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XIV

Von jetzt an wird es ernst, sagte August.

 

August kam mit Teodor und Roderik im Postboot zurück. Er brachte einen großen Ballen mit, eingenäht in Sackleinen, mit dem er sehr vorsichtig umging und den er selbst an Land trug.

Sie lauerten ihm schon bei den Schiffshütten auf und klagten: jetzt fange es an trostlos auszusehen, das Mehl sei gestiegen, bald könne man wohl überhaupt keines mehr bekommen, Zustände, Zustände, und weit und breit kein Heringsschwarm –

Setz dich bloß um Gottes willen nicht auf den Ballen! erwiderte August, um Zeit zu gewinnen.

Ist Glas drin? fragten sie.

Noch viel Kostbareres: Pflanzen.

Sie sahen einander an und stutzten. Pflanzen, – hatte der herrliche August bereits einen Rat gefunden?

Es ist wohl reichlich spät im Jahr, um jetzt noch etwas in die Erde zu tun, erkundigten sie sich vorsichtig.

Gerade der richtige Zeitpunkt! gab er zur Antwort.

Großartig! riefen sie und fühlten sich erleichtert, fühlten sich gerettet. Ja, so ist es, wenn man eben alles kennt und weiß, so wie er! Wir für unser Teil können in unserer Kläglichkeit eben nichts anderes, als im Frühjahr Gerste und Rüben säen und außerdem eine oder zwei Kartoffeln in die Erde legen.

Sie machten sich jetzt klein und jämmerlich und konnten nicht genug am Boden kriechen, sie waren Kinder, die eine Überraschung erwarteten und brennend darauf lauerten, sie sehen zu dürfen. Sie wollten seine Last tragen, aber er wies sie ab. Nein, sagten sie, wir verstehen gar nichts, das ist weiß Gott wahr. Aber was für Pflanzen mögen das nur sein, die Ihr da habt?

Das werdet ihr schon zu sehen kriegen! antwortete er und ging mit dem Ballen in den Armen, als wäre es ein Wickelkind.

Daß etwas so mitten in den Winter hineinwachsen kann! sagten sie und platzten fast vor Neugierde. Aber so ist es eben, wenn man etwas im Kopf und in den Gedanken hat! Was meinst du, was das für Wurzeln und Getreidearten sind, die er da hat, Kristofer?

Kristofer: Das frage ich dich auch.

August hatte wohl bisher nichts dagegen gehabt, rätselhaft zu sein, das tat den Bewohnern der Bucht recht gut; die Bewohner der Bucht, dieses Gesindel hatte seine großen Verdienste um sie wahrhaftig nicht anerkannt. Es sind durchaus keine Getreidearten, die ich da mitbringe, liebe Leute, erklärte er schroff. Es ist nichts Eßbares.

He –! riefen sie.

Ihr seid recht töricht, wenn ihr das glaubt. Ich verschwende doch meine Zeit nicht mit kostbaren Reisen, um mit ein paar Handvoll Getreide heimzukommen.

Nein, murmelten sie zerknirscht, nein, das ist wohl so!

Ja, es ist so. Und jetzt geht nur heim, ich habe allerhand zu erledigen. Von jetzt an wird es Ernst.

Aber liebster, bester August, brechen sie in Verzweiflung aus, was sollen wir denn tun? Hier gibt es keine Heringe, und hier gibt es nichts zu essen, das Mehl wird beinahe jeden Tag teuerer, jetzt kostet es schon sieben Kronen mehr als im Frühjahr. Und wo sollen wir die Gerste hernehmen? Wir haben nur einen Teil unverschämt teuren Roggen bekommen, aus dem man keine Grütze für einen anständigen Christen machen kann. Und jetzt kriegen wir auch keinen Roggen mehr.

August schüttelt den Kopf zu diesen Nachrichten.

Wir wollten Euch fragen, weil Ihr doch mehr wißt als wir armen Teufel, ob es sich nicht machen ließe, beim Haus etwas anzusäen, damit wir das Leben fristen können. Aber alles ist ja verkehrt, wir haben November, und es geht direkt auf den Winter zu –

August überlegte. Er tat so, als finde er den Gedanken sehr tief, und er lachte die Menschen nicht aus, nein, er wurde wiederum freundlich und hilfsbereit und durchforschte blitzschnell seine Welt von Erfahrungen und Erlebnissen: wenn er doch nur ein Gewächs ausfindig machen könnte, das in dem Herbstklima der Bucht in ein paar Wochen reifte! Ich werde darüber nachdenken! sagte er.

Ach, wenn Ihr das tun wolltet!

Aber geht jetzt nur heim, habe ich gesagt!

