aber es war noch viel von ihm übrig, und er fühlte sich im Recht gegen alle die anderen. Er war unruiniert und zäh, und solange er seinen Stock mit der Klinge, seine Meerschaumpfeife und seine acht Schlüssel in der Tasche hatte, war er unsterblich.

Joakim, der in der Stube lag, stand sofort auf, als die beiden Kameraden hereinkamen. Bleib ruhig liegen, sagte August, ich werde bald gehen! Er setzte sich an den Tisch und fing an zu essen. Es war dämmerig in der Stube, aber Joakim entdeckte, daß er sich den ganzen Bart abgenommen hatte, was er wohl damit bezweckte?

Pauline kam herein und wollte die Lampe anzünden: Du sollst doch nicht im Dunkeln essen. – Es sind ja keine Gräten drin, entgegnete er. – Auch Pauline sah, daß er sich den Bart abgenommen hatte, sie erkannte ihn beinahe nur an der Stimme.

Er aß nicht viel, aber er blieb lange am Tisch sitzen und schaute immer wieder auf die Uhr an der Wand. Er aß wenig und machte kein Geheimnis daraus, daß seine Eßlust gering war. Als er fertig war, lehnte er sich auch nicht zurück, um es sich wohl sein zu lassen und sich auf den Magen zu klopfen, sondern stand sofort auf, nahm seine Mütze und streckte die Hand aus: Leb wohl, Pauline! Leb wohl, Joakim! – Wo wirst du nun in diesem Leben und auf dieser Erde hinziehen? fragte Pauline. – Mach dir keine Sorgen um mich! erwiderte er.

Eine Minute nach zwölf Uhr verließ er die Stube. Edevart begleitete ihn.

Sie gingen in der Richtung zur Haltestelle, aber als sie so weit gekommen waren, daß man sie von den Häusern der Bucht aus nicht mehr sehen konnte, schwenkte August ab und machte einen Bogen. Alles schien schon im voraus überlegt. So, du willst nordwärts? sagte Edevart verstehend. – Ja, zunächst einmal, gab August zur Antwort. Etwa drei Monate nordwärts, dann nach Osten. Es ist ein langer Weg. – Edevart nickte.

Die beiden Kameraden fingen nun ein Abschiedsgespräch an, und dabei gab es kein Jammern und keine Feierlichkeit. Es war Nacht und ringsum still. Sie folgten einem Weg an einem Flußlauf, und es war nur gerade so hell, daß sie einander undeutlich sehen konnten.

Nimm meinen Koffer, um den Tabak darin aufzubewahren, sagte August. In einer Woche etwa mußt du die Blätter herausnehmen und an Schnüren zum Trocknen aufhängen, aber sei vorsichtig dabei. Du schneidest einen Schlitz in den einen Stiel und steckst den andern Stiel in den Spalt, auf die Weise hängen die Blätter zusammen, so machst du es mit allen Blättern, immer zwei und zwei.

Ja, sagte Edevart.

Wenn sie trocken sind, legst du sie wieder schön in den Koffer. Laß sie dann eine Zeitlang liegen, ehe du sie hernimmst, am besten ein Jahr lang, und ab und zu schaust du nach, daß sie nicht schimmeln. Dann hast du eine feine Ware. Hast du Antwort von Mrs. Andrews bekommen?

Nein.

Dann mußt du wieder telegraphieren. Das mußt du unbedingt; zu dumm, daß ich dir nicht helfen kann. Aber sie soll nicht so leicht davonkommen.

Ich weiß nicht, meinte Edevart zweifelnd –

Nein, du weißt nicht, du kommst ohne sie zurecht, du bist tot.

Hast du Geld? fragte Edevart.

August verächtlich: Geld, was meinst du damit? Für mich selber? Es folgt ein langes und überlegenes Gespräch: Wozu brauchte er persönlich Geld auf dieser Fahrt? Im übrigen erklärte er so nebenbei, daß er nicht einen Öre besaß.

Die Pauline hat mir dieses Geld mitgegeben, sagte Edevart und hielt ihm einige Scheine hin. Sie sagte, sie seien für dich.

August: Für mich? Sie sollte sich nicht in Unkosten stürzen. Pauline und die Bank schulden mir fünftausend Kronen für die Fabrik, aber das ist wohl nicht das Geld, das sie mir hier schickt.

Du solltest es annehmen, sagte Edevart.

Kommt nicht vor, daß ich das annehme! Du sollst es ihr zurückgeben und sagen, daß sie es von meiner Schuld für Kost und Verpflegung abziehen kann. Geld! meinte er wieder verächtlich, der Doktor schuldet mir Fünfhundert auf eine Aktie, aber ich brachte es nicht übers Herz, sie von ihm einzufordern.

Nach einer Weile sagte Edevart: Du willst nun also wohl wieder nach Amerika gehen?

Ja, darüber ist kein Zweifel! erwiderte August. Es gibt keinen anderen Weltteil für einen Mann wie mich.

Dann solltest du ihr diesen Schein wieder mitbringen, sagte Edevart. Es ist ein Zwanzigdollarschein, er gehört ihr, und ich kann ihn hier nicht einmal verwenden.

Kleinigkeit! antwortete August sofort und biß an. Das ist etwas anderes, denn dieser Schein kann unterwegs von großer Wichtigkeit für mich sein: ich kann den Leuten zeigen, daß ich echtes ausländisches Geld habe, und nicht nur Wertpapiere. Darf ich ihn dir denn wegnehmen?

Natürlich darfst du ihn mir wegnehmen! Es ist nur so wenig.

Es ist massenhaft genug. Ich schulde dir ohnedies noch einige hundert Kronen, die ich von dir geliehen habe, und um die brauchst du keine Angst zu haben, ich werde sie dir schicken.

Ja, sagte Edevart. Und nun paßt es gerade gut, daß ich es dir sagen kann, – davon sprechen kann, – eher habe ich keinen Frieden –

Was redest du denn da für dummes Zeug?

Edevart erklärte mit abgebrochenen Sätzen, daß er es gewesen sei, der August im Sommer beim Doktor wegen seiner Nachtschwärmereien und Weitläufigkeiten in der Bucht angezeigt habe.

August aufrichtig und ungläubig: Das gibt es doch gar nicht.

Doch. Und es war vielleicht nicht ganz recht gewesen, aber er hatte eine Gefahr befürchtet, für den Kameraden und für die Bucht.

August dachte eine Weile darüber nach, es dauerte nicht lange, da brach er in Gelächter aus: So ein Spitzbub! sagte er. Du hattest Angst, ich könnte dir die Frauenzimmer in der Bucht wegnehmen, – da sieht man's wieder. Und vielleicht hast du auch wirklich Grund gehabt zu dieser Angst, denn ich war in dieser Beziehung immer ein Draufgänger, mit mir hat es nie einer aufnehmen können! Und August belegte auch diese Behauptung mit einigen frischen und hitzigen Geschichten, er wurde lebhafter, pfiff vor sich hin, fluchte und machte immer längere und längere Schritte.

Plötzlich blieb er stehen und sagte: So, Edevart, jetzt sollst du umkehren, denn ich will laufen!

Ja ja, sagte Edevart. Glückliche Fahrt!

Du bist mir doch nicht böse, weil ich das sage, aber ich kann dann eben rascher vorwärtskommen, ich will eine Zeitlang laufen. Leb wohl, und Dank für die Kameradschaft!

Er lief leicht und rasch durch das dämmerige Licht dahin. Er hatte nichts zu tragen, er war ohne Schwere.


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