Sie gingen nicht, sie drängten sich um ihn und begleiteten ihn. Es ist nun einmal so, sagten sie, einigen von uns geht es richtig schlecht, wir haben keinen Bissen zu essen. Wir gingen in den Kramladen, aber die Pauline gab uns zur Antwort, daß sie vollkommen ausverkauft sei.

Dann werde ich telegraphieren! sagte August.

Es ging ein Aufschluchzen durch die Schar, – August wollte telegraphieren. Sie waren überwältigt, die Augen wurden ihnen feucht, und sie stammelten: Wir wußten es ja, wir haben ja nur auf Eure Heimkehr gewartet. Kristofer, er will telegraphieren!

Denkst du, ich hätte es nicht gehört? sagte Kristofer.

August geriet in Glut: Ich habe noch nie gehört, daß die Welt jemals wegen einer ganz einfachen Getreidenot ausgestorben wäre. Gibt's in dem einen Land kein Getreide, so gibt es dafür genug in einem anderen. Da müßte ich mich doch sehr täuschen!

Die Leute reden weiter auf ihn ein: Es heißt, das komme daher, daß Amerika etwas gemacht habe, das man Corner nennt, oder was es eben ist. Joakim hat es gelesen.

August: Corner? Ich weiß, was Corner ist, ihr könnt mich ruhig fragen. Das bedeutet, daß sie das Getreide in großen Magazinen einsperren und es nicht herausgeben, ehe sie ein Blutgeld dafür bekommen. Das ist genau das, was es auf englisch bedeutet. Aber sie sollen sich aufführen wie Menschen, die Leute in Amerika! nickt August drohend.

Er wurde selber mitgerissen und war von Machtgefühl erfüllt, er machte aus gutem Herzen heraus versteckte Versprechungen, entzündete leicht einige Hoffnungen und tröstete die Menschen in ihrer Not. Wer konnte den Sturm so stillen wie er? Aber wie lange würde das wohl anhalten? Der lose Vogel, – oh, er war so unbeständig, der Teufel selber konnte ihn fürchten, da kehrte er nun mit einer neuen Überraschung für die Bucht heim, und er trug sie wie ein Kind in den Armen.

Nein, sagte er plötzlich, ihr sollt nichts Eßbares bei eurem Haus anpflanzen. Das nimmt sich nicht gut aus. Ich habe etwas viel Besseres, – Bäume, Zierbüsche.

So, sagten sie.

Tannen, sagte August. Im Winter gewähren sie Schutz und im Sommer Schatten. Es gibt keine Stadt ohne Bäume.

Nein, sagten sie.

Sie sagten auch jetzt nichts weiter als nur nein. Das war immer so. Sie erkannten ihn auch jetzt nicht an, als er mit seiner herrlichen Idee ankam!

Er kam auf einen Sprung in den Kramladen, und die Leute folgten ihm nach, er begrüßte Pauline, fragte nach Telegrammen und Briefen, eingeschriebenen Briefen aus dem Ausland, Wertbriefen, – nein, diese Ausländer waren doch ein merkwürdiges Volk, wie die sich Zeit ließen! Aber sie konnten es ja halten, wie sie wollten, sie mußten es ja doch am eigenen Leib büßen.

Ich hätte etwas mit dir zu reden, sagte Pauline.

Das paßte ihm nicht, er hatte keine Zeit, er hatte sich gerade vorgenommen, auf die Neusiedlung zu gehen, um mit Ezra eine große Sache zu besprechen. Andererseits hatte er es noch nicht ganz vergessen, daß er ja vor ein paar Wochen um Pauline gefreit und eine Absage bekommen hatte. Vielleicht hatte sie sich's jetzt anders überlegt?

Willst du, daß ich mit dir ins Kontor gehe? fragte er.

Ins Kontor? Wagte er etwa an etwas Heimliches zu denken, etwa in der Richtung, daß sie ihre Ansicht geändert habe und sich mit ihm aussöhnen wollte? So ein Affe! Hatte er nicht dem großen Bruder einen falschen Reichtum in Bankaktien aufgebürdet und ihn an den Pranger gestellt? Das war alles herumgekommen, Edevart hatte es selbst bekanntgegeben, um sich vor den Leuten zu retten, die Geld von ihm leihen wollten.

Sie antwortete sofort ärgerlich: Nein, ich lege keinen Wert darauf, dich ins Kontor zu holen, ich wüßte nicht, daß ich irgendwelche Geheimnisse mit dir hätte. Was ich dir sagen will, ist folgendes: Edevart will dir seine Aktien zurückgeben und alles in Ordnung bringen.

Edevart? fragte August verwirrt. Wieso –?

Ja, darauf kannst du dich verlassen!

Worauf kann ich mich verlassen? Es klingt ja gerade so, als wärst du böse, Pauline?

Das ist gleichgültig, erwiderte sie. Aber Edevart ist nicht der Mann, der deine Aktien braucht. Er kann, wenn er will, heute noch seinen Kramladen zurücknehmen und ist dann für diese Welt reichlich mit Mitteln versehen. Und das dürft ihr ruhig hören, ihr alle miteinander, die ihr da steht! schloß Pauline.

August: Ich verstehe dein Geschwätz nicht!

Er ging ohne weiteres mit seinen Pflanzen zur Neusiedlung hinüber und ließ die andern stehen. Die Aktien, – so, Edevart hatte das also eingestanden! Das machte übrigens nichts aus, vielmehr kam es August und seinen Angelegenheiten eher zugute, er wurde mehr gewürdigt. Edevart, dieser Tor! August hatte mit seinem Jugendkameraden teilen wollen, es war ein gutherziger Vorwand von ihm gewesen, er wollte Edevarts Ansehen in der Bucht heben, da August selber über Geld im Überfluß verfügte. Aber fort mit Schaden!

 

Er traf Ezra gerade beim Pflügen an. August, Feuer und Flamme von seinem neuen Plan, fing gleich an, seine Ideen auszupacken: eine passende Stelle, nach Süden gelegen und schön, mit lehmigem Boden, zweitausend Tannen aus der Baumschule –

Tannen? fragte Ezra.

Tannen! antwortete August. Echte Tannen. Weihnachtsbäume.

Weihnachtsbäume?

So, du hast wohl noch nichts von Weihnachtsbäumen gehört? Eine Goldgrube für dich, du verkaufst Weihnachtsbäume an den ganzen Bezirk, an die Bucht, an die Innere Gemeinde; wenn die Heringsschwärme wiederkommen, werden alle Kapitäne von den Fahrzeugen Weihnachtsbäume mit heimnehmen, eine, zwei und drei Kronen das Stück, nun zähle einmal nach!

Hm! räusperte sich Ezra und dachte nach. Es wäre mir recht, wenn du mir noch etwas mehr darüber sagen möchtest.

August weigerte sich nicht, nein, er redete des langen und breiten darüber, redete jugendlich und zündend: das sei ein Trumpf in der Hinterhand, Ezra wäre allein auf dem Markt, er könne verlangen, was er wolle –

Ezra war zähe. Ja, aber Erde bleibt eben Erde, sagte er, und ich brauche meine Erde für andere Dinge.

August, fröhlich und unverantwortlich: Ob du nun Getreide erntest oder Geld für das Getreide, kommt doch schließlich auf eins heraus. Aber wohlgemerkt, hier handelt es sich um viel Geld, um viel mehr als für Getreide. Ich muß ja wirklich lachen. Brauchst du etwa kein Geld für die Schule und für den Unterricht deiner Kinder, für Zeitungen und Telephon und schöne Kleider für deine Frau?

Ezra schien das nicht einzuleuchten.

Na. Und brauchst du auch kein ordentliches Essen mit grobem und feinem Brot, und alles, was du an Zucker und Kaffee und Sardinen und Honig brauchst, und dann und wann eine Zigarre und einen Schnaps zur Kindstaufe?

Hahaha! lachte Ezra.

August lachte gutmütig mit, er schlug Ezra auf die Schulter und erinnerte ihn an eine gewisse Sache, die sie miteinander gehabt hatten, als sie seinerzeit das große Moor entwässerten, ach, was für ein Spaß war das mit diesen Gespensterrufen und anderen lustigen Spitzbubenstreichen! Weißt du noch, wie wir es fertigbrachten, andere für uns arbeiten zu lassen? rief er aus. Sie trauten sich gar nicht anders, Teodor schuftete, daß ihm der Schweiß herunterrann. Jawohl. Und wer weiß, ob du allein das Moor je trocken bekommen hättest.

Nein, gab Ezra zu.

Na. Und nach all dem, was wir miteinander gehabt haben, solltest du auch heute auf meinen guten Rat hören. Gerade hier wäre ein ausgezeichneter Platz, um die Weihnachtsbäume zu pflanzen.

Hier, – auf diesem Acker? rief Ezra laut.

August merkte, daß er zu weit gegangen war, und tat so, als sei es ein Scherz gewesen: Jetzt ist dir aber angst geworden, du Erdwurm! Nein, aber du hast ja da drüben eine schöne grüne Wiese, dort geht es auch.

Das ist doch nicht dein Ernst?

August, etwas weniger scherzhaft: Warum nicht? Die Pflanzen brauchen nun einmal etwas gute Erde, damit sie rasch wachsen und in etwa zehn Jahren Weihnachtsbäume sind.

In zehn Jahren? rief Ezra wieder.

Ja ja, oder fünfzehn vielleicht.

Schlimmer und schlimmer, Ezra schien seinen eigenen Ohren nicht zu trauen, er starrte August an und blieb stumm. Ob der ihn wohl zum besten hielt?

Wir müssen uns das Ziel weit stecken, so hält man es in der ganzen Welt, ein weites Ziel. Was sind fünfzehn Jahre gegen eine Plantage von Weihnachtsbäumen? Nicht soviel, wie ich Schwarzes unter dem Nagel habe. Und wenn du selber eines schönen Tages sterben solltest, so werden deine Kinder dich segnen. Das nennt man ein weites Ziel. Wir müssen für die Zukunft arbeiten.

Ezra: Was glaubst du wohl, daß ich in fünfzehn Jahren auf dieser Wiese ernten könnte!

August schwieg eine Weile und sagte dann: Ich habe dir doch auch früher keine ganz schlechten Ratschläge gegeben. Siehst du nicht selbst ein, wie töricht du bist, wenn du glaubst, daß Weihnachtsbäume in einem Jahr heranwachsen?

Ezra überhörte das und fragte: Und wenn ich dann in fünfzehn Jahren diese Weihnachtsbäume an der Wurzel abschlage, was dann?

Dann pflanzt du neue! jubelte August. Dann pflanzt du einfach neue, verstehst du! In der Baumschule kann man massenhaft Pflanzen bekommen, ich werde dir die Adresse geben! – Als aber Ezra mit so vollkommen hoffnungsloser Miene dastand, kam August ein frischer Einfall, und er erbot sich, den Ballen zu öffnen, – doch, doch, du sollst sehen, was ich da bringe, echte Sachen, das Feinste, was ich in dieser Art gesehen habe, und ich kenne doch wirklich alles bis zu den Palmen und dem Bambusrohr. Schau doch nur her, liegen sie nicht wie kleine Lebewesen in ihrem feuchten Moos da? Sie sind zwei Jahre alt, du kannst sie beinahe leise piepsen hören.

Ezra wand sich und sagte: Na ja, wie dem auch sei, – es ist doch schon etwas spät im Jahr, um jetzt noch etwas zu pflanzen. Nimm nur das Zeug dort wieder mit!

August lächelte vor lauter Kenntnissen und Wissenschaft: Zu spät für dieses Jahr, glaubst du? Wie töricht bist du doch wieder! Wenn die Blätter von den Laubbäumen fallen, ist es an der Zeit, Tannen zu pflanzen. Meinst du, ich wüßte das nicht?

Ezra in Verzweiflung: Ja, ich will mit dir nicht mehr darüber reden, August, ich gebe weder einen Acker noch eine Wiese dazu her. Jetzt weißt du's.

August schwieg einen Augenblick gekränkt und sagte: Ich wäre nicht zu dir gekommen, wenn nicht eben gerade du es wärst, der das alles in Händen hat.

Ezra nahm die Zügel und schickte sich an, weiterzupflügen.

Da willst du also vielleicht auch nicht einmal ein kleines Stück deines Weidelandes abtreten? fragte August bitter. Ich frage dich zu deinem eigenen Besten und für deine eigenen Weihnachtsbäume.

So klein wird das Stück wohl nicht werden, wenn ich recht verstehe?

August macht einen Überschlag und nennt ein vernünftiges Maß. Die Pflanzen müßten eben doch etwas geräumig stehen, damit sie unten schön buschig würden und sich spitz nach oben streckten zu rechten Weihnachtsbaumgestalten.

Aber was hilft das, fragte Ezra müde, wenn du diese kleinen Lebewesen in die Erde setzt? Das Vieh wird sie doch niedertrampeln.

Hahaha, wiederum töricht! Du mußt dieses Stück Land natürlich einzäunen. Verstehst du nicht einmal soviel? Du mußt Pfähle einschlagen und reichlich und dicht Stacheldraht herumziehen. Das ist doch klar, daß du das tun mußt!

Ezra sagt nun abschließend: Dann erzähl mir nur kein Wort mehr von dieser Geschichte! Ich habe bald ohnehin schon zuwenig Weideland, und ich kann nicht ein so großes Stück von der Sommerweide abgrenzen.

Du brauchst ja nur zwei Kühe weniger zu halten, meinte August.

Da lächelte Ezra. Und jetzt machte er Ernst mit seiner Arbeit und trieb das Pferd an.

August sah ihm nach und rief: Du bist ein Esel! Ich hätte dir die Pflanzen umsonst gegeben, jetzt werde ich sie mit Gewinn an die Innere Gemeinde verkaufen!

Er schnürte den Ballen wieder zusammen und trug ihn mühsam wieder in die Bucht zurück. Mühe scheute er nicht, bezwungen war er nicht.

 

In den nun folgenden Tagen war er eifrig damit beschäftigt, Schmuckbäume vor den Häusern der Leute anzupflanzen. Manche bekamen zehn Pflanzen, andere je eine zu beiden Seiten der Haustür, je nachdem der Platz es erlaubte. Den Leuten gefiel es gut, viele Bäume in die Nähe des Hauses zu bekommen, ach, Tannen, das Schönste von allem, und alles umsonst. Dieser August! Sogar Roderik, den Postboten, den er zur Hilfe angestellt hatte, bezahlte er aus eigener Tasche. Eigennützig war er nicht. Und mitten in dieser allgemeinen Niedergedrücktheit über die Nahrungsnot erlebten die Menschen geradezu einen kleinen Aufschwung in ihrer Laune, wenn sie August sahen, wie er unverdrossen daran arbeitete, die Gegend zu schmücken. Wenn er sich nicht kleinkriegen ließ, wollten sie auch aushalten!

Joakim wurde gefragt, ob er Wert darauf lege, daß echte Tannen bei seinem Haus stünden und rauschten? Ja, gab Joakim zur Antwort, aber frag die Pauline! Na, August war in letzter Zeit mit Pauline nicht so recht einig gewesen, aber er fragte sie trotzdem. Es gab sich so, daß er dies etwas von hinten herum und spöttisch tat, aber sie nahm es gut auf, fauchte ihn nicht an und bekam keinen Schaum vor den Mund. Ja, sie erlaubte ihm, einige kleine Pflanzenleben beim Haus und vor ihrem Kontorfenster einzusetzen, sie erkannte seinen Einfall an, indem sie zu ihm sagte, daß dies schließlich auch nicht schlimmer sei als seine anderen Narrenstreiche. Ich werde deinen Kaplan herholen, damit er sie einweiht, sagte er, dann stehen sie besser! Pflanze sie lieber in deinen Zement ein, gab sie zur Antwort.

So wurden die beiden etwas friedlicher, und sie stand dabei und sah zu, während er die kleinen Löcher grub und die Pflanzen einsetzte. Alles ging gut, bis sie von den Aktien zu reden anfing. Begreifst du nicht, daß du auch die letzten Öre von deinem Geld verlierst? fragte sie.

Nein, das begriff er nicht. Die Bankaktien waren in guten Händen, sie waren in ihren reinen und unschuldigen Händen.

Das ließ sie gelten. Als sie aber den Vorschlag machte, doch sein Geld zu retten, wurde es schlimm. Doch, sie könne ihm aus der Kasse der Bank den vollen Wert der Aktien ausbezahlen. Warum er denn mit ansehen wolle, wie er mit all seiner Arbeit für die Bucht zum Bettler wurde?

So, sie wollte seine Bank berauben! Da wollte sie also die Heringsmehlfabrik und das Gemeindelokal und alle seine anderen Pläne umwerfen! Schau, schau! Sie lieferte sich ihm schwer aus, er nützte diesen Vorteil nicht ganz aus, aber das, was er sagte, genügte, um sie erbleichen zu lassen: So, du willst die Bank plündern? Du bist so freundlich und hast das auch gehört, Roderik!

Wieso –? stammelte sie, ich wollte dir helfen –

Du wolltest mich zu einem ebenso großen Schurken und Spitzbuben machen, wie du selber bist.

Hahaha! lachte sie heiser.

Aber ich rate dir, rechtschaffen durchs Leben zu wandern und nichts zu tun, weswegen man dich verhaften könnte!

Hast du so etwas gehört, Roderik? Er ist ein Affe! sagte sie und lief weg ...

Er pflanzte die Bäume und verrichtete sein Werk; als er beim Kramladen fertig war, ging er weiter. Bei Karolus' und Ane Marias Haus wurden zwanzig Bäume eingepflanzt, ein kleiner Wald, das verdienten diese guten und achtbaren Leute, die Grund und Boden für die Stadt abgetreten hatten. Hier sah er die »Prinzen« wieder, die beiden Pflegekinder, die Ane Maria zu sich genommen hatte und für die sie gut sorgte. Sie waren gut gekleidet und hatten eine frische Haut, es waren kluge Burschen, eine Wohltat, sie anzusehen.

Weiter, – das Pflanzen dauerte tagelang, jedes Haus bekam Zierbäume, Edevart kam hinzu, und August stellte auch ihn augenblicklich zum Pflanzen an, drei Mann stark rückten sie mit Spaten und Hacke bei den Häusern an, das gab aus. Als zum Schluß jeder Fußbreit Erde besetzt war, bekam Roderik eine große Anzahl von Pflanzen geschenkt, das war gut angewandt und keineswegs fortgeworfen, der junge Mann zog mit seinem Schatz in die Nordgemeinde und verkaufte sie dort im kleinen mit gutem Verdienst. Augusts Unternehmen war nicht fehlgeschlagen.

Aber wie steht es nun mit Getreide und Nahrungsmitteln für die Gegend? fragten die Leute. August hatte sie bis jetzt beruhigt, aber die Ruhe des Volkes hielt nicht lange an, die Not war unterwegs. Ich habe telegraphiert, sagte August. So, meinten die Leute. Sie warteten einige Tage und halfen sich untereinander mit Mehl aus, das sie in einem Suppenteller holten, sie verloren wieder die Geduld und gingen wiederum zu August. Schließlich nahm er Edevart mit und zog mit ihm und dem Rest seiner Pflanzen in die Innere Gemeinde, sie brachen nachts in aller Heimlichkeit auf, nahmen gewissermaßen Reißaus.

Gott mochte wissen, ob Gerechtigkeit darin lag, daß August gezwungen sein sollte, aus der Bucht auszureißen. Immerhin führte es dazu, daß zwei alte Kameraden sich wieder zu Geschäften zusammentaten. Anfangs waren sie auch beide guten Mutes, sie wanderten mit erhobenen Köpfen und boten ihre Pflanzen feil, aber mit dem Absatz ging es nur zähe, sie verlangten ja Geld dafür, und die Innere Gemeinde wurde allmählich ebenso arm wie die Bucht, die Nahrungsnot hatte sich auch hier eingestellt, obgleich die Felder abgeerntet waren.

Tannen, sagten die Leute. Werden hier Tannen wachsen?

Wenn sie nicht wachsen, sollt ihr das Geld wiederbekommen, sagte August. Außerdem zog er etwas von der Zeit ab, die die Pflanzen brauchten, um rauschende Bäume zu werden, er ließ eine Bemerkung fallen, daß man schon in fünf Jahren große Freude daran haben könnte.

Aber damit war nicht alles getan, die Leute fragten, ob die großen Herren, ob der Lensmann und der Pfarrer und der Doktor Pflanzen gekauft hätten? Geht doch erst zu denen!

Sie gingen zum Doktor, den August kannte, er war ein netter Mann und nahm fünfzig Zierbäume. Während August und Edevart damit beschäftigt waren, die Pflanzen zu setzen, führten der Doktor und August ein mystisches Gespräch.

Der eine sagte: Nun, geht es immer gut, August?

Ja, antwortete der andere. Aber ich mag jetzt nicht mehr, ich bin gesund.

Du mußt noch sechs Monate warten.

Ja, Ihr könnt mich gern haben!

Sie wurden nicht einig, dieses halbe Jahr stand zwischen ihnen, August wollte es abhandeln, der Doktor aber weigerte sich, darauf einzugehen.

August, hitzig: Danach frage ich Euch gar nicht! Wir Seeleute kümmern uns den Teufel darum, was die Doktoren sagen. Wir tun, was wir wollen.

Der Doktor: Versuch es nur, August!

Ja, das tu ich aber auch!

Dann werde ich noch heute beim Kramladen in der Bucht ein Plakat gegen dich anschlagen!

Was, – seid Ihr verrückt? rief August. Das werdet Ihr nicht tun!

Nein, denn du wirst ein anständiger Mensch sein, so wie ich dich kenne, sagte der Doktor und ging.

August sah ihm nach, es war, als sei ihm die Luft ausgegangen. Nach einiger Zeit fing er wieder zu arbeiten an und schien sich zu erholen.

Hast du gehört, was er sagte, Edevart? fragte er.

Edevart murmelte etwas.

August, mehr und mehr obenauf: Ich hätte ihn vielleicht beim Kragen packen sollen, was meinst du? Aber nun hat er doch fünfzig Tannen auf einmal gekauft, das dürfen wir nicht vergessen.

Nein, sagte Edevart.

Aber wenn er noch ein einziges kleines Wort gesagt hätte, hätte ich ihn erschlagen.

Ja, sagte Edevart.

Hätte ich ihn gleich und ohne mit der Wimper zu zucken mit der Hacke erschlagen, fuhr August fort und brüstete sich. Ich war nahe daran, eigentlich hätte ich ihm zeigen sollen, wen er vor sich hat! Hat man so etwas je gehört, ein Plakat beim Kramladen! Er wird es doch wohl nicht tun?

Nein, meinte Edevart, das kann ich nicht glauben.

Wenn ihm sein Leben lieb ist, läßt er es bleiben, mehr sage ich nicht! Was meinst du, Edevart, glaubst du, er hat gemerkt, daß mit mir nicht zu spaßen war?

Edevart murmelte etwas.

Sie setzten die letzten Pflanzen ein, August war gedankenvoll und unruhig. Schließlich sagte er: So, Edevart, jetzt mußt du vorausgehen. Ich komme gleich nach.

Gehst du nicht mit? fragte Edevart.

Nein, ich lege keinen Wert darauf. Ich bin schon früher einmal bei den großen Herren gewesen, und da habe ich ihnen ordentlich heimgeleuchtet, sowohl dem Pfarrer wie dem Lensmann.

Edevart: Hm! Es wäre mir schon lieber, wenn du mitkämst. Dir fällt das Reden leichter.

Ich komme gleich. Geh zum Lensmann, erzähl ihm, daß der Doktor hundert Pflanzen bekommen hat, dann nimmt der Lensmann zweihundert. Er ist ein Narr.

Edevart ging.

Dieser große und schwerfällige Kerl von einem Mann, er war nicht mutig, ihm graute davor, auf eigene Faust zu handeln, wenn er irgendwie ein Nein bekäme, würde er nur nicken und wieder gehen. Ach, dieser Edevart, was hatte er doch seit seiner Jugend alles zugesetzt! Was tat dagegen August? Er schilderte andere Reiche und Länder, wo niemand ohne Zierbäume leben konnte, wo die Kinder schon von der Wiege her zu ihnen hinaufblickten und wo alten Leuten, die nur noch im Stuhl saßen und auf den Tod warteten, die Zeit nicht vergehen wollte, ohne daß sie Zierbäume sahen –

Edevart erging es besser, als er erwartet hatte, wahrhaftig, zu seiner eigenen Verwunderung: es gelang ihm, mit dem Lensmann ein Gespräch anzufangen, er erklärte sein Anliegen so einigermaßen, erwähnte den Doktor und verkaufte kurz und gut zweihundert Pflanzen.

Nach einer Weile kam August mit hellem Gesicht und sehr zufrieden. Er mußte klein beigeben! sagte er. So ein Kerl, ein Plakat beim Kramladen, – nun, ich habe ihm schon ein Plakat gegeben! So, du bist schon beim Pflanzen? Wieviel hat er genommen? Hahaha, zweihundert, was habe ich gesagt!

Sie arbeiteten auf einer Wiese, einem günstigen Platz, einer Art Sommerweide für Jungvieh, Edevart grub die Löcher, und August pflanzte.

Ich bin natürlich schnurstracks wieder zum Doktor gegangen, sagte er. Und das versteht sich, er wurde sofort ganz blaß. Aber ich mag keine Tränen sehen, und wenn ein Mann die Hände hochhebt, so liegt es mir nicht, ihm etwas anzutun. Dazu soll mich keiner bringen ... Na, hast du also gesagt, daß der Doktor hundert Pflanzen genommen hat? Wie dumm, wir hätten vielleicht zweihundert sagen sollen, dann wären es hier vierhundert geworden. Aber ich habe aufgehört, zu übertreiben und zuviel zu sagen, um nicht eine Gewohnheit daraus werden zu lassen.

Sie machten beim Lensmann fertig und gingen zum Pfarrhof. Nein. Kaplan Tveito kam nicht als Käufer von jungen Tannen in Betracht. Zu welchem Zweck sollte er hier Bäume anpflanzen? Er reiste ja bald ab.

Ach, und zum Vorteil und zum Segen der Gemeinde könne er nichts tun? fragte August.

O doch, das wohl. Aber er hoffe, daß er schon auf eine andere Art und Weise etwas zum Vorteil und Segen der Gemeinde getan habe.

Das hielt August nicht für unmöglich. Aber ob er sich dann nicht ein sichtbares Gedenkzeichen setzen wolle?

Nein, das solle doch lieber sein Nachfolger tun. Es habe doch keinen Sinn, Bäume zu pflanzen in dem Augenblick, da er im Begriff stehe, abzureisen.

August: Und der Doktor? Er wird auch in einiger Zeit abreisen müssen und hat doch vierhundert Pflanzen genommen.

So, hat der Doktor das getan? Ja, er kann es sich besser leisten, und er will ja auch nicht heiraten, wie ich es nun vorhabe. Aber schließlich ist es ja gleich, ich kann immerhin hundert Pflanzen nehmen, wenn Ihr sie mir umsonst setzen wollt.

Sie wählten selber die Stelle aus und pflanzten wiederum, diesmal jedoch eine Allee, eine doppelte Reihe von Bäumen am Weg zur Bootslände hinunter, wo viele Kirchenleute an Land gingen. Da sie mit einhundert Pflanzen fast nichts ausrichteten, legte August noch dreihundert von seinen eigenen dazu, er sprach in einem halb religiösen Ton über diese Handlung: daß sie gewissermaßen auf heiligem Grund und Boden wären und daß ihnen vielleicht ein Auge vom Himmel her zusähe. So, in Gottes Namen! sagte er, als sie den Platz verließen.

Von nun an ging es leichter mit dem Absatz, die Bauern machten es den großen Herren nach und bestellten zehn oder zwanzig Pflanzen, je nach den Verhältnissen. Dagegen war es für die Kameraden schwierig, etwas zu essen zu bekommen. Bei den feinen Leuten in der Inneren Gemeinde wurde es auch allmählich knapp, sie hatten ihre Felder abgeerntet und das Getreide zu Mehl gemacht, aber das verschlug so wenig, sie waren gewohnt, ihr Mehl vom Süden her zu beziehen, und nun war kein Mehl aufzutreiben. August verhöhnte die Zustände in der feinen Inneren Gemeinde und spuckte weit, obgleich er ziemlich hungrig war. Was taten sie denn in der Bucht, was hatte er selber getan? Einfach ohne weiteres um Mehl telegraphiert!

Die Kameraden wanderten vier Tage lang in der Inneren Gemeinde umher, und es ging ihnen dabei sehr schlecht. Auf dem Heimweg hatten sie immer noch eine Anzahl von Pflanzen, und August fühlte sich weich werden. Sie kamen an die Grenze zwischen der Inneren Gemeinde und der Bucht, und hier – auf der Seite der Bucht – kündigte August an, daß sie den Rest der Pflanzen ohne große Umstände hier einsetzen wollten, ja ganz wild und irgendwo auf freiem Feld. Sie wählten schöne helle Stellen und arbeiteten fest drauflos. Ach ja, wir hätten wohl unsere vierhundert Stück an den Lensmann loswerden können, sagte August. Und das ärgert mich beinahe, Gott verzeih mir meine Sünden! Aber das wäre ja ein ganzer Wald geworden, und wer weiß, ob dieser Spitzbube sie nicht als Weihnachtsbäume hätte haben wollen. Das hätte ich der Inneren Gemeinde nicht gegönnt. Und im übrigen ist es doch immer am besten, bei der Wahrheit zu bleiben.

Sie arbeiteten etwa eine Stunde. August setzte sich hin. Faul war er nicht, und es ärgerte ihn selber, daß er des Ausruhens bedurfte, aber seine Knie zitterten bereits. Es ist beinahe so, als könnte ich es nicht mehr schaffen, sagte er. Edevart hielt besser aus, er war ausdauernd und stark. August sah ihm eine Weile zu und wurde böse: Eines will ich dir sagen, Edevart, du wächst dich immer mehr und mehr zu einem Stück Vieh aus, du redest ja überhaupt nicht mehr, ohne daß ich dich frage. Ja. Und wozu soll das gut sein? Du bist ein reines Nichts geworden. Ich bin so hungrig, daß ich auch nicht mehr lachen kann, aber hörst du mich etwa ununterbrochen schweigen wie eine Leiche?

Worüber soll ich denn reden? fragte Edevart widerwillig.

August schwieg. Sein Gesicht war grau, und er netzte die Lippen mit der Zunge. Ich sitze da und sehe zu, wie du deine und auch meine Arbeit verrichtest, sagte er, du gräbst nicht nur die Löcher, sondern du pflanzt auch, aber das kannst du nicht. Du steckst wohl die Pflanzen in die Erde, aber so pflanzt man keine Tannen.

Noch nie war August weniger August gewesen als jetzt, er war plötzlich klein und verkommen. Aber im Ernst niedergeduckt? Keine Spur! Er rülpste einmal und machte hinterher ein Gesicht, als sei ihm ein Unrecht widerfahren. Dann rief er wütend: Und zum Beispiel soll dich der Teufel holen, wenn du überall herumgehst und von diesen Aktien redest! Daß du's nur weißt!

Edevart grub Löcher und pflanzte.

Genug! schrie August.

Edevart sah auf.

August: Genug, habe ich gesagt! Jetzt gräbst du ein großes Loch, Edevart, dann legen wir alles, was wir noch an Pflanzen haben, dort hinein.

Edevart grub. Als das Loch groß genug war, stand August auf und legte alle Pflanzen auf einmal schön in das Grab. Wir wollen wie Menschen mit ihnen umgehen, sagte er, sie sollen wirklich nicht über der Erde liegen und verkommen, gerade als hätten wir sie vergessen; schließlich haben sie auch ein Leben. Und im übrigen müssen wir ja selber einmal ins Grab –

August kam in die Bucht heim, krank und elend, und mußte sich zu Bett legen.


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